Die Angst vor dem Internet-Tsunami

Die klassischen Printmedien geraten durch den Online-Journalismus zunehmend unter Druck
Ist das Zeitalter der klassischen Printmedien vorbei? Sind Tageszeitungen eine aussterbende Spezies auf dem Medienmarkt? Die Zukunft des Print-Journalismus im Onlinezeitalter war auch auf der Linken Medienakademie ein zentrales Thema.
 Die Branchenvertreter blicken alles andere als optimistisch in die Zukunft. Der stellvertretende Chefredakteur der »taz«, Reiner Metzger, vergleicht die aktuelle Lage der Printmedien mit der der Stahlwerke in der alten BRD vor 40 Jahren. Auch damals hätten viele Arbeiter in der Stahlbranche die Hoffnung gehegt, sie könnten einfach weitermachen wie bisher. Allerdings räumte auch Metzger ein, dass sich die journalistische Arbeit nicht einfach in ein Billiglohnland verlegen lässt. Trotzdem sei die Frage, wie sich in Zukunft mit Journalismus noch Geld verdienen lässt, offen.

Ist Online-Journalismus der berühmte Strohholm, der auch die Printmedien retten kann? Der Redaktionsleiter der Jugendzeitung »Spießer«, die schon länger eine Online-Präsenz hat, warnte vor zu großen Erwartungen. Besondere journalistische Qualitäten seien ihm unter den Bloggern nicht aufgefallen. Leider hatte der Herausgeber der Wochenzeitung »Der Freitag«, Jakob Augstein, kurzfristig seine Teilnahme an der Debatte abgesagt. Er hätte sicher zum Thema Online-Journalismus einiges beisteuern können. Schließlich hat seine Zeitung nach ihrem Relaunch im letzten Jahr eine Pionierrolle bei der Verbindung zwischen Print- und Online-Journalismus eingenommen.

Auch »Freitag«-Chefredakteur Philipp Grassmann sieht für den bisherigen Journalismus keine Zukunft mehr. Anders als in Großbritannien und den USA würden aber in Deutschland noch immer viele Journalisten ihre Distanz zu der Bloggerszene und dem Internet-Journalismus kultivieren. Grassmann sieht in dieser Haltung die illusionäre Hoffnung, der Internet-Tsunami würde wieder vorbeigehen. Mit Verweis auf Beispiele aus Großbritannien und den USA vertritt er die These, das Internet sei keine Gefahr sondern eine Chance für den Journalismus. So seien dem britischen »Guardian« Papiere zugespielt worden, die auf einen Steuerbetrug hindeuteten. Weil die Redaktion keine Kapazitäten zur Aufarbeitung der Unterlagen hatte, entschloss sie sich, die Papiere ins Netz zu stellen. Innerhalb weniger Tage hätten Internetnutzer die Unterlagen studiert und für die Leser aufbereitet.

Grassmann verteidigte auch den Mikroblog Twitter vor der Kritik, damit würden nur Belanglosigkeiten ausgetauscht. In Großbritannien habe Twitter bereits zur Verteidigung der Pressefreiheit beigetragen. Nachdem britische Gerichte der Presse verboten hatten, über den von einem Großkonzern verursachten Umweltskandal zu berichten und selbst über diese Entscheidung des Gerichts keine Meldung veröffentlicht werden durfte, sorgte eine 204 Zeichen lange Meldung bei Twitter für einen Sturm der Entrüstung in Großbritannien. Innerhalb von wenigen Tage hatten findige Internetznutzer die Hintergründe der Meldung recherchiert und ins Netz gestellt. Schließlich musste das Gericht das wirkungslos gewordene Verbot, über den Fall zu berichten, zurücknehmen.

Diese Beispiele eines engagierten Bürgerjournalismus beantworteten allerdings noch nicht die Frage, wie Journalisten künftig bezahlt werden sollen. Auch Grassmann machte hier aus seiner Ratlosigkeit keinen Hehl. Werbung im Internet kann die andauernde Flaute im Anzeigengeschäft der Printmedien nicht kompensieren. Während ein Werbebanner im Internet nicht einmal 100 Euro einbringt, erzielt eine in der »Süddeutschen Zeitung« veröffentlichte Anzeige in gleicher Größe Einnahmen in fünfstelliger Höhe. Der Chefredakteur des »Freitag« verweist darauf, dass in den englischsprachigen Ländern engagierte Journalisten Geld für ihre Recherchearbeit über das Internet sammeln. So konnte eine Umweltredakteurin rund zehntausend Dollar im Netz auftreiben, um über einen Umweltskandal im Südpazifik zu recherchieren und zu berichten.

Grassmann will hierin allerdings kein Modell für die Bezahlung von Journalisten sehen. Schließlich könnten auch finanzstarke Gruppen unter dem Deckmantel der Unterstützung Beiträge lancieren. Zudem besteht die Gefahr, dass die Journalistenhonorare noch mehr abgesenkt werden, wenn Bürgerjournalisten unentgeltliche Recherchearbeit machen. Diese auch von der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di geäußerten Befürchtungen, haben eine reale Grundlage. Für Grassmann wäre es allerdings eine falsche Strategie, wenn ver.di Blogger und Bürgerjournalisten als Gegner von professionellen Journalisten betrachten würden. Vor allem aber wäre es eine anachronistische Position, weil die Entwicklungen nicht aufzuhalten seien.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/167069.die-angst-vor-dem-internet-tsunami.html
 Peter Nowak