
Eine Reise deutscher Politiker nach Israel war nach der Shoah nie ein „normaler“ Staatsbesuch. Denn die deutsche Verantwortung für die Ermordung der europäischen Juden hatte es nie zugelassen. Wenn nun Bundesaußenminister Wadephul seinen Israelbesuch antritt, spielt dieses Verbrechen keine große Rolle mehr. Auch der größte Massenmord an Juden nach 1945, das Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023, wird in der öffentlichen Diskussion kaum noch erwähnt. Im Mittelpunkt spielt nur noch Israels Antwort auf das Hamas-Pogrom, der Krieg im Gaza und die repressive israelische Politik in der Westbank. Da hat Wadephul schon mal vorab erklärt, er erwarte, dass die israelische Regierung einen Knesset-Beschluss zur Annexion der Westbank nicht umsetzen dürfe. Eigentlich müsste er wissen, dass solche Ermahnungen, gerade wenn sie von deutschen Politikern ausgesprochen werden, …
… in Israel auf taube Ohren stößt.
Auch das plötzliche Bekunden , angestoßen von Frankreich und weiteren EU-Staaten, einen palästinensischen Staat in der UNO anerkennen wollen, wird das israelische Politiker nicht besonders beeindrucken. Denn Israel ist es seit Jahrzehnten gewohnt, in der UN= in der absoluten Minderheit zu sein. In den 1970er Jahren war diese UN-Isolation auf jeden Fall gravierender als heute. Da konnte mehrheitlich eine Resolution durchgesetzt werden, die Zionismus mit Rassismus und Faschismus gleichsetzte. Daran knüpfen Teile der pro-palästinensischen Bewegung heute wieder an. Diese Resolution ist Geschichte und Israel hat es überlebt. Die dortigen Politiker wissen, dass nicht UN-Resolutionen, sondern die realen Kräfteverhältnisse in der Region für das Überleben des Staates entscheidend sind.
Das sind auch die Lehren aus der israelischen Geschichte seit 1948. Es ist gerade 1967 in lebensbedrohliche Situationen geraten. Keine UN-Beschlüsse und erst recht keine wohlmeinenden Ratschläge aus Deutschland waren dafür verantwortlich, sondern das Vertrauen auf die eigene Kraft. In den letzten Monaten ist es Israel gelungen, die sogenannte Achse des Widerstandes, die Israel einkreisen sollte, entscheidend zu schwächen. Die Hisbollah hat ebenso wie die iranische Regierung immer wieder erklärt, Israel werde vernichtet. Doch jetzt zeigt sich, dass es vor allem Papiertiger sind. Aber sie haben Anhänger, die für die Vernichtung Israels in den Tod gehen und viele andere mitreißen wollen. Aktuell sind sowohl die Hisbollah als auch der Iran dazu weniger in der Lage als vor einigen Monaten und auch der Sturz des Assad-Regimes in Syrien hat Israels Bewegungsfreiheit in der Region erhöht. Man kann also sagen, die israelische Regierung steht heute militärstrategisch wesentlich besser da als vor einigen Monaten. Das macht sie noch weniger empfänglich für drohende UN-Beschlüsse.
Israelische Minister in Großbritannien und den Niederlanden
Deshalb erklären einige Rechtsaußenminister in der israelischen Regierung, als Antwort auf die Bekenntnisse verschiedener Staaten einen palästinensischen Staat anzuerkennen, dafür zu sorgen, dass es kein Territorium mehr gibt, wo ein solcher Staat Platz hätte. Dass mag nun bei Israelkritikern zu moralischer Empörung führen, doch das ist eben die Politik eines bürgerlichen Staates, der am 7. Oktober 2023 in seinen Grundsätzen erschüttert wurde. Man braucht sich gar nicht vorzustellen, was in Deutschland los wäre, wenn ein von Russland unterstützter Terroranschlag auf das Land Tausende Menschen getötet hätte.
Glaubt jemand, dass man dann auf die vielen mehr oder weniger wohlmeinenden Ratschläge aus dem Ausland mit offenen Ohren reagieren und sich noch dafür bedanken würde, wenn andere Regierungen einige Kabinettsmitglieder zur Persona Non Grata erklären würde? Nach Großbritannien haben nun auch die Niederlande die beiden israelischen Rechtsaußenminister, den Finanzminister Smotrich und den Minister für nationale Sicherheit Ben-Gvir, zu unerwünschten Personen erklärt.
Was sich wie eine Lektion in Antifaschismus anhört, hat aber vor allem allgemeinpolitische Gründe. Die Labour-Regierung in Großbritannien will damit vor allem ihrer sinkenden Popularität bei den moslemischen Wählern entgegenwirken. Es gibt in Teilen der Labour-Linke schon neue Parteigründungsprojekte und bei allen spielt die Nahostfrage eine Rolle. In Israel ist aber nicht vergessen, dass just jenes Großbritannien noch bis Mitte der 1940er Jahre die Einreise der in Europa bedrohten Juden nach Israel verhinderte, weil man aus geopolitischen Erwägungen die arabische Bevölkerung nicht verärgern wollte.
Nun werden Forderungen laut, auch in Deutschland israelische Minister zu unerwünschten Personen zu erklären. Es ist schon bemerkenswert, dass man sich von den vielen reaktionären und repressiven Ministern dieser Welt ausgerechnet zwei israelische Politiker aussucht, die anders als in manchen anderen Ländern durch Wahlen ins Parlament gekommen sind und auch wieder abgewählt werden können.
Hört man beispielsweise, dass auch ultrarechte Politiker in der Ukraine, die beispielsweise mit der Asow-Bewegung oder dem Rechten Sektor verbunden sind, nicht einreisen dürfen?
Zweifache Maßstäbe gegenüber Israel
Hier finden sich wieder diese Doppelstandards, die an israelische Politiker andere Maßstäbe anlegen als an Politiker anderer Länder. Da kann man schon polemisch fragen, warum regen Menschenrechtsverletzungen und repressive Politik erst so richtig auf, wenn Juden daran beteiligt sind?
Die oft gehörte Kritik, Israel dürfe sich alles erlauben, ist grundfalsch. Nein, Israel steht besonders in der Beobachtung. Dabei ist die Kritik an der aktuellen Regierung und deren Politik im Gaza und der Westbank in vielen Punkten nicht falsch. Es gibt viele Gruppen und Einzelpersonen, die immer als Freunde Israels aufgetreten sind und die diese Kritik gut auf dem Punkt gebracht haben.
Kritik an israelischer Politik statt Israelkritik
Dazu gehört der Politikwissenschaftler und Antisemitismusforscher Clemens Heni. Er benennt in einem aktuellen Beitrag ganz klar, dass das ultrarechte israelische Kabinett auch dem Zionismus großen Schaden zufügen. An seinen Beitrag zeigt sich, was eine berechtigte Kritik an der rechten israelischen Regierung von einer Israelkritik unterschiedet, wie sie bei uns mittlerweile inflationär verwendet wird.
Zunächst erwähnt Heni den Hamas-Terror vom 7. Oktober 2023, ohne denen es den Gazakrieg mit seinen mörderischen Folgen nicht geben würde. Dann unterscheidet Heni zwischen der ultrarechten israelischen Politik und dem Zionismus. Während viele Israelkritiker hier keinen Unterschied machen, zeigt Heni auf, dass sich viele erklärte Zionisten gegen diese Politik wenden.
„Wirklich kritische und hellsichtige Menschen wie der Zionist Irvin Cotler, ich habe über ihn berichtet, hatten von Anfang an die Hoffnung, dass Israel nach dem 7. Oktober diplomatisch geschickt agiert und den Iran weltpolitisch isoliert wie seine Proxies Hamas, Hisbollah, Houthis. Aber das Gegenteil passierte, Israel hat zwar die Führungskräfte der Hisbollah und der Hamas getötet und das iranische Atomprogramm angegriffen, aber vermutlich den Kern, auf 60 Prozent angereichertes Uran, wovon es ca. 400 kg im Iran gab, nicht getroffen. Und selbst wenn, es muss um ein Ende des iranischen Regimes gehen, was nur politisch erreicht werden kann – und mit einer Revolution im Iran.“ – Clemens Heni
Zudem erwähnt Heni, dass es sowohl in Israel eine große Bewegung gegen die rechte Regierung gibt, aber er geht auch auf die Opposition gegen die Hamas im Gaza ein, die nicht selten tödlich endet.
Auch die Emanzipatorische & antifaschistische Gruppe in Berlin ist seit Jahren für ihren Kampf gegen Antisemitismus in der linken Bewegung bekannt. Sie veröffentlichte kürzlich zwei Plakate zum Nahostkonflikt. Auf dem einen stand „Hamas raus“ auf dem anderen „Bibi geh“.
Unterstützung der Opposition im Gaza und in Israel
Bei Heni und der EAG sind also alle Elemente einer Kritik an der israelischen Politik zusammengefasst, die nicht auf ein Ende des jüdischen Staates abzielt, sondern die eine emanzipatorische Entwicklung für alle Menschen in der Region zum Ziel hat. Dazu muss die Hamas ebenso bekämpft werden wie andere islamistische Organisationen. Es sollten alle Kräfte in der Westbank und im Gaza unterstützt werden, die das unter Lebensgefahr versuchen. Dazu sollten auch die oppositionellen Kräfte in Israel unterstützt werden, die in Israel seit Jahren gegen die ultrarechte Regierung auf die Straße gehen und die auch verhindert haben, dass sich diese Regierung der Justiz bemächtigte.
Es sind auch viele zionistische Gruppen, die sich an dem Widerstand gegen die Netanjahu-Regierung beteiligen. Das sollte denen zu denken geben, die den Zionismus kurzschlüssig mit Rassismus und Faschismus gleichsetzen. Sie werden der Vielfalt des historischen Zionismus nicht gerecht, wozu der Links- und Arbeiterzionismus gehört. Eine solche Kritik an der israelischen Politik und nicht des Staates insgesamt könnte auch Grundlagen für eine Allianz zwischen Gruppen legen, die Rassismus, Faschismus und repressive Politik in aller Welt bekämpfen und nicht nur in Israel. Peter Nowak
Der im Text erwähnte Antisemitismusforscher Clemens Heni geht in einen Beitrag auf diesen Text ein:
Wie der Journalist Peter Nowak betont, kann man gerade als Linker gegen die Hamas und gegen Netanyahu sein, aber für Israel – wie zum Beispiel eine Plakatkampagne der Berliner „Emanzipative & antifaschistische Gruppe“ (EAN) zeigt:
Die „Emanzipative & Antifaschistische Gruppe“ (EAG) wurde 2005 in Pankow gegründet. Damals wie heute ging es uns darum den Neonazis im Berliner Nordosten entgegenzutreten. Allerdings war es uns immer zu wenig, ausschließlich Anti-Nazi-Arbeit im Stadtteil zu leisten. Vielmehr gehörte von Anfang an eine umfassende Herrschaftskritik und linksradikale Theoriebildung zu unserem Anspruch. Darüber hinaus wurde die Gruppe auch aus der Kritik am Antisemitismus innerhalb linker Strukturen gegründet sowie den antifeministischen Tendenzen der Antideutschen Szene.
Das unterscheidet auch solche pro-israelischen Gruppen von ach-so-jüdischen Gruppen für Frieden im Nahen Osten, die meist nur antizionistisch sind und gerade keinen Frieden für Juden in einem jüdischen Staat wollen, neben einem palästinensischen Staat.
https://overton-magazin.de/top-story/gegen-hamas-und-netanyahu/