
Tatsächlich war dies eine Maßnahme, die das Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit wesentlich zuungunsten der Lohnabhängigen veränderte. Sie wurde
über viele Jahre von wirtschaftsnahen Instituten und Medien vorbereitet, die wegen angeblich …
… zu hohe Ansprüche in der Gesellschaft polemisierten. Gemeint waren nicht etwa die Kapitalvertreter/innen. Im Gegenteil: Deren Profit sollte wachsen. Den Gürtel enger schnallen sollten die Lohnabhängigen insgesamt, nicht nur die Erwerbslosen, wie es in der Öffentlichkeit oft dargestellt wurde. Es entstand ein riesiger Niedriglohnsektor. eit dem Sommer 2004 entwickelte sich
ausgehend von Ostdeutschland eine massive Protestwelle, die unter dem Motto
stand: „Schluss mit Hartz IV – denn heute wir, morgen ihr“. So lautete die zentrale Parole, die der erwerbslose Bürokaufmann Andreas Ehrholdt im Juli 2004 auf Plakate malte, mit denen er zu den ersten Montagsdemonstrationen nach Magdeburg aufrief. Damit traf er den Nerv vieler Menschen. Erst kamen einige Hunderte, und bald gingen auch in vielen anderen ostdeutschen Städten Tausende auf die Straße. In der Hochphase am 30. August 2004 demonstrierten in über 200 Städten mindestens 200.000 Menschen gegen das
Hartz-IV-Gesetz.
Hartz-IV-Folgen für Mieter/innen
Trotz dieser großen Protestbereitschaft vieler Menschen konnte die Durchsetzung der Agenda 2010, zu deren Herzstücken die Hartz-Gesetze gehörten, nicht verhindert werden. Doch die Proteste endeten damit nicht. Am ersten Wochentag im Januar 2005 protestierten erneut Tausende Menschen in vielen Städten in Deutschland vor Jobcentern und Arbeitsagenturen. In der Folge gab es aber kaum noch große Massendemonstrationen, aber die Proteste gingen weiter. Sie konzentrierten sich jetzt auf die Folgen von Hartz
IV für die Betroffenen. Dazu gehörte auch die Einrichtung eines
Notruftelefons gegen drohende Zwangsumzüge von Hartz IV-Bezieher/innen.
Denn die Jobcenter übernahmen nur noch einen gedeckelten Anteil der Mietkosten. War die Wohnung teurer – und das war in Städten wie Berlin schon vor 20 Jahren oftmals der Fall – sind dann schnell Mietschulden angefallen und Kündigungen drohten. Deshalb gründeten schon 2005 Betroffene ein Notruftelefon unter dem Motto „Keine Räumung unter dieser Nummer“. Dort wurden Betroffene Kontakte zu Mieterorganisationen vermittelt. Es gab aber auch solidarische Begleitungen bei Gerichtsprozessen und Protestaktionen bei gerichtlich angeordneten Wohnungsräumungen. Das Nothilfetelefon war ein Vorläufer des Bündnisses gegen Zwangsräumungen. Doch die Erinnerung an die Hartz-Proteste ist mehr als eine historische Reminiszenz. Aus der Entwicklung und dem Scheitern dieser Bewegung gilt es zu lernen. Gerade jetzt, wo eine neue Welle des sozialen Kahlschlags droht. Vor gut einem Jahr wurde das Buch „Klassenlos – Sozialer Widerstand von Hartz IV bis zu den Teuerungsprotesten“ (Verlag Die Buchmacherei) in dem Räumen der Berliner Mietergemeinschaft in der Sonnenallee vorgestellt, das sich dieser Aufgabe widmet. Gemeinsam mit Anne Seeck, Gerhard Hanloser und Harald Rein gehört der Autor zu den Herausgeber/innen dieses Buches.
Peter Nowak