Am 12. November 2025 jährt sich die Gründung der Bundeswehr zum 70ten Mal

Kriegsverrat ist Friedenstat!

Derzeit ist in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin die Ausstellung »Das Reichskriegsgericht 1936–1945. Nationalsozialistische Militärjustiz und die Bekämpfung des Widerstands in Europo« zu sehen. Dort wird der Charakter des historischen Reichskriegsgerichts als terroristisches Instrument zur Zerschlagung von Widerstand gezeigt. Völlig ausgeblendet ist allerdings der Kampf der ehemaligen Deserteure für ihre Rehabilitierung in der BRD, der schon in den 1950er Jahren begann und in den 1990er Jahren endlich auf breitere gesellschaftliche Unterstützung stieß.

Viele Jubiläumsartikel verweisen auf den damaligen Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU), der die Wiederaufrüstung der BRD zur Schicksalsfrage zwischen Freiheit oder Tyrannei stilisierte. Diese Töne klingen noch heute vertraut, sie werden auch in der militärischen »Zeitenwende« seit 2022 bemüht: Wollen »wir« die Freiheit – oder die Unterwerfung durch Russland?
Allen Kritikerinnen der Aufrüstung wird unterstellt, sie würden das Geschäft Putins betreiben. Und schon 1955 lautete der Vorwurf gegen alle Gegnerinnen der westdeutschen Wiederbewaffnung: Landesverrat im Namen Russlands! Zu
ihnen gehörten damals …

… Christinnen, Gewerkschafterinnen, linke Sozialdemokratinnen, Kommunistinnen, Pazifistinnen und unabhängige Linke. Sie alle wurden als Moskaus Handlanger diffamiert und bald mit Repression überzogen. Eine Volksbefragung zur Wiederbewaffnung wurde verboten, Versuche einer selbstorganisierten Befragung führten zu Verhaftungen und Polizeigewalt. Auch die Verbote der KPD und zahlreicher weiterer linker Organisationen begründete der bundesrepublikanische Staat unter anderem mit ihrer Gegnerschaft zur Wiederbewaffnung. Auch wer Mitte der 1950er Jahre an die vielen NSDAP-Angehörigen in der neu gegründeten Bundeswehr erinnerte, galt als Landesverräterin. Dasselbe Stigma traf übrigens Deserteure, die sich geweigert
hatten, in der Wehrmacht zu morden und/oder ermordet zu werden. »Die Militärjustiz der Wehrmacht ließ sich von der Kapitulation nicht stoppen«, schreibt der Publizist Rolf Cantzen in seinem kürzlich erschienenen Buch »Deserteure – Die Geschichte von Gewissen, Widerstand und Flucht«. Während die Militärverweigerer bis in die 1990er Jahre also auch im NS-Nachfolgestaat BRD weiter als vorbestraft galten und kriminalisiert wurden, standen den
Mitgliedern der Reichskriegsgerichte alle Posten offen: Der ehemalige
Marinerichter Hans Filbinger etwa wurde gar Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Derzeit ist in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin die Ausstellung »Das Reichskriegsgericht 1936–1945. Nationalsozialistische Militärjustiz und die Bekämpfung des Widerstands in Europo« zu sehen. Dort wird der Charakter des historischen Reichskriegsgerichts als terroristisches Instrument zur Zerschlagung von Widerstand gezeigt. Völlig ausgeblendet ist allerdings der Kampf der ehemaligen Deserteure für ihre Rehabilitierung in der BRD, der schon in den 1950er Jahren begann und in den 1990er Jahren endlich auf breitere gesellschaftliche Unterstützung stieß. Im Jahr 1990 gründeten etwa 40 ehemalige Wehrmachtsdeserteure die Bundesvereinigung der Opfer der NS-Justiz. Eine zentrale Rolle spielte hier der Wehrmachtsdeserteur und lebenslange Antimilitarist Ludwig Baumann; er kommt in der Ausstellung
gar nicht vor. Das ist ärgerlich, aber nicht verwunderlich – schließlich
lautete Baumanns Motto »Kriegsverrat ist Friedenstat«. Diese Devise ist
in Zeiten des neuen deutschen Militarismus ebenso verpönt wie bei der
Gründung der Bundeswehr vor 70 Jahren und davor bei der deutschen
Wehrmacht.

Peter Nowak

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