Parlamentarisches Foulspiel um das Betreuungsgeld?

Fehlten heute so viele Bundestagsabgeordnete, um den Herzenswunsch der CSU doch noch zu torpedieren?

Sommer, Sonne, Fußball-EM: da träumen viele Lohnabhängigen davon, mal Pause zu machen. Die Wenigsten haben es so einfach wie die Bundestagsabgeordneten, die einfach einen wichtigen Termin in ihrem Wahlkreis nennen müssen, um Bundestagssitzungen fernzubleiben. Meistens fällt es gar nicht auf. Denn Fußball-Deutschland interessiert sich weit mehr für die Zusammensetzung der Elf als über die Anwesenheitsliste des Parlaments. Die Tatsache, dass heute lediglich 211 Bundestagsabgeordnete anwesend waren und das Parlament damit beschlussunfähig war, ist nur deswegen zum Medienthema geworden, weil an diesem Tag auch darüber entschieden wurde, wann das eigentlich nur noch von der CSU gewollte, ansonsten von einer breiten Bevölkerungsmehrheit abgelehnte Betreungsgeld in Kraft treten kann. Die Stimmung der Opposition machte der SPD-Bundesgeschäftsführer Thomas Oppermann in einen Twitter-Eintrag deutlich: „Koalition ohne Mehrheit, Betreuungsgeld nicht mehr vor der Sommerpause.“ Abgeordnete der FDP und auch der Union, die gegen das als Herdprämie verspottete Betreuungsgeld sind, schwiegen zu der Beschlussunfähigkeit.

Für den Zusammenhalt der Koalition ist dieses als Parlamentsboykott oder als Panne klassifizierte Fernbleiben sicher nicht förderlich. Deswegen ist die CSU auch besonders wütend, hat sie doch gehofft, ihre Klientel mit einer schnellen Verabschiedung des Betreuungsgeldes zufrieden stellen zu können. Denn je länger sich das Prozedere der Verabschiedung verzögert, desto unwahrscheinlicher wird, dass der CSU ihr Herzenswunsch noch erfüllt wird. Schließlich hat sich eine ganz große Koalition von Feministinnen bis zu den Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden dagegen ausgesprochen. Letztere sind dabei entscheidend, die Wirtschaft braucht in Zeiten des Bevölkerungsrückgangs in Deutschland Humankapital auch unter Frauen mit Kindern. Die ökonomischen Argumente dürften sich auch in diesem Fall gegen das Bauchgefühl von Konservativen durchsetzen, die hinter einer Kita immer noch das Gespenst der staatlichen Kindererziehung wittern.

Hat CSU ihre Niederlage begriffen?

Die Reaktionen der CSU auf ihr heutiges Scheitern im Parlament zeigen eigentlich, dass sie sich wohl schon mit der Niederlage in dieser Frage abgefunden hat. Sie findet natürlich starke Worte, um ihr Klientel ruhig zu stellen, und spricht von „dreckigem Foulspiel“, wobei sie offen ließ, ob sie damit neben der Regierung auch die Abgeordneten der eigenen Koalition meinte. Wenn auch Abgeordnete der FDP und der Union jetzt eilfertig auf die Opposition zeigen und dieser einen schlechten Stil bzw. Obstruktionspolitik vorwerfen, so können sie nicht verhindern, dass das Scheitern vor allem als eine Blamage der Bundesregierung wahrgenommen wird. Schließlich hätten die Fraktionsvorsitzenden der sie tragenden Parteien dafür sorgen müssen, dass alle ihre Mandatsträger anwesend sind, wenn ihnen wichtig gewesen wäre, dass das Betreuungsgeld wie geplant eingeführt wird. Sie stellen bei der Abstimmung zu anderen zentralen Punkten oft unter Beweis, dass die Disziplinierung funktioniert. Dass sie bei diesem Punkt gar nicht versucht wurde, macht eben deutlich, dass das Betreuungsgeld außer der CSU der Mehrheit der anderen Fraktionen nicht wichtig genug ist, um die Abgeordneten zu einem weiteren Freitag im Parlament zu vergattern. Die CSU dürfte verstanden haben – und sie hat ja auch nicht viele Alternativen. Einen Koalitionsbruch an dieser Frage wird sie nicht riskieren.

Das zeigte sich an der defensiven Argumentation der CSU-Bundestagsabgeordneten Dorothee Bär, die seit Monaten immer wiederholt, dass das Betreuungsgeld kommen werde und eine andere Lösung für die CSU überhaupt nicht akzeptabel sei. Nach der Verschiebung argumentierte sie im Interview mit dem Deutschlandfunk ungewöhnlich defensiv. Sie könne nicht verstehen, warum man die Experten, die in der nächsten Woche nach den nun obsoleten Plänen im Bundestag angehört werden sollten und die sich terminlich darauf eingestellt hätten, derart vor dem Kopf stößt. Auch dort wird sich die Erkenntnis durchzusetzen beginnen, dass die Koalitionspartner, wenn sie nicht einmal einen Freitag dafür opfern wollen, auch sonst nicht mehr bereit sind, für den Wunschkatalog der CSU ihren Kopf hinzuhalten.
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Peter Nowak