Von Wahlkampfgeschenken und Phrasendreschern

Der Wahlkampf hat in Deutschland begonnen. Das zeigten sowohl die Beschlüsse der Koalitionsrunde, die früh am Montagmorgen zu Ende gegangen sind, als auch die Reaktionen der anderen Parteien

Die wichtigsten Punkte, auf die sich die Koalitionäre geeinigt haben, sind die beiden Dauerthemen in der deutschen Innenpolitik: das Betreuungsgeld und die Praxisgebühr. Letztere wird bereits zum 1. Januar abgeschafft. Das Betreuungsgeld soll nun mit einer von der FDP durchgesetzten Bildungskomponente erst am 1. August nächsten Jahres in Kraft treten, falls nicht die die Justiz da noch ihr Veto einlegt.

Die SPD sieht in dem Betreuungsgeld eine Bevorzugung von Eltern, die ihre Kinder zu Hause erziehen und will eine Verfassungsbeschwerde einreichen. Sollte das auch in Teilen der Koalition ungeliebte Betreuungsgeld dann noch scheitern, können alle Parteien sagen, es lag nicht an ihnen, sondern eben an der dritten Gewalt. Auf diese Weise kann man sich auch eine tendenziell regierungssprengende Koalitionskrise ersparen. Denn eigentlich ist das FDP-Klientel genau so vehement gegen das Betreuungsgeld wie das konservative CSU-Milieu dafür. Dass es schon mehrmals als Ergebnis eines Kompromisses im Koalitionsausschuss beschlossen wurde, aber immer wieder neu diskutiert wird, macht die scharfen Differenzen deutlich, die ihre Gründe in den unterschiedlichen Interessen der jeweiligen Klientel haben.

Kurz vor den Wahlen will man die Streitereien einstellen und hat deshalb einen Beschluss gefasst, mit dem beide Seiten leben können. Damit hat man aber wieder mal die Politik an die Justiz delegiert. Sollte das Bundesverfassungsgericht nein sagen, wird auch die CSU einsehen müssen, dass Gesetze, die ihre konservative Basis befriedigen, nicht mehr in die Zeit bzw. in die Erfordernisse des neoliberalen Wirtschaftsmodells passen. Würde die FDP, die die Logik dieses Wirtschaftsmodells am reinsten vertritt, ihr Veto einlegen, wäre die Koalitionskrise da – und die will im gefühlten deutschen Vorwahlkampf keiner der Koalitionäre riskieren.

Kuhhandel oder Alltagsgeschäft?

Hier wird auch die Funktion dieser schon tagelang rauf und runter debattierten Koalitionsrunde deutlich, die die Medien außer Gebühr in Anspruch nahm und sogar das fast manische Interesse der deutschen Politikbeobachter am Präsidentenwahlkampf in den USA etwas dämpfte.

Eigentlich hätte man sich die Koalitionsrunde samt medialer Vor- und Nachbereitung sparen können. Schließlich waren die Ergebnisse nicht besonders überraschend. Die Differenzen innerhalb der Koalitionäre waren bekannt und auch die nun beschlossenen Kompromisse wurden schon tagelang in den politischen Nachrichten diskutiert. Noch am Sonntag wurden sie von Union und FDP aber pflichtschuldig dementiert. Schließlich muss man ja irgendwie rechtfertigen, warum man 7 Stunden lang verhandelt hat.

Einstieg in den Niedriglohnsektor 65 plus

Auch die Altersarmut, die Ursula von der Leyen mediengerecht lanciert hatte (Rösler und der Romneyeffekt), wurde verhandelt. Rentner, die 40 Jahre in die gesetzliche Rentenversicherung einbezahlt und zusätzlich noch privat vorgesorgt haben, sollen einen Zuschuss von 10 bis 15 Euro über den Sozialhilfesatz bekommen. Sowohl die hohen Hürden als auch der geringe Betrag machen deutlich, dass es keineswegs im Interesse der Politik ist, die Altersarmut generell zu bekämpfen.

Längst schon werden Modelle diskutiert, wie der Niedriglohnsektor auch auf das Rentenalter ausgeweitet werden kann. Basis dafür ist eine geringe Rente, die die Senioren erst dazu zwingt, auch im Alter noch für geringe Löhne zu arbeiten. So hat die Niedrigrente eine ähnliche Funktion für den Arbeitsmarkt wie die Einführung von Hartz IV. Auch biographisch wird es in vielen Fällen so sein, dass Menschen, die ihre Niedriglöhne mit ALG II aufstocken mussten, ihre dadurch bedingten Niedrigrenten auch weiterhin mit Jobs im Niedriglohnsektor aufstocken müssen. Mit dem nun gefundenen Begriff der „Lebensleistungsrente“ wird auch eine Spaltung in Teilen der Bevölkerung weiter vorangetrieben.

Menschen, die aus welchen Gründen auch immer, nicht 40 Jahre in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt und keine Privatversicherung abgeschlossen haben, sollen nach dieser Definition keine Lebensleistung erbracht haben. So werden sozialchauvinistische Spaltungslinien in Gesetze gegossen und verstärken Ressentiments, wie sie von Boulevardmedien schon lange im Einklang mit großen Teilen der Bevölkerung vertreten werden. Dass Arbeitgeberpräsident Hundt, der das Betreuungsgeld und die Abschaffung der Praxisgebühr kritisiert, die gefundene Rentenformel lobt, ist nur folgerichtig. Auch sein Klientel sieht, dass sich hier Chancen auf einen Niedriglohnsektor 66+ auftun.

Phrasenmaschine läuft auf Hochtouren

Darüber schweigen auch die meisten Oppositionspolitiker, die die Ergebnisse der Koalitionsrunde pflichtschuldig kritisieren. Weil sie aber eigentlich nur sauer sind, dass sie selber nicht mit am Koalitionstisch gesessen haben, ergehen sie sich in Phrasen statt in inhaltlicher Kritik. Einen Meistertitel im Phrasendreschen konnte sich der Volker Beck von den Grünen sichern, der im Interview mit dem Deutschlandfunk, die arg strapazierte Formel vom Kuhhandel noch bereicherte, indem er ausführte, dass selbiger von Milchbuben ausgeführt worden sei. Ob das der genderkorrekte Ersatz für die vielgeschmähte Milchmädchenrechnung ist? Auch Beck ist ein scharfer Kritiker des Betreuungsgeldes, sieht aber mehr Chancen. es nach den nächsten Wahlen auch ohne Verfassungsbeschwerde abzuschaffen. Wetten, dass eine Koalitionsrunde aus Union und Grünen oder SPD, Grünen und FDP, die so eine Entscheidung fällen könnte, von den Parteien, die nicht mit am Koalitionstisch sitzen, ebenfalls als Kuhhandel bezeichnet werden wird?

So hat die Regierung von der Opposition wenig zu befürchten. Schließlich hat die größte Oppositionspartei ein großes Problem, nämlich ihren eigenen Kanzlerkandidat. Die Debatte um ein Salär von 25000 Euro für eine Rede vor den Bochumer Stadtwerken ist für ihn nicht ausgestanden, nachdem diese nun juristisch klein beigeben und bestätigt haben, der Agentur des SPD-Kandidaten nicht vermittelt zu haben, dass das Geld eigentlich gespendet werden sollte (Kommunikationsschwierigkeiten). Wie will er die Wähler im Ruhrgebiet, der Herzkammer der Sozialdemokratie bis zur Einführung von Hartz IV, erreichen, wenn er nicht selber auf die Idee kommt, dass die klamme Behörde dieses Geld selber gut gebrauchen könnte? Wenn er nun nach der Koalitionsrunde von Wahlkampfgeschenken spricht, die die Regierung ausgebe, denkt man sich sofort, ein Kanzler Steinbrück hätte wohl nichts zu verschenken.

http://www.heise.de/tp/artikel/37/37944/1.html
Peter Nowak