Die Auflistung von "Ende Gelände" im Verfassungsschutzbericht des Landes Berlin könnte den positiven Lerneffekt haben, nicht auf repressive Staatsapparate zu setzen. Ein Kommentar

Aber bitte nicht wieder jubeln, wenn der Verfassungsschutz gegen Rechte vorgeht

Nur könnte man umgekehrt argumentieren, dass es doch eine Auszeichnung für diese Organisation sei und dass dies verdeutliche, dass mit ihr noch "kein Staat zu machen" ist. So könnten Linke durch das Agieren der repressiven Staatsapparate in Versuchung geraten, es wieder mehr mit Kritik an Staat, Kapital und Nation zu probieren und sich nicht die Staatsapparate schönzureden.

Das Umweltbündnis „Ende Gelände“ ist sehr aktiv und hat in den letzten Monaten auch deshalb Sympathien bis in linksliberale Kreise bekommen, weil es zum Feindbild von Rechten und auch Teilen der Polizei geworden ist. Dass es da oft Überschneidungen gibt, zeigte sich vor einigen Monaten in Cottbus, als eine Polizeieinheit vor einem Graffiti postierte, das der Umweltbewegung Ende Gelände den Kampf ansagte. Daher ist man jetzt in linksliberalen Kreisen verärgert, dass….

…. im kürzlich erschienenen Verfassungsschutzbericht 2019 des Landes Berlin Ende Gelände unter der Rubrik Linksextremismus aufgeführt wird. Dabei wird in dem Bericht durchaus zwischen verschiedenen Formen linker bzw. als linksradikal gelabelten Aktivitäten differenziert.

Es scheint, dass da besonders linke Gruppen genau beobachtet werden, die nicht auf Straßenkampf, sondern auf eine langfristige Gesellschaftsveränderung setzen.

VS-Schild und Schwert kapitalistischer Verwertungsinteressen?

Erwähnt werden linke Bündnisse wie die Interventionistische Linke und das Bündnis …um’s Ganze!.

Sie verfolgen einerseits eine im weitesten Sinne entristische Strategie. Das bedeutet, dass sie versuchen, durch die Besetzung entsprechender Positionen u. a. in Politik, Verbänden, Stiftungen, Wirtschaft und Medien an der politischen Willensbildung mitzuwirken und diese in ihrem Sinn zu beeinflussen. Zum anderen setzen sie in der Mitte der Gesellschaft an, indem sie breit anschlussfähige Themen aufgreifen und diese in Kampagnen – niedrigschwellig und zuspitzend – so aufbereiten, dass möglichst viele Menschen zu einer aktiven Beteiligung motiviert werden. 

Dieses vermeintlich dem zivilgesellschaftlichen Engagement vergleichbare – Vorgehen verdeckt, dass unter der Oberfläche tagesaktueller Problemlagen politische Ziele verfolgt werden, die auf eine Überwindung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung abzielen.

Aus dem Verfassungsschutzbericht des Landes Berlin 2019

In diesen Sätzen wird deutlich, dass der Verfassungsschutz durchaus als Schild und Schwert der kapitalistischen Verwertungsinteresse bezeichnet werden kann. Daher wirft er linken Gruppen vor, was sämtliche Parteien ganz selbstverständlich in Anspruch nehmen: das Recht, mit ihren Ideen und Vorstellungen an der politischen Willensbildung teilzunehmen.

Es ist schon lustig zu lesen, dass den linken Gruppen vorgeworfen wird, politische Ziele bei ihrem tagespolitischen Engagement zu verfolgen, wenn doch die Parteien genau das als ihre demokratische Aufgabe sehen. Linken Gruppen, die tagespolitische Probleme nicht für parteipolitische Zwecke instrumentalisieren, sondern über die gesellschaftliche Verhältnisse aufklären, wird genau dieses Recht abgesprochen.

Staatlich unerwünschter Kampf gegen rechts

So sind im Berliner Verfassungsschutzbericht verschiedene postautonome Gruppierungen aufgeführt, denen vorgeworfen wird, dass sie versuchen, den Ursprung von konkreten Zumutungen im gesellschaftlichen Alltag in der kapitalistische Profitgesellschaft zu benennen. Diese rationale Herangehensweise, die der linke Flügel der Arbeiterbewegung seit jeher propagierte, ist besonderes Beobachtungsprojekt des Verfassungsschutzes, nicht nur im Fall von Ende Gelände.

Das wird auch im Kapitel Antifaschismus deutlich. So heißt es in einem Absatz über die North East Antifa:

Die NEA treten nach außen vergleichsweise gemäßigt auf und verzichten darauf, ihre Gewaltbereitschaft allzu plakativ zur Schau zu stellen. Offensiv betreiben sie „Outings“ von vermeintlichen und tatsächlichen Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten.

Aus dem Verfassungsschutzbericht des Landes Berlin 2019

Hier wird auch klar, dass für die Dienste bestimmte Aktivitäten gegen rechts beobachtungsrelevant sind. Denn was hier als Outing bezeichnet wird, ist Recherche über rechte Strukturen, die oft viel genauer ist als die Ergebnisse des VS. Der bedient sich schon mal der Ergebnisse linker Recherchearbeit, wie im Fall des linken Münsteraner Soziologen Andreas Kemper, dessen Früchte jahrelanger Arbeit zur politischen Vita von Höcke in VS-Stellungnahmen eingeflossen sind.

Kempers Name wurde nicht genannt, denn der schreibt für libertäre Zeitungen wie die Graswurzelrevolution, die immer wieder rechten Kampagnen auch der sogenannten politischen Mitte ausgesetzt ist und selber zum Beobachtungsobjekt der Dienste wurde. Dies ist auch nicht verwunderlich und sollte die Zeitung eher als Auszeichnung verstehen.

Die Journalistin Carina Book hat in einen informativem, mit vielen Quellen unterlegten Beitrag in dem kürzlich im Dampfbootverlag erschienenen Buch „Autoritärer Populismus“ dargelegt, dass die Spitzen der Sicherheitsbehörden im Herbst 2015 die sogenannte Flüchtlingskrise ähnlich beurteilten wie viele Rechte.

Neben Hans Georg Maaßen, dem damaligen Leiter des Verfassungsschutzes, benennt Book den Präsidenten der Bundespolizei, Dieter Romann, der weniger im Fokus der Öffentlichkeit stand und doch Analysen verfasste, die auch aus dem Umfeld der AfD stammen könnten.

Daher ist es unverständlich, dass in linksliberalen Kreisen jetzt lamentiert wird, dass ausgerechnet der Berliner Verfassungsschutz in ihren Kreisen anerkannte Protestbündnisse wie Ende-Gelände unter die Lupe nimmt.

„Dann könnte auch die Linke in Versuchung geraten“

Nur könnte man umgekehrt argumentieren, dass es doch eine Auszeichnung für diese Organisation sei und dass dies verdeutliche, dass mit ihr noch „kein Staat zu machen“ ist. So könnten Linke durch das Agieren der repressiven Staatsapparate in Versuchung geraten, es wieder mehr mit Kritik an Staat, Kapital und Nation zu probieren und sich nicht die Staatsapparate schönzureden.

Gerade in Corona-Zeiten macht sich der weitgehende Ausfall einer solchen staatskritischen Linken besonders bemerkbar. Wie sehr die Liberalen aller Couleur eine solche Linke fürchten, machte ein Kommentar von Ambros Waibel in der Taz deutlich.

Dort begründete er letzte Woche, warum ausgerechnet die Zeitung, der von rechts lange Zeit fälschlicherweise vorgeworfen wurde, keine Distanz zum „Terrorismus“ zu haben, den 50ten Gründungstag der RAF am 14. Mai 2020 ignorierte. Die heutige Linke interessiere das nicht mehr und das sei auch gut so, meint Ambros.

Die etwas biedere, aber unschlagbar diverse Linke von heute, die Bäume besetzt und Tiere aus Todesboxen befreit; die sich identitätspolitisch geschult nicht mit dem Verweis auf Nebenwidersprüche abspeisen lässt, wenn sie hier und heute radikal Rassismus, Sexismus und die Zerstörung unser aller Lebensgrundlagen bekämpft – diese Anti-RAF-Linke steht allerdings vor einer Herausforderung: 

Wenn der Staat, den sie doch mit ins Boot nehmen möchte, die Nazis noch einmal von Leuten wie Hans Georg Maaßen bekämpfen lässt und es ignoriert, wenn nicht fördert, dass der Rechtsterrorismus eine Blutspur durchs Land zieht: Dann könnte auch diese Linke in Verzweiflung geraten und in Versuchung geraten.

Ambros Waibel, Taz

Nun gebietet es die historische Ehrlichkeit klarzustellen, dass die Taz aus dem Spektrum der undogmatischen, überwiegend mittelständischen Linken der 1970er Jahre stammt, die sich selber im Konflikt zwischen RAF und Staat an den Rand gedrängt sah und einen dritten Weg propagierte, der schon bald zurück in den Staat führte.

Verfassungsschutz als Verbündeter im Kampf gegen rechts?

Deswegen sind heute manche Linke so erfreut, wenn der Verfassungsschutz nach dem unfreiwilligen Abgang von Maaßen auch bestimmte Teile der AfD und ihres Umfelds ins Visier nimmt.

Dass hier Staatsapparate in eine Partei hineinregieren und mit gezielten Veröffentlichungen von politischen Biographien wie im Fall Kalbitz auch Politik machen, wird da nicht besonders kritisiert. Dabei war es doch bis in die linksliberale Szene hinein einmal Konsens, dass der Verfassungsschutz aufgelöst gehört.

Populärer wurde diese Forderung, als sich nach der Selbstenttarnung des NSU zeigte, dass der Verfassungsschutz an den Untergrundnazis nahe dran war, aber zur Aufklärung nichts beigetragen hat. Daher ist es umso erstaunlicher, dass nur wenige Jahre später manche Linke mit dem Staat auch seine repressiven Apparate „mit ins Boot holen will“, wie sich Ambros Waibel ausdrückt.

Dabei wäre eine AfD mit gestutztem Flügel, also eine Art Fortsetzung der Werteunion, auch koalitionsfähig für die Unionsparteien. Schon nach der Wahl von Kemmerich haben manche seiner Gegner besonders herausgestellt, dass so etwas doch nicht in Thüringen ginge, wo ein besonders rechter AfD-Landesverband auftritt.

Das kann durchaus als Aufforderung an die AfD verstanden werden: Bändigt euren Flügel und dann kommen wir schon irgendwann ins Geschäft. Da macht das Vorgehen des Verfassungsschutzes gegen bestimmte Teile der AfD durchaus Sinn für das Staatsinteresse.

Absurd ist nur, wenn dies manche Linke als irgendwie antifaschistisch missverstehen. Da kann man nur hoffen, dass sie genau das tun, was Ambros Waibel in der Taz fürchtet. „Sie kommen in Versuchung“, den Staat und seine Apparate kritischer zu hinterfragen.

Als Reaktion auf die Auflistung von Ende Gelände wurden in manchen linken Verbänden die Forderungen nach Auflösung des VS wieder lauter. Da muss man sie nur dazu ermahnen, bitte nicht in den nächsten Wochen wieder zu jubeln, wenn der gegen rechts vorgeht. Peter Nowak