Die Organisierung des Antimilitarismus

Zimmerwald 2.0

Am 6. September trafen sich im Dorothee-Sölle-Saal, einer christlichen Einrichtung in Zürich, 403 Antimilitarist*innen aus 21 Ländern, um an die Zimmerwalder Konferenz anzuknüpfen. Ein Großteil der Besucher*innen waren Arbeiter*innen, die berichteten, wie sie sich in ihren Betrieben gegen Militarismus und Krieg wehren

»Beau Séjour« – schöner Aufenthalt – hieß das Gebäude im Dorf Zimmerwald in der Nähe von Bern, in dem sich vom 5. bis 8. September 1915 38 Antimilitaristinnen trafen, um zu beraten, wie dem Massenmorden des Ersten Weltkriegs ein Ende gemacht werden könnte. Sie kamen aus

verschiedenen Ländern und gehörten überwiegend zum linken Flügel der sozialistischen Arbeiterinnenbewegung, die sich dem offiziellen Kurs des Burgfriedens nach Innen und der Vaterlandsverteidigung nach Außen widersetzten. Lediglich bei den russischen Bolschewiki war diese Strömung in der Mehrheit, von ihnen waren unter anderem Lenin und Trotzki Teilnehmer der Konferenz, die sich als Treffen von Vogelkundlerinnen tarnen musste. Von der Zimmerwalder Konferenz ging eine Botschaft um die Welt: »Über die Grenzen, über die dampfenden Schlachtfelder, über die zerstörten Städte und Dörfer hinweg, Proletarier aller Länder vereinigt euch!« Heute wird von Historikerinnen anerkannt, dass damals in Zimmerwald Geschichte geschrieben wurde. Fast alle der Teilnehmerinnen beteiligten sich in den verschiedenen europäischen Ländern 1917 und 1918 an Massenprotesten und Aufständen, die den Krieg beendeten und die alten kriegsführenden Regime stürzten. Viele sahen Russland nach der Oktoberrevolution auf dem Weg zum Sozialismus, in dem Kriege der Vergangenheit angehören sollten. Doch die Geschichte nahm bekanntlich einen anderen Verlauf. Heute leben wir wieder in einer Welt, in der auf verschiedenen Kontinenten blutige Kriege geführt werden und Aufrüstung das gesellschaftliche Leben bestimmt. Wieder müssen wir uns scheinbar im Krieg auf eine Seite stellen. Und doch ist die Spur, die Zimmerwald gelegt hat, 110 Jahre später nicht ganz vergessen. Am 6. September trafen sich im Dorothee-Sölle-Saal, einer christlichen Einrichtung in Zürich, 403 Antimilitaristinnen aus 21 Ländern, um an die Zimmerwalder Konferenz
anzuknüpfen. Ein Großteil der Besucherinnen waren Arbeiterinnen,
die berichteten, wie sie sich in ihren Betrieben gegen Militarismus und Krieg wehren. Es ging meistens um kleine Proteste, manchmal auch um Streiks.
In der Abschlussresolution wurden Parallelen zur Situation vor 110 Jahren gezogen. Dort heißt es: »Auch heute verschärfen die sich verändernden Kräfteverhältnisse in der imperialistischen Welt die Widersprüche zwischen den imperialistischen Staaten um eine Neuaufteilung der Welt. Die militärische
Hochrüstung hat einen neuen Rekordwert von 2,718 Billionen USDollar erreicht.« Wie vor 110 Jahren gibt es in der kapitalistischen Welt keine Seite, auf die sich stellen könnten – dies war Konsens auf der Konferenz Doch die Geschichte ist offen. Gelingt es nicht, Antimilitarismus in größeren Teilen der Bevölkerung zu verankern, bleibt Zimmerwald 2.0 nur eine Treffen zum Jahrestag. Peter Nowak

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