Sascha Schmidt, Yvonne Weyrauch: Rechter Terror in Hessen. Geschichte, Akteure, Orte. Frankfurt a.M.: Wochenschau-Verlag, 2024. 399 S., 29,80 Euro

Nach den Rechten in Hessen sehen

Rechtsextreme Mordtaten seit Beginn der Bundesrepublik. Nach der Lektüre der Studie wird deutlich, dass die Akteure ihre Gruppenstrukturen und ihre Erscheinungsbild ändern, doch ihre rassistische und antisemitische Ideologie ist gleich geblieben. Das Buch gibt wichtige Informationen für den antifaschistischen Widerstand.

Am 17.August 2001 wurde die Inhaberin eines Outdoor-Ladens, Dorit Botts, in ihrem Laden in Fulda mit 13 Messerstichen getötet. Für die Medien und die Polizei war es Raubmord ohne politischen Hintergrund. Erst viele Jahre später bestätigte sich, was Antifaschist:innen in Fulda schon vorher vermutet hatten: Doris Botts war von einen Neonazi getötet worden. Der aus Sömmerda stammende Täter sagte Jahre später in einer Zeugenaussage aus, er habe den Mord an der Fuldaer Geschäftsfrau als Aufnahmeritual für die neonazistische Deutsche Heidnische Front verübt. Trotzdem wird Dorit Botts bis heute nicht als Opfer rechter Gewalt in den offiziellen Statistiken aufgeführt. Allerdings wird die Frau in dem kürzlich erschienenen Buch …

…  Rechter Terror in Hessen von Yvonne Weyrauch und Sascha Schmidt als Opfer rechter Gewalt aufgelistet.
Die beiden Politikwissenschaftler:innen danken in der Einführung ihres vom Landesverband des DGB Hessen-Thüringen unterstützten Buches den 21 Opfern des rechten Terrors in Hessen seit 1945.
Darunter sind auch Gökhan Gültekin, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtovic, Vili Viorel Paun, Fatih Saracoglu, Sedat Gürbüz, Ferhat Unvar, Kaloyan Velkov, Said Nesar Hashemi und Gabriele Rathjen, die ein rassistischer Amokläufer am 19.Februar 2022 in Hanau ermordete. Diese rechte Terroraktion hat die Republik erschüttert und mit zu dem Buch beigetragen.
Die Autor:innen wollen an die heute weitgehend vergessenen rechten Terroraktionen erinnern. Dabei gehen sie zurück in die frühen 50er Jahre. Sie erinnern an den Bund deutscher Jugend (BdJ) und dessen bewaffneten Arm, den Technischen Dienst (TD). Er wurde im Kalten Krieg mit Unterstützung des CIA aufgebaut und finanziell unterstützt, um gegen Antifaschist:innen der unterschiedlichen Couleur vorzugehen.
Auf den Todeslisten des TD standen unter anderem der Kommunist und langjährige Buchenwald-Häftling Emil Carlebach, aber auch bekannte Sozialdemokrat:innen wie Herbert Wehner, Erich Ollenhauer und Gewerkschafter:innen.
Nach der Enttarnung der braunen Untergrundarmee im Jahr 1952 wurden zunächst in Hessen, dann in Westdeutschland BdJ und TD verboten. Doch weitere Konsequenzen blieben aus. Alt- und Neonazis waren im Kalten Krieg unermüdliche Bündnispartner im Kampf gegen tatsächliche und vermeintliche Kommu­nist:innen.
Daran hat sich lange Zeit nichts geändert, wie die beiden Autor:innen mit Akribie aufzeigen. Sie erinnern an Angriffe auf Antifaschist:innen, die bis heute andauern. Nur der Kreis der Opfer hat sich erweitert.
In den 60er und 70er Jahre standen Mitglieder der VVN, Kommunist:innen und linke Gewerkschafter:innen im Visier der Rechten. Später erweiterte sich der Kreis der Opfer auf Punks und andere subkulturelle Jugendliche.
Manche der dokumentierten Angriffe sorgten nach Bekanntwerden kurze Zeit auch bundesweit für Empörung, wurden dann aber vergessen. Wer kann sich noch erinnern, dass 40 Neonazis am 1.Mai 2015 eine Gewerkschaftskundgebung in Weimar überfielen und mehrere Gewerkschafter:innen durch Faustschläge verletzten?
Weitgehend vergessen ist auch der Überfall einer Gruppe vermummter Neonazis auf eine Sommercamp der Linksjugend Solid im Juli 2009. Zwei junge Antifaschist:innen wurden dabei in ihren Zelten im Schlaf überfallen und erheblich verletzt. Eine 13jährige musste mit Gehirnblutungen ins Krankenhaus eingeliefert werden.
Einen größeren Raum nehmen die Mordtaten des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) ein. Die Autor:innen erwähnen eine Analyse des Landeskriminalamts Baden-Württemberg, die noch 2007 die Täter im Umfeld der Opfer verortete mit der Begründung, dass »die Tötung von Menschen in unserem Kulturraum mit einem hohen Tabu belegt ist«.
Weyrauch und Schmidt erinnern daran, das schon 2006 mehr als 2000 Menschen vornehmlich mit migrantischem Hintergrund in Kassel eine Demonstration unter dem Motto »Kein 10tes Opfer« organisiert hatten, nachdem Halit Yozgat in seinem Internetcafé in Kassel mitten am Tag erschossen wurde. Fünf Jahre später enttarnte sich der NSU selber.
Auf den von ihnen angelegten Feindeslisten befand sich auch der CDU-Politiker Walter Lübcke, der am 2.Juni 2019 vor seinem Haus von dem Neonazi Stephan Ernst wegen seiner Unterstützung einer liberalen Migrationspolitik erschossen wurde.
Sein Mörder hat in dem Buch insgesamt fünfzehn Einträge. Bereits als 15jähriger verübte er im April 1989 einen Brandanschlag auf ein von Migrant:innen aus der Türkei bewohntes Haus in Hohenstein im Rheingau-Taunus-Kreis.
Schmidt und Weihrauch erinnern am Beispiel Hessen an die Geschichte des rechten Terrors, der bis heute andauert. Ähnliche Untersuchungen in anderen westdeutschen Bundesländern wären wünschenswert.
Nach der Lektüre der Studie wird deutlich, dass die Akteure ihre Gruppenstrukturen und ihre Erscheinungsbild ändern, doch ihre rassistische und antisemitische Ideologie ist gleich geblieben. Das Buch gibt wichtige Informationen für den antifaschistischen Widerstand. Peter Nowak