Wie weiter nach dem Schlichterspruch zu Stuttgart 21?

Aus „Stuttgart 21″soll ein „Stuttgart 21 Plus“ werden. Das hat Heiner Geißler in seinem Schlichtungsspruch zum Projekt Stuttgart 21 erklärt
Der ehemalige CDU-Generalsekretär will das Projekt baulich attraktiver, umweltfreundlicher, behindertenfreundlicher und sicherer machen. So sollen für seltene Tiere in dem neuen, ökologisch vorbildlichen Stadtviertel „große Schotterflächen“ angelegt werden. Außerdem darf für den Tiefbahnhof kein gesunder Baum im Schlossgarten mehr gefällt werden. Freiwerdende Grundstücke sollen in eine Stiftung eingebracht werden, um eine Spekulation zu verhindern. Zudem hat Geißler der Bahn die Hausaufgabe aufgegeben, einen „Stresstest“ in Auftrag zu geben, mit dem nachgewiesen werden sol, dass der neue Tiefbahnhof mit dem dazugehörigen neuen Gleisnetz um 30 Prozent leistungsfähiger ist, als der bestehende Bahnhof. Dass wird die Bahn sicher bewerkstelligen, fragt sich nur, wie lange es dauert. 
   Eine Überraschung war der Schlichterspruch nicht. Hatte er doch schon vor einigen Tagen deutlich gemacht, dass sein Vorschlag das Projekt nicht stoppen werde. Ein offener Brief bekannter S21-Gegner konnte daran selbstverständlich nichts mehr ändern.

Einen Volksentscheid hatte er mit der Begründung abgelehnt, dass sich der Landtag von Baden-Württemberg dagegen ausgesprochen hatte. Damit hat sich Geißler allerdings selber politisch verortet. Denn nicht der Landtag, sondern die Mehrheit aus Union und FDP hatte sich dagegen ausgesprochen. Es ist genau die Mehrheit, die auch das Projekt Stuttgart 21 verteidigt.

 CDU und FDP sind mit dem Schlichter zufrieden

Die Befürworter einer Volksbefragung finden sich allerdings nicht nur bei den Grünen, die als einzige Parlamentsfraktion gegen das Projekt ist, sondern auch bei der SPD. Sie hofft, dass die Befürworter des Projekts bei einer Befragung gewinnen könnten. Die SPD will mit ihrer Position pro Volksbegehren natürlich auch aus ihrer unkomfortablen Lage herauskommen, in die sie sich manövriert hat. Schließlich gehörte die SPD zu den stärksten Befürwortern des Bahnprojekts, will aber die Landesregierung mit den Grünen bei den nächsten Wahlen ablösen. Deren Spitzenpolitiker haben schon erklärt, dass sie einen Stopp des Projekts nach dem Wahlen nicht versprechen können. Allerdings dürfte die Bahnhofsfrage bei möglichen Koalitionsgesprächen ein großer Stolperstein sein.

Eine Volksbefragung käme dann beiden Parteien gelegen Spricht sich eine Mehrheit für Stuttgart 21 aus, was bei einer landesweiten Befragung durchaus denkbar ist, können die Grünen ihrer Basis vermitteln, warum sie das Projekt bei einer Regierungsbeteiligung akzeptieren. Siegen die Gegner, kann die SPD ohne Gesichtsverslust von ihrer langjährigen Pro-S21-Position abrücken.

Tatsächlich hätte in dieser Frage eine Volksbefragung die beruhigende Wirkung, die manche der unverbindlichen Schlichtung gerne zuzuschreiben wollen, die sie aber nicht hat. Allerdings gibt es bei der Frage des Volksbegehrens natürlich noch viele offene Fragen zum Prozedere. Soll nur in Stuttgart und Umgebung oder im ganzen Land abgestimmt werden? Dass sich Geißler um solche Fragen gar nicht gekümmert hat, sondern eine Volksbefragung gleich ganz ausschloss, machte ihn zum Joker der Stuttgart21-Befürworter. Die standen nach den Massenprotesten des Frühherbstes und vor allem nach dem bundesweit vielkritisierten Polizeieinsatz gegen die Demonstranten mit dem Rücken zur Wand. Deshalb ist es für sie ein Erfolg, dass das Projekt nun sogar noch erweitert werden soll. Daher gehört die die FDP im Landtag von Baden-Württemberg jetzt zu den großen Verteidigern von Geißler und auch die CDU ist mit ihren Parteifreund wieder einmal sehr zufrieden.

Deswegen erklärte der Baden-Württembergische Ministerpräsident Mappus sofort, den Schlichterspruch zu akzeptieren, die von Geißler vorgeschlagenen Modifikationen vornehmen zu wollen und dann gleich die Grünen mit in die Verantwortung zu nehmen, indem er sie aufforderte, die dadurch nötig werdenden Mehrausgaben mit zu unterstützen.

Da Mappus klar ist, dass die Grünen vor den Wahlen politischen Selbstmörder wären, wenn sie darauf eingingen, hat er damit schon deutlich gemacht, wie die Landesregierung künftig argumentieren wird. Sie hat das Ergebnis der Schlichtung akzeptiert und damit zur Befriedung eines schwelenden Konflikts beigetragen. Die Gegner aber haben sich nicht nur mit dem parlamentarischen Prozedere nicht abgefunden, sondern protestieren auch nach der Schlichtung weiter. Nun können sie noch mehr als „Dagegen-Partei“ hingestellt werden.

Auf diese Lesart haben sich die führenden Koalitionspolitiker nicht nur in der Landesregierung von Baden-Württemberg, sondern auch der Bundesregierung schon länger verständigt. Schließlich hat die Bundeskanzlerin im Bundestag das Projekt Stuttgart 21 schon vor Wochen auch zur Sache der Bundesregierung erklärt. Das haben ihr viele als großen politischen Fehler angekreidet. Doch ob sie damit richtig liegen, dürfte sich erst am Wahlabend von Baden-Württemberg zeigen. Tatsächlich dürften vor allem bürgerliche Stuttgart-21-Gegner, und die sind zahlreich, nach dem Schlichterspruch eher wieder bereit zur Stimmabgabe für Union und FDP bereit zu sein. Schließlich bekamen selbst am Höhepunkt der bundesdeutschen Anti-Pershing-Bewegung 1982 Union und FDP eine Mehrheit, obwohl in Umfragen die Gegner des Raketenprojekts die Mehrheit hatte.

Die Grünen eröffnen mit der Parole Jetzt müssen die Bürger entscheiden den Landtagswahlkampf in Baden Württemberg. Während sich die Grünen mit direkter Kritik an Geißler zurückhalten, hat er in den Augen der Landes-SPD eine Chance versäumt, eine Brücke für beide Seiten zu bauen, will aber die vorgeschlagenen Veränderungen mittragen.

Neue Proteste angekündigt

Die S21-Gegner, die das Projekt begraben wollten, sind nun mit einem S21-Plus a la Geißler bestimmt nicht zufrieden. Allerdings scheint man sich noch nicht auf eine einheitliche Linie geeinigt zu haben.

So veröffentlichte das Aktionsbündnis gegen S21 eine konfuse Erklärung, in der die Schlichtung als Fortschritt bezeichnet und Geißler für seine Bemühungen gedankt wird. Dort klopfen sich die Aktivisten selber auf die Schultern dafür, der Bahn Zugeständnisse abgetrotzt zu haben. Daraus könnte man schließen, die S21-Gegner hätten sich mit dem Schlichterspruch abgefunden. Doch der Eindruck täuscht.

Vor allem die Parkschützer, die sich nicht an der Schlichtung beteiligten, haben schon lange angekündigt, dass die Proteste fortgesetzt werden sollen. Für den 11. Dezember wird zu einer erneuten Demonstration gegen das Projekt aufgerufen. Dann wird sich auch zeigen, ob das Thema noch so stark mobilisiert, wie im September 2010.

Der nächste Knackpunkt dürfte die Wiederaufnahme der Baumaßnahmen sein, den die Deutsche Bahn schon angekündigt hat. Die könnte sich allerdings witterungsbedingt noch bis nach den Wahlen verschoben werden. Damit wäre auch der Forderung der Grünen stattgegeben, vor dem Stresstest solle nicht weitergebaut werden. So würde der Konflikt bis zur Wahl eingefroren. Dann könnte man diese „neue Form des bürgerrechtlichen Engagements“, wie die Schlichtung häufig genannt wurde, Schule bei anderen Großprojekten machen. Dann hätte die Schlichtung vor allem den Konflikt entschärft, ohne den Bau eines umstrittenen Projekts in Frage zustellen. Schon beim Bau der zweiten Phase der Startbahn-West in Hessen war diese als Mediation bezeichnete Art der Bürgerbeteiligung, die wenig entscheidet, in die Kritik der dortigen Bürgerinitiativen geraten.

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33761/1.html

Peter Nowak


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