„Das Wort ‚Putin‘ taucht im Stichwortverzeichnis meines Buchs ‚Faschismus. Und wie man ihn stoppt‘ nicht auf. Als ich im Dezember 2019 meinem Verlag die Idee dafür unterbreitete, konzentrierte ich mich auf das Phänomen rechtsextremer Bewegungen in demokratischen Staaten, nicht auf bereits etablierte Diktatoren“, schreibt der britische Sozialdemokrat Paul Mason in einem Beitrag der Wochenzeitung Freitag über sein im Suhrkamp-Verlag auf deutsch erschienenes Buch.Es soll wohl eine Werbung in eigener Sache sein. Auf jeden Fall ruiniert Mason aber jeden wissenschaftlichen Anspruch, weil er einen Faschismusbegriff hat, mit dem immer der gerade aktuelle Feind so deklariert wird. Dazu gehören Trump, Erdogan und natürlich seit dem Ukraine-Krieg auch Russlands Präsident Wladimir Putin, dem Mason vorwirft: …
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Er will die Einheit der Nato zerstören, die EU ins Abseits stellen, die UN auf den Status eines Zuschauers reduzieren und dem Amtsinhaber im Weißen Haus dazu zwingen, in ein dreiseitiges Spiel unter Großmächten mit Moskau und Peking einzutreten.
Paul Mason über Wladimir Putin
Da dürfte er recht haben, nur dass dies Merkmale von bürgerlichen Staaten sind und keine spezifisch faschistischen. Den Vereinten Nationen wird in der Praxis auch von westlichen Staaten nur ein Zuschauerstatus zugebilligt – die Forderungen des UN-Generalsekretärs nach einem weltweiten Waffenstillstand während der Pandemie oder größeren Anstrengungen im Klimaschutz verhallten auch hier weitgehend wirkungslos.
Auffallend ist, wie offen Mason seine linksliberale politische Agenda, die ihn zum Schreiben des Buches animierte, in dem Beitrag offenbarte. Ihn störte, dass junge Antifaschisten noch an alten linken Faschismustheorien festhielten, die einen Link zwischen Faschismus und Kapitalismus herstellen.
Doch was er stattdessen anbietet, ist plumpe Verteidigung des Status Quo, mit konservativer Grundierung. So sieht Mason Faschismus als „Prozess der gesellschaftlichen und moralischen Zersetzung“. Damit bedient er sich aber eines Terminus, der selber wiederum von Rechten gerne gebracht wird. Wie nun will Mason den Faschismus stoppen?
In diesem Punkt wird deutlich, dass er hier die Linke unter die Hegemonie des liberalen Kapitalismus stellen will. „Wir brauchen eine Allianz der Mitte und der Linken, die die Antagonismen der 2010er-Jahre hinter sich lässt, um nicht nur die Moderne und die Aufklärung zu verteidigen“, formuliert hier Mason die seichte theoretische Grundlage der Grünen und des woken Kapitalismus, also jenes innovativen Kapitals im Sinne von Detlef Hartmann.
Auch Mason verhehlt nicht, dass er sich „an die am besten ausgebildete Generation, die es je gab“ richtet. Das ist auch eine Kampfansage an alle, die nicht so gut ausgebildet sind, also diejenigen, die vom woken Kapitalismus schon mal als unverwertbar ausgegrenzt werden. Indem sie jetzt in die Nähe des Faschismus gerückt werden, können sie auch gesellschaftlich ausgegrenzt werden.
Mason formuliert hier nur seichte Theorien ohne Tiefgang zu einer liberalen Politik, die bereits seit Jahren läuft. Und er hat auch schon formuliert, dass er das Faschismusverdikt nach Belieben erweitern kann. Auch der chinesische Präsident ist da schon genannt worden.
Faschismus oder andere Form autoritärer Herrschaft?
„Je weiter der Begriff des Faschismus gefasst wird, desto eher lässt sich ihm das Putin-Regime zurechnen“, schreibt Matthias Wörsching im Neuen Deutschland, wo er sich die Frage stellt, ob Russland auf dem Weg zu einem faschistischen Staat ist. Dort macht Wörsching auch deutlich, was einen linken Faschismustheoretiker von einem linksliberalen Ideologen wie Mason unterscheidet.
Der Unterschied ist eben nicht die klare Ablehnung des autoritären russischen Putin-Regimes. Der Unterschied liegt in der Benennung und Eingrenzung des Gegenstands und der Formulierung von Fragen, bevor man schnelle Antworten gibt, die nur ein Ziel haben – den woken Kapitalismus zu verteidigen. Für Wörsching besteht kein Zweifel, dass Putin ein autoritäres Regime anführt und große Teile der nationalistischen Rechten im Land einbindet. Doch der Faschismusforscher gibt zu bedenken:
Nun war allerdings die Abgrenzung des Faschismus innerhalb des nationalistischen Spektrums sowie gegenüber Konservatismus und Autoritarismus immer eine Hauptschwierigkeit der Faschismustheorie. Diese Abgrenzung gelingt meistens nicht sauber, weil es fließende Übergänge, dynamische Entwicklungen – konservativ-autoritäre Bewegungen und Regime können sich zu faschistischen radikalisieren, letztere sich aber zu ersteren auch wieder zurückbilden – und deswegen eine Menge Grenzfälle gibt.
Matthias Wörsching, Neues Deutschland
Wörsching geht auch auf die Elemente des russischen Herrschaftsapparats ein, die nicht zum klassischen Faschismus passen. So ist ein Putin ein Mann aus dem Apparat, der nicht durch eine ultranationalistische Protestbewegung an die Macht gelangt ist. Auch eine kontinuierliche Massenmobilisierung, wie sie für faschistische Herrschaftsformen typisch sind, gibt es in Russland nicht, obwohl es Ansätze wie die Jugendbewegung „Die Unseren“ in Keimform gab.
Auch wenn man den Faschismusbegriff nicht auf Russland ausdehnt und ihn viel mehr als ideologisch motiviert zurückweist, so kann man Wörschings Fazit in seinen ND-Beitrag vorbehaltlos zustimmen.
Das Regime Wladimir Putin trägt einen extrem repressiven und aggressiven Charakter. Diktatur, Krieg und Massenmord kann es auch geben, ohne dass die theoretischen Kriterien für den Faschismus erfüllt sind.
Matthias Wörsching, Neues Deutschland
Autoritäre Herrschaftsformen in der Ukraine
Es ist besonders wichtig, daran zu erinnern, weil viele Linksliberale natürlich vergessen machen wollen, dass autoritäre Herrschaft und Kriege zu jedem bürgerlichen Staat gehören. Da brauchen wir nur auf die Ukraine zu blicken, wo aktuell alle grundsätzlichen Oppositionsparteien verboten sind, faschistische Kameradschaften in die Armee eingegliedert werden und ab 2014 nationalistische und profaschistische Figuren wie Stephan Bandera rehabilitiert wurden.
Das zieht sich bis in die ukrainische Populärkultur, wo die Gewinnerband des diesjährigen Eurovision Song Contest alkalisch mit nationalistischen Elementen spielt. Und trotzdem wäre es falsch, die Ukraine als faschistischen Staat zu bezeichnen, wie es Putin und seine Fans tun.
Aber es ist genauso absurd, die Ukraine nun als Beispiel für eine Demokratie im postrussischen Raum zu verklären, wie es sogar der ehemalige linke Grüne Rainer Trampert in einem Jungle-World-Beitrag versuchte, wo natürlich Asow und die ukrainischen Rechten gar nicht vorkommen. Für einen solchen Beitrag hätte Trampert die Grünen nicht verlassen müssen.
So beschwört Trampert den Kampf der Ukrainer und wirft einer „Phalanx aus Ostermarschierern, Kadern der AfD und der Linkspartei, Sozialdemokraten und bürgerlichen Ideologen wie Alice Schwarzer, Reinhard Mey und Dieter Nuhr“ vor, der russischen Propaganda Beistand zu leisten, weil sie gegen noch mehr Nato-Waffen für die Ukraine sind.
Ihnen wirft Trampert vor, den Widerstand gegen Fremdherrschaft und Diktatur zu diskreditieren und die Ukraine der Vernichtung zu überlassen, die ihren Vorverfahren nicht gelang. Hier endet der einst linke Grüne beim Geschichtsrevisionismus. Denn er weiß genau, dass die Ukraine als Teil der Sowjetunion die deutsche NS-Volksgemeinschaft besiegte und dass ihre Gegner jene nazifreundlichen, antisemitischen ukrainischen Nationalisten waren, die seit dem Maidan-Umsturz von 2014 wieder eine wichtige Rolle in der ukrainischen Politik spielen.
Es ist schon erstaunlich, dass einem Rainer Trampert, der in vielen seiner Texte sehr gut Antisemitismus in linksreformistischen Zusammenhängen wie beispielsweise der Labour-Party gegeißelt hat, kein kritisches Wort zur Asow-Kameradschaft und den Denkmälern für Bandera und Co. in der Ukraine einfällt.
Denn dann würde der Mythos vom kämpfenden ukrainischen Volk nicht funktionieren. Für jemanden, der sich kritisch mit Staat und Nation auseinandergesetzt hat, würde sich solch ein Beschwören der nationalen Gemeinsamkeiten und des Widerstands gegen Fremdherrschaft eigentlich verbieten.
Racketherrschaft in Russland
Dass es auch andere linke Ansätze gibt, das russische Regime zu erklären, ohne in plumpe Faschismus-Ruferei zu verfallen, hat Torsten Fuchshuber in seinem Buch „Rackets – kritische Theorie der Bandenherrschaft“ vorgemacht. In dem im Ca-Ira-Verlag erschienenen Buch setzt sich Fuchshuber kenntnisreich mit dem im Umfeld der Frankfurter Schule entwickelten Racket-Begriff auseinander und geht in einem knappen Kapitel auch auf die Herrschaft in Russland ein.
Aus Fuchshubers Sicht agiert Putin nicht als ideeller Gesamtkapitalist, der die unterschiedlichen Kapitalinteressen unterwirft, sondern als Vertreter der Rackets, die in der Phase der Schwäche des russischen Staates nach der Jelzin-Ära nach oben kamen.
Der Zerfallstendenz wirkte Putin demnach nicht etwa durch Entmachtung und rechtsstaatliche Integration der Rackets entgegen, soweit das innerhalb staatlicher Herrschaftsformen wenigstens möglich ist, sondern dadurch, dass er sich an deren Spitze setzte.
Fuchshuber beschäftigt sich auch kritisch mit verschiedenen präfaschistischen russischen Ideologen wie dem Ultranationalisten Alexander Dugin, über deren realen Einfluss auf die Politik Putins aber wenig bekannt ist.
Es kann also tatsächlich sinnvoll sein, auch über faschistische Tendenzen in der russischen Gesellschaft zu reden, die durch die Kriegssituaton sehr verstärkt werden – wie auch in der Ukraine. Das bedeutet aber auch, weder Russland noch die Ukraine pauschal als faschistisch bezeichnet werden können. Peter Nowak