Wie Studierendendateien der Uni Freiburg ins Visier der Indymedia-Ermittler gerieten

Die Polizei hält Kopien von zwei Datenträger zurück, die das gesamte Innenleben der Verfassten Studierendenschaft enthalten

Es ist ruhig geworden, um die Abschaltung der Online-Plattform Linksunten. Obwohl die Kritik anfangs groß und die Solidarität beachtlich war, ist die linke Plattform noch immer abgeschaltet.

Dafür wurde jetzt bekannt, dass der Polizei bei den Durchsuchungen im Zusammenhang mit der Indymedia-Abschaltung auch zwei Datenträger der Verfassten Studierendenschaft der Uni Freiburg in die Hände gefallen sind, die das gesamte Innenleben der Freiburger Universität enthalten:

Auf genannter Backup-Festplatte befinden sich unter anderem die Daten aller 25.000 Studierenden der Uni Freiburg in Form von Wähler*innenverzeichnissen, die kompletten Personal- und Arbeitnehmer*innendaten der VS, sämtliche Lohnabrechnungen mit Kontakten und der Kontodaten auch aller Referent*innen und Angestellten seit der Wiedereinführung der Verfassten Studierendenschaft im Jahr 2013. Weiterhin befinden sich dort die Datenarchive der Zeit vor 2013 und Bilddokumentationen von universitären Protestaktionen.

Pressemitteilung des Studierendenrates der Uni Freiburg

Die Begründung für die Datenkopien wechselten

„Es handelte sich um eine Backup-Festplatte unseres Servers und einen USB-Stick, die aus Sicherheitsgründen nicht in den Räumlichkeiten der Studierendenvertretung aufbewahrt worden sind, sondern extern in der Wohnung eines unserer Mitarbeiter. Grund hierfür war die Häufung von Einbrüchen in Räume der VS“, erklärte ein Mitglied der Verfassten Studierendenschaft gegenüber Telepolis.

Dass die Kopien dieser Daten privat aufbewahrt wurden, sei nicht ungewöhnlich und auch rechtlich kein Problem. Die Polizei hatte die Dateien auch zeitnah zurückgegeben. Allerdings hatte sie eine Kopie gemacht und das damit begründet, dass sie sich damit vor einem möglichen Vorwurf schützen wollte, die Dateien manipuliert zurückgegeben zu haben. Doch auch nachdem die Verfasste Studierendenschaft die Daten überprüft und versichert hatte, dass keine Manipulation stattgefunden hat , wurden die fraglichen Kopien keineswegs vernichtet. Plötzlich wechselte die Begründung für die Vervielfältigung der Daten:

In einem Schreiben des Regierungspräsidenten wurde der Studierendenschaft mitgeteilt, „… dass eine Auswertung der in Rede stehenden Daten aufgrund der teilweisen Kryptierung bislang nicht erfolgen konnte. Die Beschlagnahme der beiden Datenträger ist durch den entsprechenden Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss des VG Freiburg…gedeckt, da nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, dass die Daten Belege über die Zugehörigkeit von (…) zum Verein ‚linksunten.indymedia‘ und/oder über die Aktivitäten des Vereins enthalten. Die Daten könnten daher für das laufende Verfahren gegen die Verbotsverfügung vor dem Bundesverwaltungsgericht von Bedeutung sein. Sobald die Auswertung der Daten erfolgt ist, werden wir wieder auf Sie zukommen.“

Die Studierendenschaft spricht von einem rechtlich fraglichen Vorgehen, zumal ihr keine Unterstützung der Indymediaplattform vorgeworfen wird. Kritisiert wird die Datensammelwut von Rechtsanwalt Udo Kauß, der von einer Ermittlung ins Blaue spricht: „Diese Dateien sind den Sicherheitsbehörden ganz ungewollt in die Hände gelangt. Kein Gericht des Landes würde eine Durchsuchung und Beschlagnahme von Dateien der VS allein mit der Begründung erlauben, es könnte nicht ausgeschlossen werden, dass sich doch Brauchbares in diesen Dateien befinden.“

Von den Grünen in Baden Württemberg hört man in der Angelegenheit nichts. Wären sie in der Opposition, hätten sie sicher den Datenschutz verteidigt. In Baden-Württemberg sind sie aber die größere der beiden Regierungsparteien.

https://www.heise.de/tp/features/Wie-Studierendendateien-der-Uni-Freiburg-ins-Visier-der-Indymedia-Ermittler-gerieten-3888224.html

Ein Thüringer Schulsozialarbeiter fühlt sich mit rechten Angriffen allein gelassen

Nazis machen krank. Für Sebastian Steinert, dessen richtiger Name zur Sicherheit nicht genannt werden soll, handelt es sich dabei nicht um einen Demo-Spruch, sondern um bitteren Ernst. Als Schulsozialarbeiter in der Erfurter Gemeinschaftsschule am großen Herrenberg war er wiederholt Attacken einer Gruppe rechter Jugendlicher ausgesetzt. Nach einem Angriff mit einem Gasspray musste er sich in ärztliche Behandlung begeben. 

Steinert geriet ins Visier der Rechten, weil er sich hinter Schüler stellte, die von den Rechten bedroht worden waren. Die zivilgesellschaftlichen Initiativen MOBIT und Ezra sprechen in einem dem »nd« vorliegenden Dossier von einem »rassistischen Normalzustand« an der Schule und ziehen einen Zusammenhang zur neonazistischen Gruppe Volksgemeinschaft, die in dem Stadtteil einen Treffpunkt unterhält. Ihre Gründer stammen aus der rechten Kameradschaftsszene und hatten Funktionen in der NPD und der Partei »Die Rechte«. Die Gruppe wird vom Thüringer Verfassungsschutz beobachtet. 

Die Stadtverwaltung Erfurt bestätigte die rechten Vorfälle, an denen vor allem zwei Schüler mit Neonazikontakten beteiligt waren. »Zudem gab es Angriffe und Bedrohungen der beiden Schüler gegen den Sozialarbeiter«, heißt es in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage des SPD-Stadtverordneten Denny Möller. Doch statt Unterstützung habe er von seinem Arbeitgeber, dem in der Jugendsozialarbeit aktiven Verein Perspektiv, zu hören bekommen, er sei selber Schuld, wenn er zum Angriffsobjekt der Rechten werde, beklagt Steinert gegenüber »nd«. 

Nach einer halbjährigen Krankheit wurde er entlassen. Der folgende Rechtsstreit ist inzwischen beendet. Der Verein zahlte eine Abfindung und stellte ein wohlwollendes Arbeitszeugnis aus. Zu den Vorwürfen wollte man sich gegenüber »nd« nicht äußern. Steinert kämpft nun darum, dass seine psychischen Probleme nach den Bedrohungen durch die Rechten als Berufskrankheit anerkannt werden. In diesem Fall wären anschließend Arbeitsschutzmaßnahmen und Unterstützungsangebote für die Betroffenen möglich.

Die Krankenkasse hat seinen Antrag zunächst abgelehnt. Dagegen klagt der Sozialarbeiter mit Unterstützung der Basisgewerkschaft FAU. Aus ihrer Sicht geht es dabei nicht nur um den Einzelfall. »In sozialen Berufen ist die Belastung zumeist nicht körperlicher, sondern psychischer und emotionaler Natur. Diese Belastung führt zu psychischen Krankheiten, die oft nicht anerkannt, sondern belächelt werden«, moniert Konstantin Berends von der FAU Jena. Die Gruppe will zu einem Treffen linker Sozialarbeiter einladen.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1069617.fertig-gemacht.html
Peter Nowak

Guérot, Menasse: „Die Katalanen sind Europäer, die Nationalisten sitzen in Madrid“

Die Perspektive muss aber die spanische Republik und nicht ein katalonischer Nationalstaat sein – Ein Kommentar

Wie geht es weiter mit der katalonischen Unabhängigkeit, nachdem die Madrider Zentralregierung ihre Drohung wahrgemacht hat und mittels Aktivierung des Paragraphen 155 die katalonische Regierung abgesetzt hat? Die Bildung einer De-Facto-Exilregierung durch einen Teil dieser Regierung, von manchen auch als Flucht ins Ausland bewertet, scheint weniger ein langfristiger Plan der katalonischen Autonomieregierung gewesen zu sein. Es ist viel wahrscheinlicher, dass ein großer Teil der Bewegung überrascht war, dass die spanische Regierung in relativ kurzer Zeit die Gegenmaßnahmen umsetzte. Sie haben sich wohl eher auf einen längeren Prozess eingestellt, was den Autonomisten die Möglichkeit gegeben hätte, ihre Basis zu stabilisieren und erweitern.

Die Katalonische Autonomie ist längst eine europäische Frage

Spätestens durch die Anwesenheit von Teilen der Autonomieregierung in Brüssel ist die Frage der katalonischen Autonomie zu einer europäischen Frage geworden. Genau das wollen große Teile des EU-Etablissements noch immer verhindern. Es hat sich fast unisono hinter die spanische Nationalregierung gestellt und brachte es mehrheitlich nicht einmal fertig, die Repression zu kritisieren, mit dem die Abstimmung in Katalonien eingegrenzt werden sollte.

Das ist auch ein besonderer Beweis der EU-Lebenslüge, angeblich überall im EU-Raum für die Einhaltung der Menschenrechte einzutreten. In Wirklichkeit verfolgt sie unter dem Deckmantel der Einhaltung der sogenannten Werte der EU die Interessen des Hegemons Deutschland. Deswegen reagieren die EU-Gremien gegen Menschenrechtsverletzungen der nicht besonders deutschfreundlichen polnischen Regierung zumindest auf der akklamatorischen Ebene scharf, während sie im Falle der deutschfreundlichen spanischen Regierung nicht einmal den Zeigefinger erheben.

Das kann aber nur denjenigen empören, der davon ausgeht, dass Politik von Werten und nicht Interessen bestimmt ist. Zu diesen Utopisten einer europäischen Ideologie gehören die Publizisten Robert Menasse[1] und Ulrike Guérot[2], die die europäische Autonomiebewegung in ihr Konzept eines EU-Nationalstaates einordnen wollen. Dabei kommt ihnen gelegen, dass diese Autonomiebewegung so deutlich ihre Pro-EU-Position aufrecht erhält, obwohl ihr von genau dieser EU-Bürokratie die kalte Schulter gezeigt wurde. Als Replik auf einen Beitrag[3] des Historikers Heinrich August Winkler im Spiegel betonten Menasse und Guerot die Künstlichkeit sämtlicher Nationalstaaten, also auch derjenigen, die Teil der EU sind.

Nationalismus kann es auf vielen Ebenen geben

Diese Nationalismuskritik ist richtig und wichtig, würde sich natürlich aber sowohl gegen die Verfechter der bereits existierenden wie der neu zu gründenden Nationalstaaten richten, also sowohl gegen Spanien wie auch gegen Katalonien. Doch die beiden Autoren nehmen scheinbar gar nicht ernst, dass die Autonomisten einen eigenen Staat mit allem, was dazu gehört, gründen wollen. Für sie sind sowohl die autonomistischen Schotten wie die Katalonen die eigentlichen Europäer.

In einem Beitrag der Wochenzeitung Freitag schreiben sie:

Wer heute die Verteidigung der Nation gegen die europäische Einigung stellt, nimmt die Wiederholung der Geschichte billigend in Kauf, zu Lasten der Europäer, die ihr Leben so gestalten wollen, wie man es ihnen versprochen hat: in einem grenzenlosen Europa, in dem der nationale Pass keine Rolle mehr spielt, sondern ersetzt wird durch eine europäische Staatsbürgerschaft. Aktuell wünschen sich dies viele Briten (die sich gerade zuhauf einen kontinentaleuropäischen oder irischen Pass besorgen wollen, um die europäischen Freiheiten nicht zu verlieren), genauso wie die Schotten (die ebenfalls durch den Brexit betroffen sind) oder die Katalanen, die unsinnigerweise vor die Alternative gestellt werden, sich entweder den oppressiven Maßnahmen der spanischen Zentralregierung zu beugen – oder aber die EU und den Euro zu verlassen.

Die Katalanen sind Europäer, die Nationalisten sitzen in Madrid. Schon die Schotten wurden bei ihrem Unabhängigkeitsreferendum betrogen. Weil ihnen gedroht wurde, dass sie aus der EU fliegen, wenn sie für Unabhängigkeit stimmen, haben sie für „Remain“ gestimmt – dieses „Remain“ galt Europa und nicht Großbritannien. Auch auf der Insel gilt: Die Schotten sind Europäer, die Nationalisten sitzen in London – und die haben mit dem Brexit-Referendum die irrationale und gefährliche Spielart des Nationalismus gezeigt.

Ulrike Guérot, Robert Menasse[4]

Damit befleißigt sich das Autorenduo eines instrumentellen Antinationalismus. Würden sie ihn ernst nehmen, müssten sie sowohl die britische als auch die spanische Regierung, aber auch die schottischen und katalonischen Staatsgründungsprojekte als unterschiedliche Nationalismuskonzepte analysieren. Vor allem aber müssten sie ihr eigenes Projekt eines EU-Nationalstaates als eigenen EU-nationalistischen Block begreifen, der sich weltweit im innerkapitalistischen Konkurrenzkampf durchsetzen will. Doch eine solche materialistische Nationalismuskritik findet man bei Menasse und Guerot nicht. Das zeigt sich besonders an diesen Abschnitt:

Ob Katalonien, Baskenland, Tirol, Schottland, Venetien, Bayern, Flandern, Saarland oder Elsass und die vielen anderen Regionen, die sich heute mehr Autonomie wünschen: Sie alle sind kulturelle Einheiten mit ihrer eigenen Geschichte. Sie können ausbrechen aus Nationen, aber Europa nicht verlassen. Damit stellt sich erneut die Frage, in welchem Zusammenschluss sie alle auf dem europäischen Kontinent in Zukunft in Frieden und Freiheit zusammenleben möchten. Das Saarland etwa hat 1955 darüber abgestimmt, ob es zu Frankreich oder Deutschland gehören oder unabhängig sein möchte – hätte es sich damals für Letzteres entschieden, könnte es heute ein zweites Luxemburg sein. Nichts zeigt mehr den fast zufälligen Charakter dessen, was wir heute Nationalstaat nennen.

Ulrike Guérot, Robert Menasse

Wenn sie schreiben, dass sie aus ihren Nationen ausbrechen, aber Europa nicht verlassen können, bleiben sie Spielball des EU-Nationalismus.

Welche Bedeutung hat der Francofaschismus für den katalonischen Autonomismus?

Natürlich sind alle Nationalismen identitär und ausgrenzend, aber sie haben ihre eigene Geschichte. Das wird am Verhältnis zwischen dem spanischen und dem katalonischen Nationalismus besonders deutlich. Schließlich ist der Hauptakteur der spanischen Nationalregierung die direkte Nachfolgepartei des Francofaschismus.

Bis in die unmittelbare Gegenwart hatten Politiker einflussreiche Positionen, die sich im Franco-Faschismus an der Unterdrückung der Opposition beteiligten. Daher ist Taz-Kommentator Erich Rathfelder zuzustimmen, wenn er schreibt[5]: „Der Freiheitsdrang der Katalanen hat vielfältige Ursachen. Er speist sich auch aus den nicht aufgearbeiteten Verbrechen der Franco-Diktatur.“

Auch seiner Kurzbeschreibung der nicht vollzogenen Entfrancoisierung Spaniens ist weitgehend zuzustimmen: „Über die Verbrechen der Franco-Zeit sollte nicht diskutiert, die Träger des alten Systems sollten nicht angetastet werden. Dafür gab es zunächst gute Gründe. Denn die franquistische Rechte war bereit, ihr System mit Gewalt zu verteidigen. Erst als der Putschversuch von General Milan Bosch 1981 am breiten Widerstand der Gesellschaft und der eindeutigen Stellungnahme des Königs gegen die Putschisten scheiterte, war der Weg zunächst frei für die Demokratisierung des Systems.“

Der erwähnte Putschversuch von 1981 hat aber nicht der Demokratisierung Spaniens den Weg bereitet, sondern sie beendet, bevor sie so recht begonnen hatte. Seit Ende der 1970er Jahre hatte sich eine außerparlamentarische Bewegung gebildet, die sich nicht mit der Politik der sogenannten Transition anfreunden wollte, die die Faschisten und ihre Nutznießer auch in der sogenannten bürgerlichen Demokratie unangetastet ließ.

Dagegen erhob sich Widerstand von gewerkschaftlichen Basiskomitees, von Anarchosyndikalisten und von Marxisten, die den Volksfrontkurs der Kommunistischen Partei ablehnten. Der Putschversuch setzte dieser Bewegung enge Grenzen, weil nun in großen Teilen der Linken die Angst groß war, wenn man es mit der Forderung nach Demokratisierung zu weit treibt, könnte es zurück zu Zeiten des offenen faschistischen Terrors gehen. Die Erinnerung an den Terror war damals schließlich noch sehr weit verbreitet.

Trotz dieser Fehleinschätzung ist Rathfelder mit dem Verweis auf die Rolle des Francofaschismus zuzustimmen. Dagegen bezeichnet es Bernd Beier in der Jungle World als Geschichtsklitterung, wenn sich die katalonischen Autonomisten als Opfer einer francistischen Diktatur gerieren:

Rajoy als Wiedergänger Francos darzustellen, ist auch der letzte Renner bei den angeblich linken und linksradikalen Separatistenfans, etwa der CUP. Sie hat es gerade nötig. Auf ihrer Website erklärt sie unter der Überschrift „Was ist die CUP?“ ihre Ziele, unter anderen „die Verteidigung der nationalen Sprache und Identität“. Herzlich willkommen bei den Nationalidentitären aller Länder! Aber das findet sich nur im katalanischen Teil der Website, nicht im englischsprachigen. International will die CUP schließlich unter dem Label „linksradikal“ reüssieren, nicht unter dem Label „romantisch-völkisch“.

Bernd Beier[6]

Eigentlich ist es nicht verwunderlich, dass Bernd Beier, der der antideutschen Linken nahesteht und Ex-Linksradikale wie Erich Rathfelder konträre Positionen haben. Bereits vor mehr als 20 Jahren waren sie beim Jugoslawien-Konflikt Antipoden. Damals wandten sich Beier und die Jungle World gegen den wesentlich von Deutschland ausgehenden antiserbischen Nationalismus der kroatischen und bosnischen Autonomisten, der wiederum von Rathfelder vehement unterstützt wurde, der auch den Militäreinsatz gegen Jugoslawien bis heute verteidigt.

Trotzdem ist die aktuelle Kontroverse bemerkenswert. Rathfelder betont die francofaschistischen Kontinuitäten im heutigen Spanien und will sie auch bei der Beurteilung der katalonischen Autonomieregierung gewürdigt wissen. Bernd Beier geht auf diese Kontinuitäten, die ja empirisch nicht geleugnet werden können, gar nicht ein. Denn für ihn ist entscheidend, dass sie heute von der katalonischen Autonomiebewegung instrumentalisiert wird.

Den ideologischen Schutt des Franco-Regimes entsorgen

Demgegenüber ist der Politologin Detlef Georgia Schulze[7] zuzustimmen[8], dass Postfrancismus kein Francismus ist. Allerdings bedeutet das nicht, dass der Einfluss des Francismus heute in Spanien irrelevant wäre. Das zeigt sich schon bei der Frage Republik oder Monarchie.

Die spanische Bevölkerung hatte sich vor über 80 Jahren für die Republik entschieden und es war der Francofaschismus, der mit dem Putsch sowohl diese demokratische Abstimmung als auch die bürgerlich-demokratisch gewählte Linksregierung mit massiver Unterstützung von NS und Mussolini-Faschismus terroristisch unterdrückte. Es war ein Diktat des Franco-Regimes, dass am Übergang zur bürgerlichen Demokratie die Monarchie wieder eingeführt wurde. So könnte die Diskussion um die katalonische Autonomie dazu führen, dass sich in ganz Spanien die Kräfte wieder zusammenfinden, die sich für eine Republik stark machen.

Das wäre ein Beitrag dazu, die spanische Gesellschaft auf allen Ebenen von dem ideologischen und materiellen Schutt des Francismus zu befreien. Dazu gehört ganz praktisch die Schleifung sämtlicher Denkmäler, mit denen an die Figuren aus dieser Epoche erinnert wird, dazu gehört die Umbenennung aller Straßen und Plätze, die an sie erinnern. Dazu könnte in letzter Konsequenz auch die Auflösung der aktuellen Regierungspartei stehen, weil für eine Nachfolgepartei des Francoregimes kein Platz ist. Das müsste natürlich die Folge einer gesellschaftlichen Debatte und nicht eines autoritären Akts von oben sein.

Wem eine solche Forderung weltfremd klingt, sei daran erinnert, dass nicht nur in der Türkei durch die Justiz auch schon Regierungsparteien aufgelöst wurden. Auch in Belgien wurde der rechte Vlaams Block juristisch aufgelöst. Eine solche Perspektive kann eben nicht in einem Teilstaat wie Katalonien, sondern nur in ganz Spanien umgesetzt werden. Es wäre eine Alternative zu einer Unterstützung einer katalonischen Autonomieregierung und würde auch vermeiden, dass die neuen Nationalbewegungen zum Spielball des EU-Nationalismus würden. Vielmehr könnte es eine europäische Perspektive sein, die Kräfte zu unterstützen, die sich für die spanische Republik und die Entfrancoisierung stark machen. Und es wäre wünschenswert, wenn die Postfaschisten um Rajoy und sein Umfeld, die die katalonische Autonomiebewegung der Rebellion und des Aufstands anklagen, endlich für die faschistische Rebellion zu Verantwortung gezogen werden, mit der die demokratische Republik bis heute in Spanien verhindert wird.

Peter Nowak
https://www.heise.de/tp/features/Guerot-Menasse-Die-Katalanen-sind-Europaeer-die-Nationalisten-sitzen-in-Madrid-3879496.html

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Links in diesem Artikel:
[1] http://portal.dnb.de/opac.htm?method=simpleSearch&query=119524678
[2] http://dietz-verlag.de/isbn/9783801204792/Warum-Europa-eine-Republik-werden-muss-Eine-politische-Utopie-Ulrike-Guerot
[3] http://www.spiegel.de/spiegel/heinrich-august-winkler-ueber-robert-menasse-europas-falsche-freunde-a-1174045.html
[4] https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/die-grenzen-fliessen
[5] http://www.taz.de/!5458606/
[6] http://jungle.world/artikel/2017/43/francos-wiedergaenger
[7] http://theoriealspraxis.blogsport.de/
[8] https://www.heise.de/tp/features/Katalonien-Emphatische-Demokratie-und-das-Gewicht-von-Verfassungen-3871045.html

Doppelt bestraft


Aktionstage sollen auf die Belange von Straffälligen aufmerksam machen

Schon 1977 hatte der Bundestag beschlossen, Strafgefangene für ihre Arbeit im Gefängnis in die Rentenversicherung einzubeziehen. Bis heute wurde das Vorhaben nicht umgesetzt, weil sich Bund und Länder nicht über die Kosten einigen können. »Damit werden nicht nur die Gefangenen, sondern auch ihre Angehörigen bestraft«, erklärt Anais Denigot gegenüber »nd«. Für die Referentin der Bundesarbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe ist der Ausschluss von Strafgefangenen aus der Rentenversicherung, der massenhaft Altersarmut produziert, ein Ausdruck dafür, wie stark das Thema Gefängnisse noch immer mit gesellschaftlichen Vorurteilen und Ressentiments belastet ist. In Teilen der Bevölkerung hält sich hartnäckig die grundrechtswidrige Vorstellung, Gefängnisinsassen sollten neben ihrer Haftstrafe auch noch besondere Erschwernisse erleiden. Das Bündnis »Aktionstage Gefängnis« will eine gesellschaftliche Diskussion über die Realitäten in den Gefängnissen anstoßen.
Dazu haben sich unterschiedliche soziale und zivilgesellschaftliche Gruppen zusammengeschlossen. Das Spektrum reicht vom Deutschen Caritasverband, der Bundesarbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe bis zur Gefangenengewerkschaft (GG/BO). Mitte November 2016 war dieses Bündnis anlässlich der damals in Berlin tagenden Konferenz der Justizminister der Länder erstmals an die Öffentlichkeit getreten und setzt sich für den Rentenanspruch und den Mindestlohn für Gefangene ein. Ein Jahr später hat sich das Bündnis nun verbreitert und orientiert sich mit den »Aktionstagen Gefängnis« an Vorbildern aus Frankreich und Belgien.
In Frankreich organisieren Sozialverbände bereits seit 40 Jahren jährlich eine ganze Aktionswoche, bei der dezentral in verschiedenen Städten die Bevölkerung für Probleme in den Gefängnissen sensibilisiert werden sollen. Die Palette der Aktionen reicht von Filmveranstaltungen und Ausstellungen bis zum Nachbau einer Gefängniszelle auf einem Platz in der Innenstadt. »Viele Passanten sind überrascht, wie eng die Zelle ist«, beschreibt Anais Denigot, die zu dem Thema geforscht hat, die Reaktionen. Sie gehört zu den VorbereiterInnen des ersten »Aktionstages Gefängnis« in Deutschland. Am 7. November sollen auf einer mehrstündigen Veranstaltung im Büro des Deutschen Caritasverbandes in der Reinhardtstraße 13 in Berlin neben verschiedenen Sozialverbänden und der Gefangenengewerkschaft auch die Leiterin der JVA Moabit, Anke Stein, zu Wort kommen.
Das Bündnis will sich auf die Forderung nach einer Einbeziehung der Gefangenen in die Rentenversicherung konzentrieren. Diese geht an die künftige Bundesregierung, aber auch an die Landesregierungen. Bisher habe sie den Eindruck, dass das Thema zwischen den Ressorts der Justiz- und Finanzminister hin- und her geschoben wird und die Gefangenen und ihre Familien darunter leiden müssen, kritisiert Denigot die bisherige Debatte. Mit den Aktionstagen soll gesellschaftlicher Druck auf die Politik erzeugt werden.

Wichtig ist den OrganisatorInnen auch die Einbeziehung der Betroffenen. Schließlich lautet das Motto der Diskussionsveranstaltung »Selbstorganisation, Mindestlohn und Sozialversicherung«. Dabei spielt die GG/BO eine wichtige Rolle. Ihr ist es seit der Gründung im Mai 2014 gelungen, in allen Bundesländern Gefangene mit der Forderung nach Mindestlohn und Einbeziehung in die Rentenversicherung zu organisieren. In Köln, Berlin, Leipzig und Jena existieren Solidaritätsgruppen, die diese Forderungen von Außerhalb unterstützt. »Dass überschreitet oft unsere Kapazitäten, wir werden schon lange nicht mehr allen Anfragen gerecht«, umreist Martina Franke von der Berliner Solidaritätsgruppe die Probleme einer kontinuierlichen Unterstützungsarbeit zwischen Drinnen und Draußen. Das Bündnis Aktionstage Gefängnis könnte für die Verbreiterung der gesellschaftlichen Basis sorgen und deutlich machen, dass die Betroffenen bei der Durchsetzung von Menschenrechten nicht allein gelassen werden dürfen.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1068774.doppelt-bestraft.html

Peter Nowak

Viele Fragen an Andrea N.

Die Schweizerin Andrea N. wurde wegen mehrerer Brandstiftungen und des Verursachens einer Explosion zu einer bedingten Haftstrafe von drei Jahren verurteilt. Die militanten Aktionen soll sie in Berlin zwischen 2007 und 2010 verübt haben.

Die Schlagzeile in der Tageszeitung «Blick» von Anfang Oktober klang martialisch. «Linksextreme Berlinerin setzt Berlin in Flammen», hiess es da. Berichtet wurde über die Verurteilung der angehenden Lehrerin Andrea N., die in der Schweiz geboren, aber lange Zeit in Deutschland gelebt hat. Das Zürcher Bezirksgericht verurteilte die 49-Jährige wegen mehrerer Brandstiftungen und des Verursachens einer Explosion zu einer bedingten Haftstrafe von drei Jahren. Nach Abzug der Untersuchungshaft muss die Frau noch neun Monate in Haft bleiben. Strafmindernd bewerte das Gericht, dass N. sich von der linken Szene gelöst habe und die Straftaten einräumte. Allerdings belastete sie keine weiteren Personen und machte auch keine Angaben über linke Strukturen. Vorgeworfen wurden N. militante Aktionen in Berlin in den Jahren 2007 bis 2010. Dabei ging es um Brandanschläge unter anderem gegen die Geschäftsstelle der Deutschen Polizeigewerkschaft in Berlin-Moabit, den Eingang des Berliner Land- und Amtsgerichts sowie das Institut für Internationale Politik und Sicherheit.

Widerstand im Gefängnis
In Deutschland wurde die Verurteilung der Frau nur in Berliner Boulevardzeitungen aufgegriffen und dabei genauso reisserisch wie im «Blick». Auch da wurde das Bild einer Frau gezeichnet, die in Berlin für Angst und Schrecken gesorgt und die Stadt in Brand gesetzt habe. Anders als im «Blick» wurde die Frau in der deutschen Boulevardpresse ohne Balken über den Augen auf die Titelseite gestellt. «Wir waren empört und bestürzt, nach vielen Jahren Andrea N. so an den Pranger gestellt zu sehen. Ich habe sie als selbstbewusste, mutige Frau kennengelernt, die im Gefängnis den Widerstand konsequent aufgenommen hatte», erinnerte sich eine Aktivistin der ausserparlamentarischen Linken in Berlin gegenüber dem vorwärts. Tatsächlich war Andrea N. 14 Monate in der Justizvollzugsanstalt für Frauen in Berlin-Pankow inhaftiert. Ihr wurde unter anderem mehrmaliges Fahren ohne Ticket, Widerstand gegen die Staatsgewalt und das Mitführen von Pfefferspray auf einer Demonstration verworfen.
In den 14 Monaten ihrer Inhaftierung war Andrea N. Gegenstand einer Solidaritätskampagne unter dem Motto «Freiheit für Andrea». Es gab seit dem 1. Dezember 2007, als sie inhaftiert wurde, mehrere Demonstrationen und Kundgebungen. Andrea N. verstand sich als politische Gefangene und kombinierte ihre Forderungen im Gefängnis mit Hungerstreiks und unterstützte die Mobilisierung ausserhalb. Nachdem sie ihre Strafe bis zum letzten Tag abgesessen hatte, verschwand sie bald aus Berlin. Viele der heute in der ausserparlamentarischen Linken Aktiven sind zu jung, um sich noch an die Solidaritätskampagne für Andrea N. zu erinnern. Die wenigen, die sich noch an die Kampagne erinnern können, weigern sich, Andrea N. vorschnell als Verräterin und Agentin abzustempeln, nachdem sie nun vor der Schweizer Justiz Aussagen gemacht hat, ohne andere zu belasten. «Ich hätte viele Fragen an Andrea N., aber auch an eine linke Szene, aus der sich Menschen nach einigen Jahren immer wieder verabschieden. Statt Andrea N. jetzt auch von links abzuurteilen, sollten wir über unsere Strukturen reden, in denen Linke nicht alt werden und in denen es selbstbewusste Frauen besonders schwer haben, sich zu behaupten», so die Aktivistin.

aus Vorwärts, 27.10.2017.

Viele Fragen an Andrea N.


Peter Nowak

»Brauchen Unterstützung«

Die Gefangenengewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO) hat weiterhin viel zu tun. Über den Zustand der Gewerkschaft hat die Jungle World mit Martina Franke gesprochen. Sie ist Mitglied der Berliner Solidaritätsgruppe der GG/BO.

Wie ist der Stand der Organisierung bei der GG/BO?
Als die Gewerkschaft im Mai 2014 in der JVA Tegel gegründet wurde, konnte niemand ahnen, dass…

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»Diskussionen sind weiterhin wichtig«

Helge Lehmann, IT-Spezialist, über seine Recherchen zum Tod der RAF-Gefangenen in Stammheim 1977

Helge Lehmann ist IT-Spezialist und war Betriebsrat in einem transnationalen Unternehmen. 2011 gab er nach mehrjährigen Recherchen das Buch »Die Todesnacht in Stammheim. Eine Untersuchung: Indizienprozess gegen die staatsoffizielle Darstellung und das Todesermittlungsverfahren« heraus.

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Stammheimer Todesnacht: Es bleiben zahlreiche Widersprüche

Kann der Tatort "Der rote Schatten" die Diskussion um die Todesumstände der RAF-Gefangenen neu beleben?

Der Tatort-Krimi Der rote Schatten[1], der am letzten Sonntag ausgestrahlt wurde, hat ein Verdienst. Er lenkt noch einmal die Aufmerksamkeit auf die Tatsache, dass zahlreiche Widersprüche zur offiziellen Version der Todesumstände der RAF-Gefangenen am 18.Oktober 1977 in dem Isolationstrakt von Stammheim unaufgeklärt sind.

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Immer noch nicht alle Unklarheiten beseitigt

Helge Lehmann zu seiner Untersuchung, die die offizielle Todesversion der RAF-Gefangenen Baader, Ensslin und Raspe infrage stellt

Warum bezweifeln Sie noch immer, dass die RAF-Gefangenen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan Carl Raspe Selbstmord verübt haben?

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Justizposse um Furz gegen Polizei

Exakt 17 Stunden und 13 Minuten brauchten MitarbeiterInnen der Polizei und der Justiz, um eine ungewöhnliche Strafanzeige zu bearbeiten. Ein Mann soll eine Polizistin beleidigt haben, weil er bei einer Personenkontrolle in ihrer Nähe gefurzt habe. Der Mann bekam einen Strafbefehl über 900 Euro. Nachdem er Widerspruch einlegte, stellte das Amtsgericht Tiergarten das Gerichtsverfahren umgehend ein. Die Kosten für den Prozess und den Anwalt des Angeklagten übernahm die Staatskasse.
»Wir haben wirklich andere Probleme in Berlin und hätten das Geld besser für die Prävention und die strafrechtliche Verfolgung von islamistischen Straftaten verwenden können«, kritisiert Sebastian Schlüsselburg, Rechtsexperte der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, den Verfolgungseifer wegen etwas heißer Luft.
Schlüsselburg hatte eine Schriftliche Anfrage nach dem Zeitaufwand der Ermittlungen gestellt. Er zeigte sich im nd-Gespräch »verwundert, dass die Staatsanwaltschaft nicht frühzeitig von ihrer Möglichkeit der Einstellung des Verfahrens Gebrauch gemacht hat«. Unverständlich findet es der Politiker auch, dass nicht die Polizistin, die den Furz wahrgenommen hatte, sondern ihr Einsatzleiter die Anzeige stellte.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1066673.polizei-berlin-justizposse-um-furz-gegen-polizei.html
Peter Nowak

Justizposse kostet 87 Euro

Ein Furz bei einer Personenkontrolle in der Rigaer Straße sorgt für Nachwehen. Abgeordneter Sebastian Schlüssenburg (Linke) ließ die Kosten errechnen

Viel Spott zogen sich die Justiz­behörden zu, nachdem bekannt geworden war, dass Christopher S. einen Strafbefehl von 900 Euro erhalten hatte, weil er bei einer Personenkontrolle in der Rigaer Straße in der Nähe einer Polizistin einen Furz gelassen hatte. Nicht die Beamtin, son­ dern der Einsatzleiter stellte eine Anzeige. Für Christopher S. ging die Angelegenheit glimpf­lich aus. Das Berliner Amtsgericht stellte das Verfahren ein. Viel Wind um nichts, lautete der kurze Kommentar einer Pro­zessbesucherin. Doch umsonst war die Justizposse keineswegs.
Sebastian Schlüsselburg, Mit­glied der Linken im Abgeordne­tenhaus wollte vom Senat wis­ sen, wie hoch der Zeitaufwand und die Kosten für die Ermitt­lungen im Furz­-Verfahren war.
In ihrer Antwort listete Martina Gerlach, Staatssekretärin für Justiz und Verbraucherschutz, auf, dass 23 Dienstkräfte mit ei­nem Zeitaufwand von 17 Stun­ den und 13 Minuten mit der Be­arbeitung des Falls beschäftigt waren. Die Zeit setze sich „zu­sammen aus den polizeilichen Maßnahmen vor Ort, der späte­ren Sachbearbeitung und dem zeitlichen Aufwand für die rich­terliche Vorladung“.
Die MitarbeiterInnen von Schlüsselburg errechneten aus diesen Angaben Kosten in Höhe von lediglich 87,25 Euro. „In die­ ser Rechnung werden die Ar­beitsaufwendungen der Mitar­ beiterInnen von Gericht und Staatsanwaltschaft nicht mit einbezogen“, erklärte Schlüs­selburg gegenüber der taz. Auch die Kosten des nach 20 Minuten mit einer Einstellung beendeten Gerichtsprozesses Anfang Sep­tember und des Leipziger An­walts von Christopher S., die die Staatskasse trägt, konnten nicht berücksichtigt werden.
„Wir haben wirklich andere Probleme in Berlin und könn­ten das Geld für den Ausbau von Prävention und juristischer Verfolgung von Islamismus ver­ wenden“, kritisierte Schlüssel­burg den Verfolgungseifer.
Derweil gehen im Gefahren­ gebiet der Rigaer Straße die um­ strittenen und kostenintensi­ven Polizeimaßnahmen weiter. So rückte vor weniger Tagen die Polizei mit Feuerwehr und Be­weissicherungstrupp an, um ein Transparent von der Fassade der Rigaer Straße 94 zu entfernen, weil es das Logo der linken On­ lineplattform indymedia zeigte. Doch auch nach dem Verbot von indymedia­linksunten ist das Zeigen des Symbols bisher nicht strafbar.

aus Taz: 13.10.2017
Peter Nowak

Zu kooperativ für Solidarität?


Die Anti-Knast-Tage in Berlin beleuchteten die Situation der Gefangenen nach den Hamburger G20-Protesten

Bei vielen libertären Linken ist kooperatives Verhalten mit Gerichten oder anderen Staatsorganen nicht gerne gesehen. So stößt das Einlenken vieler junger G20-Häftlinge nicht bei allen auf Verständnis.

Die juristische Nachlese der Proteste gegen den G20-Gipfel ist im vollen Gange. Die ersten elf Angeklagten vor dem Hamburger Amtsgericht haben die ihnen vorgeworfenen Taten eingeräumt, um Entschuldigung gebeten und nahmen das Entgegenkommen der Gerichte dankbar an, wenn diese – wie in vielen Fällen geschehen – die von der Staatsanwaltschaft geforderten hohen Strafen zur Bewährung aussetzten.

Doch immer noch sitzen seit Anfang Juli rund 30 Personen im Knast – die meisten von ihnen in Untersuchungshaft. Unter ihnen der 21-jährige nicht vorbestrafte Niederländer Peike S., der wegen zweier Flaschenwürfe auf Polizeibeamte zu einer ungewöhnlich hohen Haftstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten ohne Bewährung verurteilt worden war.

Bei vielen Hamburger G20-Häftlinge können Gemeinsamkeiten ausgemacht werden. Oft sind die Beschuldigten recht jung, leben im europäischen Ausland und arbeiten in geregelten Arbeitsverhältnissen. Ihr größter Wunsch ist es, das Gefängnis und Deutschland zu verlassen. Um ihre Gerichtsprozesse zu verkürzen, kooperieren sie mit den Behörden.

Über die Repressionsbedingungen wurde am vergangenen Wochenende auf den Anti-Knast-Tagen im Berliner Mehringhof debattiert. Ein Bündnis verschiedener libertärer Gruppen hatte ein vielfältiges Programm vorbereitet, an dem auch Vertreter_innen aus den Reihen der Zeitschrift »Gefangeneninfo« und der »Roten Hilfe« teilnahmen. Insgesamt waren über 200 Besucher_innen aus Deutschland und Österreich angereist, sie setzten sich zwei Tage lang mit den unterschiedlichen Aspekten von Gefängnis auseinander.

Vielen auch in der radikalen Linken sei heute oft nicht klar, dass eine Demonstration mit Gefängnis enden kann, so der Tenor. Das schaffe Ängste und führe dann dazu, dass die Betroffenen nur noch darüber nachdenken, wie sie schnell wieder aus dem Gefängnis entkommen können. So zumindest erklärten sich die meist jungen Teilnehmer_innen der Tagung die große Bereitschaft zur Kooperation bei den Hamburger Gerichtsverfahren. Ein junger Mann sprach auch von einer Niederlage für die außerparlamentarische Linke.

Wolfgang Lettow gehörte zu den älteren Teilnehmern der Anti-Knast-Tage. Der Redakteur der Zeitschrift »Gefangeneninfo« hat bereits Ende der 1970er Jahre mit der Solidaritätsarbeit begonnen, als Gefängnisse noch voll mit politischen Gefangenen und die Gerichtssäle zu klein für die vielen Prozessbesucher_innen waren.

In seinen Vortrag ging er auf die heute im Vergleich zu den 70er und 80er Jahren stark veränderte soziale Zusammensetzung in den deutschen Gefängnissen ein. Neben Menschen aus der Türkei und Kurdistan, die heute das Gros der politischen Gefangenen stellen, säße auch eine steigende Anzahl sogenannter sozialer Gefangener aufgrund von Delikten wie Schwarzfahren, Diebstahl oder Raub ein. Beide Gruppen seien besonders starken Disziplinierungsmaßnahmen ausgesetzt, wenn sie im Gefängnisalltag zu wenig Kooperationsbereitschaft zeigen würden. Lettow betonte, dass Briefe für Gefangene nach wie vor ein wichtiges Mittel der Unterstützung seien.

Großen Raum nahm bei den Anti-Knast-Tagen die Frage des Umgangs mit Angeklagten ein, die vor Gericht kooperieren, ohne andere Personen zu belasten. Zu einer gemeinsamen Handlungsmaxime kam man dabei allerdings nicht.

Ein aktueller Fall ist die Verurteilung der Schweizerin Andrea N. vergangene Woche in Chur. Wegen linkspolitisch motivierter Militanz in den Jahren 2007 bis 2010 in Berlin wurde sie zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt, von der sie – abzüglich ihrer in der Untersuchungshaft verbrachten Zeit – nun neun Monate absitzen muss. Die Frau hat sich mittlerweile von der linken Szene verabschiedet und die Anklagepunkte eingeräumt. Gleichzeitig verweigerte sie jedoch Angaben zu anderen Personen und zu politischen Strukturen.

Dennoch hegte von den Anwesenden kaum jemand mehr solidarische Gefühle gegenüber der ehemaligen Berliner Aktivistin Andrea N. Diese hatte bereits vor zehn Jahren wegen politischer Delikte 14 Monate in der Haftanstalt Berlin-Pankow absitzen müssen. Von denen, die damals die Solidaritätskampagne »Freiheit für Andrea« mitgetragen hatten, waren nur noch wenige am letzten Wochenende dabei.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1066477.zu-kooperativ-fuer-solidaritaet.html

Peter Nowak

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In dem Gefangeneninfo und auf der Seite von ABC Wien gab es eine Reaktion auf dem Artikel, der hier nur mit zwei Anmerkungen dokumentiert wird:

Hier ist davon die Rede, dass die Vorbereitungsgruppe so radikal ist, dass sie nicht mit der bürgerlichen Presse kooperiert. Was nicht stimmt. Wenn ein/e Gefangene einen Hungerstreik macht etc. wird natürlich der Kontakt zur Presse gesucht, was ja auch sinnvoll für die Gefangenen sein kann. Nur hat in diesen Fall gar keine Kooperation zwischen den Veranstalter_innen und der bürgerlichen Presse stattgefunden. Das ist nämlich eine längere Zusammenarbeit, die mit Interviews, Artikeln etc. begleitet wird. Das gab es nicht. Ich habe als Journalist über eine öffentlich beworbene und angekündigte Veranstaltung einen Artikel geschrieben. Das ist keine Kooperation zwischen den Veranstalter_innen und der Zeitung und daher haben die Veranstalter_innen darauf auch keinen Einfluss. Es gab natürlich immer wieder Versuche aus verschiedenen politischen Lagern, Berichterstattung zu verhindern. Es ist bedauerlich, dass auch libertäre Linke nicht vor dem Versuchen gefeit sind, eine Berichterstattung, die nicht von ihnen genehmigt ist und nicht unter ihrer Kontrolle steht, verhindern zu wollen. Es ist auch bezeichnend, dass ausgerechnet libertäre Linke nicht die Autonomie der Veranstalter_innen der einzelnen Arbeitsgruppen respektieren und auch dort Einfluss nehmen wollen. Den Veranstalter, den ich namentlich erwähnte, habe ich vorher gefragt und er hat seine Zustimmung dazu gegeben. Dass sich da noch einige sogenannte Libertäre als Über-ZK aufspielen, ist nur lächerlich. Das Ganze wird hier auch dokumentiert als Zeugnis der ideologischen Verwirrunung heutiger Linksradikaler, die sich ärgern, dass sie nicht alles unter ihrer Kontrolle haben. Und nun ist nicht zu befürchten, dass diese in ihrer aktuellen Form als radikale Linke mehr Einfluss auf die Gesellschaft bekommen, um ihren Kontroll- und Überwachungsgelüsten zu frönen. Doch zu befürchten ist, dass sie das nach ihrer radikalen Phase tun, wenn sie dann in den diversen Jobs für die bürgerliche Gesellschaft sind.

Die Anti-Knasttage 2017 in Berlin
Eine Auswertung, wie sie waren, was fehlte, wie geht es weiter?
Die Orgagruppe der Anti-Knast-Tage 2017

aus: gi_411_web.pdf und

Die Anti-Knast-Tage 2017 in Berlin – Eine Auswertung, wie sie waren, was fehlte, wie geht es weiter?

„Bei wem wir uns auch sehr ausdrücklich bedanken wollen, ist der Journalist Peter Nowak. Dieser nämlich veröffentlichte einen Artikel in der Zeitung „Neues Deutschland“, „Zu kooperativ für Solidarität?1“ über die Anti-Knast-Tage in Berlin. Wir wollen mal ein paar Dinge klarstellen, erstens, die Anti-Knast-Tage waren nicht von einem „ Bündnis verschiedener libertärer Gruppen“ organisiert und es nahmen auch keine „Vertreterin*innen aus den Reihen (…) der Roten Hilfe“ teil. Einige von uns sind Anarchist*innen, aber andere eben nicht und wir wollen dies betonen. Die Rote Hilfe wurde nicht eingeladen, weil sie nicht für die Abschaffung der Knäste stehen kann und steht, dies bestätigten uns auch einige ihrer Mitglieder. Diese Einstellung teilen nicht alle Mitglieder der RH, weil es auch dort Menschen gibt, die für die Abschaffung von Knästen sind, aber unter dem Motto könnten sie die Tage nicht unterstützen. Genauso wenig ist die RH für die Freiheit aller Gefangenen und engagiert sich nur für „politische Gefangene“, was wir nicht teilen. Was nicht bedeutet, dass die Rote Hilfe nicht trotzdem einen Infotisch ab dem Samstag aufgebaut hatte und es auch klar war, dass sie dafür Platz hätten.
Was uns auch sehr ärgerte ist das Peter Nowak, einen Veranstalter namentlich erwähnte. Und zuletzt die Einschätzung von Peter Nowak, dass während der Anti-Knast-Tage „die Frage des Umgangs mit Angeklagten (…), die vor Gericht kooperieren“ sehr viel Raum eingenommen hätte. Um diese Frage herum fand eine Veranstaltung statt, die von einer sehr langen Diskussion begleitet wurde. Aber es war nur eine von vielen. Dass daraus Peter Nowak die Schlussfolgerung zog, dass dies sich auf den Fall einer Person bezieht die in der Schweiz verurteilt wurde, war mehr als fragwürdig und nicht nachvollziehbar. Unseres Erachtens nach spielte es evtl. nur in kleinen Gesprächen eine Rolle, aber über diesen Fall wurde nicht in den Diskussionen geredet. Wir wollen nicht sagen, dass Peter Nowak absichtlich gelogen hat, aber er hat definitiv nicht wenig falsch veröffentlicht. Er hat auch in keinem Moment mit irgendwem von uns geredet, bzw. erwähnt, dass ein Artikel veröffentlicht werden würde. Dies hätten wir so oder so verneint, weil wir die Kooperation mit bürgerlichen Medien strikt verweigern. Für uns ist es wichtig, dies klarzustellen, weil es uns selber sehr überraschte einen Artikel darüber zu lesen und es uns sehr ärgerte was drin stand. Wir haben Peter Nowak ganz persönlich die Leviten gelesen. Diese Zeilen sollten ihn also auch nicht mehr überraschen.

Zuständig für Auslandspropaganda und Asylentscheide

In Jena war ein der vietnamesischen Regierung nahestehender Mann beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge angestellt

Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im thüringischen Jena/Hermsdorf war für Kanha Chhuns eine große Enttäuschung. Der kambodschanischen Oppositionellen wurde mitgeteilt, dass sie und ihre beiden Kinder innerhalb von 30 Tagen Deutschland verlassen müssen. Ihre Anträge auf Asylanerkennung wurden abgelehnt. Auch der subsidiäre Schutzstatus wurde ihnen nicht zuerkannt. Der Ablehnungsbescheid, der »nd« vorliegt, ist mit Ho unterzeichnet. Das Kürzel steht für Ho Ngoc. T. Der aus Vietnam stammende Mann hat bis vor wenigen Wochen im BAMF in Jena gearbeitet. Ho Ngoc. T. gilt keineswegs als neutral. Er hatte im sozialen Netzwerk Facebook die Entführung eines ehemaligen vietnamesischen Politikers aus Deutschland nach Vietnam zustimmend kommentiert.

Nach Angaben der Flüchtlingsorganisation The Voice war Kanha Chhuns in Kambodscha in der Oppositionspartei CNRP aktiv und nahm an Demonstrationen teil. Die CNRP setzte sich unter anderem für Rechte streikender ArbeiterInnen ein, die von dem kambodschanischen Regime verfolgt werden. Der kambodschanische Langzeitpräsident Hun Sen ist ein enger Verbündeter Vietnams.

Dass ausgerechnet ein Gefolgsmann Vietnams über Asylanträge von kambodschanischen Oppositionellen entscheidet, empört die Flüchtlingsorganisation The Voice. »Wir fordern, dass die politische Verfolgung von kambodschanischen AktivistInnen als legitimer Fluchtgrund anerkannt wird. Das bedeutet auch, dass alle durch Herrn Ho Ngoc T. negativ entschiedenen Anträge noch einmal bearbeitet und entschieden werden müssen«, fordert Bernhard S., der in Thüringen in der Geflüchtetensolidarität aktiv ist. Diese Forderung wird auch von Vu Quoc Dung unterstützt. »Wenn das BAMF Herrn Ho Ngoc T. wegen Verletzung der Neutralitätspflicht entlassen hat, dann müssen nun die Asylfälle von kambodschanischen Oppositionellen, die er entschieden hatte, neu geprüft werden. Denn es ist weitgehend bekannt, dass Herr Ho Ngoc T. die Politik der vietnamesischen Regierung öffentlich verteidigt, deren Schützling der kambodschanische Diktator Hun Sen ist«, erklärt der Direktor der Menschenrechtsorganisation VETO! Human Rights Defenders‘ Network e.V. gegenüber »nd«. 

Er erinnerte auch daran, dass sich Ho Ngoc T. in Zeitungen der vietnamesischen Regierungspartei wiederholt abfällig über vietnamesische DissidentInnen geäußert und die Verhaftungen von BloggerInnen und JournalistInnen verteidigt habe. Zudem habe Ho Ngoc T. von der allein regierenden Kommunistischen Partei Vietnam einen Preis für Auslandspropaganda bekommen. 
»Grundsätzlich ist die Entscheidung über Asylanträge durch eine Person, die – wie wir jetzt wissen – weit weg vom sogenannten Boden des Grundgesetzes steht, inakzeptabel«, sagte die Berliner Rechtsanwältin Petra Schlagenhauf dem »nd«. Sie hat den entführten vietnamesischen Ex-Politiker vertreten, der in Deutschland Asyl beantragt hat.

Die Sprecherin des BAMF, Kira Gehrmann, bestätige gegenüber »nd«, dass Ho Ngoc T. seit 1991 als Sachbearbeiter beim BAMF beschäftigt, dort aber nicht für die Durchführung von Asylverfahren für vietnamesische AsylbewerberInnen zuständig war. Von den Veröffentlichungen des Mitarbeiters habe ihre Behörde erst durch eine Presseanfrage Anfang August 2017 Kenntnis erlangt.

Danach sei der Mann bis zur endgültigen Klärung des Sachverhalts von seinen Tätigkeiten entbunden worden. Nach Abschluss der Prüfung habe das Bundesamt das Arbeitsverhältnis umgehend beendet. Kanha Chhums und ihre Kinder hatten wohl Pech, dass ihre Ablehnungen schon Anfang August ausgefertigt wurden. Zur Frage, ob die Anträge noch einmal überprüft werden, wollte Gehrmann aus datenrechtlichen Gründen nicht Stellung nehmen.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1065679.zustaendig-fuer-auslandspropaganda-und-asylentscheide.html

Peter Nowak

Polizei empört Anwohner

Beamte sollen bei Kontrollen in der Rigaer Straße eine Passantin verletzt haben 

BewohnerInnen des Friedrichshainer Nordkiezes erheben schwere Vorwürfe gegen die Polizei. In einer Pressemitteilung, die mit „Nachbar_innen im Nordkiez Friedrichshain“ unterschrieben ist, wird die Polizei beschuldigt, am Sonntagnachmittag für den Sturz einer Frau vom Fahrrad verantwortlich zu sein. Sie habe sich dabei am Rücken verletzt und sei im Klinikum Friedrichshain stationär behandelt worden.

Der taz schilderte die verletzte Radlerin Gudrun G., die ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will, die Vorgeschichte. Sie sei am Sonntag auf dem Weg zu einem Hoffest des linken Hausprojekts Rigaer Straße 94 gewesen. Laut Einladung waren alle „FreundInnen des Hauskollektivs“ gebeten, „mit uns zusammen zu schlem- men, Broschüren durchzublättern, vielleicht einen Workshop zu besuchen, die Köpfe zusam- menzustecken und sich bei Musik die Hände an der Feuertonne zu wärmen“.

Das wollte auch G., die in einer Nachbarschaftsinitiative aktiv ist, die auf dem Fest ihre Arbeit vorstellte. Doch das war gar nicht so leicht, wie BesucherInnen bestätigen. Der Grund waren massive Personenkontrollen rund um das Haus. „Ich stellte die rechtliche Grundlagen dieser Durchsuchungen infrage und erinnerte die PolizistInnen daran, dass darüber vor Gericht gestritten wird“, erklärt G.

Klage vor Gericht

Hintergrund ist die Klage mehrerer von Polizeikontrollen Betroffener vor dem Verwaltungsgericht. Mitte September begannen die Verhandlungen. Dabei soll geklärt werden, ob die Klassifizierung der Gegend rund um die Rigaer Straße zum kriminalitätsbelasteten Ort rechtmäßig ist. Darauf bezieht sich die Polizei bei ihren Personenkontrollen.

Doch für ihre Bedenken fand Gudrun G. bei der Polizei am Sonntagnachmittag kein Gehör. Die zuständige Einsatzleiterin erteilte ihr einen Platzverweis, dem sie nachkam. Trotzdem sei sie auf dem Nachhauseweg in der Cellestraße erneut von der Polizei angehalten worden. „Ein Polizist griff in den Lenker meines Fahrrads, sodass ich stürzte. Ich hatte starke Rückenschmerzen und konnte nicht mehr auf- stehen“, erklärt G. Im Krankenhaus bekam sie schmerzlin- dernde Spritzen. G. habe die Polizei darauf hingewiesen, dass sie wegen eines Bandscheiben- vorfalls in Behandlung sei, bestätigten AugenzeugInnen des Vorfalls der taz.

Ein Polizeisprecher bestätigte am Dienstag, dass der Fall intern geprüft werde. Wegen des Feiertags könne die Pressestelle aber vor Redaktionsschluss keine Stellungnahme abgeben. 

aus taz vom 4.10.2017
Peter Nowak

»Bettelverbote machen nicht satt«

Die Stadtverwaltung in Dresden will härter gegen Bettler vorgehen. Linke Organisationen haben deshalb die »Bettellobby Dresden« gegründet. Maja Schneider von der Gruppe »Polar«, die dem Bündnis angehört, hat mit der Jungle World gesprochen.Warum brauchen Bettelnde in Dresden eine Lobby?
Es gab vor allem in den lokalen Zeitungen Berichte über und vor allem gegen das Betteln. Oft spielten die Artikel mit Vorurteilen. Vor allem die Behauptung, dass Kinder zum Betteln instrumentalisiert würden, erregte die Gemüter. Die Kommentare zeigten, dass Ressentiments gegenüber Roma ein wichtiger Bestandteil dieser Debatte sind. Fakten, beispielsweise darüber, wie viele Familien überhaupt in der Stadt betteln, gab es kaum. So wurde das Betteln zum Problem aufgebauscht. Daraufhin begann die Verwaltung, über mögliche Verbote zu diskutieren.

Was ist Ihr Ziel?
Zuerst wollen wir Bettelverbote und die Gängelei von Bettelnden verhindern. Denn Bettelverbote machen nicht satt; sie vertreiben Arme aus der Stadt oder machen ihre Tätigkeit illegal. Wir wollen außerdem über den Rassismus gegen Sinti und Roma aufklären, der ganz oft in Debatten über Armut eine Rolle spielt. Einerseits sind viele Roma von Armut betroffen, weil sie in ganz Europa diskriminiert werden. Andererseits betteln nicht alle Roma, sondern arbeiten beispielsweise auch als Ärzte, Lehrer, Handwerker.

Sollte eine emanzipatorische Linke nicht die Verhältnisse kritisieren, anstatt die Aufrechterhaltung des Bettelns zu fordern?
Wir engagieren uns auch gegen die kapitalistischen Verhältnisse, die Menschen zum Betteln zwingen. Wie viele politische Gruppen haben wir unterschiedliche Themen und arbeiten in unterschiedlichen Bündnissen. Es gibt unserer Meinung nach viele gute Gründe für eine Bettellobby, auch für emanzipatorische Linksradikale. Erstens selbstverständlich die Solidarität: Solange es Armut gibt, müssen Arme das Recht haben, in der Stadt sichtbar zu sein und zu betteln. Niemand will über Armut sprechen, wir schon. Zweitens glauben wir nicht an all or nothing von heute auf morgen. Der Kapitalismus wird morgen nicht zugunsten eines solidarischen Entwurfs abgeschafft worden sein.

Was bedeutet Ihre Parole »Betteln ist ein Recht auf Stadt«?
Bettelverbote verstoßen gegen Grundrechte. Jede und jeder hat das Recht, seine Meinung zu äußern, was auch bedeutet, über eigene Nöte zu sprechen und um Hilfe zu bitten. Als emanzipatorische Linke sollten wir Grundrechte verteidigen. So ist der Kampf gegen Bettelverbote auch einer gegen autoritäre Verschärfungen in der Politik wie Kontrolle, Schikane, Verächtlichmachung und Verdrängung. Solche Debatten und Vorgehensweisen können wir nicht einfach stehen lassen. Wir machen das Recht auf Stadt, auf Bildung und volle Bewegungsfreiheit für alle geltend.

Welche Rolle spielt Rassismus in der Debatte?
Ginge es um deutsche Bettelnde, würde niemand über ein Bettelverbot reden. Die Artikel und Kommentare in der lokalen Presse entspringen antiziganistischen Vorstellungen. Deshalb arbeiten wir sehr eng mit Romano Sumnal zusammen, der ersten Selbstvertretung von Roma in Sachsen. Außerdem ist die Treberhilfe in Dresden unsere Partnerin. Sie unterstützt arme Menschen und protestiert immer wieder gegen diese rechte Argumentation.

https://jungle.world/artikel/2017/39/bettelverbote-machen-nicht-satt

Interview: Peter Nowak