Hajek Willi (Hg.). Gelb ist das neue Rot – Gewerkschaften und Gelbwesten in Frankreich. Die Buchmacherei, Berlin, 2020, ISBN: 978-3-9820783-7-3, 100 Seiten, ca. 8 Franken (7 Euro).

Gelb ist das neue Rot

Über die französische Gelbwestenbewegung sind in den letzten Monaten einige Bücher erschienen. Doch der im Verlag «Die Buchmacherei» erschienene Sammelband mit dem Titel «Gelb ist das neue Rot» liefert einige neue Aspekte. Das ist dem Herausgeber Willi Hajek zu verdanken.

Willi Hajek lebt seit einigen Jahren in Marseille und steht mit basisgewerkschaftlichen Zusammenhängen in verschiedenen Ländern in regen Austausch. In Frankreich hat Hajek gute Kontakt zu Aktivist*innen der Gelbwesten und der Gewerkschaften. Die zehn Aufsätze drehen sich um das durchaus spannungsgeladene Verhältnis zwischen….

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Im Zweifel für Menschen in Not

Die ehemalige Leiterin der Bremer BAMF verdient eine Auszeichnung wegen Zivilcourage –

Ein Kommentar

Es ist schon mehr als ein Jahrzehnt her, als Erwerbslosenaktivisten die Aktion „Fabienne gesucht“[1]machten. Sie bezogen sich dabei auf die französische Leiterin eines Arbeitsamtes Fabienne Brutus[2], die öffentlich erklärte, sie wolle Erwerbslose beraten, werde sie aber nicht sanktionieren.

Dieses Statement sorgte auch in Deutschland für Aufmerksamkeit und führte eben dazu, dass auch in Deutschland Erwerbslose nach Mitarbeitern in den Ämtern guckten, die sich ebenfalls weigerten, zu sanktionieren. Es gab damals einige Gespräche mit Beschäftigten in Jobcentern und Marcell Kallwass[3], der an der Hochschule der Agentur für Arbeit studierte, wurde gekündigt[4], weil er die Sanktionierung kritisierte und erklärte, sich daran nicht beteiligen zu wollen.

Nun könnte Ulrike B., die ehemalige Leiterin der BAMF in Bremen, auch eine solche Fabienne sein, eine Frau, die im Zweifel für die Migranten entschied und die sich nun selber öffentlich äußerte[5], nachdem sie seit Wochen im Mittelpunkt des sogenannten Bremer BASMF-Skandal steht. Doch was ist da überhaupt geschehen?

Während in vielen Ausländerämtern negative Asylbeschiede ausgestellt werden, die oft von den Gerichten wieder kassiert werden, hatten in Bremen mehr Menschen Aussicht auf ein Asyl, besonders viele Jesiden waren darunter, die nicht nur von den Islamterroristen der IS verfolgt und versklavt wurden. Jesiden hatten in den letzten Jahren allgemein eine gute Asylquote. Umso unverständlicher ist die wochenlange Kampagne gegen die Entscheidungen von BAMF Bremen, die unter Ulrike B. weniger bürokratisch und mehr an den Menschen und ihren Rechten orientiert waren. Das könnte eigentlich Vorbild für andere Behörden sein und wird stattdessen mit der Kampagne denunziert.

Kriminalisierung von Ulrike B.

Gegen die Frau wird gegen Bestechlichkeit und die bandenmögliche Verleitung zur missbräuchlichen Asylantragsstellung ermittelt.  
Kriminalisierung von Ulrike B.

Gegen die Frau wird gegen Bestechlichkeit und die bandenmögliche Verleitung zur missbräuchlichen Asylantragsstellung ermittelt. Da gehört schon Zivilcourage dazu, wenn sich Ulrike B. noch einmal klar äußert, zu ihren Handlungen steht und deutlich macht, dass sie wieder so entscheiden würde. Es sei ihr um Menschen, statt um Zahlen gegangen. Spätestens jetzt müsste es eine öffentliche Unterstützung für Ulrike F. geben. Viel zu lange hat man in der Angelegenheit die Definitionsmacht über das, was in der Bremer BAMF geschehen ist, Seehofer und der AfD überlassen. Für die sind hohe Flüchtlingszahlen fast ein Verbrechen und sie wollen mit der Kritik am BAMF das, was sie die Merkelsche Flüchtingspolitik nennen, angreifen.

Einer der wenigen, der an der Pauschalkritik an der Bremer BAMF nicht teilhaben wollte, ist der Taz-Kolumnist Juri Sternburg. Er forderte[6] hingegen, dass Ulrike F., eine Auszeichnung statt die Pauschalkritik verdient hätte.


Bleibt die Frage: Warum ist Ulrike B. nicht längst für diverse Menschenrechtspreise nominiert? Oder wenigstens für das Bundesverdienstkreuz? Es gibt doch auch bestimmt noch jede Menge zweifelhafte Straßennamen, die man nach ihr umbenennen könnte. Die deutsche Asylpolitik ist für Tausende von ertrunkenen Flüchtlingen mitverantwortlich. Was ist falsch daran, sich dieser Politik nicht zu unterwerfen?

Juri Sternburg

Nun muss man Ulrike B. ja nicht das Bundesverdienstkreuz zumuten. Warum aber gibt es keine Initiative aus der parlamentarischen oder außerparlamentarischen Linken, die Ulrike B. für ihre Zivilcourage würdigt? Das könnte eine Kooperation von Flüchtlings- und Erwerbslosengruppen sein, die eben Beschäftigte mit Zivilcourage wie Fabienne Brutus suchen, die im Zweifel für die Menschen in Not und gegen Vorgaben von Behörden entscheiden.

Im Fall von Ulrike B. bietet sich das besonders an, weil verantwortlich für die BAMF genau jener Klaus-Jürgen Weise war, der vorher für die Agentur für Arbeit zuständig war. Mit seinem Amtsantritt sei es nicht mehr um die menschlichen Schicksale, sondern um die Bearbeitung von Fallzahlen gegangen, moniert Ulrike B.

Genau das war auch das Erfolgsrezept von Klaus-Jürgen Weise als Chef der Agentur für Arbeit. Darüber klagten Angestellte[7], aber mehr noch Erwerbslose. Weil er sie nur als Fallzahlen statt als menschliche Schicksale sah, empfahl er sich für den Job bei der BAMF. Hier zeigt sich also, nicht Migranten sind das Problem für Erwerbslose und Hartz IV-Empfänger, sondern Bürokraten wie Weise, die beide Gruppen zu Fallzahlen und erledigten Fällen machen. Eine Ehrung für Ulrike B. durch freche Erwerbslose und aktive Migranten wäre ein Statement gegen die Spaltungstendenzen, die nur garantieren, dass die Lebensverhältnisse für beide Gruppen schlecht bleiben.

Würdigung von Ulrike B. statt Untersuchungsausschuss

Die parlamentarische Linke hingegen könnte sich lieber Gedanken über eine Würdigung von Ulrike B. machen, statt sich innerparteilich darüber zu streiten, ob sie einen Untersuchungsausschuss zu den BAMF-Vorkommnissen fordern soll. Einige fordern genau das – mit dem Verweis auf ihre Rechte als Parlamentarier. Andere lehnen es ab, weil sie damit dem Kalkül der AfD entgegenkämen, die den Untersuchungsausschuss für ihre Anti-Flüchtlingspropaganda nutzen wollen. Die Publizistin Kathrin Gerlof sieht diese Gefahr auch und kritisiert in einer Kolumne[8] für die Tageszeitung Neues Deutschland die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen, die sich für einen Untersuchungsausschuss ausgesprochen[9] hat, wenn nicht ganz schnell aufgeklärt wird:

Möglicherweise ist ihr nicht ganz klar, dass sie mit der Aufforderung, man möge die 1176 Fälle prüfen, in denen „zu Unrecht“ (ja, hier muss mit vielen Tüddelchen gearbeitet werden, auch wenn Anführung und Abführung den Textfluss massiv stören) Asyl bewilligt worden sein soll, der gleichen Logik unterliegt, die uns Seehofer und Kumpane seit jeher einreden wollen: Nach Deutschland kommen eine Menge Leute, die haben gar kein Recht, hier zu sein. Die sind zu Unrecht in unserer schönen Heimat untergekrochen. Ein Unrecht, das in den vergangenen Jahrzehnten durch die Abschaffung eines Grundrechtes überhaupt erst entstand. Was der eigentliche Skandal ist. Und nicht jene Bamf-Mitarbeiter*innen, die womöglich aus Überforderung, im schönsten Fall aus Mitgefühl oder anderen ethisch hochwertigen Gründen, falsche Asylbescheide ausgestellt haben. 

Dagdelen möchte also vielleicht, wahrscheinlich einen Untersuchungsausschuss, weil sie Seehofer keine lückenlose Aufklärung (das ist übrigens eine deutschlandweit konkurrenzlose Wortverbindung – lückenlos und Aufklärung) zutraut, die sie aber notwendig findet und haben möchte. Darf man fragen, warum sie das will? Warum sie einem Seehofer Empfehlungen gibt, anstatt ihm jeden Tag aufs Neue zu sagen, er soll sich vom Acker machen und in seine Heimat zurückkehren? Diese ganze »Seehofer muss, Merkel sollte, Scholz darf nicht, von der Leyen steht in der Pflicht-Empfehlungsscheiße« ist ein großes Übel. Seehofer zur Aufklärung aufzufordern (sollen die 1176 Menschen nach der Aufklärung eigentlich abgeschoben werden oder welchen Vorschlag hat die LINKE in Versalien?), gibt vielleicht eine schöne Presseerklärung ab. Ist aber trotzdem gequirlter Mist.

Kathrin Gerlof

Dem ist wenig hinzuzufügen. Vielleicht noch die Frage, wieso Bundestagsabgeordnete einer Partei, die doch angeblich zumindest auf dem Papier für offene Grenzen eintritt, jetzt aufklären wollen, ob es vielleicht doch einige Migranten mehr geschafft haben in Deutschland zu bleiben, als die deutschen Gesetze Verordnungen und Erlasse erlauben. Dass müsste doch für die Linkspartei ein Grund sein, diejenigen, die ein klein wenig dazu beigetragen haben, diese Utopie umzusetzen zu unterstützen. Wenn nicht, kann sie sich auch die Debatte über offene Grenzen schenken.

Peter Nowak

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http://www.heise.de/-4062657
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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.gegen-hartz.de/news/gesucht-wird-die-deutsche-fabienne
[2] http://archiv.labournet.de/diskussion/arbeit/realpolitik/zwang/
agenturschlussdebatte.html
[3] https://kritischerkommilitone.wordpress.com/
[4] http://www.fr.de/politik/bundesagentur-fuer-arbeit-weg-mit-dem-stoerenfried-a-624527
[5] https://www.zeit.de/news/2018-05/29/bremer-ex-bamf-chefin-stehe-zu-allem-was-ich-getan-habe-180530-99-506403
[6] http://www.taz.de/!5508066/
[7] http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/bundesagentur-fuer-arbeit-befragung-offenbart-desastroeses-betriebsklima/20620814.html
[8] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1089426.bamf-affaere-ich-beginne-zu-glauben-h.html
[9] https://www.sevimdagdelen.de/bamf-schnelles-handeln-erforderlich/

Wenn Erwerbslose zur Gefahr werden


„Kein Anspruch auf Informationszugang zu dienstlichen Telefonlisten von Jobcentern“ – Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts und seine mündliche Begründung ist Klassenkampf von oben

Seit Jahren kämpfen Erwerbslosenaktivisten dafür, dass die Jobcenter die dienstlichen Telefonnummern ihrer Mitarbeiter öffentlich zugänglich machen[1]. Die meisten Jobcenter lehnen das ab und verweisen auf den Datenschutz. Am 20. Oktober hat ihnen das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig Recht gegeben[2].

Geklagt hatten vier Erwerbslose, darunter der Vorsitzende der Erwerbsloseninitiative Braunschweig e.V.[3], Sven F. Sie hatten sich auf das Informationsfreiheitsgesetz berufen. Das Gericht hatte in seiner mündlichen Begründung für die Zurückweisung der Klage ausgeführt, dass die Herausgabe der Te

Das Bundesverwaltungsgericht erkannte eine „Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“, was nach dem Informationsfreiheitsgesetz ausnahmsweise die Verweigerung der Telefonnummern rechtfertige. In der Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts zum Urteil[4] heißt es:

Das Oberverwaltungsgericht Münster und der Verwaltungsgerichtshof München haben im Einklang mit den maßgeblichen Rechtsvorschriften entschieden, dass zu Lasten der Kläger der Ausschlussgrund des § 3 Nr. 2 IFG[5] eingreift. Danach besteht der Anspruch auf Informationszugang nicht, wenn das Bekanntwerden der Information die öffentliche Sicherheit gefährden kann.

Zum Schutzgut der öffentlichen Sicherheit gehören u.a. Individualrechtsgüter wie Gesundheit und Eigentum sowie die Funktionsfähigkeit und die effektive Aufgabenerledigung staatlicher Einrichtungen. Deren Gefährdung liegt vor, wenn aufgrund einer auf konkreten Tatsachen beruhenden prognostischen Bewertung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass das Bekanntwerden der Information das Schutzgut beeinträchtigt.

Von diesem rechtlichen Ausgangspunkt aus haben das Oberverwaltungsgericht Münster und der Verwaltungsgerichtshof München jeweils Tatsachen festgestellt, die zu einer solchen Gefährdung führen. Sie besteht namentlich in nachteiligen Auswirkungen auf die effiziente und zügige Aufgabenerfüllung der Jobcenter, die infolge von direkten Anrufen bei den Bediensteten eintreten können.Bundesverwaltungsgericht[6]

Hier schwingt die alte Furcht vor den Unterklassen noch immer mit, obwohl es doch nur Ansätze einer engagierten Erwerbslosenbewegung in Deutschland gibt. An der Kampagne gegen renitente Erwerbslose beteiligen sich auch die in der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi organisierten Jobcentermitarbeiter, die die Repressalien gegen renitente Erwerbslose noch verschärften wollen und es schon in der Akte dokumentieren wollen[7], wenn jemand mal lauter wird.

Auf die Idee, dass es die Ungerechtigkeiten des Hartz IV-Systems sein könnte, die manche Erwerbslose wütend macht, kommen auch die gewerkschaftlich organisierten Jobcentermitarbeiter in der Regel nicht. Daher gibt es hierzulande auch keine Fabienne Brutus, eine Jobcentermitarbeitern aus Frankreich, die erklärt hat, sie wolle Betroffene bei der Arbeitsvermittlung unterstützen, sich weigerte, zu strafen und sanktionieren, und dafür im ganzen Land Solidarität erfuhr.

In Deutschland gibt es keinen Aufschrei, wenn Erwerbslose, die eine Telefonnummer ihrer Fallmanager einfordern, zum Sicherheitsrisiko erklärt werden. „Ohne die Herausgabe der Telefonnummern ist direkter Kontakt mit den zuständigen Mitarbeitern des Jobcenters nicht möglich. Die eingerichteten Servicenummern werden nun weiterhin zu einer Vielzahl von Missverständnissen führen, die nicht selten in unnötigen Klagen enden“, bedauert Kläger Sven F. von der Erwerbsloseninitiative Braunschweig.

Hier schwingt die alte Furcht vor den Unterklassen noch immer mit, obwohl es doch nur Ansätze einer engagierten Erwerbslosenbewegung in Deutschland gibt. An der Kampagne gegen renitente Erwerbslose beteiligen sich auch die in der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi organisierten Jobcentermitarbeiter, die die Repressalien gegen renitente Erwerbslose noch verschärften wollen und es schon in der Akte dokumentieren wollen[7], wenn jemand mal lauter wird.

Auf die Idee, dass es die Ungerechtigkeiten des Hartz IV-Systems sein könnte, die manche Erwerbslose wütend macht, kommen auch die gewerkschaftlich organisierten Jobcentermitarbeiter in der Regel nicht. Daher gibt es hierzulande auch keine Fabienne Brutus, eine Jobcentermitarbeitern aus Frankreich, die erklärt hat, sie wolle Betroffene bei der Arbeitsvermittlung unterstützen, sich weigerte, zu strafen und sanktionieren, und dafür im ganzen Land Solidarität erfuhr. Hierzulande nahm die Initiative für soziale Gerechtigkeit, ISG Gera[8] den Funken auf und startete die Aktion deutsche Fabienne[9].

In Deutschland gibt es keinen Aufschrei, wenn Erwerbslose, die eine Telefonnummer ihrer Fallmanager einfordern, zum Sicherheitsrisiko erklärt werden. „Ohne die Herausgabe der Telefonnummern ist direkter Kontakt mit den zuständigen Mitarbeitern des Jobcenters nicht möglich. Die eingerichteten Servicenummern werden nun weiterhin zu einer Vielzahl von Missverständnissen führen, die nicht selten in unnötigen Klagen enden“, bedauert Kläger Sven F. von der Erwerbsloseninitiative Braunschweig.

Frag das Jobcenter

Der Kampf um die Veröffentlichung der Telefonlisten geht schon länger. Der Erwerbslosenverein Tacheles[10] war nach Klagedrohungen gezwungen, die Liste mit Telefonnummern von Jobcentermitarbeitern von seinem Internetportal zu nehmen[11]. Auch die Berliner Piratenfraktion, die daraufhin die Telefonnummern online veröffentlichte, entfernte nach Klagedrohungen angesichts der unsicheren Rechtslage die Daten wieder von ihrer Homepage.

Das Urteil aus Leipzig wird die Diskussion um mehr Transparenz der Jobcenter nicht beenden. Im Gegenteil. Die Initiative Frag das Jobcenter[12] ruft dazu auf, Onlineanfragen an die Behörde zu starten, in denen sie zur Veröffentlichung ihrer Transparenzregeln aufgefordert werden.

„Nachdem der juristische Versuch gescheitert ist, muss der Druck auf die Jobcenter erhöht werden“, meinte ein Initiator. „Schließlich haben die Leipziger Richter den Jobcentern nicht verboten, die Daten zu veröffentlichen, sondern die Entscheidung in ihr Ermessen gestellt.“

Delikt sozialwidriges Verhalten: Repressalien gegen Hartz IV-Bezieher werden verfeinert

Während Erwerbslosen die dienstlichen Nummern ihre Fallmanager verweigert wird, werden sie selbst für die Behörden „immer gläserner“. Nicht nur alle Kontodaten können vom Jobcenter eingesehen werden können. Oft werden sogar Sozialdetektive losgeschickt, die kontrollieren sollen, ob Hartz IV-Bezieher und ihre Mitbewohner eine Bedarfsgemeinschaft sind oder nicht. Zudem wird die Repressionsschraube weiter angezogen. So können die Leistungen empfindlich gekürzt werden, wenn die Behörde den Erwerbslosen sozialwidriges Verhalten vorwirft[13].

So sollen die Jobcenter Gelder sogar nachträglich zurückfordern können, wenn ein Berufskraftfahrer wegen Trunkenheit seinen Führerschein und damit auch seinen Job verloren hat. Oder wenn eine alleinerziehende Mutter nicht den Namen des Kindsvaters nennen möchte. Oder wenn Aufstocker einfach so ihren Job aufgeben und deshalb mehr Hartz-IV-Leistungen benötigen als bislang.

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis zum sozialwidrigen Verhalten auch Rauchen oder falsche Ernährung gezählt wird. Wer ein eigenes Haus besitzt, dann Leistungen nach Hartz IV beziehen muss, kann gezwungen werden, das Haus zu verkaufen. Der Erlös muss für die Deckung der Lebenshandlungskosten verwendet werden. Dabei dürfen allerdings keine Urlaubsreisen oder Luxusgüter gekauft werden.

Das könnte ebenfalls als sozialwidriges Verhalten sanktioniert werden[14]. So ist die Verheimlichung der Dienstnummern der Jobcenterangestellten nur ein weiterer Baustein einer systematischen Entrechtung von Erwerbslosen unter Hartz IV. Mit der Verweigerung der Telefonnummer wird ihnen deutlich gemacht, dass sie keine gleichberechtigen Gesprächs- und Verhandlungspartner sind, sondern gefährliche Klassen, die man im Zweifel ausgesperrt lässt.

Peter Nowak

http://www.heise.de/tp/artikel/49/49774/1.html

Anhang

Links

[0]

https://de.wikipedia.org/wiki/Bundesverwaltungsgericht_(Deutschland)#/media/File:Reichsgerichtsgebauede_-_frontal.jpg

[1]

https://www.heise.de/tp/news/Wann-duerfen-Telefonnummern-von-Jobcenter-Mitarbeitern-veroeffentlicht-werden-2553191.html

[2]

http://www.bverwg.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilung.php?jahr=2016&nr=86

[3]

http://www.hartz4-im-netz.de/PagEd-index-index-page_id-56.html

[4]

http://www.bverwg.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilung.php?jahr=2016&nr=86

[5]

https://dejure.org/gesetze/IFG/3.html

[6]

http://www.bverwg.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilung.php?jahr=2016&nr=86&PageSpeed=noscript

[7]

https://publik.verdi.de/2016/ausgabe-04/gewerkschaft/gewerkschaft/seiten-4-5/A2

[8]

http://www.isg-gera.de/

[9]

http://www.isg-gera.de/index.php?action=fabienne

[10]

http://tacheles-sozialhilfe.de/startseite

[11]

https://www.heise.de/tp/news/Telefonlisten-der-Jobcenter-sollen-geheim-bleiben-2102729.html

[12]

http://blog.fragdenstaat.de/2016/fragdasjobcenter

[13]

http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/hartz-iv-so-hart-koennen-hartz-iv-empfaenger-nun-bestraft-werden-a-1110686.html

[14]

http://www.rp-online.de/wirtschaft/bundessozialgericht-hartz-iv-empfaenger-muessen-zu-grosses-haus-verkaufen-aid-1.6323254

Aktenkundig mit Brüllattacke

In Berlin besetzten diese Woche Erwerbslosenaktivisten aus Protest gegen die dortige Behandlung von Hartz-IV-Empfängern ein Jobcenter.

Mitglieder der Berliner Erwerbsloseninitiative »Basta« besetzten am Montag für zwei Stunden das Jobcenter Mitte im Berliner Ortsteil Wedding. Während die Aktion von den wartenden Erwerbslosen teilweise mit Zustimmung aufgenommen wurde, erstattete die Jobcenterverwaltung An­zeige wegen Hausfriedensbruchs. Gitta Schalk von »Basta« ist es wichtig, über die alltäglichen Tücken zu reden, mit denen Hartz-IV-Bezieher alltäglich auf dem Amt konfrontiert sind. »Unter dem scheinbar schönen Label ›Bürokratieabbau‹ werden von den Jobcentern ständig neue Schikanen gegen ­Erwerbslose ausgeheckt«, sagt sie der Jungle World. Es handele sich um hausinterne Regelungen und Dienstanweisungen, die den Betroffenen nicht bekannt sind. Nur die Konsequenzen haben sie zu tragen.

Besonders ein Wohnungswechsel sei für Hartz-IV-Empfänger am Jobcenter Mitte mit großen bürokratischen Hürden verbunden, berichtet Schalk aus ihrer Beratungstätigkeit für »Basta«. Diese Maßnahmen waren auch der Grund für die kurzzeitige Besetzung. »Basta« hatte zuvor in einem offenen Brief an das Jobcenter heftige Kritik am Umgang mit wohnungssuchenden Hartz-IV-Beziehern geübt. Besonders zwei Punkte hebt sie hervor. »Wiederholt verschleppt die Behörde die Bearbeitung der Zusage nach Übernahme der Wohnkosten. Die ist aber die Voraussetzung zum Abschluss eines Mietvertrags«, sagt Schalk. Auch die Übernahme von Kautionen bei Untermietverträgen seien vom Jobcenter Mitte in mehreren Fällen verweigert worden. Damit werde das Recht von Erwerbslosen verletzt, ihren Wohnort selbst zu wählen. »Basta« forderte, über die Zusage der Übernahme der Wohnkosten sofort zu entscheiden und Kautionen auch für Untermietverträge zu übernehmen. »Die Umsetzung unseres Anliegens würde den durch chronischen Geldmangel, Bevormundung und Schikanen geprägten Alltag vieler ALG-II-Bezieher in einem kleinen, aber wichtigen Teilbereich ein wenig entlasten«, begründet Schalk die Konzentration auf die beiden Forderungen.

Nachdem es auf den offenen Brief keine Reaktion gegeben hatte, erfolgte die Besetzung. Eine auf ihren Termin wartende Frau freute sich über die Aktion. Ihrer Tochter werde de facto seit Monaten vom Amt ein Umzug verweigert, sagte sie. Der Pressesprecher des Jobcenters Mitte, Andreas Ebeling, sagte der Jungle World, die Behörde setze lediglich die vom Berliner Abgeordnetenhaus beschlossenen Verordnungen um und sei daher der falsche Adressat für Proteste.

Auch der Wuppertaler Erwerbslosenverein »Tacheles« dokumentiert immer wieder Fälle von Willkür, die Hartz-IV-Empfängern das Leben schwer machen. So weigerte sich das Jobcenter Wuppertal beharrlich, die Kosten für eine Gastherme zu übernehmen, die ein Erwerbsloser für das Erhitzen von Wasser benötigte. Das Sozialgericht Düsseldorf verurteilte das Amt Mitte Juli zur Kostenübernahme und zur Zahlung einer Gebühr, weil es das Verfahren missbräuchlich in die Länge gezogen habe. »Tacheles« hat auch die Klage einer Fallmanagerin des Jobcenters Osterholz in Niedersachsen öffentlich gemacht, die vom Arbeitsgericht den widerrechtlichen Umgang mit Leistungsbeziehern per Dienstanweisung feststellen lassen wollte. Das ­Gericht wies die Klage aus formalen Gründen ab.

Für ein solches Engagement kann die Fallmanagerin nicht unbedingt auf Unterstützung durch die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi zählen, in der Mitarbeiter der Jobcenter organisiert sind. Unter der Überschrift »Gefährdete Staatsdiener« war in der Zeitschrift Verdi Publik ein Artikel erschienen, der eher auf Repression als auf Solidarität mit renitenten Erwerbslosen setzt. ­Beklagt wird, dass die Gewalt gegen Beschäftigte im Jobcenter zugenommen habe. Positiv wird über Forderungen von Personalräten der Jobcenter berichtet, künftig nicht nur psychische Gewalt, sondern auch Brüllattacken aktenkundig zu machen. »Beides sind schließlich Straftatbestände«, heißt es in dem Text. Die Gewaltverhältnisse in Jobcentern, die »Basta« und »Tacheles« dokumentieren, kommen in dem Artikel hingegen nicht vor. Der Vorsitzende der Personalräte der Jobcenter, Uwe Lehmensiek, sieht immerhin die Not vieler Menschen, die sich mit Hartz IV herumschlagen müssen – um dann zu schreiben: »Wenn Menschen uns beleidigen und bedrohen, müssen ihnen Grenzen aufgezeigt werden.«

Einen anderen Weg geht die französische Basisgewerkschaft SUD, die Jobcentermitarbeiter unterstützt, die sich weigern, Erwerbslose zu sanktionieren. Dazu gehörte Fabienne Brutus, die 2008 erklärte: »Unsere Aufgabe ist es vor allem, den Arbeitsuchenden zu helfen, eine Beschäftigung zu finden, und das erwarten die Arbeitsuchenden von uns. Aber es gibt einfach keine Arbeit für alle.«

http://jungle-world.com/artikel/2016/30/54548.html

Peter Nowak