Das Sozialistische Büro (SB) hätte in diesem Jahr sein 50jähriges Jubiläum gefeiert, wenn es nicht schon Ende der 1990er Jahre aufgelöst worden wäre.

50 Jahre Sozialistisches Büro

Dabei gibt es mit der Zeitschrift „express“ ein Medium, in dem solche Debat- ten geführt werden könnten. Autor*innen dort sind aktive Gewerkschafter*innen und linke Wissenschaftler*innen. „express“ wurde einst vom SB als „Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit“ gegründet. Den Untertitel trägt sie noch heute. Was wäre eine bessere Würdigung des SB, als anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der SB-Gründung in einer von ihm gegründeten Zeitung über die Organisierung von emanzipativer Theorie und Praxis zu debattieren?

Die Geschichte dieser 1969 gegründeten netzförmig strukturierten Organisation ist heute zu Unrecht weitgehend vergessen. Dabei spielte das SB eine wichtige Rolle, nachdem sich der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) 1969 aufgelöst hatte. Apo-Aktivist*innen, die nicht den Weg in die SPD oder die spätstalinistischen K-Gruppen antreten wollten, trafen im SB mit älteren Linkssozialist*innen und Antimilitarist*innen zusammen, die teilweise in der Ostermarschbewegung aktiv waren. Es ist ein Verdienst des Politikwissenschaftlers ….

….. Carsten Prien, dass das 50. Gründungs- jubiläum des SB nicht ganz unerwähnt geblieben ist. Unter dem Titel „Rätepartei“ hat er eine kurze Geschichte des SB herausgegeben. Prien sieht sich als theoretischer Erbe des charismatischen Westberliner Apo- Aktivisten Rudi Dutschke und hat bereits ein Buch unter dem Titel „Dutschkismus“ herausgegeben. In dem neuesten Buch kritisiert Prien den SB aus dem Blickwinkel von Dutschke.

Der war allerdings erst 1976 in die Organisation eingetreten und wollte das SB für sein Projekt einer Parteigründung gewinnen, die Apo-Aktivist*innen und Umweltbewegte verbinden sollte. Mitte der 1970er Jahre begann schließlich der Zyklus der außerparlamentarischen Anti-AKW-Bewegung, die damals von allen im Bundestag vertretenen Parteien bekämpft wurde.

Parlamentskritik von Peter Brückner wird nicht erwähnt

Doch Dutschkes Pläne stießen im SB aus unterschiedlichen Gründen auf Kritik und Ablehnung. Diese Auseinandersetzungen werden von Prien sehr parteiisch dargestellt. Bei ihm hat natürlich Dutschke immer Recht und seine Kritiker*innen werden teilweise unsachlich kritisiert. So wird der Psychologieprofessor Peter Brückner „zum Vertreter einer organisations- feindlichen, hedonistischen Linken“ gestempelt, nur weil der für eine Selbstorganisation der Unterdrückten statt die Gründung einer neuen Partei eintrat, und dafür von Dutschke kritisiert wurde. Völlig ausgeblendet wird, dass Peter Brückner 1945 für kurze Zeit Mitglied der KPD war und in den 1960er Jahren zu den wichtigsten Exponent*innen einer linken Parlamentskritik wurde. Gemeinsam mit dem Politologen Johannes Agnoli verfasste er 1969 die Schrift „Transformation der Demokratie“, die eine wichtige Rolle in der damaligen Linken spielte. Bei der Parlaments- und Parteienkritik von Agnoli und Brückner ginge es eben nicht darum, den Protagonist*innen der linken Parteien Korruption oder Macht- und Herrschaftsgelüste zu unterstellen. Das sind Missverständnisse einer unterkomplexen Parlaments- und Staatskritik. Es ging Brückner und Agnoli um die objektive Funktion von Parteien im Kapitalismus, ausdrücklich auch linker Parteien.Brückner hatte also sehr wohl theoretische Gründe, sich gegen Dutschkes Parteigründungspläne zu wenden. Damit setzt sich Carsten Prien aber nicht auseinander, er erwähnt sie nicht einmal. Das ist umso bedauerlicher, weil das Buch „Transformation der Demokratie“ vielen heute so unbekannt ist wie Brückner.

Was wäre anders als bei den Grünen gelaufen?

Zudem stellt sich Prien eine Frage in dem Buch nicht: Was hätte denn Dutschkes Parteienkonzept von dem dann real umgesetzten grünen Parteiprojekt unterschieden? Schließlich hatte sich Dutschke nur kurze Zeit, nachdem er mit seinem Konzept im SB gescheitert war, den Grünen angeschlossen und hatte dort durch seine Bekanntheit als Apo-Aktivist auch Einfluss. Sein früher Tod im Dezember 1979 verhinderte, dass er in der Anfangsphase der Grünen zum Protagonisten dieser Partei wurde. Schließlich wurde bei den Grünen auch das Zusammengehen von 68er-Aktivist*innen und Umweltbewegten umgesetzt.

Das Konzept hatte Dutschke auch in seinen Vorschlag beim SB in den Mittelpunkt gestellt. Dass die Grünen dann keine Rätepartei wurden, ist evident. Nur gab es in der Gründungsphase der Grünen und auch noch einige Jahre später die Vorstellung, eine Partei, die sich von den übrigen unterscheidet, zu gründen. Es gab sogar den damals positiv gemeinten Begriff der Anti-Parteien-Partei.

So wäre es in der Tat wichtig gewesen, genauer zu begründen, warum denn nun Dutschkes Konzept mit der realen Entwicklung der Grünen so gar nichts zu tun haben soll. Diese Begründung wäre vor allem deshalb notwendig, weil Prien heute die Diskussion über eine Rätepartei erneut anstoßen will.

Weitere Anknüpfungen an die Theorie und Praxis des SB

Es gibt allerdings 50 Jahre nach Gründung des SB auch außer- parlamentarische Linke, die sich auf diese Organisation beziehen, ohne eine Partei gründen zu wollen. Die Antifa Kritik und Klassenkampf aus Frankfurt/M. hat sich in den letzten Jahren in mehreren theoretischen Texten mit der Frage beschäftigt, wie eine Selbstorganisation am Arbeitsplatz, im Stadtteil, an Universitäten etc. möglich ist, die auch eine längere Kontinuität besitzt.

Sie bleibt also nicht dabei stehen, eine solche Selbstorganisation zu propagieren, sondern sie untersucht die Bedingungen und Probleme, die eine Selbstorganisierung behindern. In ihrem 2015 verfassten Text „Der kommende Aufprall“ stellen die Autor*innen die Frage, „welchen organisatorischen Ausdruck ein solcher Kampf für die Interessen und Bedürfnisse der Klasse der Lohnabhängigen bräuchte“. Weiter schreiben die Genoss*innen: „Wir schlagen eine auf drei Ebenen gelagerte Form der Organisation vor:

1. Organisation nach Interessen im unmittelbaren Lebensumfeld und solidarische Vernetzung mit Basisgruppen auf einer lokalen Ebene.

2. Eine überregionale Verbindung dieser Kämpfe, um eine politische Konstante herzustellen.

3. Den Aufbau eines Büros als Kommunikationskern für die Ebenen eins und zwei.“
Hier wurde von den Genoss*innen dann das SB als ein Beispiel eines Organisationsmodells genannt, an das auch heute angeknüpft werden könnte. Der Text und auch der Bezug auf das SB löste dann in Teilen der außerparlamentarischen Linken eine Debatte aus, die in einer Ausgabe der Frankfurter Studierendenzeitschrift Diskus dokumentiert ist.

Dass die Diskussion zunächst einen primär akademischen Charakter hatte, ist nicht zu kritisieren. Schließlich ist die Antifa Kritik und Klassenkampf aus der Campusantifa an der Uni Frankfurt/M. hervorgegangen. Bedauerlich aber ist, dass es scheinbar bisher nicht gelungen ist, auch Menschen in die Diskussion einzubeziehen, die in Stadtteilkämpfen oder in gewerkschaftlichen Zusammenhängen aktiv sind. Dabei gibt es mit der Zeitschrift „express“ ein Medium, in dem solche Debatten geführt werden könnten. Autor*innen dort sind aktive Gewerkschafter*innen und linke Wissenschaftler*innen. „express“ wurde einst vom SB als „Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit“ gegründet. Den Untertitel trägt sie noch heute. Was wäre eine bessere Würdigung des SB, als anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der SB-Gründung in einer von ihm gegründeten Zeitung über die Organisierung von emanzipativer Theorie und Praxis zu debattieren?

Peter Nowak

Carsten Prien: Rätepartei. Zur Kritik des Sozialistischen Büros. Oskar Negt und Rudi Dutschke. Ein Beitrag zur Organisationsdebatte. 190 Seiten, ISBN 978-3-944570-63-1

Der Text „Der kommende Aufprall“ online:

http://akkffm.blogsport.de/2015/04/02/der- kommende-aufprall/

Die Ausgabe der Studierendenzeitschrift Diskus, in der die Debatte um den Text dokumentiert wird, ist hier online:

www.copyriot.com/ Diskus/2016-02/DISKUS_16-2_210x285_2c_ nal_SCREEN.pdf

Infos zum „express“: https://www.labournet.de/express/