Die Gewalttaten im Nahen Osten führen auch hierzulande zu seltsamen Fronten
Wenn Juden angegriffen werden, konnte man lange Zeit davon ausgehen, dass die Attacke von rechts kommt. Doch immer dann, wenn im Nahen Osten die Lage eskaliert, kommen auch Angriffe von links, wie am 22. Juni in Hamburg. An diesem Tag gab es in vielen Städten Mahnwachen für die drei entführten israelischen Jugendlichen.
In Hamburg organisierte das Junge Forum [1] der Deutsch-Israelischen Gesellschaft eine Mahnwache für die Entführten. Palästina-solidarische Gegendemonstranten attackierten die Mahnwachenteilnehmer nicht nur mit Worten [2]. Ein 83jähriger Mahnwacheteilnehmer stürzte zu Boden und musste verletzt ins Krankenhaus gebracht werden, nachdem er von den Gegendemonstranten attackiert wurde. Auch seine Tochter, die dem Mann zur Hilfe kommen wollte, wurde geschlagen.
„Antisemitischer Angriff auf Mahnwache“
„Wir wollten unsere Solidarität mit drei verschleppten Jugendlichen ausdrücken. Dass es dabei zu einem solchen unvermittelten antisemitischen Angriff auf einen Teilnehmer unserer Mahnwache gekommen ist, schockiert uns sehr“, sagt Ina Dinslage vom Jungen Forum der DIG. Davon will die Palästina-AG der globalisierungskritischen Organisation Attac Hamburg [3] natürlich nichts wissen.
In einer kurzen Stellungnahme der Organisation heißt es, man habe „gegen die Einseitigkeit einer pro-israelischen Mahnwache der Deutsch-Israelischen Gesellschaft“ spontan demonstriert, sei als Antisemiten beschimpft worden und habe sich nur gewehrt. Dabei sei der 83-jährige Mann zu Boden gestürzt, dem man übrigens gute Besserung wünsche. Fast formelhaft endet die Erklärung:
Damit wird nur formelhaft widerholt, was niemand behauptet. Über die Ungeheuerlichkeit, dass in Deutschland ein jüdischer Teilnehmer einer Mahnwache, die sich für drei entführte Jugendliche in Israel einsetzt, attackiert und verletzt wird, wird kein weiteres Wort verloren.
Dabei hätte man erwarten können, dass die heftige, auch international geführte, Debatte um den Blockadeversuch der Vorführung des Films „Warum Israel?“ von Claude Lanzmann durch palästinasolidarische Gruppen vor mehr als fünf Jahren (siehe Neuer Nahostkonflikt in Hamburg [4])
zumindest zu der Erkenntnis geführt hat, dass es auch auf linker Seite einen regressiven Antizionismus gibt, der für antisemitische Deutungsmuster anschlussfähig ist.
Die Frankfurter Antifa/F kritisierte [5] damals eine Sichtweise, die „eindeutig identifizierte Unterdrücker in Israel – und dementsprechend ebenso eindeutige, positiv besetzte Unterdrückte auf der anderen Seite“ sehe und kommentierte:
„Israel ist immer schuld“
Fünf Jahre später scheint sich die Geschichte nicht nur in Hamburg zu wiederholen. Dabei hätte der Grund für die jüngste Eskalation im Nahen Osten eigentlich keinen Anlass für eine Anklage gegen Israel geboten. Schließlich wurden drei israelische Jugendliche entführt und ermordet. Eine Kommentatorin [6]widmet sich in der Jüdischen Allgemeinen Zeitung polemisch dem medialen Umgang mit der Entführung und kommt zu dem Schluss:
Dass palästinasolidarische Gruppen wie die Palästina AG bei Attac Hamburg auch nachträglich wohl ganz in Ordnung finden, dass eine Mahnwache für die Jugendlichen gestört wurde, gibt der Einschätzung der Kommentatorin Recht. Denn die nicht nur bei Attac gemachte Verbindung zwischen der Entführung und der Behandlung von palästinensischen Gefangenen in Israel ist schon Teil des Problems.
Dabei geht es gar nicht darum, dass das israelische Gefängnissystem und die Administrativhaft nicht kritikwürdig sind, ganz im Gegenteil. Nur sind es gerade Aktionen wie die in Hamburg, die eine solche Kritik in Deutschland wesentlich erschweren, wenn sie den Anspruch hat, ohne antiisraelisches Ressentiment geführt zu werden. Wenn aber ausgerechnet eine Mahnwache für entführte israelische Jugendliche zum Objekt einer solchen Intervention genutzt wird, ist ein solches Ressentiment schon vorprogrammiert.
Eine nichtregressive Kritik am israelischen Justiz- und Haftsystem müsste vielmehr den Schmerz vieler Menschen über die Entführung und Ermordung der Jugendlichen ernst nehmen und diese Aktion unzweideutig verurteilen. Darüber könnte ein Bewusstsein dafür entwickelt werden, dass ein Leben ohne Gewalt und Repression für alle Jugendlichen, ja für alle Menschen in der Region gelten sollte. Dann bestünde eine Möglichkeit, die Kritik an der Situation palästinensischer Jugendlicher zu artikulieren, die die Perspektive hätte, dass es eine Veränderung der Situation nur gemeinsam mit allen Menschen in der Region unabhängig von Religion und ethnischer Zuordnung geben kann.
Störungen von Mahnwachen für die israelischen Jugendlichen haben ein solches gemeinsames Handeln nicht zum Ziel. Sie gehen eher mit einer Sichtweise konform, die die Hamas-Politikerin Isra Almodallal [7] kürzlich in einem Taz-Interview [8] zum Ausdruck brachte. Auf die Frage, ob sie die Ermordung der israelischen Jugendlichen bedauere, antwortete sie:
„Arabische Kultur der Gewalt?“
Eine solche extrem nationalistische Position gibt es natürlich auch im ultrarechten Lager Israels, wie die Ermordung eines israelischen Jugendlichen als Rache für den Tod der drei Israelis zeigt. Dass dieser Mord in großen Teilen der israelischen Gesellschaft verurteilt wird, ist ein Zeichen der Hoffnung. Dass der Cousin des palästinensischen Mordopfers bei Protesten von der israelischen Polizei geschlagen [9] wurde und nur unter der Auflage aus der Haft entlassen wurde, sich nicht bei seinen Verwandten aufzuhalten, ist schwer zu verstehen.
Der Fall wurde nur bekannt, weil der Jugendliche US-Bürger ist und das Washingtoner Außenministerium Aufklärung verlangt. Besorgniserregend sind auch Anschauungen, die die Entführung und Ermordung der israelischen Jugendlichen mit der angeblichen arabischen Kultur des Hasses erklärt, wie der israelische Sicherheitsberater verschiedener Regierungen Dan Schueftan in einem Artikel [10] in der Jüdischen Allgemeinen. Dort heißt es:
Noch zugespitzter heißt es in einem weiteren Kapitel:
Hier werden Gewalt und Brutalität ethnisiert und nicht als Konsequenzen einer Politik gesehen, bei der es auf beiden Seiten Akteure gibt, die auf eine Verständigung hinarbeiten, und andere, die eskalieren wollen, um eine nationalistische Machtpolitik durchzusetzen. In dieser Beziehung sind sich die Hamas-Beraterin Isra Almodallal und der israelische Sicherheitsberater Dan Schueftan politisch sehr nah. Sie sehen den Konflikt nur durch die Brille ihrer eigenen ethnischen Gruppe und verteidigen damit jeweils nationalistische Machtpolitik der jeweils eigenen Seite.
Wenn kritische NGOs als Störfaktor gesehen werden
Eine Perspektive, die aus dieser nationalistischen Beschränkung hinausführt, müsste das Leid und die Not der jeweils anderen Seite zunächst einmal anerkennen. Daher sind in diesem Konflikt auch Nichtregierungsorganisationen so wichtig, die Brücken zum jeweils andere Lager schlagen. Erst kürzlich gab es dazu in Berlin eine Internationale Konferenz [11].
An solchen Konferenzen nehmen Teilnehmer aus Israel und Palästina teil und streiten über ihre unterschiedliche Sichtweise. So besteht zumindest die Chance, das Leid der jeweils anderen Seite wahrzunehmen. Wenn irgendwo die Erkenntnis erwachsen sollte, dass Schluss mit den Entführungen israelischer Jugendlicher gemacht werden muss, wie auch mit der Administrativhaft von jungen Palästinensern, dann auf solchen Foren.
Daher ist es umso unverständlicher, dass es sich mittlerweile einige israelsolidarische Publizisten [12] und Einrichtungen [13] zur Aufgabe gemacht haben, diese NGO als Sicherheitsrisiko für Israel zu bezeichnen. Dabei ist es genau umgekehrt.
Solange eine solch aktive NGO-Szene besteht, lebt die israelische Demokratie noch. Es sind eher diese Angriffe, die zum Besorgnis anregen sollten. Denn ob in der Türkei, in Russland, China oder wo auch immer, solche Angriffe richten sich immer gegen Menschen, die den vorgegebenen nationalistischen Narrativen widersprechen, und sind ein Angriff auf die Demokratie insgesamt.
http://www.heise.de/tp/news/Eskaliert-auch-in-Deutschland-der-Nahostkonflikt-wieder-2251705.html
Peter Nowak
Links:
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