Luxusneubauten verhindern

GENTRIFIZIERUNG Stadtteilinitiativen protestieren gegen Pläne des Bauunternehmens CG-Group

„Vom jungen Bauunternehmer zum kapitalmarktfähigen Projektentwickler, und er hat große Pläne für Berlin.“ So beschrieb der Tagesspiegel Anfang April die Karriere des Bauunternehmers Christoph Gröner, dessen CG-Group seine Initialen trägt. Jetzt haben GentrifizierungsgegnerInnen das Unternehmen entdeckt. Unter dem Motto „CGLuxusneubauten verhindern“ laden Stadtteilinitiativen aus Friedrichshain am 6. November um 17 Uhr in den Jugendclub L9 in der Liebigstraße 19 ein. Schon seit Monaten protestieren im Friedrichshainer Nordkiez AnwohnerInnen gegen das Wohnquartier „Carree Sama Riga“, das die CG-Group auf dem Gelände der Rigaer Straße 71–73 errichten will (taz berichtete). Doch auf der Veranstaltung soll es nicht um Kiezpolitik gehen. Eingeladen sind stadt- und mietenpolitische Gruppen aus ganz Berlin. „Wir schlagen vor, den Widerstand gegen die Projekte der CG-Group auch auf andere Stadtteile auszuweiten und so einen Akteur der Verdrängung einkommensschwacher MieterInnen in den Fokus zu rücken“, heißt es in der Einladung mit Verweis auf einige lukrative
Bauprojekte des Unternehmens

Vertical-Village-Konzept

So soll auf dem Areal der ehemaligen Postbank am Halleschen Ufer 60–80 das „XBerg Quartier“ entstehen. Den ehemaligen
Steglitzer Kreisel in der Schlossstraße 70–80 will die CGGroup in „einen lichtdurchfluteten City Tower mit hochwertigen Eigentumswohnungen“ umwandeln. Sozial- oder Familienwohnungen böten sich an dem Standort aber eher nicht an, erklärte Berlins Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen, nachdem die CG-Group im Juni 2016 das Gelände gekauft hat. Die in dem Unternehmen für die Projektentwicklung zuständige Heike Lentfer erklärte in einer Firmenbroschüre: „Unser Vertical-Village-Konzept richtet sich an leistungsorientierte Menschen. Also an Freiberufler, Manager oder Fachkräfte, die nur für einen begrenzten Zeitraum in einer Stadt arbeiten.“

TAGESZEITUNG, MONTAG, 31. OKTOBER 2016

Peter Nowak

Chelsea Manning braucht unsere Solidarität

Nach dem Selbstmordversuch  der Whistleblowerin Chelsea Manning gibt es Internationale Kampagne für ihre Freilassung. Dabei sollte sie aber nicht als Opfer sondern als politische Aktivistin wahrgenommen werden

In den letzten Monaten war es um die US-Whistleblowerin Chelsea Manning ruhig geworden.  Die IT-Spezialistin war  wegen Spionage und Verrat von Militärgeheimnissen   zu einer Haftstrafe von 25 Jahren verurteilt worden, weil  sie Dokumente und Videos an die Plattform Wikileaks geschickt, die Kriegsverbrechen  von US-Militärs während  ihres Engagements im Irak  dokumentieren.   Doch seit einigen Wochen wächst weltweit die Angst um das Leben der Whistleblowerin, die als  Transgender ihre Haftstrafe in dem   Militärgefängnis für Männer  Fort Leavenworth  verbüßen muss. Dort verübte Manning in den Morgenstunden des 6.Juli einen Suizidversuch.  Entsprechende Gerüchte wurden von Mannings Anwälten mittlerweile bestätigt. „ Ich bin okay. Ich bin froh, am Leben zu sein. Vielen Dank für Eure Liebe. Ich komme da durch“,  ließ Manning über Twitter ihren Unterstützer_innen mitteilen.  Doch nach ihren Suizidversuch ist die Whistleblowerin mit neuer Repression konfrontiert. So verhängte der Disziplinarausschuss von Fort Leavenworth  Ende September gegen   Manning eine  14 tägige Isolationshaft als Disziplinarstrafe. Sieben Tage wurden auf Bewährung ausgesetzt und sollen  vollstreckt werden, wenn sie sich weiter nicht so verhält, wie es die Gefängnisleitung verlangt. Manning werden im Zusammenhang mit ihrem Suizidversuch  bedrohliches Verhalten,   der Besitz verbotener Gegenstände und der Widerstand gegen Gefängnispersonal vorgeworfen. Kommt es zu einer Verurteilung, befürchtet die  US-Menschenrechtsorganisation (ACLU)  die unbefristete Einzelhaft, die Wiedereinstufung auf die höchste Sicherheitsstufe sowie neun zusätzliche Haftjahre ohne die Möglichkeit der Haftaussetzung.   Solidaritätsgruppen befürchten, dass solche Restriktionen das Leben der psychisch angeschlagenen Gefangenen gefährden könnten. Mit einer Petition wollen die Unterstützergruppen die Öffentlichkeit gegen die erschwerten Haftbedingungen von Manning aufmerksam zu machen. „Chelsea braucht unsere Solidarität“, lautet ihr Motto. Das  Interesse ist zumindest in Deutschland nach ihrer Verurteilung schnell  zurück gegangen. Der Wikipedia-Eintrag zu Manning wurde seit 2014 nicht mehr aktualisiert. Doch nach ihren Suizidversuch  hat der Chaos Computer Club (CCC), deren Ehrenmitglied Mannings ist, ihre Begnadigung  gefordert: „Die unmenschlichen Haftbedingungen haben Chelsea Manning an den Rand des Selbstmords getrieben. Als Strafe für ihren Versuch sollen diese nun noch verschärft werden;“ kritisiert de CCC die US-Behörden.   Mannings Haftbedingungen wurden  schon 2012 vom UN-Berichterstatter als Folter kritisiert.
Nicht auf Begnadigung durch Präsidenten verlassen
Der CCC forder wie andere Solidaritätsgruppen in aller Welt, dass der scheidende  US-Präsident   Barack Obama Manning begnadigt und so den grausamen Bedingungen ein Ende  bereitet.  „Das wäre endlich das langersehnte Zeichen für Whistleblower, auf das viele hoffen“, heißt es in der Erklärung.  Doch Solidaritätsgruppen in den USA warnen vor Illusionen in einen Gnadenakt von Obama. Sie verweisen darauf, dass es bisher  nicht gelungen ist, den nach einen juristisch äußert fragwürdigen Indizienpross, der von massiver politischer Hetze begleitet war, zu lebenslänglicher Haft verurteilten Aktivisten des American Indian Movement Leonard Peltier freizubekommen. Nachdem Peltier vor mehr als einem Jahrzehnt schwer erkrankte, konzentrierten sich die Hoffnungen vieler seiner Unterstützer_innen auf eine Begnadigung durch Präsident Clinton. Doch die ist ausgeblieben. Seitdem ist es trotz Peltiers kritischen Gesundheitszustand nicht  gelungen, die außerparlamentarische Kampagne für seine Freilassung wieder mit mehr Elan zu forcieren. Daher wollen sich viele Unterstützer_innen von Manning verstärkt darauf konzentrieren, die  Solidaritätsbewegung  für seine Freilassung sowohl in ihren eigenen Ländern als auch auf transnationaler  Ebene zu stärken.  Nur so könne  der nötige Druck erzeugt werden, damit zunächst  Mannings Haftbedingungen nicht noch weiter  verschärft werden und der Druck für seine Freilassung wächst, wird argumentiert.
Manning did the right thing
Dabei ist wichtig, Chelsea  Manning nicht in erster Linie als Opfer sondern als eine Aktivistin zu sehen, die durch die Veröffentlichung von  Dokumenten, geheim gehaltene Kriegsverbrechen der US-Armee  im Irak öffentlich  bekannt gemacht hat.  In Zeiten, in denen die Herrschenden aller Länder, auch in Deutschland Kriege wieder  in ihr politisches Kalkül einbeziehen, solle Manning  als Beispiel für einen Widerstand im Herzen der Kriegsmaschinerie gelten. Daher sollte neben ihrer Freilassung immer auch die Unterstützung für die Aktionen stehen, die sie in das Gefängnis brachten. Die Parole „Manning did the right thing“ sollte auf keiner Antikriegsaktion fehlen.

ak 620 vom 18.10.2016

https://www.akweb.de/
Peter Nowak

Die Hegemoniekrise der EU als ideeller Gesamtkapitalist

Das Gezeter um CETA sorgt in der internationalen Presse für Spott

Die chinesische Zeitung Renmin Ribao aus Peking  bringt es auf den Punkt[1]: „Sollte es der EU nicht einmal gelingen, eine kleine Region auf Linie zu bringen, dann wird das Vertrauen in deren Handlungsfähigkeit schwinden“, schreibt das Blatt einer Macht, das sich im Ringen der kapitalistischen Metropolen als Konkurrent in Stellung bringt. Die bürgerliche belgische Presse fasst die Klage über einen fehlenden „ideellen Gesamtkapitalisten“ (vgl. CETA: Wie ist es um eine europäische Widerstandskultur bestellt?[2]) so zusammen:

Das Nein der Wallonen ist ein schwerer Schlag für die Europäische Union. Erst kam der Brexit, jetzt kann Europa ein so wichtiges Abkommen nicht abschließen.HET BELANG VAN LIMBURG

HET BELANG VAN LIMBURG

Wie in der bürgerlichen Presse üblich, ist das kapitalistische Interesse gemeint, wenn hier von der Europäischen Union gesprochen wird. Aber die dahinter stehende Sorge ist echt. Mit der CETA-Krise  stellt sich für sie die Frage, ob die EU für die bessere Durchsetzung der kapitalistischen Interessen in der weltweiten Konkurrenz tauglich ist. Genau das ist aber der Zweck der EU.

Bisher war deshalb auch ein Großteil der Kapitalkreise in den europäischen Ländern überwiegend proeuropäisch. Das könnte sich ändern, wenn die EU für sie nicht effektiv ist. So könnte die CETA-Krise zum Sargnagel für die EU werden. Das ist auch Grund, warum die Verantwortlichen der EU so erbittert für CETA kämpfen.  Der Vertrag sei nicht gescheitert sondern nur vertagt, heißt es aus Brüssel[3].

Wallonien lässt sich keine Fristen setzen

Dabei hat Wallonien schon einige Erfolge errungen, in dem sich die verantwortlichen Politiker weigerten, sich den zunächst als Drohung ausgesprochenen Ultimaten zu beugen. Der EU-Ratspräsident Tusk hatte Wallonien angewiesen, bis zum Montag dem Vertrag zuzustimmen. Dieser Druck schweißte aber die CETA-Kritiker eher noch zusammen.

Wallonische Politiker erklärten, den Vertrag nicht grundsätzlich abzulehnen , sondern nur an bestimmten Punkten korrigieren zu wollen. Doch dafür brauche Wallonien Monate. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz kommt den Kritikern in der Zeitfrage entgegen, indem er Wallonen scheinbar  großzügig zugesteht, sie können sich die Zeit nehmen, die sie brauchen. Dabei versucht er aber verzweifelt den anvisierten Termin für den CETA-Abschluss am Donnerstag noch zu retten.

Doch bis zum Dienstagabend war die widerständige belgische Provinz nicht auf Linie zu bringen. So ist immer zweifelhafter, ob der Termin zu halten ist. Das schafft weitere Unruhe und sorgt für gereizte Stimmung unter den CETA-Verteidigern. So gerät vor allem Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel in die Kritik, weil er in den letzten Wochen noch persönlich nach Kanada geflogen ist, um über einige Details des Vertrags zu verhandeln.

Die Kritiker werfen Gabriel vor, damit der EU-Verhandlungsdelegation in den Rücken gefallen zu sein. Das habe andere Politiker motiviert, ebenfalls persönlich in Kanada zu verhandeln. Auch Politiker aus Wallonien gehören dazu. Schon wird in den Medien ironisch gefragt, ob bald auch der Kämmerer von Recklinghausen in Kanada verhandelt.

Hier wird die Hegemoniekrise der EU als ideeller Gesamtkapitalist besonders deutlich. Neue Vorschläge für mehr Befugnisse der EU-Gremien werden in den Raum geworfen, ohne dass klar ist, ob sie Chancen der Umsetzung haben.

Ist es der Widerstand gegen CETA eine Sache Belgiens oder Europas?

Eine weitere Argumentationsline der CETA-Verteidiger lautet, dass die EU damit eigentlich kein Problem habe, sondern dass es sich um eine innerbelgische Angelegenheit handele.  Damit wird allerdings das sowie schon fragile Verhältnis zwischen den belgischen Provinzen noch weiter destabilisiert. Doch langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass hier nicht einfach eine störrische Provinz angeblich  „ganz Europa“ in Haftung nimmt.

„Wallonien ist nicht allein“, weiß die Taz zu berichten und schreibt[4]:  „Medien und Politik fallen über die belgische Region her. Dabei teilen viele andere Gegenden diese Kritik – doch die werden erst gar nichtgefragt.“ Erinnert wird daran, dass sich in den letzten Monaten über 2.000 Städte und Gemeinden zu CETA und -TTIP-freien Zonen erklärt haben (siehe 2.087 kleine und große gallische Dörfer[5]).

Wenn die Organisatoren ihre Stimme erheben, würde deutlich, dass es sich bei der CETA-Krise nicht um eine Angelegenheit zwischen einer störrischen  belgischen Provinz und dem Rest Europas handelt. Es handelt sich vielmehr um einen Konflikt zwischen denen, die alles der Wirtschaft unterordnen wollen und denen, die diesem Gesellschaftsmodell kritisch gegenüber stehen. Bereits nach dem Wahlsieg von Syriza in Griechenland stand dieser Konflikt auf der Agenda und er wird auch nach der CETA-Krise weitergehen.

http://www.heise.de/tp/artikel/49/49814/1.html

Peter Nowak

Anhang

Links

[0]

https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:EU_Roma_Musei_Capitolini_close-up.jpg

[1]

http://www.deutschlandfunk.de/internationale-presseschau.435.de.html

[2]

https://www.heise.de/tp/artikel/49/49787/

[3]

http://www.zeit.de/wirtschaft/2016-10/belgien-ceta-regionalregierung-bruessel-ablehnung

[4]

http://www.taz.de/Streit-um-Freihandelsabkommen-Ceta/!5348275/

[5]

https://www.heise.de/tp/artikel/49/49809/

Den Streik als Kampfmittel wiederentdecken

Dietmar Lange über die transnationale Streikkonferenz in Paris und was man von Frankreich lernen kann

Das Motto der Konferenz »Von Frankreich nach Europa« spielte auf die Streik- und Protestbewegung der letzten Monate an. Was ist davon zu spüren gewesen?

Organisiert wurde die Konferenz von der französischen Basisgewerkschaft SUD-Solidaire und Teilen der »nuit debout«-Bewegung sowie der »Koordination der Prekären und der Intermittens«, die sowohl in der Streik- als auch der Platzbesetzungsbewegung sehr aktiv waren. Sie berichteten aber durchaus kritisch über die Bewegung und hoben neben den Besonderheiten, die zu der eindrucksvollen Konvergenz verschiedener Akteure in den Protesten geführt haben, auch ihre Grenzen hervor. Die Konferenz sollte dazu beitragen, die Erfahrungen über Frankreich hinaus zu verallgemeinern.

Ist das gelungen?

Das ist insofern gelungen als man mit den Aktivisten vor Ort in Kontakt treten konnte. Dabei wurde aber auch deutlich, dass die Bewegung in Frankreich vorerst vorbei ist. Dennoch sind organisierte Kerne und Zusammenhänge in den Kämpfen entstanden, die nun die transnationale Vernetzung suchen.

Spielte die aktuelle Debatte um das Freihandelsabkommen CETA auf der Konferenz eine Rolle?

Es waren Vertreter der belgischen Basisgewerkschaft CNE anwesend, die deutlich machten, dass es die Bewegung gegen die dortige Arbeitsmarktreform ist, die auch erfolgreich Druck auf die Regionalregierung der Wallonie ausübt, das Handelsabkommen abzulehnen. Dabei zeigten sie sich überzeugt, dass diese an ihrer Ablehnung festhalten wird, obwohl sie unter massivem politischen Druck von Seiten der EU-Kommission steht. Teilweise erhalten deren Vertreter sogar persönliche Drohungen.

Gab es einen roten Faden auf der Konferenz?

Das war zum einen die Unterstützung von Migrantenkämpfen als wichtiger Teil der sozialen Kämpfe. So ist Anfang Februar 2017 in Großbritannien ein 24-stündiger Migrantenstreik geplant. Schon Ende Januar soll es in London eine größere Versammlung mit internationaler Beteiligung geben. Ein weiterer Schwerpunkt ist der Kampf gegen die neoliberalen Arbeitsmarkt- und Sozialstaatsreformen, die auf Initiative der Europäischen Kommission nicht nur in Frankreich, sondern auch in vielen anderen Ländern wie Belgien, Italien und Litauen vorangetrieben werden. Diese Reformen gehen sogar noch über die Agenda 2010 hinaus und bedeuten für die Lohnabhängigen massive Verschlechterungen. So bieten sie die Möglichkeit zur 60-Stunden-Woche und Null-Stunden-Verträgen, also völlig unsicherer Arbeit auf Abruf.

Die erste transnationale Streikkonferenz fand 2015 im polnischen Poznan statt. Waren osteuropäische Delegierte auch in Paris anwesend?

Die osteuropäische Präsenz in der Plattform unterscheidet sich positiv von vielen anderen europäischen Zusammenhängen. Es waren auf der Konferenz vor allem Vertreter aus Polen und Slowenien anwesend, die das große Lohngefälle in der EU thematisierten, aber auch zeigten, dass in diesen Ländern wichtige Kämpfe stattfinden.

Waren Teilnehmer anwesend, die in der letzten Zeit Streiks geführt haben?

Es waren vor allem Beschäftigte aus dem Logistik- und Caresektor anwesend, die an Arbeitskämpfen in ihren Ländern beteiligt sind. So hatten sich bereits im Vorfeld Amazon-Beschäftigte in Deutschland, Frankreich und Polen getroffen. Aus Großbritannien waren Teilnehmer des Streiks der Juniordoctors gegen Kürzungen im Gesundheitssystem und des Streiks bei dem Essensauslieferer Deliveroo dabei. Aus Slowenien waren Unterstützer der erfolgreichen Arbeitskämpfe in der  Logistik.

Was bedeutet der Begriff »social strike«, auf den sich die transnationale Konferenz bezieht?

Es geht darum, wie Arbeitskämpfe außerhalb der klassischen Bereiche und der klassischen gewerkschaftlichen Formen geführt werden können. Und es geht darum, den Streik als politisches Kampfmittel für unterschiedliche Akteure wiederzuentdecken. Dafür ist Frankreich, wo die Streiks durch Blockaden von Prekären, Studierenden, Arbeitslosen unterstützt wurden, ein gutes Beispiel. In Zukunft soll die Plattform stärker zur transnationalen Vernetzung von Arbeitskämpfen, insbesondere im Logistiksektor, wie bei Amazon, genutzt werden.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1029956.den-streik-als-kampfmittel-wiederentdecken.html

Interview Peter Nowak

MietaktivistInnen wollen politisches Gehör finden

EINFLUSS Ein Hearing soll der künftigen Koalition Mieterforderungen näherbringen

„Neues Regieren braucht ein gutes Hearing!“, lautet das Motto eines Anfang November geplanten Workshops von Berliner Stadtteil- und MietaktivistInnen. Dort wollen sie PolitikerInnen der anvisierten Berliner Koalition aus SPD, Grünen und Linken ihre Forderungen vorlegen. Ein Rederecht haben sie dort allerdings nicht. Wohnungspolitische Initiativen haben maximal drei Minuten Zeit, ihre wichtigsten Probleme zu benennen und ihre Forderungen vorzutragen. Angestoßen wurde die Initiative von Thilo Trinks vom Bündnis Pankower Mietenprotest und Kurt Jotter, der in den 1980er Jahren in Westberlin die außerparlamentarische Politikkunstgruppe „Büro für ungewöhnliche Maßnahmen“ mitbegründet hat. Der ironische Ton ist auch im Aufruf zum Hearing zu erkennen. Man biete den PolitikerInnen ein „unwiderstehliches Hearing als öffentliche Bestandsaufnahme von Fehlern und Chancen berlinweit – hoch besinnlich wie zur Vorweihnachtszeit und inspirierend, wie es
nach einer Wahl sein muss“. An den Vorbereitungstreffen haben unter anderem VertreterInnen der Stadtteilinitiativen Kotti & Co. und Bizim Kiez teilgenommen. Das Bündnis „Zwangsräumung verhindern“ war beobachtend dabei. „Wir setzen auf außerparlamentarischen Druck und halten Abstand zu allen Parteien, würden uns aber freuen, wenn unsere Forderungen vom Senat aufgegriffen werden“, betont Bündnismitglied David Schuster gegenüber der taz. Manche MieterInnenorganisation verfolgen die Hearing-Bemühen skeptisch. „Die Initiative zeigt, wie prekär die Situation für viele MieterInnen in Berlin zurzeit ist und wie sehr sie auf eine Änderung der Politik hoffen. Ob die Forderungen dieser Menschen mit diesem Hearing umgesetzt
werden, muss ich aber außerordentlich bezweifeln“, meint Joachim Oellerich von der Berliner Mietergemeinschaft gegenüber der taz. Auch der Regisseur des Film „Mietrebellen“ und stadtpolitische Aktivist Matthias Coers, der die Hearing-Initiative begrüßt, betont im Gespräch mit der taz, sie könne nur erfolgreich sein, wenn der außerparlamentarische Druck einer starken
MieterInnenbewegung aufrecht erhalten werde. Am 31. Oktober findet um 19 Uhr im Nachbarschaftshaus in der Cuvrystaße 13 das nächste Vorbereitungstreffen des Hearings statt. Dann werden auch endgültig Termin und Ort bekannt gegeben.

Taz vom 26.1o.2016

Peter Nowak

Wohnungen auf der Cuvrybrache nicht vorgesehen

„Niemand will das! Wo sind die Wohnungen?“ und „ Niemand will das! Wo ist die Mischung?“ Plakate mit diesen Fragen sind in zurzeit in Kreuzberg zu finden. Hergestellt wurden sie von der Arbeitsgruppe Cuvry Spree der Kreuzberger Stadtteilinitiative Bizim Kiez. Seit in der letzten Woche bekannt  wurde, dass der Investor Arthur Süßkind  mit dem Bau eines Gewerbezentrums beginnen wird, hat die Stadtteilinitiative ein neues Betätigungsfeld gefunden. Schließlich gibt es seit fast 20 Jahren Streit über die Nutzung der Branche am Spreeufer. Im Frühsommer 2012 sorgte sie sogar international für Schlagzeilen, als nach Protesten das auf dem Areal geplante temporäre Guggenheim Lab einen anderen Standort musste. Während sämtliche im Abgeordnetenhaus und der BVV Kreuzberg vertretenen Parteien. einschließlich der Grünen und der Linken. den Rückzug des Guggenheim Labs bedauerten, reklamierten die Stadtteilinitiativen einen Erfolg für sich. Danach wurde die Cuvrybrache in den Medien wahlweise zur Berliner Favela oder zum Sehnsuchtsort von Aussteigern erklärt.

Wohnungsbau wurde ausdrücklich untersagt

Vergessen wurde bisher immer, dass es für das Areal seit 2001 eine Baugenehmigung für einen Architektenentwurf gibt, der sich architektonisch an der klassischen Speicherarchitektur orientiert und den Namen „Cuvry-Campus“ tragen soll. Zwei 30 Meter hohe Gebäudeflügel öffnen sich keilförmig zur Spree.  Der den von der Initiative „Media Spree versenken“ geforderte und durch im Volksbegehren mehrheitlich von der Bevölkerung unterstützte 50 Meter breite Uferstreifen zur Spree findet in dem Entwurf keine Berücksichtigung. Die Baugenehmigung wurde bereits lange vor dem Volksbegehren erteilt und ist daher nicht bindend, was für zahlreiche  Bauprojekte am Spreeufer zutrifft. Doch wesentlich gravierender ist die Nutzung des geplanten Cuvry-Campus. Dort sollen ausschließlich Gewerbeflächen wie Büros, Restaurants und ein Supermarkt aber keine Wohnungen entstehen. In dem genehmigten Entwurf sind Wohnungen für das Areal sogar ausdrücklich ausgeschlossen.  Der Berliner Senat und der Bezirk Kreuzberg versuchten in Verhandlungen mit dem Investor zu erreichen, dass doch noch ein Teil der Fläche für Wohnzwecke genutzt werden kann. Süßkind war schließlich zum Bau von 250 Wohnungen bereit. Die Verhandlungen scheiterten aber schließlich, weil Süßkind nicht bereit war, ein Viertel davon als Sozialwohnungen zu vermieten. Dann wurde es ruhig um die Brache und einige Politiker hatten bereits die Hoffnung, dass das über die Nutzung des Grundstücks ganz neu verhandelt werden könnte. Die 15 Jahre alte Baugenehmigung wär schließlich Anfang November 2016 ausgelaufen. Nun aber hat Süßkind kurz vor dem Ablaufen der Frist seine Baupläne bekannt gegeben. Der Curry-Campus soll wie in dem genehmigten Entwurf ganz ohne Wohnungen entstehen. Diese Pläne sorgen in einer Zeit für Empörung. Schließlich ist allgemein bewusst, dass in Berlin Wohnungen dringend gebraucht werden. An Büros, Restaurants und Supermärkten hingegen besteht in Berlin kein Mangel. „Wir fordern ein komplett neues Planungsverfahren. Nur damit wäre es möglich, dass doch noch Wohnungen auf dem Areal gebaut werden können“, meint Magnus Hengge von  der Initiative Bizim Kiez“.  Er hält es für unbegreiflich, dass auf dem Areal Wohnungen ausdrücklich ausgeschlossen wurden. Am 11. November will Bizim Kiez mit einem Lichterumzug zum Cuvry Areal für diese Forderung auf die Straße gehen. Dann wird sich auch zeigen, wie groß der Anteil der Menschen in Kreuzberg ist, die nicht akzeptieren wollen, dass auf der Cuyrybranche ein neues Investorenprojekt ganz ohne Wohnungen entsteht.

MieterEcho online 25.10.2016

http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/cuvry-brache.html
Peter Nowak

So geht Europa

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem der Anspruch von EU-Bürgern auf Sozialleistungen stark beschränkt werden soll.

»Immer mehr EU-Ausländer klagen bei Kommunen Sozialhilfe ein«, titelte die Rheinische Post vorige Woche. Das konservative Blatt reihte sich damit in den Alarmismus ein, den zahlreiche Medien und Politiker von Union und SPD verbreiten. Sie echauffieren sich darüber, dass EU-Bürger, die ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben, zur Bestreitung ihrer Lebenshaltungskosten Sozialhilfe beantragen, ohne vorher schon in einem Lohnarbeitsverhältnis gestanden zu haben.

Den Anspruch auf Sozialleistungen hatte das Bundessozialgericht in Kassel Ende 2015 ausdrücklich bekräftigt. Das Gericht urteilte, dass EU-Ausländer nach einem halben Jahr in Deutschland zwingend Anspruch auf Sozialhilfe haben, weil sich dann ihr Aufenthalt verfestigt habe. Die Sicherung des Existenzminimums ist ein grundgesetzlich verbrieftes Recht. Mit diesem Urteil hätte die Debatte, ob EU-Bürger das Sozialrecht missbrauchen, wenn sie in Deutschland Sozialhilfe beantragen, eigentlich beendet sein müssen. Skandalisiert werden könnte stattdessen, dass die Sozialbehörden EU-Bürgern noch immer die Sozialhilfe verweigern und sie mit ihrem Anliegen auf den Rechtsweg verweisen, denn den juristischen Beistand müssen sich die Antragsteller erst einmal leisten können. Selbst wenn Betroffene nach einem entsprechenden Urteil das Geld, das ihnen zusteht, nachträglich ausgezahlt bekommen, müssen sie erst einmal ohne Geld leben. Sie verschulden sich und müssen auch die Kündigung ihrer Wohnung fürchten, wenn sie aufgrund der verweigerten Sozialhilfe in einen Mietrückstand geraten. Angesichts dieser Praxis bräuchte man ein Gesetz, das die zuständigen Behörden verpflichtet, die Sozialhilfeanträge sofort zu bewilligen und damit das Urteil des Bundessozialgerichts umzusetzen.

Tatsächlich hat Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) in der vergangenen Woche einen Gesetzentwurf in dieser Angelegenheit vorgelegt. Doch der beinhaltet eine Entrechtung der EU-Bürger, indem er das Urteil des Bundessozialgerichts negiert. Der ­Gesetzentwurf, der bereits die Zustimmung des Bundeskabinetts fand, sieht vor, dass EU-Bürger mindestens fünf Jahre in Deutschland leben müssen, bevor sie Sozialhilfe oder Leistungen nach SGB II beantragen dürfen. Als Begründung der geplanten gesetzlichen Neuregelung diente die bei Rechtspopulisten beliebte Floskel von der »Zuwanderung in die deutschen Sozialsysteme«, die unterbunden werden müsse.

Kritik an diesen Plänen der schwarz-roten Bundesregierung kam von Politikern der Oppositionsparteien und den Gewerkschaften. Annelie Buntenbach, Mitglied des Vorstands des DGB, sagte mit dem Verweis auf eine Studie der Gewerkschaft, dass die geplante Neuregelung sowohl gegen das Grundgesetz als auch gegen EU-Recht verstoße. »Sollte der Referentenentwurf so kommen, dürfte das letzte Wort in Karlsruhe gesprochen werden«, sagte Buntenbach dem Evangelischen Pressedienst.

So erfreulich es ist, dass sich der DGB-Vorstand klar gegen die weitere Entrechtung von EU-Bürgern ausspricht, so enttäuschend ist, dass auch hier lediglich auf den Rechtsweg verwiesen wird. Schließlich müssten die Gewerkschaften auch aus eigenem ­Interesse gegen die Pläne aus dem sozialdemokratisch geführten Arbeits­ministerium opponieren. Mit der Verweigerung von staatlichen Leistungen in den ersten fünf Jahren würde eine weitere Reservearmee für den in Deutschland boomenden Niedriglohnsektor geschaffen.

Viele Menschen aus den süd- und osteuropäischen EU-Mitgliedsstaaten erhoffen sich in Deutschland ein besseres Leben. Die Wirtschaft ihrer Herkunftsländer wurde nicht zuletzt durch die von Deutschland forcierte Austeritätspolitik und die deutsche Export­orientierung geschwächt und niederkonkurriert. Angesichts ihrer prekären Situation werden diese EU-Bürger Deutschland nicht verlassen, wenn sie keine Sozialhilfe bekommen. Die Verweigerung von staatlichen Leistungen wird dazu führen, dass noch mehr Arbeitsmigranten in der Gastronomie, im Care-Sektor und andere Niedriglohnbereichen schuften. Denn dort verdienen sie oft immer noch mehr als in ihren Herkunftsländern.

Vor allem Arbeitsmigranten aus Südeuropa haben in den vergangenen Monaten damit begonnen, sich gegen die schlechten Arbeitsbedingungen in Deutschland zu wehren. Für Gruppen wie »Migrant Strikes« und »Oficina Precaria«, die in Berlin aktiv sind, geht es um den Kampf für soziale Rechte, unabhängig von der Aufenthaltsdauer. Dabei kooperieren sie mit Erwerbslosengruppen wie der Berliner Initiative »Basta«. Allerdings begreift nur eine Minderheit von Erwerbslosen die Entrechtung der Arbeitsmigranten auch als Angriff auf sich selbst. Stattdessen wird allzu oft in die Propaganda von der Einwanderung in die Sozialsysteme eingestimmt. Widerstandslos wird dabei hingenommen, dass das Bundesarbeitsministerium parallel zur Entrechtung von Arbeitsmigranten den Sank­tionskatalog gegen Hartz-IV-Empfänger ausweitet (Jungle World 20/2016). ­Solange Erwerbslose im Chor mit Kommunalpolitikern darüber klagen, dass die klammen Kassen der Kommunen durch das Urteil des Bundessozialgerichts auch Sozialleistungen für EU-Bürger bereitstellen müssen, wird sich daran nichts ändern. Was dabei verdrängt wird, ist die Frage nach den Ursachen für die Finanznot der Kommunen. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang nicht nur die sogenannte Schuldenbremse, die von der Bundes­regierung durchgesetzt wurde, sondern auch die Weigerung, wieder eine Vermögenssteuer einzuführen, wie es sie zu Zeiten der Kanzlerschaft von Helmut Kohl (CDU) noch gab. Im September protestierte das »Blockupy«-Bündnis mit einer Belagerung des Bundesarbeitsministeriums gegen die Vorenthaltung sozialer Rechte – unabhängig vom Pass der Betroffenen. Die Resonanz blieb gering.

http://jungle-world.com/artikel/2016/42/55011.html

Peter  Nowak

Kein Anruf ohne diese Nummer

Verwaltungsgericht entscheidet, dass Jobcenter keine Telefonlisten herausgeben müssen

Geklagt hatten vier Erwerbslose, darunter der Vorsitzende der Erwerbsloseninitiative Braunschweig, Sven F. Sie hatten sich auf das Informationsfreiheitsgesetz berufen. Das Gericht hatte in seiner Begründung angeführt, dass die Herausgabe der Nummern die Leistungsfähigkeit der Jobcenter gefährde. Das rechtfertige ausnahmsweise die Verweigerung der Nummern. Demnach hätten direkte Anrufe »nachteilige Auswirkungen auf die effiziente und zügige Aufgabenerfüllung der Jobcenter«. Das Urteil macht ein Zweiklassensystem bei Arbeitslosen deutlich: Anders als Langzeiterwerbslose stören Arbeitslosengeld-I-Bezieher anscheinend die Arbeit der Behörden nicht: Auf ihren Bescheiden findet sich die Rufnummer des Bearbeiters. Hartz-IV-Bezieher dagegen müssen bei einer Servicenummer anrufen und hoffen, dass ihr Anliegen weitergeleitet oder vom Callcenter-Mitarbeiter geklärt wird.

»Damit werden Erwerbslose, die eine Telefonnummer ihrer Fallmanager einfordern, zum Sicherheitsrisiko erklärt«, empört sich die Berliner Erwerbslosenaktivistin Marianne Felten. Es sei offensichtlich, dass mit viel »juristischer Verrenkung« versucht wurde, einen Grund zu finden, um Erwerbslosen die Nummern vorzuenthalten. »Einerseits verweigern die Jobcenter jede Transparenz, gleichzeitig müssen Erwerbslose alle Daten abgeben«, so Felten.

Auch beim Kläger stieß das Urteil auf Kritik: »Ohne die Herausgabe der Telefonnummern ist direkter Kontakt mit den Mitarbeitern nicht möglich. Die Servicenummern werden nun weiter zu einer Vielzahl von Missverständnissen führen, die nicht selten in unnötigen Klagen enden«.

Dirk Feiertag, einer der Klägeranwälte, bezeichnete das Urteil gegenüber »nd« als »frustrierend«. Derzeit betreue seine Kanzlei noch rund 100 ähnliche Klagen, die werde man nun alle zurückziehen müssen.

Der Kampf um transparente Telefonlisten währt lange. Der Erwerbslosenverein Tacheles hatte vor drei Jahren Listen veröffentlicht, sie nach Klagedrohungen aber entfernt. Auch die Berliner Piratenfraktion nahm veröffentlichte Nummern angesichts der Rechtslage wieder aus dem Netz.

Das Urteil wird die Diskussion nicht beenden, im Gegenteil: Die Initiative »Frag das Jobcenter« ruft dazu auf, Onlineanfragen an die Behörde zu starten und sie zur Veröffentlichung ihrer Transparenzregeln aufzufordern. »Nachdem der juristische Versuch gescheitert ist, muss der Druck auf die Jobcenter erhöht werden«, so ein Initiator. Die Richter hätten den Jobcentern nicht verboten, Daten zu veröffentlichen, sondern es ihrem Ermessen überlassen.

Geklagt hatten vier Erwerbslose, darunter der Vorsitzende der Erwerbsloseninitiative Braunschweig, Sven F. Sie hatten sich auf das Informationsfreiheitsgesetz berufen. Das Gericht hatte in seiner Begründung angeführt, dass die Herausgabe der Nummern die Leistungsfähigkeit der Jobcenter gefährde. Das rechtfertige ausnahmsweise die Verweigerung der Nummern. Demnach hätten direkte Anrufe »nachteilige Auswirkungen auf die effiziente und zügige Aufgabenerfüllung der Jobcenter«. Das Urteil macht ein Zweiklassensystem bei Arbeitslosen deutlich: Anders als Langzeiterwerbslose stören Arbeitslosengeld-I-Bezieher anscheinend die Arbeit der Behörden nicht: Auf ihren Bescheiden findet sich die Rufnummer des Bearbeiters. Hartz-IV-Bezieher dagegen müssen bei einer Servicenummer anrufen und hoffen, dass ihr Anliegen weitergeleitet oder vom Callcenter-Mitarbeiter geklärt wird.

»Damit werden Erwerbslose, die eine Telefonnummer ihrer Fallmanager einfordern, zum Sicherheitsrisiko erklärt«, empört sich die Berliner Erwerbslosenaktivistin Marianne Felten. Es sei offensichtlich, dass mit viel »juristischer Verrenkung« versucht wurde, einen Grund zu finden, um Erwerbslosen die Nummern vorzuenthalten. »Einerseits verweigern die Jobcenter jede Transparenz, gleichzeitig müssen Erwerbslose alle Daten abgeben«, so Felten.

Auch beim Kläger stieß das Urteil auf Kritik: »Ohne die Herausgabe der Telefonnummern ist direkter Kontakt mit den Mitarbeitern nicht möglich. Die Servicenummern werden nun weiter zu einer Vielzahl von Missverständnissen führen, die nicht selten in unnötigen Klagen enden«.

Dirk Feiertag, einer der Klägeranwälte, bezeichnete das Urteil gegenüber »nd« als »frustrierend«. Derzeit betreue seine Kanzlei noch rund 100 ähnliche Klagen, die werde man nun alle zurückziehen müssen.

Der Kampf um transparente Telefonlisten währt lange. Der Erwerbslosenverein Tacheles hatte vor drei Jahren Listen veröffentlicht, sie nach Klagedrohungen aber entfernt. Auch die Berliner Piratenfraktion nahm veröffentlichte Nummern angesichts der Rechtslage wieder aus dem Netz.

Das Urteil wird die Diskussion nicht beenden, im Gegenteil: Die Initiative »Frag das Jobcenter« ruft dazu auf, Onlineanfragen an die Behörde zu starten und sie zur Veröffentlichung ihrer Transparenzregeln aufzufordern. »Nachdem der juristische Versuch gescheitert ist, muss der Druck auf die Jobcenter erhöht werden«, so ein Initiator. Die Richter hätten den Jobcentern nicht verboten, Daten zu veröffentlichen, sondern es ihrem Ermessen überlassen.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1029638.kein-anruf-ohne-diese-nummer.html

Von Peter Nowak und 
Grit Gernhardt

CETA: Wie ist es um eine europäische Widerstandskultur bestellt?

Wie im letzten Jahr Griechenland so wird jetzt Wallonien unter Druck gesetzt

„Europa im Würgegriff Walloniens“, diese Floskel liest man in diesen Tagen häufig. Schließlich könnte sich die Ratifizierung des CETA-Abkommens verzögern, weil das Parlament der belgischen Provinz bisher die Zustimmung verweigert[1]. Deswegen kann Belgien auch nicht zustimmen und die geforderte Einstimmigkeit ist dahin.

Bis zum kommenden Donnerstag, dem anvisierten Ratifizierungstermin, will der EU-Parlamentspräsident Martin Schulz den Widerstand beseitigt haben. Der Sozialdemokrat könnte sich damit auch einen besseren Ausgangspunkt als möglicher SPD-Kanzlerkandidat verschaffen. Seinem Konkurrenten, dem SPD-Vorsitzenden Gabriel, wird in der FAZ nämlich Mitverantwortung dafür angelastet, dass Wallonien noch aus der Reihe tanzt.

An Deutschland ist CETA bisher nicht gescheitert. Vor dem Bundesverfassungsgericht hat Bundeswirtschaftsminister Gabriel aber kürzlich davor gewarnt. Er wies zu Recht darauf hin, dass die Kanadier sich diskriminiert fühlten. Denn in der Vergangenheit wurden alle Verhandlungspartner von der EU besser behandelt. Immerhin hat Karlsruhe die Bundesregierung ernst genommen und aus diesem Grund die Zustimmung zu CETA erlaubt.

Trotzdem trägt Gabriel eine Mitschuld an der Eskalation. Denn die Sozialdemokraten haben ihren Anteil an der Meinungsmache gegen den Freihandel. Viel zu spät haben sie sich zu CETA bekannt – und das auch nicht in überzeugender Weise, da sie zugleich weiter gegen ein ähnliches Abkommen mit den Amerikanern wetterten. Solche Vorbehalte haben sich die Wallonen zu Eigen gemacht. Hoffentlich bleibt es nicht dabei.FAZ[2]

Nun wird da Gabriel und der sozialdemokratischen Führung tatsächlich zu viel Ehre zuteil, wenn ihnen jetzt unterstellt wird, sie hätten nur halbherzig für CETA gekämpft. Dabei versuchte der SPD-Vorsitzende nämlich mit allen Mitteln, die teilweise kritische Basis auf eine Zustimmung für CETA einzustimmen.

Dass nun die FAZ unisono mit anderen wirtschaftsnahen Kreisen die europäischen CETA-Kritiker mitverantwortlich macht, dass die Ratifizierung nicht so reibungslos wie gehabt läuft, ist natürlich kurios. Denn natürlich müssen diejenigen, die in den letzten Monaten vor CETA und TTIP gewarnt haben und auf die Straße gegangen sind, erfreut darüber sein, dass zumindest ein Parlament hier ein bisschen blockiert.

Widerstand aus Wallonien und der Druck

Dass der Widerstand aus Wallonien kommt, ist kein Zufall. Es gibt dort neben der sozialdemokratischen Partei noch eine relativ starke Fraktion der Partei der Arbeit[3]. Sie war einst eine maoistische Gründung, fährt hat aber mittlerweile einen linkssozialdemokratischen Kurs[4] und hat einen gewissen Massenanhang auch unter Fabrikarbeitern.

Eigentlich müssten in vielen europäischen Ländern die CETA- Kritiker wieder auf der Straße sein und sich mit der Mehrheitsentscheidung des wallonischen Parlaments solidarisieren. Denn die belgische Provinz ist nun in der Lage, in der sich Griechenland nach dem Syriza-Wahlsieg 2015 befunden hat. Damals versuchte die linkssozialdemokratisch dominierte Regierung die von vielen Wirtschaftsexperten unterschiedlicher politischer Couleur auch ökonomisch als kontraproduktiv kritisierte Austeritätspolitik der von Deutschland dominierten EU zu verändern.

Linke Kritiker dieser Austeritätspolitik hatten nun eine Regierung als Verbündeten. Doch die Solidarität war zu schwach und die griechische Regierung knickte schließlich ein und versprach, das von ihnen weiterhin abgelehnte Austeritätsprogramm umzusetzen. Es war die Angst vor dem Ausschluss aus der Eurozone, der als Druckmittel ausreichte.

Gegen Belgien, den Sitz der EU, kann man schwerlich diese Drohung anbringen. Aber ansonsten ist der Druck gewaltig, dass sich auch das wallonische Parlament von seinen eigenen Beschlüssen distanzieren soll. Angesichts der politischen Kräfteverhältnisse ist sehr wahrscheinlich, dass dies geschieht.

Die aufgebaute Drohkulisse ist enorm und eine kanadische Regierung, die angeblich entnervt die Verhandlungen abbricht, gehört dazu. Damit soll der Druck auf die widerständige Provinz erhöht werden. Dabei hat die kanadische Regierung und deren Wirtschaft an dem CETA-Abschluss mindestens ein ebenso großes Interesse wie die relevanten Wirtschaftskreise in der EU. Eine EU, die einen solchen Vertrag nicht mehr reibungslos über die Bühne bekommt, ist für die Interessen des Kapitals dysfunktional.

Weil aber für die EU, wie für alle Staatenbündnisse im Kapitalismus, nicht hehre Menschenrechtserklärungen, sondern wirtschaftliche Interessen entscheidend sind, wäre für die EU-Verantwortlichen das Scheitern von CETA ein größerer Schlag als die Brexit-Entscheidung. Schon die Verzögerungen werden als Niederlage gesehen. Deswegen werden wieder die Pläne aus der Schublade geholt, die das demokratische Klimbim über Bord werfen wollen und den EU-Organen entscheidende Machtmittel einräumen wollen. Bisher gibt es dafür keine Mehrheiten, was sich aber schnell ändern kann.

Den europäischen Gesamtkapitalisten gibt es noch nicht

Der Ruf nach einem autoritärerem Durchregieren auf EU-Ebene wird wieder lauter und es werden auch konkrete Konzepte angesprochen, mit denen die EU-Gremien gestärkt werden sollen. Doch dabei taucht ein Problem auf: Den europäischen Gesamtkapitalisten, dessen Pläne dann die europäischen Institutionen durchsetzen, gibt es nicht.

Auch die EU-freundlichen Kapitalisten agieren noch immer als deutsche, französische etc. Gesamtkapitalisten. Das schafft massive Reibungspunkte und ist ein Teil der EU-Krise. Gerne wird die Geschichte der USA angeführt, um aufzuzeigen, dass sich länderübergreifendes Bewusstsein im Laufe der Zeit heraus bilden kann. Doch es gibt einen wichtigen Unterschied.

In den USA traten die europäischen Kolonisatoren als Schöpfer einer neuen Welt auf den Ruinen der von ihnen zerstörten indigenen Gesellschaften auf. In Europa aber ist die Geschichte der Einzelländer noch prägend und erschwert ein transnationales EU-Bewusstsein. Wie ist es aber um eine europäischen Widerstandskultur bestellt?

Diese Frage könnte mit Blick auf CETA noch interessant werden. Gelingt es in den nächsten Tagen, europaweit Solidaritätsaktionen für das Nein zu CETA aus Wallonien zu organisieren, die über Dankesbekundungen hinausgehen? So hat sich die Regionalgruppe NRW von Attac bei Wallonien bedankt[5] und die Kampagnenorganisation Compact fordert Wallonien auf, stark zu bleiben[6]. Gerade das Nein von Wallonien sei im europäischen Interesse, wird argumentiert.

Doch reicht es, einer kleinen Provinz zu danken oder sie zum Durchhalten aufzufordern, wie das im Frühjahr 2015 auch gegenüber der griechischen Regierung geschehen ist? Müsste nicht gerade in Deutschland und in anderen Ländern, die jetzt Druck auf die Wallonien ausüben, der Protest lauter werden? Hier könnte sich zeigen, ob es ein Europa von unten gibt, ein Europa des Widerstands und des Protestes.

Streit um CETA bei den Grünen

Auch die Grüne-Europaabgeordnete Ska Keller sieht im Nein von Wallonien zu CETA eine „Chance, das Abkommen zu stoppen“, wie sie im Deutschlandfunk erklärte[7]. Kellers Antwort auf die Frage zu CETA war aufschlussreich:

Rohde: Frau Keller, die Welt schüttelt fassungslos den Kopf und fragt sich, warum die EU sich nur so vorführen lässt von der kleinen Wallonie. Aber Sie freuen sich, oder? Keller: Ja klar, wir sind … ich bin sehr froh, dass es endlich doch eine Möglichkeit zu geben scheint, CETA zu stoppen.

Damit machte Keller deutlich, dass ihre Freude über die Verzögerung von CETA in ihrer Fraktion durchaus umstritten ist. Kurz danach erklärte[8] Kellers Parteikollegin Rebecca Harms, sie trete von ihrer Funktion als Co-Vorsitzende der Grünen Europafraktion auch deswegen zurück, weil dort das CETA-Abkommen nicht ohne Wenn und Aber bejaht wird:

Man kann auch die CETA-Debatte jetzt dazu nehmen. Und, also, mein Eindruck ist eben, dass es mir nicht geglückt ist, die Fraktion so bedingungslos pro Europäische Union aufzustellen, wie das in diesen Zeiten und dieser Auseinandersetzung gefragt ist. Also, selbst wenn es immer auch in jedem demokratischen System berechtigte Auseinandersetzung, berechtigte Kritik gibt, ich glaube, dass wir in einer Situation angelangt sind, in der wir alle eigentlich sehr genau wissen, dass die Europäische Union, wenn man es vergleicht mit dem Rest der Welt, einer – überhaupt der beste Platz ist für diejenigen, die demokratische Systeme schätzen.Rebecca Harms

Rebecca Harms

Rebecca Harms gehört zu den Gründungsfiguren der Grünen, die wie Joseph Fischer vom Straßenkämpfer zu Langzeitpolitiker wurden und ausgestattet mit üppigen Diäten nun die einst bekämpfte Gesellschaft zur besten aller Welten erklären.

Während Fischer sein Diplom im Straßenkampf in Frankfurt/Main machte, absolvierte Harms im Wendland in den Auseinandersetzung gegen den Atommüll ihre praktische Feldforschung. Wenn sie nun ihre eigene Fraktion kritisiert, dass die bestehende aller Welten im Besonderen und die EU im Speziellen noch immer noch nicht als die beste aller Welten betrachtet, stehen ihr viele Posten in Lobbyverbänden von CETA und EU offen.

Besondere Wertschätzung dürfte Harms bei den ukrainischen Nationalisten genießen. Schließlich ist sie doch nach den Maidan-Umsturz als Sprachrohr für die ukrainischen Nationalisten im EU-Parlament bekannt geworden[9] und hatte dabei auch keine Berührungsängste zu deren ultrarechten Flügel. Auch das sorgte bei manchen ihrer Fraktionskollegen für Irritationen.

https://www.heise.de/tp/artikel/49/49787/1.html

Peter Nowak

Anhang

Links

[0]

https://de.wikipedia.org/wiki/Comprehensive_Economic_and_Trade_Agreement#/media/File:Foodwatch,_STOP_TTIP_CETA_10.10.2015_Belin.jpg

[1]

https://www.heise.de/tp/artikel/49/49741/

[2]

http://www.faz.net/aktuell/politik/europaeische-union/kanada-bricht-ceta-verhandlungen-mit-der-eu-ab-14492373.html

[3]

http://ptb.be/

[4]

http://www.mez-berlin.de/reader/events/der-aufstieg-der-belgischen-partei-der-arbeit-pda.html

[5]

http://www.attac.de/index.php?id=394&no_cache=1&tx_ttnews%5Btt_news%5D=8945

[6]

https://business.facebook.com/campact/photos/a.422350981364.201061.82734241364/10154056849371365/?theater=&type=3

[7]

http://www.deutschlandfunk.de/freihandelsabkommen-endlich-eine-moeglichkeit-ceta-zu.694.de.html?dram:article_id=369255

[8]

http://www.deutschlandfunk.de/rueckzug-von-rebecca-harms-gruene-es-gibt-eine-zu-starke-ja.694.de.html?dram:article_id=369295

[9] http://friedensblick.de/

Wenn Erwerbslose zur Gefahr werden


„Kein Anspruch auf Informationszugang zu dienstlichen Telefonlisten von Jobcentern“ – Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts und seine mündliche Begründung ist Klassenkampf von oben

Seit Jahren kämpfen Erwerbslosenaktivisten dafür, dass die Jobcenter die dienstlichen Telefonnummern ihrer Mitarbeiter öffentlich zugänglich machen[1]. Die meisten Jobcenter lehnen das ab und verweisen auf den Datenschutz. Am 20. Oktober hat ihnen das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig Recht gegeben[2].

Geklagt hatten vier Erwerbslose, darunter der Vorsitzende der Erwerbsloseninitiative Braunschweig e.V.[3], Sven F. Sie hatten sich auf das Informationsfreiheitsgesetz berufen. Das Gericht hatte in seiner mündlichen Begründung für die Zurückweisung der Klage ausgeführt, dass die Herausgabe der Te

Das Bundesverwaltungsgericht erkannte eine „Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“, was nach dem Informationsfreiheitsgesetz ausnahmsweise die Verweigerung der Telefonnummern rechtfertige. In der Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts zum Urteil[4] heißt es:

Das Oberverwaltungsgericht Münster und der Verwaltungsgerichtshof München haben im Einklang mit den maßgeblichen Rechtsvorschriften entschieden, dass zu Lasten der Kläger der Ausschlussgrund des § 3 Nr. 2 IFG[5] eingreift. Danach besteht der Anspruch auf Informationszugang nicht, wenn das Bekanntwerden der Information die öffentliche Sicherheit gefährden kann.

Zum Schutzgut der öffentlichen Sicherheit gehören u.a. Individualrechtsgüter wie Gesundheit und Eigentum sowie die Funktionsfähigkeit und die effektive Aufgabenerledigung staatlicher Einrichtungen. Deren Gefährdung liegt vor, wenn aufgrund einer auf konkreten Tatsachen beruhenden prognostischen Bewertung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass das Bekanntwerden der Information das Schutzgut beeinträchtigt.

Von diesem rechtlichen Ausgangspunkt aus haben das Oberverwaltungsgericht Münster und der Verwaltungsgerichtshof München jeweils Tatsachen festgestellt, die zu einer solchen Gefährdung führen. Sie besteht namentlich in nachteiligen Auswirkungen auf die effiziente und zügige Aufgabenerfüllung der Jobcenter, die infolge von direkten Anrufen bei den Bediensteten eintreten können.Bundesverwaltungsgericht[6]

Hier schwingt die alte Furcht vor den Unterklassen noch immer mit, obwohl es doch nur Ansätze einer engagierten Erwerbslosenbewegung in Deutschland gibt. An der Kampagne gegen renitente Erwerbslose beteiligen sich auch die in der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi organisierten Jobcentermitarbeiter, die die Repressalien gegen renitente Erwerbslose noch verschärften wollen und es schon in der Akte dokumentieren wollen[7], wenn jemand mal lauter wird.

Auf die Idee, dass es die Ungerechtigkeiten des Hartz IV-Systems sein könnte, die manche Erwerbslose wütend macht, kommen auch die gewerkschaftlich organisierten Jobcentermitarbeiter in der Regel nicht. Daher gibt es hierzulande auch keine Fabienne Brutus, eine Jobcentermitarbeitern aus Frankreich, die erklärt hat, sie wolle Betroffene bei der Arbeitsvermittlung unterstützen, sich weigerte, zu strafen und sanktionieren, und dafür im ganzen Land Solidarität erfuhr.

In Deutschland gibt es keinen Aufschrei, wenn Erwerbslose, die eine Telefonnummer ihrer Fallmanager einfordern, zum Sicherheitsrisiko erklärt werden. „Ohne die Herausgabe der Telefonnummern ist direkter Kontakt mit den zuständigen Mitarbeitern des Jobcenters nicht möglich. Die eingerichteten Servicenummern werden nun weiterhin zu einer Vielzahl von Missverständnissen führen, die nicht selten in unnötigen Klagen enden“, bedauert Kläger Sven F. von der Erwerbsloseninitiative Braunschweig.

Hier schwingt die alte Furcht vor den Unterklassen noch immer mit, obwohl es doch nur Ansätze einer engagierten Erwerbslosenbewegung in Deutschland gibt. An der Kampagne gegen renitente Erwerbslose beteiligen sich auch die in der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi organisierten Jobcentermitarbeiter, die die Repressalien gegen renitente Erwerbslose noch verschärften wollen und es schon in der Akte dokumentieren wollen[7], wenn jemand mal lauter wird.

Auf die Idee, dass es die Ungerechtigkeiten des Hartz IV-Systems sein könnte, die manche Erwerbslose wütend macht, kommen auch die gewerkschaftlich organisierten Jobcentermitarbeiter in der Regel nicht. Daher gibt es hierzulande auch keine Fabienne Brutus, eine Jobcentermitarbeitern aus Frankreich, die erklärt hat, sie wolle Betroffene bei der Arbeitsvermittlung unterstützen, sich weigerte, zu strafen und sanktionieren, und dafür im ganzen Land Solidarität erfuhr. Hierzulande nahm die Initiative für soziale Gerechtigkeit, ISG Gera[8] den Funken auf und startete die Aktion deutsche Fabienne[9].

In Deutschland gibt es keinen Aufschrei, wenn Erwerbslose, die eine Telefonnummer ihrer Fallmanager einfordern, zum Sicherheitsrisiko erklärt werden. „Ohne die Herausgabe der Telefonnummern ist direkter Kontakt mit den zuständigen Mitarbeitern des Jobcenters nicht möglich. Die eingerichteten Servicenummern werden nun weiterhin zu einer Vielzahl von Missverständnissen führen, die nicht selten in unnötigen Klagen enden“, bedauert Kläger Sven F. von der Erwerbsloseninitiative Braunschweig.

Frag das Jobcenter

Der Kampf um die Veröffentlichung der Telefonlisten geht schon länger. Der Erwerbslosenverein Tacheles[10] war nach Klagedrohungen gezwungen, die Liste mit Telefonnummern von Jobcentermitarbeitern von seinem Internetportal zu nehmen[11]. Auch die Berliner Piratenfraktion, die daraufhin die Telefonnummern online veröffentlichte, entfernte nach Klagedrohungen angesichts der unsicheren Rechtslage die Daten wieder von ihrer Homepage.

Das Urteil aus Leipzig wird die Diskussion um mehr Transparenz der Jobcenter nicht beenden. Im Gegenteil. Die Initiative Frag das Jobcenter[12] ruft dazu auf, Onlineanfragen an die Behörde zu starten, in denen sie zur Veröffentlichung ihrer Transparenzregeln aufgefordert werden.

„Nachdem der juristische Versuch gescheitert ist, muss der Druck auf die Jobcenter erhöht werden“, meinte ein Initiator. „Schließlich haben die Leipziger Richter den Jobcentern nicht verboten, die Daten zu veröffentlichen, sondern die Entscheidung in ihr Ermessen gestellt.“

Delikt sozialwidriges Verhalten: Repressalien gegen Hartz IV-Bezieher werden verfeinert

Während Erwerbslosen die dienstlichen Nummern ihre Fallmanager verweigert wird, werden sie selbst für die Behörden „immer gläserner“. Nicht nur alle Kontodaten können vom Jobcenter eingesehen werden können. Oft werden sogar Sozialdetektive losgeschickt, die kontrollieren sollen, ob Hartz IV-Bezieher und ihre Mitbewohner eine Bedarfsgemeinschaft sind oder nicht. Zudem wird die Repressionsschraube weiter angezogen. So können die Leistungen empfindlich gekürzt werden, wenn die Behörde den Erwerbslosen sozialwidriges Verhalten vorwirft[13].

So sollen die Jobcenter Gelder sogar nachträglich zurückfordern können, wenn ein Berufskraftfahrer wegen Trunkenheit seinen Führerschein und damit auch seinen Job verloren hat. Oder wenn eine alleinerziehende Mutter nicht den Namen des Kindsvaters nennen möchte. Oder wenn Aufstocker einfach so ihren Job aufgeben und deshalb mehr Hartz-IV-Leistungen benötigen als bislang.

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis zum sozialwidrigen Verhalten auch Rauchen oder falsche Ernährung gezählt wird. Wer ein eigenes Haus besitzt, dann Leistungen nach Hartz IV beziehen muss, kann gezwungen werden, das Haus zu verkaufen. Der Erlös muss für die Deckung der Lebenshandlungskosten verwendet werden. Dabei dürfen allerdings keine Urlaubsreisen oder Luxusgüter gekauft werden.

Das könnte ebenfalls als sozialwidriges Verhalten sanktioniert werden[14]. So ist die Verheimlichung der Dienstnummern der Jobcenterangestellten nur ein weiterer Baustein einer systematischen Entrechtung von Erwerbslosen unter Hartz IV. Mit der Verweigerung der Telefonnummer wird ihnen deutlich gemacht, dass sie keine gleichberechtigen Gesprächs- und Verhandlungspartner sind, sondern gefährliche Klassen, die man im Zweifel ausgesperrt lässt.

Peter Nowak

http://www.heise.de/tp/artikel/49/49774/1.html

Anhang

Links

[0]

https://de.wikipedia.org/wiki/Bundesverwaltungsgericht_(Deutschland)#/media/File:Reichsgerichtsgebauede_-_frontal.jpg

[1]

https://www.heise.de/tp/news/Wann-duerfen-Telefonnummern-von-Jobcenter-Mitarbeitern-veroeffentlicht-werden-2553191.html

[2]

http://www.bverwg.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilung.php?jahr=2016&nr=86

[3]

http://www.hartz4-im-netz.de/PagEd-index-index-page_id-56.html

[4]

http://www.bverwg.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilung.php?jahr=2016&nr=86

[5]

https://dejure.org/gesetze/IFG/3.html

[6]

http://www.bverwg.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilung.php?jahr=2016&nr=86&PageSpeed=noscript

[7]

https://publik.verdi.de/2016/ausgabe-04/gewerkschaft/gewerkschaft/seiten-4-5/A2

[8]

http://www.isg-gera.de/

[9]

http://www.isg-gera.de/index.php?action=fabienne

[10]

http://tacheles-sozialhilfe.de/startseite

[11]

https://www.heise.de/tp/news/Telefonlisten-der-Jobcenter-sollen-geheim-bleiben-2102729.html

[12]

http://blog.fragdenstaat.de/2016/fragdasjobcenter

[13]

http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/hartz-iv-so-hart-koennen-hartz-iv-empfaenger-nun-bestraft-werden-a-1110686.html

[14]

http://www.rp-online.de/wirtschaft/bundessozialgericht-hartz-iv-empfaenger-muessen-zu-grosses-haus-verkaufen-aid-1.6323254

Initiativen von Mietern wollen sich einbringen

Aktivisten mischen sich in Koalitionsgespräche ein

Nach öffentlicher Anhörung sollen Forderungen an den neuen rot-rot-grünen Senat übermittelt werden.

Die Koalitionsgespräche des geplanten rot-rot-grünen Senats in Berlin laufen hinter verschlossenen Türen ab. Doch Aktivisten der Berliner Mieterbewegung wollen sich einmischen und die Verhandlungspartner mit ihren Forderungen konfrontieren. Unter dem Motto »›Neues Regieren‹ braucht ein gutes Hearing!« wollen sie unterschiedliche Mieterinitiativen an einen Tisch bringen. Zu den Organisatoren des Vorhabens gehören Thilo Trinks vom Bündnis »Pankower Mieterprotest« und Kurt Jotter, der in den 1980er Jahren in Westberlin die außerparlamentarische Politikkulturgruppe »Büro für ungewöhnliche Maßnahmen« mitbegründete.

»Mit einem selbstorganisierten Hearing wollen wir Politikern und den Medien unsere Forderungen direkt vortragen«, sagt Jotter. Es gehe ihm dabei nicht nur um eine einmalige Veranstaltung, sondern um einen berlinweiten Zusammenschluss von Mietern. Damit sei es möglich, die Politik des neuen Senats besser zu kontrollieren. An der Initiative beteiligen sich bisher die Kreuzberger Stadtteilinitiativen »Kotti & Co« und »Bizim Kiez«. Das Bündnis »Zwangsräumungen verhindern« nimmt mit beobachtenden Status teil. »Wir setzen auf außerparlamentarischen Druck und halten Abstand zu allen Parteien, würden uns aber freuen, wenn unsere Forderungen vom Senat aufgegriffen werden«, sagt David Schuster vom Bündnis. Auch der Regisseur des Films »Mietrebellen« und stadtpolitische Aktivist Matthias Coers verweist darauf, dass das Hearing nur erfolgreich sein kann, wenn der außerparlamentarische Druck aufrechterhalten wird. In Barcelona sei seit zwei Jahren eine langjährige Aktivistin der Bewegung gegen Zwangsräumungen Bürgermeisterin: Ada Colau werde bei ihrer Arbeit von einem Großteil der dortigen Aktivisten weiter kritisch begleitet, so Coers.

»Es wäre ein Signal über Berlin hinaus, wenn die Forderung nach einem Zwangsräumungsmoratorium während der Wintermonate auf der Agenda einen zentralen Stellenwert bekommen würde«, sagt Coers. Wer mit offenen Augen durch Berlin gehe und auch bei sinkenden Temperaturen sehe, wie in allen Stadtteilen Menschen draußen übernachten müssen, kenne die Dringlichkeit eines Zwangsräumungsstopps. Auch darüber dürfte beim nächsten Treffen für das Hearing gesprochen werden.

neues deutschland, Berlin-Ausgabe,vom Samstag, dem 22.10.2016

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1029621.initiativen-von-mietern-wollen-sich-einbringen.html
Von Peter Nowak

Können die Wahlen in den USA manipuliert werden?

Der US-Wahlkampf, Verschwörungstheorien und Wahlgerechtigkeit

Die Überdosis Trump, welche in Deutschland täglich über den USA-Wahlkampf verbreitet wird,  wird noch erhöht, je näher der Wahltermin rückt. Die Bitte von klugen Menschen, doch bis zum Wahltermin nicht jede neue Volte im US-Wahlkampf hinauszuposaunen und rauf und runter zu kommentieren, verhallte erwartungsgemäß ungehört.

Nun soll sich Trump zum wiederholten Mal endgültig ins Aus katapultiert[1] haben, indem er im Duell mit seiner Konkurrentin Clinton anzweifelte, ob die Wahlen in den USA wirklich fair und demokratisch verlaufen (Trump behält sich Anfechtung des Wahlergebnisses vor[2]). Trump hat aber keineswegs erklärt, die Wahlen „vielleicht nicht anerkennen zu wollen“[3], was ja die Frage aufwirft, unter welchen Bedingungen. Doch die wird gar nicht erst gestellt.

Vielmehr sollen diese Äußerungen einmal mehr bestätigen, welch übler Verschwörungstheoretiker Trump ist, der sich jetzt sogar am Allerheiligsten des westlichen Wertealtars, den Wahlen in den USA vergreift.

Dass Clinton mit der Aussage, Trump sei eine Marionette von Putin mindestens genau so kräftig ins Repertoire der Verschwörungstheorien gegriffen hat, wurde in der Berichterstattung, wenn überhaupt, nur am Rande vermerkt.

Gab es in den letzten Jahrzehnten Anhaltspunkte für Wahlmanipulationen in den USA?

Niemand machte sich aber die Mühe, die Behauptung hinter Trumps Aussage zu prüfen. Dabei soll hier die Zerschlagung der Black Panther Party durch die US-Geheimdienste unberücksichtigt bleiben, die gerade mit ihrer Mischung aus kalkulierter Militanz, Stadtteil- und Sozialprogrammen in der Schwarzen Community und einer pragmatischen Bündnispolitik auch mit weißen Linken zur Gefahr für die kapitalistische Gesellschaft in den USA hätte entwickeln können.

Bleiben wir doch im Jahr 2000, als der Kandidat der Demokraten Al Gore die Wahlen gewonnen hätte[4], aber nie regieren durfte[5].

Dafür sorgte ein Wahlcomputer im Bundesstaat Florida[6]. Dieser Wahlzirkus hat in den USA und darüber hinaus große Aufmerksamkeit erregt. Haben das knapp 15 Jahre später wirklich alle vergessen, die jetzt unisono behaupten, wer behauptet, die US-Wahlen könnten manipuliert sein, kann nur Verschwörungstheoretiker sein?

Wahlbeobachter für die USA?

Ist auch schon vergessen, dass die OSZE Wahlbeobachter in die USA schicken wollte, weil der Ausschluss von Teilen der Bevölkerung zugenommen hatte[7]. Der Grund lag in einem Lichtbildausweis, der nun für die Teilnahme an den Wahlen verlangt wurde. Die Korrespondentin der Süddeutschen beschrieb die Folgen, die eine Studie[8] in den USA festhielt:

Das Problem: Jeder zehnte Amerikaner besitzt keinen Lichtbildausweis. Besonders sozial Schwache, Einwanderer und alte Menschen verfügen oft nicht über die benötigten Papiere und auch nicht über ausreichend Informationen, Mobilität und Geld, um sich diese zu beschaffen.SZ

Unterklassen von den Wahlen ausgeschlossen

Doch es gibt noch eine Manipulation der Wahlen, die im System selber liegt. Millionen aus der Unterklasse sind von den Wahlen ausgeschlossen, weil sie entweder keine gültigen Papiere haben oder inhaftiert sind, wie der US-Journalist Mumia Abu Jamal, der für einen Polizistenmord, den er mutmaßlich nicht begangen hat, zum Tode verurteilt wurde.

Eine internationale Solidaritätskampagne konnte ihm den elektrischen Stuhl ersparen, nicht aber die lebenslange Haftstrafe, zu der sein Todesurteil umgewandelt wurde, und die systematische Nichtbehandlung seiner Hepatitis C. Auch im Gefängnis ist Mumia Abu Jamal ein unerbittlicher Kritiker der US-Gesellschaft geblieben. Besonders geht er mit dem gefängnisindustriellen Komplex in seinem Land  ins Gericht[9].

Im internationalen Vergleich leben in den USA nur etwa fünf Prozent der Weltbevölkerung, aber von allen Gefängnisinsassen der Welt befinden sich 24 Prozent in den USA hinter Gittern. Nahezu einer von hundert US-Bürgern sitzt in der Zelle eines Untersuchungs- oder Strafgefängnisses oder im Todestrakt. Zu Beginn des Jahres 2008 waren 2,3 Millionen Männer und Frauen eingesperrt. Kein anderes Land hat so viele Gefangene.Mumia Abu Jamal

Mumia Abu Jamal

Er benennt auch die Folgen für das Wahlsystem:

Die meisten Gefängnisse liegen in den USA in abgeschiedenen ländlichen und zumeist von Weißen bewohnten Gebieten. Diese kleinen weißen Gemeinden profitieren von den vorwiegend nichtweißen Gefangenen, weil diese dort amtlich gemeldet sind. In ihren Heimatstädten jedoch fehlen sie, was zur Reduzierung der an der Einwohnerzahl orientierten Ausschüttung von Bundesmitteln an die kommunalen Haushalte führt. Auf diese Weise werden die Ghettos nicht nur Schritt für Schritt entvölkert und praktisch ganze Gesellschaftsgruppen in Gefängnisse gesteckt, sondern ihnen werden auch die Etatmittel entzogen, die so dringend gebraucht würden, um das weitere soziale Abdriften kompletter Stadtteile zu verhindern.

Dramatisch sind die Folgen der Aberkennung des Wahlrechts für Inhaftierte und Vorbestrafte, weil Millionen von Menschen davon ausgeschlossen werden, sich auf der parlamentarischen Ebene für eine Veränderung ihrer Lebensverhältnisse einzusetzen. Konkret sah das beispielsweise bei der Präsidentschaftswahl des Jahres 2000 so aus, dass George W. Bush das von seinem Bruder Jeb regierte Florida mit weniger als 500 Stimmen Vorsprung vor seinem Kontrahenten Al Gore gewann. Allein 50.000 Vorbestrafte waren in Florida von der Wahl ausgeschlossen, und da die meisten von ihnen Afroamerikaner waren, kann mit Fug und Recht behauptet werden, dass sie mehrheitlich für die Demokratische Partei gestimmt hätten.Mumia Abu Jamal

Mumia Abu Jamal

Für die kommende Wahl kann das nicht mehr so uneingeschränkt behauptet werden. Gerade Mumia hat sich in den letzten Wochen mehrmals mit dem Programm von Clinton auseinandergesetzt[10] und erklärt, dass es für ihn nicht einmal das kleinere Übel ist. Mit dieser Begründung rief kürzlich die bekannte US-Bürgerrechtlerin Angela Davis[11] zur Wahl der Demokratin auf[12].

Die Diskussion um die Manipulierbarkeit der Wahlen in den USA zeigt wieder mal, wie recht die Clinton-Kritiker haben. Wenn Trump von einer möglichen Manipulation der Wahlen redet, meint er allerdings die von ihm und Seinesgleichen herbeiphantasierte Hegemonie einer linksliberalen Öffentlichkeit, die sogar in die Wahlen eingreift. Das ist tatsächlich Ausbund eines reaktionären Ressentiments.

Doch statt diese Behauptungen nur empört zurückzuweisen und sich als Verteidiger einer angeblich unmanipulierbaren US-Demokratie aufzuspielen, müssten die Trump-Kritiker daran erinnern, dass es Trump und seine politischen Gesinnungsfreunde sind, die Millionen Menschen an der Wahlteilnahme hindern, und dass es die Republikaner unter Bush waren, die im Jahr 2000 den Demokraten den Wahlsieg unter dubiösen Umständen genommen haben. Von Clinton sind solche Äußerungen nicht zu erwarten, ob sie von Sanders gekommen wären, ist unsicher.

http://www.heise.de/tp/artikel/49/49758/1.html

Peter Nowak

Anhang

Links

[1]

http://www.deutschlandfunk.de/letztes-tv-duell-im-us-wahlkampf-trump-will-wahlergebnis.1818.de.html?dram:article_id=369021

[2]

https://www.heise.de/tp/artikel/49/49745/

[3]

http://www.deutschlandfunk.de/letztes-tv-duell-im-us-wahlkampf-trump-will-wahlergebnis.1818.de.html?dram:article_id=369021

[4]

https://www.heise.de/tp/artikel/0/0/

[5]

http://www.spiegel.de/politik/ausland/us-wahl-abstimmungs-chaos-in-florida-a-101896.html

[6]

http://www.spiegel.de/politik/ausland/us-wahl-abstimmungs-chaos-in-florida-a-101896.html

[7]

http://www.sueddeutsche.de/politik/debatte-um-wahlbeobachtung-in-den-usa-waehler-ausgeschlossen

[8]

http://b.3cdn.net/advancement/18ff5be68ab53f752b_0tm6yjgsj.pdf

[9]

http://www.freedom-now.de/news/artikel641.html

[10]

http://www.prisonradio.org/media/audio/mumia/clinton-show-353-mumia-abu-jamal

[11]

http://www.biography.com/people/angela-davis-9267589

[12]

http://www.theroot.com/articles/politics/2016/09/angela-davis-hillary-clinton

Aufschub für Neuköllner Kiezladen

Gerichtsverhandlung endet mit Vergleich: Nun wollen Nutzer des Kiezladens F54 in der Friedelstraße diskutieren, wie sie mit der Entscheidung umgehen.

Bis Ende März muss der Kiezladen F54 in der Neuköllner Friedelstraße 54 keine Räumung befürchten. Das sieht ein Vergleich vor, den das Amtsgericht Neukölln am Donnerstag im Räumungsprozess gegen den Laden vorgeschlagen hat. Die AnwältInnen des luxemburgischen Eigentümers Pinehall s.a.r.l. und des Vereins der LadenbetreiberInnen Akazie haben ihm bereits zugestimmt.

Allerdings kann der Vergleich innerhalb von 14 Tagen widerrufen werden. „Dann verkündet das Gericht das Urteil, und das wäre bei einem Gewerbemietvertrag die sofortige Räumung“, sagte der Berliner Rechtsanwalt Benjamin Hersch, der den Verein vertritt, der taz. Dass die Pinehall s.a.r.l. nicht einmal einen Briefkasten besitze und auch noch nicht als Eigentümerin der Friedelstraße 54 im Grundbuch eingetragen sei, sei kein Hinderungsgrund für eine Räumung, betonte der Jurist. Die Firma habe sich die Räumungstitel gegen den Laden vom Vorbesitzer Citec übertragen lassen.

„Wir werden intensiv diskutieren, wie wir mit dem Vergleich umgehen“, erklärt Vereinsmitglied Martin Sander. Doch selbst wenn die mehr als 15 Initiativen und zahlreichen Einzelpersonen, die den Nachbarschaftsladen betreiben, dem Vergleich zustimmen, ist für Sander die Zwangsräumung nur aufgeschoben. „Über eine Räumung wird nicht in den Gerichtssälen, sondern in den Stadtteilen entschieden“, gibt er sich selbstbewusst.

Sander verweist darauf, dass in der Vergangenheit solidarische NachbarInnen Räumungen verhindert hatten. Etwa 60 UnterstützerInnen hatten sich auch am Donnerstagmorgen vor dem Amtsgericht für Kiezladen demonstriert. Darunter war auch Hans Georg Lindenau, dessen „Gemischtwaren mit Revolutionsbedarf M99“ in Kreuzberg ebenfalls räumungsbedroht ist. Lindenau verwies darauf, dass auch ihm weiter die kalte Vertreibung drohe, weil ihm von Eigentümer verbiete, eine Gastherme zum Heizen im Laden anzubringen.

„Die Unterstützung an einen regnerischen Herbstmorgen unter der Woche hat uns Mut gemacht“, sagte Sander. Auf einem UnterstützerInnentreffen am 25. Oktober soll über weitere Aktionen beraten. Im Mittelpunkt steht die für den 19. November geplante Kiezdemo. „Wir müssen wieder die Eigentumsfrage stellen. Es kann nicht sein, dass Firmen, die nicht einmal einen Briefkasten haben, entscheiden, wo wir leben“, so Sander.

https://www.taz.de/Raeumung-nicht-vor-Ende-Maerz/!5347535/

Peter Nowak

Die Räumung droht

NEUKÖLLN Heute wird die Klage gegen den Kiezladen in der Friedelstraße 54 verhandelt. Proteste vor Gericht angekündigt

Für den Kiezladen F54 wird es am Donnerstagmorgen ernst: Vor dem Amtsgericht Neukölln beginnt der Räumungsprozess
gegen den Stadtteilladen in der Friedelstraße. Klägerin ist die luxemburgische Immobilienfirma „Pinehill s.a.r.l., seit Sommer
Eigentümerin des Mietshauses. „Mit einem rechtskräftigen Räumungstitel könnte schon in drei Wochen eine Gerichtsvollzieherin vor unserer Tür stehen“, lautet die Befürchtung von Martin Sanders vom Verein Akazie gegenüber der taz.
Er moniert auch, dass das Gericht an dem Termin für das Gerichtsverfahren festgehalten hat, obwohl der Anwalt der MieterInnen einen anderen Termin hat und vergeblich um eine Verschiebung bat. „Aber dem Gericht geht die Verdrängung in
Neukölln offenbar nicht schnell genug“, kommentiert eine Nachbarin das Festhalten am Prozesstermin. Sie weist darauf hin, dass es nicht nur um den Laden, sondern um die Zukunft des gesamten Hausprojekts geht. Vorerst sei zwar nur der Kiezladen
von einer Räumung bedroht, weil ein Gewerbemietvertrag leichter zu kündigen ist. Doch die Räumungsklage sei auch ein Angriff auf die anderen MieterInnen. Schließlich haben die HausbewohnerInnen gemeinsam mit den LadenbetreiberInnen
seit mehr als einen Jahr gegen die drohende Verdrängung aus dem Stadtteil gekämpft. Damals hatte die Wiener Immobilienfirma Citec das Haus gekauft hatte. Die Hausgemeinschaft der Friedelstraße 54 vernetzte sich daraufhin mit anderen

von Räumung bedrohten MieterInnen und rief ein Treffen der BewohnerInnen der Citec-Häuser in Berlin ein. Und sie beschloss, das Haus selbst kaufen zu wollen. Mitte März fuhr deswegen eine Delegation der LadenbetreiberInnen und UnterstützerInnen nach Wien, um dem Citec-Vorstand das Kaufangebot persönlich zu überreichen. Der weite Weg schien sich gelohnt zu haben. Wenige Wochen später begannen, moderiert von der Neuköllner Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD), am runden Tisch die Verhandlungen zwischen der Citec und den BewohnerInnen. Die dann allerdings abrupt scheiterten: Im
August kam die überraschende Nachricht, dass das Haus mittlerweile an den luxemburgischen Investor verkauft worden war. „Die Pinehill s.a.r.l. setzt nun mit der Räumungsklage gegen den Nachbarschaftsladen die Verdrängungspolitik der Citec fort“, sagt ein Nachbar. Vor der Gerichtsverhandlung soll gegen die drohende Verdrängung demonstriert werden. „Laut gegen den Räumungsprozess des Kiezladens F54“ lautet das Motto der Kundgebung, zu der mehrere Stadtteilinitiativen ab 8.30 Uhr vor dem Amtsgericht in der Karl Marx-Straße 77/78 aufrufen.

Kiezdemo angekündigt

Zudem findet am 25. Oktober im Laden ein UnterstützerInnentreffen statt. Dort wird auch darüber beraten, wie auf eine drohende Zwangsräumung reagiert werden soll. Für Samstag, den 19. November, ist zudem eine „Kiezdemo“ gegen Gentrifizierung angekündigt. An der sich wohl nicht nur Initiativen aus Neukölln beteiligten dürften: So ist zum Beispiel die Räumung des Kreuzberger Szenegeschäfts Gemischtwarenladen mit Revolutionsbedarf M99 trotz eines vor Kurzem vom Gericht verordneten Aufschubs längst noch nicht vom Tisch. Die Räumung droht
NEUKÖLLN Heute wird die Klage gegen den Kiezladen in der

aus Taz vom 20.10.2016

http://www.taz.de/!5347451/

Peter Nowak

Welche Chancen haben Sondierungen links von der Union?

Vor allem bei der Linken fördern sie den internen Streit und den Kampf um eigene Pfründe

R2G – muss man sich dieses Politkürzel wirklich merken, das mit schreienden Farben einen Weg in eine linke Zukunft ankündigt? Nun gibt es seit Jahren einige Bundestagsabgeordnete von SPD, Grünen und Linken, die Kooperationsmodelle diskutieren, die in der Praxis aber schnell in der Schublade verschwanden. Wo, wie in Hessen, ein solches Kooperationsmodell mit zumindest etwas reformerischem Anspruch versucht wurde, stellte sich die SPD-Rechte quer.

Doch am Abend des 18. Oktober fanden die Kooperationsgespräche auf einer höheren Ebene statt. Es waren nicht mehr einige Parteilinke, die sich da trafen. Knapp 100  Bundestagsabgeordnete fanden sich zum „Schnupper- und Kennenlernabend“ zusammen, wie das Treffen schnell  bezeichnet wurde. Zum Kennenlernen und Beschnuppern hatten die Bundestagsabgeordneten sicher schon andere Gelegenheiten.

Es ging am Dienstagabend schon darum, auszuloten, ob die vielzitierte Mehrheit links von der Union tatsächlich zur Regierungsbildung genutzt werden könnte. Vor allem in der SPD muss das Interesse groß sein, eine solche Option zumindest in der Hinterhand zu haben. So können die Sozialdemokraten ihrem aktuellen Koalitionspartner deutlich machen, dass es auch Grenzen der sozialdemokratischen Leidensbereitschaft gibt.

Allerdings müsste die SPD das erst intern ausdiskutieren. Und dann besteht noch die Gefahr, dass eine zurzeit noch im Bundestag vorhandene rechnerische Mehrheit der Parteien links von der Union nach Neuwahlen und einem Einzug der AfD in den Bundestag nicht mehr bestehen könnte. Ob die Propagierung einer linken Reformkoalition Wählerstimmen bringen würde, ist gar nicht klar.

Es gibt auch Beobachter, die befürchten, ein solcher Lagerwahlkampf könnte den Rechten eher nutzen. Zudem gibt es mannigfache Hindernisse für ein solches Bündnis auf Bundesebene. Die größte Schwierigkeit für R2G ist zweifellos, dass ein einflussreicher Flügel der Grünen eher ein Bündnis mit der Union als mit den Linken anvisiert und große Teile der SPD schon deshalb eine Aversion vor einem Bündnis mit der Linken haben, weil die sie doch zu stark an die SPD der 1970er Jahre erinnert.

Unionspolitiker alarmiert

Wenn es sich bei dem Treffen am Dienstagabend also keineswegs um vorgezogene Koalitionsgespräche handelt, reagierten Politiker der Union äußerst ungehalten, vor allem als bekannt wurde, dass auch SPD-Chef Gabriel zu Beginn der Gesprächsrunde anwesend war. Das Signal ist deutlich und es ist auch angekommen.

Das Treffen hatte den Segen der SPD-Spitze. Für Gabriel ist diese Strategie überlebensnotwendig. Schließlich wird er nur noch als Kanzlerkandidat gehandelt, weil kein anderer SPD-Spitzenpolitiker für einen aussichtslosen Kampf antreten will. Seit einigen Wochen taucht aber mit dem EU-Parlamentspräsident Martin Schulz ein Konkurrent auf, der unter Umständen bereit zur Kandidatur wäre.

Dass er als Wirtschaftsminister nicht einmal die Zerschlagung der Tengelmann-Kette verhindern kann und bei seinem Besuch in Iran von wichtigen Vertretern des islamistischen Regimes nicht empfangen wurde, sind Schwächezeichen von Gabriel, die sich ein Kanzlerkandidat im bürgerlichen Politikbetrieb eigentlich nicht leisten kann. Dass Gabriel sich die Option eines Bündnisses links von der Union offenhält, ist seit Monaten bekannt[1].

Davon zeugte auch sein Versuch, mit Margot Käßmann eine Bundespräsidentenkandidatin aufzubieten, die bei den drei Parteien wohl auf Zustimmung gestoßen wäre. Doch auch hier ist er krachend gescheitert. Nachdem die Personalie in der Öffentlichkeit gehandelt wurde, war klar, dass es ein geplatzter Versuchsballon war.

Es könnte allerdings sein, dass er noch einen Namen in der Hinterhand hat und die Tatsache, dass Gesine Schwan[2] als mögliche Kandidatin kaum genannt wird, könnte darauf hindeuten, dass es den Beteiligten tatsächlich ernst damit ist. Schließlich war sie bereits einmal Kandidatin der SPD und dürfte mit ihrer Kritik an dem von Deutschland ausgehenden Austeritätsdiktat[3] gegenüber Griechenland auch für die Linke akzeptabel sein.

Sollte aber Käßmann tatsächlich die einzige Option einer Bundespräsidentenkandidaten links von der Union gewesen sein, dann kann sich die Union beruhigt zurücklehnen.

Streit in der Linken um Kandidatur

Sollte es RG2 nicht einmal gelingen, mit ihrer noch vorhandenen Mehrheit in der Bundesversammlung eine eigene Kandidatin durchzusetzen, braucht über weitere Pläne gar nicht erst geredet zu werden. Schließlich handelt es sich hier um einen repräsentativen Posten. Wenn die drei Reformparteien aber die Bundesregierung bilden, müsste erst die Linke in Fragen Hartz- IV, Nato und EU auf Linie gebracht werden.

Dabei ist es nun so, dass die im Kern sozialdemokratische Linke damit keine große Probleme hätte. In Thüringen stellt sie den Ministerpräsidenten, der sich von seinen grünen Kollegen aus Baden Württemberg nur insofern abhebt, als es Bodo Ramelow besser als Winfried Kretschmann gelingt, die kleine außerparlamentarische Bewegung zu integrieren.

In Berlin ist die Linke in die Koalitionsverhandlungen für den Senat ohne klare Haltelinien gegangen. Das heißt, es gibt letztlich keinen Punkt, wo die Linke sagt, sie bleibt lieber in der Opposition, als dafür die Zustimmung zu geben. Diese bedingungslose Koalitionsbereitschaft erfolgt, obwohl die Linke bereits mit der Mitverwaltung einer wirtschaftsliberalen Politik Erfahrungen gemacht hat. Innerhalb der Linken ist der Kurs des Mitregierens kaum umstritten.

Allerdings gibt es Differenzen in Nuancen. Dabei gilt Sahra Wagenknecht als eine Politikerin, an der eine Regierungsbeteiligung nicht scheitern wird, die aber nicht bedingungslos dazu bereit ist. Sie nennt noch klare Haltelinien sowohl in der Sozial- als auch in der Außenpolitik. Sie vertritt damit Positionen, die in der SPD noch in den 1990er Jahren mehrheitsfähig waren. Aber die SPD will davon heute nichts mehr wissen.

Daher wird Wagenknecht in der Öffentlichkeit als Gefahr für RG2 aufgebaut. Ihr Einfluss im künftigen Parlament soll daher möglichst beschnitten werden. Das ist auch der Hintergrund des seltsamen Streits in der Linkspartei über die Spitzenkandidatur für die nächste Bundestagswahl. Seltsam ist die Auseinandersetzung deshalb, weil nun Front gemacht wird, gegen eine gemeinsame Kandidatur des Realos Bartsch und der als Linke firmierende Wagenknecht.

Nur hätte eine gemeinsame Kandidatur dieses Duos noch vor zwei Jahren als Zeichen dafür gegolten, dass die Linke den Flügelstreit überwunden hat. Damals wurde die gemeinsame Kandidatur für die Fraktionsspitze von Bartsch und Wagenknecht als letzte Notlösung bezeichnet und es fehlten nicht die Prognosen, dass sie nicht lange halten würden.

Der Angriff der Koalos

Nun scheinen die beiden ein sachliches Arbeitsverhältnis entwickelt zu haben und prompt kommt erneut heftige Kritik. Es ist der Angriff der Koalos, die eben für alle Fälle vorsorgen wollten, dass RG2 tatsächlich zustande kommt. Dann springen dabei auch einige Minister- und Staatssekretärsposten heraus. Dann ist es natürlich nicht irrelevant, wer und wie viele Spitzenkandidaten eine Partei hat. Die gelten dann für solche Posten als zentrale Anwärter.

Bliebe die Linke in der Opposition, wäre die Frage einer Spitzenkandidatur dagegen eher irrelevant. Schließlich könnte gegen die Kandidatur von Katja Kipping und Bernd Riexinger eingewandt werden, dass die Trennung zwischen Parteiämtern und Mandaten eine Regelung der Grünen war, die sie mit ihrer Einpassung ins System schnell über Bord warfen. Wenn es darum ginge, die parlamentarische Arbeit von Bartsch und Wagenknecht zu kontrollieren, müsste das Spitzenduo der Partei gerade auf Parlamentssitze verzichten.

In den 1980er Jahren zeigte die linke Parteiführung um Jutta Ditfurth bei den Grünen, dass eine solche Kontrolle zumindest partiell möglich ist. Der Run auf die Bundestagsmandate hingegen macht nur Sinn, wenn sich hier Koalos aller Richtungen ihre Pfründe sichern wollen. Dass dabei inner- und außerhalb der Partei mit harten Bandagen gekämpft wird, zeigt sich an der politischen Einordnung von Wagenknecht, der AfD-nähe vorgeworfen wird.

Wenn diese Kritik aus einer außerparlamentarischen Linken kommt, die generell für offene Grenzen eintritt und jegliche Abschiebungen von Migranten ablehnt, ist diese Kritik nachvollziehbar. Wenn sie aber von Sozialdemokraten, Grünen oder Kommentatoren des Deutschlandfunks kommt, ist sie nur billige Polemik.

So lautete eine Frage des Deutschlandfunk-Redakteurs Christoph Heinemann an den Politikwissenschaftler Jürgen Falter[4]:

Sie haben auf die Unterschiede hingewiesen. Die Linke ist in Teilen antisemitisch, sagt Gregor Gysi unter anderem, Sara Wagenknecht steht in ihrer Migrationspolitik der AfD nahe, Die Linke auch in ihrer Sympathie für Putin. Können sich Sozialdemokraten, können sich die Grünen auf einen solchen Partner einlassen?Christoph Heinemann

Christoph Heinemann

Politiker und Journalisten, die durchaus nicht generell gegen Abschiebungen sind und sie auch verteidigen, machen den Eindruck, als bewege sich Wagenknecht in dem Augenblick auf AfD-Positionen, wenn sie sagt, offene Grenzen sind eine Utopie für eine andere Gesellschaft.

Tatsächlich bewegt sich Wagenknecht mit diesen Positionen auf den Pfaden von Grünen und SPD, also in der berühmt-berüchtigten Mitte der Gesellschaft. Diese Mitte aber bewegt sich insgesamt nach rechts und in diesem Sinne könnte man dann auch Wagenknecht vorwerfen, sie bewege sich mit ihr auf die AfD zu.

Doch die aktuelle Diskussion hat dann zur Folge, dass Wagenknecht in der Flüchtlingsfrage in AfD- Nähe gerückt wird, obwohl sie bisher im Bundestag die Einschränkungen und Verschärfungen der Asylgesetzte abgelehnt hat. Ein Winfried Kretschmann, der im Bundesrat einem Teil der zustimmungspflichtigen Regelung die Zustimmung gab, wird innerparteilich auch kritisiert, eine AfD-Nähe wird ihm aber kaum unterstellt.  Schließlich ist er ausgewiesener schwarz-grüner Koalo und wird ein Bündnis nicht mit antimilitaristischen oder sozialen Forderungen überfrachten.

Bei Wagenknecht hingegen ist man da nicht so sicher und so haben sie die Koalos aller Parteien und viele Medien schon mal als Gefahr für RG2 ausgemacht. Dass sie es tatsächlich wagt, potentielle AfD-Wähler unter dem abgehängten Prekarität anzusprechen und sie für die Linke zu gewinnen, gilt als weiterer Sündenfall. Dabei macht Wagenknecht da nur etwas, was  Didier Eribon in seinem Bestseller Rückkehr nach Reims[5] am Beispiel seines Herkunftsmilieus beschrieben hat.

Dort wählte man die Kommunisten wegen deren sozialen Forderungen. Durchaus massiv vorhandene rassistische und homophobe Einstellungen spielten für die Wahlentscheidungen solange keine wichtige Rolle, solange die Kommunisten die soziale Führungsrolle hatten und die Partei eine Massenorganisation war. Erst mit deren Krise bekamen Gruppierungen wie der Front National eine Chance.

So wäre der Versuch, AfD-Wähler zu gewinnen, vielleicht sogar eine erfolgversprechende Strategie gegen die Rechte. Dann kann man auch verstehen, warum Wagenknecht für manche ein rotes und für manche ein braunes Tuch ist. Erfolgreiche Rechtsparteien sind schließlich völlig kompatibel im bürgerlichen Politikbetrieb. Linke Parteien stören da manchmal doch etwas.

http://www.heise.de/tp/artikel/49/49747/1.html

Peter Nowak

Anhang

Links

[1]

http://www.tagesspiegel.de/politik/spd-chef-liebaeugelt-mit-rot-rot-gruen-linke-sieht-gabriel-in-der-bringschuld/13753182.html

[2]

http://www.gesine-schwan.de/

[3]

http://www.berliner-zeitung.de/politik/gesine-schwan-zur-griechenland-krise–wolfgang-schaeuble-hatte-von-anfang-an-die-absicht–syriza-an-die-wand-fahren-zu-lassen–1215556

[4]

http://www.deutschlandfunk.de/suche-nach-gauck-nachfolge-man-kann-sich-nur-auf-einen.694.de.html?dram:article_id=368886

[5]

http://www.suhrkamp.de/buecher/rueckkehr_nach_reims-didier_eribon_7252.html

#

http://www.heise.de/tp/druck/mb/artikel/49/49747/1.html