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Kleine Erfolge

Nikolai Huke zieht Bilanz der Krisen-Protestbewegung in Spanien

Nikolai Huke: Krisenproteste in Spanien. Zwischen Selbstorganisation und Überfall auf die Institutionen, Edition Assemblage, Münster, 175 Seiten, 14,80 Euro, ISBN: 978-3960420064

Knapp fünf Jahre ist es her, dass in Spanien im Zeichen der Euro- und Bankenkrise eine massive Protestbewegung mit Platzbesetzungen, Großdemonstrationen und Streiks eine solidarische Gesellschaft einforderte. Am 15. März 2011 besetzte die Bewegung der Indignados öffentliche Plätze in zahlreichen spanischen Städten.

Die Aktion, die bewusst in Abgrenzung zu sämtlichen etablierten politischen Organisationen vorbereitet wurde, gab der Unzufriedenheit großer Teile der spanischen Bevölkerung mit der Austeritätspolitik einen politischen Ausdruck, schreibt der Tübinger Politologe Nicolai Huke in seiner im Verlag Edition Assemblage herausgegeben fundierten Untersuchung über die kurze Geschichte der Krisenproteste in Spanien.

Obwohl Indignados mit ihren Platzbesetzungen zum Symbol geworden waren, bildeten sie nur einen Teil der spanischen Protestbewegung ab. Ausführlich geht Huke auf die von der Bewegung der Hypothekenbetroffenen (PAH) organisierten Kämpfe gegen Zwangsräumungen ein. „Das individuelle Problem der Hypothekenschulden wurde zu einer Frage kollektiver Organisierung“, beschreibt er die Bedeutung der wesentlich von Frauen getragenen Organisation.

Auch bei den Protesten im Bildungs- und Gesundheitsbereich in den Jahren 2012 bis 2014 spielten Frauen eine wichtige Rolle. Die Marea Verde im Bildungs- und die Marea Blanca im Gesundheitsbereich mobilisierten nicht nur gegen die staatliche Kürzungsorgie. Mit ihrer Forderung nach Bildung und Gesundheit für Alle konnten sie auf großen Vollversammlungen Lehrende, Schüler/innen aber auch Eltern und Patient/innen begeistern. Huke beschreibt, wie die etablierten Gewerkschaften irritiert über die neuen Aktionsformen waren, sich aber in der politischen Auseinandersetzung neue Kooperationen herausbildeten.

Höhepunkt dieser gewerkschaftlichen Mobilisierung war der landesweite Generalstreik vom 29. März 2012. Im letzten Kapitel skizziert der Politologe die verschiedenen neuen Parteineugründungen wie CUP und Podemos aber auch kommunale Wahlbündnisse in Madrid und Barcelona, mit denen die Aktivisten die Institutionen besetzen wollten. Diese neuen Parteien profitierten von der Erschöpfung des außerparlamentarischen Protestzyklus, die spätestens ab 2014 deutlich geworden war.

Hukes Fazit der kurzen Geschichte der spanischen Protestbewegungen ist dennoch optimistisch. Ihnen sei es gelungen, „kleine Erfolge zu erzielen, die durch ihr erfolgreiches Scheitern die spanische Gesellschaft grundlegend veränderten“.

14
8. Oktober 2016

http://fm1.apm.ag/verdi_news_wcms/fmpro?-db=verdi_news_wcms.fp5&-lay=e&-format=txtdet.html&-recid=41551&-find

Peter Nowak

„Sehen Sie, wir sollten mehr miteinander reden“

Das Gespräch zwischen Sahra Wagenknecht und Frauke Petry: Missverständnisse überwiegen

In der Weimarer Republik waren sich Kommunisten und Nazis nicht nur verfeindet. Immer wieder kam es zu körperlichen Auseinandersetzungen. Doch es gab eine Praxis, die heute kaum mehr vorstellbar ist. Kommunisten und Nazis stritten in Versammlungen gegeneinander, jede Seite hatte ihre auch schlagkräftigen Mitglieder und Sympathisanten dabei und nach der Schlacht der Argumente gab es dann oft die Saalschlacht.

Das muss man wissen, wenn heute darum gestritten wird, ob die Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, Sahra Wagenknecht, ein Streitgespräch mit der Vorsitzenden der AfD, Frauke Petry,  führen darf. Es war in der letzten Ausgabe der FAS veröffentlicht und ist auf Wagenknechts Homepage[1] dokumentiert.

Die Bewertung ist denkbar unterschiedlich und hängt wohl vor allem davon ab, wie man Wagenknechts Versuche beurteilt, die AfD-Wähler, die mal die Linke oder die PDS gewählt haben, wieder auf ihre Seite zu ziehen. Das kann man für eine kluge Politik oder eine Anbiederung an die Rechten halten. Die Reaktionen könnten gegensätzlicher nicht sein.

Die Süddeutsche Zeitung holt die Totalitarismuskeule hervor

Für die Süddeutsche Zeitung ist das Gespräch ein Anlass, wieder einmal die Totalitarismuskeule aus der Schublade zu holen[2]:

Ein Doppelinterview mit Rechtspopulistin Petry und Linken-Fraktionschefin Wagenknecht zeigt, wie sehr sich linker und rechter Rand angenähert haben. Die Gemeinsamkeiten sind groß – und gefährlich.Constanze von Bullion

Constanze von Bullion

Dabei zieht die Journalistin den ganz großen Bogen über angebliche Schnittmengen zwischen Kommunisten und Nazis in der Weimarer Zeit bis zum angeblichen „ultralinken Labour-Chef“ Corbyn, der wegen seiner EU-Skepsis mit für den Brexit verantwortlich sein soll. Die Autorin schreibt, dass Petry und Wagenknecht  wie ein altes Ehepaar in dem Streitgespräch aufgetreten seien.

Man mäkelt zwar aneinander herum, aber im Kern, na ja, man kann miteinander leben.

Da müsste die SZ eigentlich zufrieden sein, denn dass Politiker unterschiedlicher Parteien miteinander leben können sollen, gehört ja wohl zum Einmaleins bürgerlicher Politik. Auch die Taz-Wirtschaftsredakteurin Ulrike Hermann schreibt von Konsensgesprächen[3] zwischen Wagenknecht und Petry.

Die „Junge Welt“, die Wagenknecht politisch lange sehr nahe stand und die sie heute noch weitgehend unterstützt, rechtfertigt das Streitgespräch mit dem Argument: „Wahlkampf heißt auch, sich ins Gespräch zu bringen“[4] und sieht die Linksparteipolitikerin gar als Aufklärerin.

Dort gibt es keine Fraternisiererei; Wagenknecht entlarvt Petry als aalglatte Opportunistin. Gegen das beständige Einfordern sozialer Antworten kann die AfD-Frau nur die Unkenntnis ihres eigenen Parteiprogrammes setzen. Und da von Hetze gegen noch Ärmere auf Dauer auch niemand satt wird, muss die Rechte gelegentlich linken Positionen beipflichten. So ’seltsam nah beieinander‘, wie Frau Bullion das zusammenleimt, war es nicht.Junge Welt[5]

Wenn man das Interview liest, findet man genügend Stellen, wo Wagenknecht klar den Dissens zu Petry nicht nur in der Sozial- , sondern auch in der Wirtschaftspolitik benennt. So heißt es schon ziemlich am Anfang des Streitgesprächs:

Es gibt keine Überschneidungen, Frau Petry. Sie hätten im Gegensatz zu mir jeder Verschärfung des Asylrechts zugestimmt. Laut Programm will die AfD, dass Deutschland sich in der Einwanderungspolitik an Kanada und an den Vereinigten Staaten von Amerika orientiert. Sie wollen also gezielt Hochqualifizierte aus ärmeren Ländern abwerben. Das ist das genaue Gegenteil von Hilfe. Dass Sie den Menschen in ihren Herkunftsländern helfen wollen, habe ich bislang auch nicht als AfD-Position wahrgenommen. Ebenso wenig, dass Sie die Bedingungen in den Flüchtlingslagern verbessern wollen. Stattdessen lese ich, dass Ihr Parteifreund Alexander Gauland die „menschliche Überflutung“ bei uns eindämmen will. Solche Worte finde ich menschenverachtend.Sahra Wagenknecht

Sahra Wagenknecht

Allerdings verweist Wagenknecht die Forderung nach offenen Grenzen, die im Parteiprogramm der Linkspartei steht, in eine ferne Zukunft, hält sie also für nicht aktuell. Damit stellt sie sich in Widerspruch zu vielen Menschen, denen auch klar ist, dass die Forderung nicht hier und heute umgesetzt werden wird. Für sie ist diese Forderung aber Richtschnur für ihre Unterstützung und Solidarität mit Migranten.

Wagenknecht hat in dem Streitgespräch auch an mehreren Stellen die wirtschaftsliberale Grundorientierung der AfD deutlich benannt, sich dabei aber selber in Widersprüche verstrickt, wenn sie sich später einen wirtschaftsliberalen Vordenker beruft:

Das Hauptargument gegen die Konzerne können Sie bei Walter Eucken nachlesen, einem der Väter der Sozialen Marktwirtschaft: Es ist deren wirtschaftliche Macht.Sahra Wagenknecht

Sahra Wagenknecht

Das ist aber kein Versehen. Schließlich hat sich Wagenknecht schon länger auf Ludwig Erhard berufen und versucht damit, liberale und konservative Wähler für ihre Wirtschafskritik zu gewinnen. Dass sie damit aber den Anspruch einer grundsätzlichen Kritik an Staat und Kapital aufgibt, nimmt sie in Kauf.

Es geht schließlich um Wählerstimmen. Im Streitgespräch hat Petry die angeblichen Gemeinsamkeiten mit der Linken in ihrer EU-Kritik oder im Freihandel in den Mittelpunkt gerückt, um die Wähler, die von der Linken zur AfD gewechselt sind, zu halten bzw. weitere zu gewinnen. Daher auch Petrys Avancen an Wagenknecht zur Fortsetzung des Gesprächs.

Wir sollten mehr miteinander reden.

Das ist im Grunde eine Aufforderung, die an die Wähler der Linkspartei gerichtet ist. Dass Petry damit linken Positionen beipflichtet, wie die junge Welt mutmaßt, ist eine Taktik, die mittlerweile alle erfolgreichen Rechtsparteien in Europa verfolgen. Pionier war dabei der Front National, der manchmal eine sozialistisch klingende Rhetorik anwendet, um seine Stellung als neue Wahlpartei der französischen Arbeiter zu halten.

Nur hat ein solches soziales Bekenntnis von Rechts nichts mit dem Sozialismus der emanzipatorischen Teile der Arbeiterbewegung zu tun. Was hinter den nationalen Phrasen von Rechts steckt, ist ein nationalstaatlicher Protektionismus, der einer kleinen Gruppe besondere Vorrechte und Privilegien bringen soll. Es ist also eine zutiefst anti-egalitäre und ausgrenzende Sozialstaatsvorstellung, die hinter der rechten Sozialstaatsrhetorik steckt.

Universelle Werte statt nationalstaatliche Sozialstaatsvorstellungen

Daher greift es in der Tat zu kurz, wenn Wagenknecht Petry nur vorhält, sei würden die sozialen Phrasen gar nicht ernst nehmen. Die Position von Wagenknecht zeigt das Dilemma derer auf, die immer noch den keynsianistischen Wohlfahrtsstaat wieder beleben wollen. Das aber ist in der heutigen Phase des Kapitalismus nicht mehr möglich.

Wer es trotzdem versucht, landet schnell bei protektionistischen Vorstellungen, wie sie bei den skandinavischen Rechtsparteien besonders virulent sind. Ihre Utopie ist ein soziales Volksheim ohne die Zugewanderten. Dagegen gilt es Gleichheit, Solidarität und ein schönes Leben für alle Menschen stark zu machen, was Wagenknecht bei aller Kritik am Rassismus der AfD nicht getan hat.

Jenseits der Themenkomplexe Soziales und Flüchtlingspolitik bleiben wichtige Topics in dem Streitgespräch unerwähnt, die sich um Minderheitenrechte  drehen. In der Programmatik sind da Linke und AfD denkbar weit entfernt. Doch an der Basis der Linken ist die Trennung oft nicht so scharf. Nicht nur am Beispiel des Streitgesprächs zwischen Wagenknecht und Petry wird über die Gefahr diskutiert, Minderheitenrechte gegen Arbeiterinteressen zu stellen.

Das wird dem slowenischen Soziologen rgeworfen, der in einem Newsweek-Beitrag[6] den Hillary-Konsens angriff, mit dem sich angeblich gesellschaftliche Minderheiten gegen die Reste der alten US-Arbeiterklasse positionieren würden.

Sie gestehen allen Minderheitenforderungen höchste Legitimität zu, sie unterstützen den Kampf um Frauen- und Homosexuellenrechte – aber um den Preis eines ungehinderten Funktionierens des Kapitalismus.Slavoj Žižek

Slavoj Žižek

Ihm wirft die Publizistin Isolde Charim vor, einem linken Konservatismus zu huldigen[7]. Damit übernimmt sie eine Klassifizierung des französischen Soziologen Dider Eribon, der mit seinen Bestseller Rückkehr nach Reims[8] auch in Deutschland bekannt wurde.

Das Buch setzt sich mit der Frage auseinander, warum das Band zwischen den Lohnabhängigen und der politischen Linken, das in Frankreich bis in die 1970er Jahre gehalten hat, gerissen ist und viele Arbeiter jetzt rechts wählen. Eribon formuliert zwei einfache Forderungen[9], um dieses Band wieder zu knüpfen.

Als Erstes muss die Linke aufhören, soziale Forderungen wie ordentliche Gehälter, gute Wohnungen, anständige Arbeitsbedingungen, Pensionen, Sozialversicherung und ein anständiges Gesundheitssystem zu ignorieren. Wir müssen gegen die Zerstörung des Wohlfahrtsstaates in Europa kämpfen. Also müssen wir soziale Bewegungen unterstützen und Teil davon sein.Dider Eribon

Dider Eribon

Zudem betont er, dass eine Linke für die Minderheitenrechte eintreten muss:

Na ja, ich denke, die Linke muss lernen, dass der Kampf gegen neoliberale Politik die individuellen Rechte von allen Menschen stärken muss. Das sind kollektive und internationale Rechte, kollektiv und international erkämpft. LGBT-Rechte sind ein wichtiger und legitimer Teil des Kampfes, eine bessere Welt aufzubauen.Dider Eribon

Dider Eribon

Es geht also nicht darum, die Rechte der Arbeiter gegen die LGBT-Rechte auszuspielen, wie es bei Žižek anklingt, sondern ein politisches Projekt zu entwerfen, das sie einschließt.

Gemeinsam streiken, statt mit Karl Popper die offene Gesellschaft hoch leben zu lassen

Das muss sich aber nicht immer um realpolitische Forderungen drehen, wie die Frage, ob Clinton als kleineres Übel gegen Trump oder die EU gegen den Nationalstaat unterstützt werden sollen.  In den 1970er und 1980er Jahren unterstützten Schwule und Lesben aus London den britischen Bergarbeiterstreik, woran im letzten Jahr der Film Pride[10] erinnerte.

Das hatte eine Vorgeschichte. Zuvor beteiligten sich Bergarbeitergewerkschafter als Streikposten für einen Streik indischer Frauen in London beim [11].  Damals wurde nicht so abstrakt über Arbeiter- versus Minderheitenrechte diskutiert und es trafen sich keine Parteienvertreter zum Streitgespräch. Es kamen soziale Bewegungen miteinander in Kontakt und schrieben Geschichte.

Heute wird hingegen die gegen jede Veränderung abgeschottete offene Gesellschaft des Karl Popper als Antidot gegen die AfD aufgeboten[12], und man wundert sich, dass dabei nur die mitmachen, die in der Gesellschaft so privilegiert sind, dass sie diese so erhalten wollen, wie sie ist.

Anhang

http://www.heise.de/tp/artikel/49/49627/2.html

Links

[1]

http://www.sahra-wagenknecht.de/de/article/2432.streitgespr%C3%A4ch-zwischen-sahra-wagenknecht-und-frauke-petry.html

[2]

http://www.sueddeutsche.de/politik/populismus-die-heimliche-klammer-zwischen-ganz-rechts-und-ganz-links-1.3188307

[3]

http://www.taz.de/!5340887/

[4]

https://www.jungewelt.de/2016/10-05/040.php

[5]

https://www.jungewelt.de/2016/10-05/040.php

[6]

http://europe.newsweek.com/slavoj-zizek-hillary-clinton-donald-trump-us-presidential-election-bernie-489993?

[7]

http://www.taz.de/Kolumne-Knapp-ueberm-Boulevard/!5339428/

[8]

http://www.suhrkamp.de/buecher/rueckkehr_nach_reims-didier_eribon_7252.html

[9]

http://www.taz.de/!5340042/

[10]

http://www.wildbunch-germany.de/movie/pride

[11]

https://socialistworker.co.uk/art/43226/Here+to+stay,+here+to+fight+-+how+the+Grunwick+strike+changed+everything

[12]

http://www.taz.de/!5339061

Bloß kein Dachausbau

APPELL MieterInnen der Admiralstraße 18 wehren sich gegen energetische Sanierung

Wir möchten Sie eindringlich bitten, im Rahmen Ihrer Möglichkeiten den Dachausbau zu verhindern bzw. hierfür die Nutzung des Daches der Admiralstraße 17 zu untersagen!“ Mit diesem Appell wandten sich MieterInnen der Admiralstraße 18 in Berlin-Kreuzberg an den Vorstand des Martinswerk e. V. – die Plattform für zahlreiche selbstverwaltete Wohnprojekte, zu denen auch die Admiralstraße 17 gehört. „Luxussanierungen im Kiez, Umwandlung von Wohnraum in Eigentum und die wachsende
Population von Immobilienhaien am Landwehrkanal und Umgebung sind Zeichen der Zeit, die auch wir als Hausgruppe nicht ignorieren konnten“, heißt es in der Selbstdarstellung des Hauses. „Diese Erklärung hat uns zu dem offenen Brief motiviert“, erklärt Dominik Flügel. Er ist Mieter in der Admiralstraße, in dem die Dornröschen GmbH und Co gerade eine energetische Sanierung durchführt. Um den Dachausbau wie geplant durchzuführen, muss ein Gerüst auf dem Dach des Nachbarhauses
angebracht werden. Die MieterInnen hofften, dass die NachbarInnen die Genehmigung verweigern. „Auch wenn die Kosten des Dachausbaus nicht auf die Miete umgelegt werden kann, so ist er doch Teil der für die MieterInnen extrem nachteiligen Gesamtstrategie zur Aufwertung des Objekts“, betont Flügel. Martina Meier vom Martinswerk betont, dass die MieterInnen die Gentrifizierung kritisch sehen. Doch sie seien der falsche Ansprechpartner, wenn es um die Verhinderung der Sanierung geht.
Die MieterInnen hatten in den letzten Monaten PolitikerInnen um Unterstützung gebeten. So hatte der grüne Abgeordnete
Dirk Behrendt den Investor Holger Johnson in einen Brief mitgeteilt, dass HausbewohnerInnen befürchten, nach der Modernisierung die Wohnungen nicht mehr bezahlen zu können. Auch Flügel macht die NachbarInnen nicht für die Modernisierungsmaßnahmen verantwortlich und versteht die Angst vor juristischen Konsequenzen einer Ablehnung des Dachausbaus. Er kritisiert die schlechte Kommunikation. „Uns wurde keine Möglichkeit geben, uns in die Entscheidungsprozesse des Nachbarhauses mit einbringen.“
aus Taz vom 5. 10.2016
Peter Nowak

FPÖ hält nicht viel vom Urheberrecht

Filmpiraten vs. FPÖ, Teil II

Einen ersten juristischen Erfolg erzielte das Erfurter Kollektiv «Filmpiraten» gegen die Freiheitliche Partei Österreich. Das Wiener Handelsgericht wies eine Klage der FPÖ zurück,  die die Existenz des linken Medienkollektivs gefährdet hätte. Die FPÖ hatte die Filmaktivist_innen vor dem Handelsgericht wegen falscher Anschuldigungen und Behinderung der Meinungsfreiheit verklagt. Dabei hatten die Filmpiraten nur ihr Urheberrecht verteidigt (siehe Augustin 384, Februar 2015).

Auf dem Kanal «FPÖ-TV» wurden ohne ihre Zustimmung und ohne Nennung der Quellen Ausschnitte ihres Videoberichts über den Prozess gegen den Jenaer Studenten Josef S. verwendet, der 2013 bei einer Demonstration gegen den von der FPÖ organisierten Wiener Akademikerball unter der Beschuldigung des schweren Landfriedensbruchs festgenommen worden war und trotz unklarer Beweislage monatelang in Untersuchungshaft saß (s. Interview mit Josef S. im Augustin 382 oder auf www.augustin.or.at). Die Filmpiraten forderten von der  FPÖ eine Unterlassungserklärung, ihr Videomaterial nicht mehr zu verwenden. Die nun vom Handelsgericht abgewiesene Anzeige war eine versuchte Retourkutsche der rechten Partei.

«Bei der Verwendung von urheberrechtlich geschütztem Material ist in aller Regel davon auszugehen, dass dies nicht unbeschränkt und frei von jeglichen Restriktionen geschehen kann», belehrt Richter Heinz-Peter Schinzel in der Urteilsbegründung die FPÖ-Juristen. Der Richter teilt auch die Befürchtung der Filmpiraten, durch die Verwendung ihres Materials durch die FPÖ könne der falsche Verdacht entstehen, das antifaschistische Videokollektiv billige die Berichterstattung der rechten Partei. Jan Smendek vom Verein Filmpiraten bezeichnet die Abweisung der FPÖ-Klage als ersten Schritt in die richtige Richtung. Weil die FPÖ Berufung gegen das Urteil eingelegt hat, sei es aber noch zu früh, von einem endgültigen Erfolg zu sprechen.

http://www.augustin.or.at/

Peter Nowak

www.filmpiraten.org

Streit unter deutschen Patrioten

Wenn Rechte die Einheitsfeier in Dresden stören, darf nicht vergessen werden, dass ihre Wurzeln in den Herbst 1989 reichen

Der Grünenpolitiker Matthias Oomen[1] hat mit einem Scherz nicht nur die rechte Szene, sondern alle deutschen Patrioten aufgebracht. Dabei hat er den Fund einer Fliegerbombe mit den Worten kommentiert: „DD Fliegerbombe. Das lässt ja hoffen Do! It! Again!“

Damit erinnerte er an den Slogan „Bomber Harris do it again“, mit dem in den 1990er Jahren antideutsche Antifas gegen die deutschen Verhältnisse anstänkern wollten. Damals gehörte der Publizist Jürgen Elsässer zu den Unterstützern der Parole. Dafür muss er bei seinen jetzigen politischen Gesinnungsgenossen wohl noch Abbitte leisten, schließlich greift[2] er in seinem Querfrontmagazin Compact jetzt Oomen besonders heftig dafür an, dass er noch an eine Zeit erinnert, wo die Kritik an Deutschland noch zu den Medienereignissen gehörte. Das hat sich mittlerweile geändert. Im Jahr 2016 gab es auch in Dresden vom Bündnis „Nationalismus ist keine Alternative“[3] organisierte Proteste gegen die Einheitsfeier und ihre rechten Kritiker.

Wenn zivilgesellschaftliche Organisationen vom fehlenden Anstand statt von Rassismus sprechen

Doch medial wurden die Pöbeleien einiger hundert Rechter aus dem Umfeld der zerstrittenen Pegida-Bewegung wahrgenommen, die Merkel, Gauck und andere geladenen Gäste als Volksverräter beschimpften und mit Trillerpfeifen auspfiffen. Während selbst das zivilgesellschaftliche Bündnis Atticus[4], statt von Rassismus und rechten Populisten zu sprechen, nur monierte, dass Respekt und Anstand immer weniger Geltung besitzen würden, erwähnte[5] die Zeit immerhin, wer auch am 3. Oktober die eigentlichen Opfer deutscher Patrioten waren: „Ein dunkelhäutiger Mann, der zum Gottesdienst wollte, wurde mit „Abschieben“-Rufen empfangen.“ Schon im Vorfeld der turnusmäßig rotierenden Einheitsfeierlichkeiten wurde diskutiert[6], ob es klug ist, diese in Dresden, der Stadt von Pegida, zu begehen oder abzusagen. Besonders nach den Anschlägen gegen eine Moschee und ein Kongresszentrum, die zunächst linken Gruppen untergeschoben werden sollten, wurde die Kritik am Austragungsort Dresden lauter.

Einheitsfeier selber ist das Problem und nicht nur der Ort

Doch selbst die Gegner dieses Ortes stellten nicht die Einheitsfeierlichkeiten in Frage, sondern beeilten sich zu betonen, dass man eigentlich niemand das Feiern vermiesen soll. Genau darin liegt das Problem.

Am 3.Oktober wird nämlich genau jene „Wir sind ein Volk-Bewegung“ gefeiert, die im Herbst 1989 mit schwarzrotgoldenen Fahnen und Deutschland-Deutschland-Rufen von Sachsen ausgehend die Straßen und Plätze der ehemaligen DDR überrollten. Schon damals waren die wenigen Menschen, die nicht ins deutsche Reinheitsgebot passten, beispielsweise Vertragsarbeiter aus Vietnam, Angola oder Mozambique, zur Zielscheibe der deutschen Patrioten geworden.

Opfer dieser deutschen Patrioten wurden auch schnell die Kräfte in der DDR-Opposition[7], die gegen die autoritäre SED-Herrschaft auf die Straße gingen und für eine demokratische DDR, aber nicht für eine Wiedervereinigung kämpften. Das Wort von den Wandlitzkindern machte schnell die Runde, weil manche dieser Oppositionellen aus Familien kamen, die nach dem 2. Weltkrieg in der DDR eine neue Republik aufbauen wollten.

Die Patrioten wurden im Herbst 1989 nicht nur mit Fahnen und Infomaterial aus der BRD gesponsert. Daran beteiligten sich auch rechte Parteien wie die Republikaner, die durchaus als AfD-Vorläufer gelten können. Aber auch die Unionsparteien hatten ein großes Interesse, in Ostdeutschland eine nationalistische Bewegung aufzubauen, die statt einer erneuerten DDR den schnellen Anschluss an die BRD favorisieren.

Seit Ende Oktober 1989 wird dafür systematisch Stimmung gemacht. Dafür gehen die Unionsparteien das Bündnis mit der ultrarechten Deutschen Sozialen Union[8] ein, von deren Kadern der ersten Stunde sich viele in weiteren rechten Kleinstgruppen und heute in der AfD wiederfinden.

Wenn am 3. Oktober die deutsche Einheit gefeiert wird, dann wird auch der Sieg über die DDR-Opposition gefeiert, die genau diese Einheit abgelehnt hatte. Der Runde Tisch der DDR hatte unter maßgeblicher Federführung dieser Gruppen den BRD-Parteien verboten, sich in den Wahlkampf für die Volkskammer im März 1990 einzumischen. Von allen BRD-Parteien wurde dieser Beschluss ignoriert.

Wenn heute oft behauptet wird, die Einheitsfeiern wären eine Sache der DDR-Opposition, wird nur deutlich, wie gründlich die deutschen Patrioten gesiegt haben. Sie haben die Geschichte der DDR-Opposition der ersten Stunde und ihrer Ziele weitgehend verdrängt. Allerdings muss auch erwähnt werden, dass sich manche von ihnen dem Sog zur Einheit nicht versagten konnten oder wollten und stillschweigend ihre ursprünglichen Ziele revidierten. Doch es gibt noch immer kleine Gruppen der DDR-Opposition, die an den Ursprungszielen festhalten[9]. Für sie ist der 3. Oktober kein Feiertag, sondern der Endpunkt einer Niederlage.

Nährboden für neuen Rechtsterrorismus lag auch im Vereinigungspathos

Der Sozialwissenschaftler Samuel Salzborn[10] hat in einem Gastbeitrag[11] für die Zeitschrift Kontext die Entwicklungen der Rechten in den frühen 1990er Jahren mit der aktuellen Situation verglichen und kommt zu einem alarmierenden Befund:

Analysiert man die historische Konstellation, dann drängen sich Parallelen zu den frühen 1990er-Jahren und einer innenpolitischen Entwicklung auf, in der der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) entstand und mindestens zehn Morde und eine Reihe weiterer Straftaten begangen hat. Dieser Blick zurück zeigt: Die Situation heute ist in mancherlei Hinsicht noch bedrohlicher – und die Entstehung neuer rechtsterroristischer Netzwerke mehr als wahrscheinlich.Samuel Salzborn

Samuel Salzborn

Dabei geht Salzborn auch auf die Verantwortung des „Vereinigungspathos“ für das damalige rechte Klima ein und bezieht sich dabei auf die Arbeiten[12] des Sozialwissenschaftlers Wolfgang Kreutzberger.

Geprägt von einem, so Kreutzberger, „Vereinigungspathos“, zeigten sich die Maßnahmen gegen Rechtsextremismus nicht nur pädagogisch weitgehend hilflos, sondern die Justiz operierte auch strafrechtlich mit vergleichsweise milden Urteilen gegen rassistische Gewalttäter, obgleich es auch zu neuen Vereinigungsverboten kam. Wesentliche Rahmenbedingungen waren hierbei auch, dass im Kontext der deutschen Einheit die Toleranz für rassistische Gewalttaten in der Bevölkerung zunahm und überdies mit den Stimmen fast aller Parteien das Asylrecht drastisch eingeschränkt wurde.Samuel Salzborn

Samuel Salzborn

Es ist also völlig verfehlt, die „unpolitische Einheitsfeier“ und ihre rechten Pöbler als Gegensätze zu sehen. Nur im Unterschied von vor 26 Jahren organisieren sich die Rechten heute nicht mehr unter dem großen Dach der Allianz für Deutschland[13] mit ihrem ultrarechten Flügel, der DSU, sondern haben längst eigenständige Ziele und Strukturen.

http://www.heise.de/tp/artikel/49/49594/1.html

Peter Nowak

Anhang

Links

[0]

http://www.bild.bundesarchiv.de

[1]

http://gruene.berlin/personen/matthias-oomen

[2]

http://www.compact-online.de/do-it-again-gruener-politiker-will-dresden-erneut-ausrotten/

[3]

http://nationalismusistkeinealternative.net/

[4]

http://atticus-dresden.de/

[5]

http://www.zeit.de/wirtschaft/unternehmen/2016-10/dresden-pegida-proteste-attacke-politiker

[6]

http://www.taz.de/!5340395/

[7]

http://www.ddr89.de/ddr89/vl/inhalt_vl.html

[8]

http://www.dsu-deutschland.de/

[9]

http://phase-zwei.org/hefte/artikel/vom-kommunismus-soll-schweigen-wer-von-stalinismus-nicht-reden-will-268/

[10]

http://www.salzborn.de/

[11]

http://www.kontextwochenzeitung.de/gesellschaft/287/gefaehrliche-toleranz-3904.html

[12]

http://sowiport.gesis.org/search/id/gesis-solis-00179251

[13]

http://www.chronikderwende.de/lexikon/glossar/glossar_jsp/key=allianz.html

Solidarität mit Kiezladen

WOHNEN MieterInnen fordern Unterstützung von der Neuköllner Politik für den „F54“

„Werden Sie sich aktiv für den Erhalt des Projektes Kiezladen F54 einsetzen?“ Diese Frage haben 16 Mietparteien der Nord-
Neuköllner Friedelstraße 54 in einem Brief an die Fraktionen in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Neukölln gestellt.
Damit wollen sie die Räumung des Stadtteilladens verhindern. Im Kiezladen F54 gibt es unter anderem eine wöchentliche
MieterInnenberatung sowie Politik-und Kulturveranstaltungen. Der Laden hat sich in den vergangenen Monaten auch dafür
eingesetzt, dass die BewohnerInnen das Haus in Eigenregie übernehmen. Nachdem die AktivistInnen das Kaufangebot
bei der Immobilienfirma Citec in Wien mit einer Delegation von rund 60 UnterstützerInnen abgegeben hatten, begannen
die Verhandlungen vielversprechend (taz berichtete).  Am Ende bekamen jedoch nicht die BewohnerInnen, sondern die Luxemburgische Immobilienfirma Pinehill den Zuschlag. „Das Unternehmen hat sich gar nicht die Mühe gemacht, mit uns zu kommunizieren. Die erste Kontaktaufnahme war die Räumungsklage“, erklärte Martin Sander vom Ladenkollektiv gegenüber der taz.

„Vorkaufrecht des Bezirks dringend ausweiten“
Als Antwort auf den Brief der HausbewohnerInnen haben sich PolitikerInnen von SPD, Grünen und Linken mit den Kiezladen solidarisch erklärt. „Ein Runder Tisch ist das mindeste und der Anfang von allem. Das Vorkaufrecht des Bezirks muss dringend ausgeweitet werden“, schreibt Anja Kofbinger, gewählte Neuköllner Direktkandidatin der Grünen und stellvertretende Fraktionsvorsitzende im Abgeordnetenhaus. „Der Kiezladen F54 ist Teil der Neuköllner Kiezkultur“, erklärt der Sprecher der Neuköllner SPD Christopher King. „Für einen Runden Tisch und den Ankauf durch eine kommunale Wohnungsbaugesellschaft oder die Mieter setzte sich auch Marlis Fuhrmann vom Neuköllner Bezirksvorstand der Linken ein. Ob diese Unterstützung den Laden retten kann, ist noch unklar. Das Neuköllner Bezirksamt sieht keine Eingriffsmöglichkeit, weil der Milieuschutz für den Laden nicht greift.


TAZ.DIE TAGESZEITUNG DIENSTAG, 4. OKTOBER 2016
PETER NOWAK

Chelsea Manning braucht unsere Solidarität

Nach dem Suizidversuch der Whistleblowerin gibt es eine internationale Kampagne für ihre Freilassung

Im September 2016 war die inhaftierte WikiLeaks-Informantin Chelsea Manning aus Protest gegen die Haftumstände und die Verweigerung von Medikamenten, die sie als Transgender benötigt, in den Hungerstreik getreten. Sie werde keine Nahrung zu sich nehmen, bis sie „ein Minimum an Würde, Respekt und Menschlichkeit“ erfahre und die „konstante, bewusste und übereifrige Überprüfung durch das Gefängnis- und Militärpersonal“ ende. Am 13. September beendete sie ihren fünftägigen Hungerstreik, nachdem ihr das US-Militär zugesagt hat, Manning als Transgender einen operativen Eingriff zur Geschlechtsumwandlung zu ermöglichen. (GWR-Red.)

In den letzten Monaten war es um die US-Whistleblowerin Chelsea Manning ruhig geworden. Die IT-Spezialistin war wegen Spionage und Verrat von Militärgeheimnissen zu einer Haftstrafe von 35 Jahren verurteilt worden, weil sie Dokumente und Videos an die Plattform Wikileaks geschickt hatte, die Kriegsverbrechen von US-Militärs während ihres Kriegseinsatzes im Irak dokumentieren. Doch seit einigen Wochen wächst weltweit die Angst um Mannings Leben, die als Transgender ihre Haftstrafe in dem Militärgefängnis für Männer Fort Leavenworth verbüßen muss. Dort verübte Manning in den Morgenstunden des 6. Juli 2016 einen Suizidversuch. Entsprechende Gerüchte wurden von ihren Anwälten mittlerweile bestätigt.

„Ich bin okay. Ich bin froh, am Leben zu sein. Vielen Dank für Eure Liebe. Ich komme da durch“, ließ Manning über Twitter ihren Unterstützer_innen mitteilen. Doch nach ihrem Suizidversuch drohen der Whistleblowerin nun neue Anklagen. Manning werden bedrohliches Verhalten, der Besitz verbotener Gegenstände und der Widerstand gegen Gefängnispersonal vorgeworfen. Kommt es zu einer Verurteilung, befürchtet die US-Menschenrechtsorganisation (ACLU) die unbefristete Einzelhaft, die Wiedereinstufung auf die höchste Sicherheitsstufe sowie neun zusätzliche Haftjahre ohne die Möglichkeit der Haftaussetzung. Solidaritätsgruppen warnen, dass solche Restriktionen das Leben der psychisch angeschlagenen Gefangenen gefährden könnten.

Mit einer Petition wollen die Unterstützergruppen die Öffentlichkeit gegen die erschwerten Haftbedingungen von Manning aufrütteln. „Chelsea braucht unsere Solidarität“, lautet ihr Motto.

Das Interesse ist zumindest in Deutschland nach ihrer Verurteilung zurückgegangen. Der Wikipedia-Eintrag zu Manning wurde seit 2014 nicht mehr aktualisiert. Doch nach ihren Suizidversuch hat der Chaos Computer Club (CCC), deren Ehrenmitglied Manning ist, ihre Begnadigung gefordert: „Die unmenschlichen Haftbedingungen haben Chelsea Manning an den Rand des Selbstmords getrieben. Als Strafe für ihren Versuch sollen diese nun noch verschärft werden“, kritisiert der CCC die US-Behörden. Mannings Haftbedingungen wurden schon 2012 vom UN-Berichterstatter als Folter kritisiert.

Nicht auf eine mögliche Begnadigung durch den Präsidenten verlassen

Der CCC fordert, wie andere Solidaritätsgruppen in aller Welt, dass der scheidende US-Präsident Barack Obama Manning begnadigt und so den grausamen Bedingungen ein Ende bereitet. „Das wäre endlich das langersehnte Zeichen für Whistleblower, auf das viele hoffen“, heißt es in der Erklärung.

Doch Solidaritätsgruppen in den USA warnen vor Illusionen in einen Gnadenakt von Obama. Sie verweisen darauf, dass es bisher nicht gelungen ist, den nach einem juristisch äußert fragwürdigen Indizienpross, der von massiver politischer Hetze begleitet war, zu einer lebenslänglichen Haft verurteilten Aktivisten des American Indian Movement Leonard Peltier freizubekommen. Nachdem Peltier vor mehr als einem Jahrzehnt schwer erkrankte, konzentrierten sich die Hoffnungen vieler seiner Unterstützer_innen auf eine Begnadigung durch Präsident Clinton. Doch die war ausgeblieben. Peltiers kritischem Gesundheitszustand zum Trotz, ist es nicht gelungen, die außerparlamentarische Kampagne für seine Freilassung wieder mit mehr Elan zu forcieren.

Deshalb wollen sich viele Unterstützer_innen von Manning verstärkt darauf konzentrieren, die Solidaritätsbewegung für ihre Freilassung sowohl in ihren eigenen Ländern als auch auf transnationaler Ebene zu stärken. Nur so könne der nötige Druck erzeugt werden, damit zunächst Mannings Haftbedingungen nicht noch weiter verschärft werden und der Druck für ihre Freilassung wächst.

Manning did the right thing

Dabei ist wichtig, Chelsea Manning nicht in erster Linie als Opfer, sondern als eine Aktivistin zu sehen, die durch die Veröffentlichung von Dokumenten geheim gehaltene Kriegsverbrechen im Irak bekannt gemacht hat. In Zeiten, in denen die Herrschenden aller Länder, auch in Deutschland, Kriege nicht nur wieder planen, sondern auch in ihr politisches Kalkül einbeziehen, solle Manning als ein Beispiel für einen Widerstand im Herzen der Kriegsmaschinerie gelten. Daher sollte neben ihrer Freilassung immer auch das Lob ihrer Aktionen im Mittelpunkt stehen. Die Parole „Manning did the right thing“ sollte auf keiner Antikriegsaktion fehlen.

graswurzelrevolution


412 oktober 2016

http://www.graswurzel.net/412/manning.php

Peter Nowak

Das Ende der Megamaschine

Fabian Scheidlers Geschichtsschreibung auf Attac-Niveau

Fabian Scheidler: Das Ende der Megamaschine. Geschichte einer scheiternden Zivilisation, Promedia Verlag, Wien 2015, 272 Seiten, 19.80 Euro, ISBN 978-3-85371-384-6

„Es gibt ein Bild von Paul Klee, das Angelus Novus heißt. Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen, und seine Flügel sind aufgespannt. Der Engel der Geschichte muss so aussehen. „Das Ende der Megamaschine“ weiterlesen

Wer will noch sozialdemokratische Politik machen?


Der Berliner SPD-Politiker Raed Saleh verfasst eine Partei-Kritik, die eine Perspektivdiskussion anschieben soll, aber wenig kritisch ist. In Großbritannien ist man da weiter

Sollen die europäischen Sozialdemokraten wieder sozialdemokratische Politik machen? Darüber gibt es in verschiedenen europäischen Ländern heftigen Streit. In Großbritannien hat Jeremy Corbyn mit Hilfe der Basis einen parteiinternen Putschversuch überstanden. Dahinter steht Tony Blair, der immer noch der Strippenzieher der Parteirechten ist, obwohl mittlerweile eine unabhängige Untersuchung nachgewiesen hat (Chilcot-Bericht setzt Blair unter Druck[1]), dass er für den Irakkrieg verantwortlich ist, der auf Grund von Lügen und Gesetzesbrüchen erfolgte.

Der Erfolg von Corbyn hat Labour einen großen Mitgliederzuwachs beschert, doch die Rechten wollten ihn weiter stürzen. In Spanien könnten die Sozialdemokraten das Schicksal ihrer griechischen Genossen erleiden und ganz abstürzen. Auch dort integriert ein ehemaliger Premierminister, der für Todesschwadrone gegen Oppositionelle verantwortlich war, gegen die, die die Partei wieder mehr in Richtung Sozialdemokratie drängen wollen.

Perspektivdiskussion in der Berliner SPD

Nur in der deutschen SPD machte es bislang den Anscheind, dass solche Debatten nicht geführt werden, weil es dort niemanden mehr gibt, der noch eine sozialdemokratische Politik machen will. Doch nun hat in der Berliner SPD eine Debatte begonnen, die von manchen als Perspektivdiskussion bezeichnet wird. Schließlich hat die SPD in ihren langjährigen Stammland Berlin das schlechteste Wahlergebnis seit Langem eingefahren.

Trotzdem wurden in der medialen Öffentlichkeit oft nur die CDU und die Piraten als Wahlverlierer angesehen. Gerade angesichts der angestrebten Reformkoalition mit Linkspartei und Grünen ist parteiintern die Neigung begrenzt, über die massiven Stimmenverluste und die parteiinternen Fehler zu reden und womöglich auch den Regierenden Bürgermeister Müller in die Verantwortung zu nehmen.

Nun hat mit Raed Saleh einer von Müllers Kontrahenten um den Vorsitz der Berliner Sozialdemokraten in einem Gastbeitrag[2] im Tagesspiegel daran erinnert, dass die SPD keinen Grund hat, sich als Gewinner der Berliner Wahlen zu gerieren und prompt wird getan, als habe eine Debatte über die Zukunft der SPD begonnen.

SPD als Staats- statt Volkspartei?

Saleh beginnt seinen Beitrag mit einem Faktencheck: Mit 21,6 Prozent habe die SPD Berlin ein historisch schlechtes Ergebnis eingefahren. Ein Ergebnis, das in vielerlei Hinsicht infrage stelle, was die SPD heute ist und was sie sein sollte. Ihren Status als Volkspartei habe die SPD in vielen Teilen Berlins verloren, in Marzahn-Hellersdorf lag sie auf Platz vier, in manchen Gegenden an den Rändern Berlins war die AfD stärkste Kraft. Nach diesen Ausführungen kommen viele Allgemeinplätze:

Es geht schon mindestens seit Anfang dieses Jahres nicht mehr um die Flüchtlinge, sondern um uns, darum, welches Land wir sein wollen – und welche Parteien dieses Land braucht.Raed Saleh

Raed Saleh

Auffällig ist, und das unterscheidet Salehs Beitrag von ähnlichen Debatten in der Labourparty, dass er von Gerechtigkeit spricht und dabei keineswegs Anleihen bei Marx nimmt und so vielleicht zur Frage käme, wie ein Klassenkampf auf der Höhe der Zeit aussehen könnte. Stattdessen besteht für ihn der Gegensatz zwischen den Bürgern und den „einflussreichen Lobbys“. In einer Zwischenüberschrift heißt es:

Die Spaltung verläuft zwischen der politischen Blase und den Bürgern.

Statt Kapitalismuskritik wird hier eine Lobbypolitik betrieben, die nicht dadurch plausibler wird, als auch die spanische Protestpartei Podemos sich dieser Methode bedient. Wenn Saleh betont, dass die SPD wieder zur „Bürgerpartei“ werden soll und als Gegensatz dazu den Begriff der „Staatspartei“ verwendet, fragt man sich, wo da die Alternative ist. Gerade mit ihren Anspruch zur Volkspartei wurde sie auch zur Staatspartei. Damit hat sie sich davon verabschiedet, den Kapitalismus zumindest noch theoretisch zu kritisieren.

Staatspartei war die SPD praktisch seit 1918 und hat sich auch so aufgeführt, als sie ihre eigene Basis, die revolutionäre Veränderungen anstrebte, niederschießen ließ. Schnell stellte sich aber heraus, dass in der Weimarer Republik die SPD nur geduldet war und diejenigen, die die Macht hatten, stellen sie bald vom Platz.

In der BRD vollzog die SPD mit dem Godesberger Programm auch theoretisch den Schritt zur Volks- und Staatspartei. Der Gegensatz, den Salah hier aufmacht, ist also nur konstruiert, hört sich aber kritisch an. Wenn der Taz-Kommentator Uwe Rada Saleh deswegen als Linkspopulist[3] klassifiziert, hat er an diesem Punkt recht.

Es gehört zu den Strategien sich als linkspopulistisch verstehender Strömungen, einen Gegensatz zwischen der Bevölkerung und der Politikerkaste zu kreieren. Doch wenn Uwe Rada schließlich auch den Begriff „Staatspartei“ als Populismus bezeichnet, der sehr an das „Establishment“ erinnere, das Donald Trump kritisiert, so ist das nirgends belegt .

Davon abgesehen, dass Trump kein Linkspopulist ist, ist es viel wahrscheinlicher, dass Saleh den Begriff Staatspartei so verwendet, wie Podemos in Spanien oder die Fünf-Sterne-Bewegung in Italien die herrschenden Parteien kritisierten, bevor sie selber dort mitmischen wollten. Zudem ist verwunderlich, dass Uwe Rada nicht auf einen in Berlin näherliegenden Begriffsbezug rekurriert. Schließlich wurde und wird die SED noch immer gerne mit dem Begriff Staatspartei tituliert.

Ist es Linkspopulismus, wenn Mieterinteressen berücksichtigt werden?

Völlig unverständlich ist, dass Rada, der immerhin zu den linken Protagonisten des großen Westberliner Studentenstreiks von 1988[4] gehörte, sogar eine der wenigen originär sozialdemokratischen Forderungen ebenfalls als Linkspopulismus klassifiziert:

„Wir brauchen eine Höchstrendite für Wohnraum“, hatte er (Raed Saleh, Anm. d. A.) im August gefordert und vorgerechnet, dass ein Hausbesitzer, dessen Haus abbezahlt sei und der die Miete ohne Gegenleistung erhöhen will, gestoppt werden müsse. „Es gibt aus meiner Sicht keine Berechtigung für eine solche Gier“, so Saleh wörtlich. Klingt ziemlich antikapitalistisch, ist aber die Sache des Bundes. Populismus also. Realistischer wäre es gewesen, Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) bei seinen Bemühungen zu unterstützen, die Mietumlage bei Modernisierungen deutlich zu reduzieren.Uwe Rada[5]

Wenn in einer sich als links verstehenden Zeitung eine Diskussion über Renditegrenzen für Investoren, die allerdings schon mit dem Begriff der Gier einen unangenehmen Stempel aufgedrückt bekommt, als populistisch klassifiziert wird, weil ein Berliner Sozialdemokrat seinen Parteikollegen im Ministeramt mit solchen grundlegenden Forderungen bloß nicht behelligen, sondern diesen bei seiner Placebopolitik, die die Rendite der Eigentümer nicht antastet, unterstützen soll, dann ist das auch ein Beispiel dafür, dass eine linke Kritik an der herrschenden Politik in Deutschland kaum stattfindet.

Selbst Kommentatoren sich als links verstehender Zeitungen geben dann den Linienrichter, der das Stoppsignal erteilt, wo die Kritik vielleicht die Investoren, die Märkte und den Dax verärgern könnte.

Wenn Saleh am Ende seines Perspektivpapiers erklärt, er wünscht Rot-Rot-Grün Erfolg, dann kann das vordergründig als Kommentar zur angestrebten neuen Regierung in Berlin verstanden werden. Doch seit der Berlinwahl gibt es auch wieder Spekulationen über eine Regierung links von der Union auf Bundesebene. Manche hoffen auf einen Koalitionsbruch noch vor den nächsten Bundestagswahlen. Die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen wäre der Termin, an dem sich entscheidet, ob es sich um mehr als nur Wunschträume vom linken Flügel der SPD und Teilen der Linkspartei handelt.

Raed Saleh könnte sich mit seinem Beitrag auch als Politiker ins Gespräch bringen, der bundespolitische Ambitionen hat. Schon Klaus Woworeit war immer wieder im Gespräch, wenn es um die Personalien einer SPD-geführten Regierung gemeinsam mit den Linken und Grünen ging. Es ist nie dazu gekommen.

Saleh hat vielleicht den Vorteil, dass er bei seinen auf Berlin bezogenen Karriereplänen von einer SPD-Basis ausgebremst wurde, die einem Mann mit den urdeutschen Namen Müller gegenüber den Bewerber mit migrantischen Hintergrund den Vorzug gab.

Sollte Saleh aber mit seinem Gastbeitrag ein Bewerbungsschreiben für seinen Einstieg in die Bundespolitik gegeben haben, wird schon jetzt deutlich: Die SPD bleibt SPD. Während Corbyn von einem Sozialismus des 21.Jahrhunderts spricht und konkrete Maßnahmen dazu skizziert, beschwört Saleh den Gegensatz zwischen Bürger und Lobby und will von Klassenkampf nichts wissen. Wo der „radikale Kurswechsel „[6] sein soll, den manche in Salehs Beitrag hineinlesen wollen, bleibt offen.

http://www.heise.de/tp/artikel/49/49583/2.html

Peter Nowak

Anhang

Links

[1]

http://www.heise.de/tp/artikel/48/48752/

[2]

http://www.tagesspiegel.de/berlin/gastbeitrag-zur-berliner-spd-von-der-volkspartei-zur-staatspartei/14602668.html

[3]

http://www.taz.de/!5340671

[4]

http://unimut.blogsport.de

[5]

http://www.taz.de/!5340671/

[6]

http://www.berliner-zeitung.de/berlin/interview-mit-raed-saleh–ich-mache-mir-ernsthaft-sorgen-um-meine-politische-heimat–24831842

Peter Brückner und die deutschen Verhältnisse

Aus dem Abseits, Deutschland 2015, Regie: Simon Brückner. (Der Film wurde am 29.8.2016 in 3sat ausgestrahlt.)

Der Film Aus dem Abseits bringt uns einen linken Intellektuellen wieder näher, der zur Zielscheibe des Modell Deutschlands von Helmut Schmidt wurde.

Simon Brückner war vier Jahre alt, als sein Vater 1982 in Nizza einem schweren Herzleiden erlag. Fast 25 Jahre später macht er sich im Film Aus dem Abseits auf die Suche nach seinem abwesenden Vater. Er präsentiert uns einen weitgehend in Vergessenheit geratenen, linken Intellektuellen, der in den Jahren des Modells Deutschlands von Helmut Schmidt zur Zielscheibe von Mob, Politik und Justiz in der BRD geraten war. Zweimal wurde er suspendiert, mehrere Razzien musste er über sich ergehen lassen. Altnazis schrieben Brückner Drohbriefe, und als die Fernsehnachrichten seinen Tod meldeten, applaudierten brave Deutsche in einer Krankenhauskantine spontan, erzählt eine Brückner-Vertraute im Film.

Der Mob hasste in Brücker einen linken Intellektuellen jüdischer Herkunft, für den Revolution und schönes Leben zusammengehörten und der sich dabei auch mit machen linken zeitgenössischen Dogmatikern zerstritt. Simon Brückner geht zurück in die Kindheit seines Vaters, als seine jüdische Mutter Deutschland noch rechtzeitig verließ, aber ihren Sohn im Teenageralter zurückließ. Der hatte in der NS-Zeit am eigenen Leib erfahren, dass, zumal in Deutschland, das Abseits der einzig sichere Ort ist. Früh beobachtete er die NS-Volksgemeinschaft und merkte auch selbstkritisch an, dass ihn seine jüdische Herkunft davor bewahrte, Teil dieser Volksgemeinschaft zu werden. Er schrieb auch von der Faszination, die der Ausbruch aus dem spießigen Internat in die NS-Jungschar bedeutete.

Brückners frühe Jahre in der DDR

Doch schon bald überwog beim jungen Brückner die Abscheu vor dem NS. Er wird aus dem Internat geworfen und zieht nach Zwickau, wo er als Jugendlicher allein lebt, was in der damaligen Zeit eine absolute Ausnahme war. In Zwickau fand er auch Kontakt zum kommunistischen Widerstand, den er nach 1945, nachdem er den Faschismus mit viel Glück überlebt hatte, aufrechterhielt. Brückner trat in die KPD ein und begann unmittelbar nach dem Krieg mit dem Aufbau einer Sozialpsychologie im Interesse des Proletariats. Ein solch eigensinniger Kommunist in der DDR, das konnte nicht gutgehen.

Doch gerade zu diesem Lebensabschnitt hätte man sich mehr Nachfragen im Film gewünscht. Viele Fragen bleiben offen. Schließlich erfahren wir, dass Brückner als KPD-Mitglied gegen das Zusammengehen mit der Sozialdemokratie in die SED war. Da standen ja wohl andere Gründe dahinter, als dass SPD-Mitglieder ihren Antikommunismus pflegen wollten. War er also der Meinung, dass die Kommunisten nicht mit den Reformisten der SPD kooperieren sollen? Ob sich da noch Forscher finden, die nach den einschlägigen Dokumenten suchen? Lebt vielleicht noch jemand von dieser Zwickauer Clique und kann sich noch an Brückner erinnern?

Im Film bleibt hier eine Leerstelle. Wir erfahren nur, dass bei Brückner eine Tuberkulose wieder ausbrach. Seine mit den britischen Alliierten nach Deutschland zurückgekehrte Mutter sorgte dafür, dass er in den Westen kam. Doch die Beziehung zur Mutter hielt nicht lange. Er brach den Kontakt ab. Es werden Ausschnitte aus seinen frühen Briefen zitiert, die zeigen, dass Brückner seiner Mutter nicht verzieh, dass sie ihn allein in Deutschland zurückgelassen hatte und ein Geschenk, das er ihr als Zehnjähriger besorgte, achtlos weggeworfen hatte.

Brückner hat wenig über diese frühen Jahre erzählt. Selbst seine letzte Lebensgefährtin, Barbara Sichtermann, wusste von Brückners Vorleben nach ihren Angaben nichts. Doch es ist durchaus verständlich, dass er damit nicht hausieren ging. Schließlich wird im Film ein Brief zitiert, aus dem hervorgeht, dass er nicht in eine Organisation der Verfolgten des Naziregimes eintreten wollte, weil er sich nicht als Opfer sah.

Dass er seine DDR-Geschichte nicht bekannt machte, dürfte zwei Gründe gehabt haben: Als früheres KPD-Mitglied wäre er in der Adenauerära noch mehr ins gesellschaftliche Abseits geraten. Zugleich gerierte er sich nicht als kommunistischer Renegat. Er gehörte wie Heiner Lipphardt und Ernst Bloch zu den linken Kritikern des Stalinismus und Nominalsozialismus, die sich weigerten, als Kronzeugen für den real existierenden Kapitalismus zu dienen. Da ist sein Schweigen verständlich.

Irritierender ist ein Interview mit einer Freundin und Kommune-Mitbewohnerin im Westberlin der 60er Jahre, die berichtet, dass Brückner körperliche Zuwendungen von der Frau forderte, und wenn sie sich weigerte, regte er sich so auf, dass sie befürchtete, er bekomme einen Herzinfarkt. Sie fühlte sich sexuell erpresst. Es ist erfreulich, dass Simon Brückner auch diese Seite seines Vaters nicht unerwähnt lässt.

Lang lehre Peter Brückner

Viel Raum nimmt natürlich der linke Intellektuelle Brückner ein. Wir sehen ihn in Teach-Ins, als Kundgebungsredner, bald auch in eigener Sache. Denn er gehörte zu denen, die, als der Staat mit Repression drohte, nicht klein beigaben sondern kämpften, und so auch Protagonist einer Solidaritätsbewegung wurden, die über die BRD hinausging. «Lang lehre Peter Brückner» lautete die Parole vieler Demonstrierenden in jenem deutschen Herbst, dessen Protagonist Helmut Schmidt im November letzten Jahres gestorben ist und mit viel Lob bedacht wurde. So ist Simon Brückners Film auch ein Antidot zur Schmidtomanie, die den Mann, der im Notstandsfall mal nicht in die Gesetzbücher gucken wollte und von dem der Spruch stammt, dass die Wehrmachtsangehörigen gut harmonierten, zur Lichtgestalt stilisierten.

Aus dem Abseits gibt denen, die im Schmidtschen «Modell Deutschland» ausgegrenzt und kriminalisiert wurden, ein Forum. Der Film zeigt auch die Folgen der Kriminalisierung. So begann Barbara Sichtermann mit ihrer Arbeit als Schriftstellerin, weil nach Brückners Entlassung das Geld fehlte. Für seinen Nizza-Urlaub musste er einen Kredit aufnehmen. Gerade weil der Film von Simon Brückner ein Spurensucher seines Vaters und eines linken Intellektuellen ist, bleiben viele Fragen offen. Das ist aber gut so und könnte dazu führen, dass auch wieder die Bücher von Brückner gelesen werden. Das wäre erfreulich, weil sich dort viele nützliche Anregungen für alle Menschen finden, die sich vom scheinbaren kapitalistischen Endsieg nicht dumm machen lassen und weiterhin überzeugt sind, dass die Welt unvernünftig eingerichtet ist und es eine Revolution braucht, um das zu verändern.

Seit einigen Jahren trifft sich alljährlich ein Kreis von Interessierten zum Peter-Brückner-Kongress. Der Aktualität Bruckners wurde ein Buch gewidmet. Der Film könnte jetzt helfen, dass der Kreis derer, für die die Parole «Lang lehre Peter Brückner» größer wird.

PDF Version Artikellink per Mail Drucken Soz Nr. 10/2016 |
http://www.sozonline.de/2016/10/peter-brueckner-und-die-deutschen-verhaeltnisse/

Peter Nowak

Dresden: Feldversuche und Tabubrüche


In der „Ordnungszelle Sachsen“ zeigt sich, wie die sogenannte Mitte nach rechts rückt. Manche wollen Pegida und AfD noch ersetzen, manche kooperieren schon längst

Der Einheitsfeiertag am 3.Oktober wird in diesem Jahr in Dresden zelebriert[1]. Dort wird am kommenden Montag ein Aufmarsch der zerstrittenen Pegida-Bewegung erwartet. Schon Tage vorher wurden die Einheitsfeierlichkeiten mit Bombenanschlägen gegen eine Moschee und ein Gemeindehaus[2] eingeleitet.

Dass die verantwortlichen sächsischen Politiker eine auf den ersten Blick zu erkennende Fake-Meldung[3], die die Anschläge der Dresdner Antifa in die Schuhe spielen wollte, zunächst als ernst zunehmenden Tathinweis bezeichnete, wurde nicht als der Skandal hingenommen, der er ist

Genau 36 Jahre vor den Dresdner Anschlägen ereignete sich der bis heute nicht aufgeklärte Anschlag auf das Münchner Oktoberfest[4]. Sicher ist, dass er von Neonazis begangen wurde. Einer kam dabei um. Ob und wie viel Mittäter er hatte, ist bis heute Gegenstand von Spekulationen (Das Oktoberfestattentat war kein Werk eines Einzeltäters[5]). Zurzeit ermittelt die Justiz wieder. 1980 versuchten konservative Medien und der damalige Unions-Kanzlerkandidat Franz-Josef Strauß, die radikale Linke für den Anschlag verantwortlich zu machen.

Haben also die noch unbekannten Verantwortlichen für die Anschläge ganz bewusst den Jahrestag des Münchner Anschlags gewählt, um das Szenario in Sachsen zu wiederholen? Warum spielten führende sächsische Politiker so willig bei diesem Spiel mit, indem sie der auf Indymedia geposteten Fake-Meldung einer angeblichen Dresdner Antifa nicht sofort als Fälschung bezeichneten?

Feststellen kann man: Für führende sächsische Unionspolitiker steht der Feind links und der fängt bereits bei der Amadeu Antonio Stiftung[6] an. Der sächsische Unionsabgeordnete Thomas Feist bezeichnet sie als „Plattform für Linksradikale“[7] und will die Förderung überprüfen lassen.

Feldversuch zur Züchtigung von Rechten in Sachsen

Zuvor hatte sich schon sein Parteifreund Alexander Krauss in der rechtskonservativen Wochenzeitung Junge Freiheit jegliche Belehrung durch die Antonio Amadeu Stiftung verbeten[8]. Damit reagierte er auf die Stiftungsvorsitzende Anetta Kahane, die erklärt hatte:

Wenn man mal einen Feldversuch machen will, wie man Nazis groß bekommt, dass die richtig machen können, was sie wollen, dann muss man sich Sachsen angucken.Anetta Kahane

Anetta Kahane

In jüngster Zeit unternimmt die sächsische CDU gerade alles, um Kahane Recht zu geben. Pünktlich zum Einheitsfeiertag legt sie gemeinsam mit der bayerischen CSU ein Leitlinienpapier vor, das für „Patriotismus und Heimatliebe“ und den Aufbau starker “ nationaler und regionaler Identitäten“ plädiert und den Anspruch erhebt, „werteorientierter Patriotismus darf nicht den Falschen überlassen werden“.

Mit den Falschen sind wohl Pegida und AfD gemeint, mit denen CSU und sächsische CDU darüber streiten wollen, wer am besten deutsche Werte vertritt. Gehört die sächsische CDU-Abgeordnete Bettina Kudla[9] nach Ansicht der Verfasser des Leitlinienpapiers schon zu den Falschen? Oder hat sie mit ihrer Tweetwarnung vor einer „Umvolkung Deutschlands“ nur dazu beigetragen, dass solche Äußerungen nicht die Falschen verwenden?

Schließlich haben ja auch führende CSU-Politiker in der Vergangenheit solche inkriminierten Begriffe verwendet, ohne einen Karriereknick zu erleiden. Auch Kudla kann weiter „vollen Einsatz für Leipzig“ zeigen, wie sie es auf ihrer Homepage androht. Ihr Tweet hat keine Folgen[10].

Anders als in der Causa Martin Hohmann, wo das Merkel-Lager in der CDU noch stark genug war, den Rechtskonservativen nach einer antisemitischen Rede aus der Partei zu werfen – heute macht er übrigens Kommunalpolitik für die AfD[11] -, kann und will man sich im Fall Kudla nicht gegen die sächsische Union stellen.

Denn die Abgeordnete mag sich im Ton vergriffen haben, in der Sache dürfte ein großer Teil der CDU-Basis mit ihr übereinstimmen. Zudem hätte Kudla ja schnell bei der AfD andocken können und so der Partei ein erstes Bundestagsmandat bescheren können.

In Sachsen wäre es ein Tabu, mit Pegida und AfD nicht zu reden

Zur „Ordnungszelle Sachsen“ gehört auch eine Strömung der Grünen, die bereits seit 1989 nach rechts weit offen war. Ihr gehört die ehemalige sächsische Grünenpolitikerin Antje Hermenau[12] an, die immer mit der Union kooperieren wollte. Seit es Pegida gibt, tritt sie als Schutzpatronin der angeblich besorgen Bürger auf.

Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass sie jetzt auf AfD-Veranstaltungen ihr Buch „Die Zukunft wird anders“ vorstellt. Gerüchte, sie sei bereits der AfD beigetreten, weist sie zurück Die Annäherung muss langsamer laufen. Die sich selbst als Netzwerkerin verstehende Hermenau reiste von Dresden gleich nach Ungarn, dem Vorbild für eine rechte Machtübernahme in Europa im 21.Jahrhundert.

Zustimmung fand sie dabei beim Taz-Kommentator Peter Unfried[13], der wöchentlich dafür wirkt, dass die Grünen endlich in Deutschland ankommen sollen, was sie bereits seit mehr als 25 Jahren getan haben. In Wirklichkeit meint er damit, sie sollen nach rechts offener werden.

Bisher warb er unermüdlich für das Modell Kretschmann, doch dafür fehlen in Ostdeutschland die Grundlagen. Daher bezeichnet er Antje Hermenau als angebliche Tabubrecherin, die mit der AfD spricht und ihr vor allem zuhört. Nur wird in Sachsen mit der AfD und Pegida geredet und zugehört, seit es sie gibt.

Die Zentrale für politische Bildung lud sie sogar in ihr Büro[14]. Auch ist der Politologieprofessor Werner Patzelt längst vom Pegida-Erklärer zum Pegida-Versteher mutiert: In Sachsen ist es kein Tabu, mit Pegida und AfD zu reden, das Tabu ist vielmehr, sie ganz klar zu bekämpfen.

Die sächsische Linke und ihr nationaler Flügel: „Ausgrenzender Antifaschismus ist nicht hilfreich“

Die sächsische Linkspartei hat das Glück, dass sich ihr nationaler Flügel schon in den 1990 Jahren in der PDS desavouiert hat. Die damalige Dresdner Vorsitzende Christine Ostrowski und ihr Umfeld hatten keine Probleme, mit Neonazis zu reden, was heftige Kritik innerhalb der Partei auslöste. Doch ihr Austritt erfolgte, weil sie auch noch vehement für den Verkauf von kommunalen Wohnungen in Dresden eintraten und sich dafür auch durch Parteibeschlüsse nicht beirren ließen.

Nach einem Intermezzo bei der FDP geriert sich Ostrowski nun als bekennende AfD-Wählerin[15] und Merkel-Kritikerin. Einer von Ostrowskis Mitarbeitern war Jens Lorek[16], der bei Pegida-Veranstaltungen auftritt[17] und sich zu den Bautzener Wutbürgern gesellte[18].

„Ausgrenzender Antifaschismus ist nicht hilfreich“ erklärte die damalige PDS-Politikerin Ostrowski bereits 1992[19], als sie wegen ihres Dialogs mit einem Neonazi kritisiert wurde. Sie und ihr Umfeld sind sich also treu geblieben.

Einige sind Tabubrecher und Erinnerung an die Opfer rechter Gewalt

Das Credo vom ausgrenzenden Antifaschismus, der das eigentliche Problem sei, gehört in der Ordnungszelle Sachsen mittlerweile fast zum Allgemeingut. Dem verweigern sich einige linke Gruppen[20] und ein kleiner Teil der Zivilgesellschaft, die tatsächlich ein Tabu brechen.

Sie reden nicht mit der AfD und Pegida. Sie benennen am deutschen Einheitstag die Opfer einer rechten Politik. Dazu gehört auch die Ausstellung Baustelle Europa im Kunsthaus Dresden[21]. Dort hat der in Berlin lebende Künstler Thomas Kilpper[22] mehrere Kohlezeichnungen ausgestellt, die Tatorte darstellen, an denen in den letzten 18 Monate rassistische Anschläge verübt wurden.

Ca. 300 Meter entfernt auf dem Jorge-Gomondai-Platz hat Thomas Kilpper die Installation Ein Leuchtturm für Lampedusa[23] aufgestellt, die sich dem Thema Flucht, Vertreibung und Widerstand widmet. Benannt ist der Ort nach dem ersten rassistischen Todesopfer nach der Wiedervereinigung in Dresden. Der Vertragsarbeiter aus Mosambik wurde an diesem Ort am 6. April 1991 erschlagen. Am 1. Juli 2009 wurde die in Ägypten geborene Pharmazeutin Marwa El-Sherbine im Gerichtssaal erstochen, wo sie den Täter wegen rassistischer Beleidigungen verklagt hatte[24].

Die neuen Anschläge in Dresden sind nur die weitere Begleitmusik zum Deutschen Einheitsfeiertag. Manche werden daher in Dresden am 3.Oktober ein Tabu brechen und diesen Deutschen Opfern gedenken und gegen die „Ordnungszelle Sachsen“ demonstrieren[25].

http://www.heise.de/tp/artikel/49/49577/2.html

Peter Nowak

Anhang

Links

[0]

https://commons.wikimedia.org/wiki/Dresden#/media/File:Canaletto_-_Dresden_seen_from_the_Right_Bank_of_the_Elbe,_beneath_the_Augusts_Bridge_-_Google_Art_Project.jpg

[1]

https://www.tag-der-deutschen-einheit.sachsen.de/

[2]

http://www.heise.de/tp/artikel/49/49530/

[3]

http://www.heise.de/tp/artikel/49/49542/

[4]

http://story.br.de/oktoberfest-attentat/

[5]

http://www.heise.de/tp/artikel/33/33015/

[6]

https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/

[7]

http://www.mdr.de/nachrichten/politik/regional/amadeu-antonio-stiftung-102.html

[8]

https://jungefreiheit.de/politik/deutschland/2016/cdu-politiker-krauss-sachsen-braucht-keine-belehrungen

[9]

http://www.bettinakudla.de/

[10]

http://www.zeit.de/politik/deutschland/2016-09/bettina-kudla-tweet-cdu-michael-grosse-broemer-gespraech

[11]

http://www.hagalil.com/2016/07/hohmann

[12]

http://antje-hermenau.de

[13]

http://www.taz.de/!5340021

[14]

http://www.tagesspiegel.de/politik/nach-pegida-pressekonferenz-landeszentrale-fuer-politische-bildung-sachsen-unter-druck/11254128.html

[15]

https://www.sachsen-depesche.de/regional/christine-ostrowski-ehem-pds,-linke-bekennt-%E2%80%9Enun-w%C3%A4hle-ich-afd%E2%80%9C.html

[16]

http://www.taz.de/!5012088

[17]

http://kontrageil.de/alltag/jens-lorek-der-neue-shootingstar-der-pegida-comedytruppe

[18]

http://www.bild.de/regional/dresden/fremdenfeindlichkeit/so-hat-die-polizei-bautzen-entschaerft-47885630.bild.html

[19]

http://jungle-world.com/artikel/2000/51/26566.html

[20]

https://nationalismusistkeinealternative.net/3-oktober-2016-gegen-die-einheitsfeier-in-dresden

[21]

http://kunsthausdresden.de

[22]

http://www.kilpper-projects.net/blog

[23]

http://www.kilpper-projects.net/blog/?p=53

[24]

http://www.tagesspiegel.de/politik/fuenf-jahre-nach-dem-mord-gedenken-an-marwa-el-sherbini/10127968.html

[25]

https://nationalismusistkeinealternative.net/3-oktober-2016-gegen-die-einheitsfeier-in-dresden