Arbeits- und Klimakämpfe verbinden - zum neuen Buch von Simon Schaupp und dem Film Verkehrswendestadt Wolfsburg.

ARBEITER:INNEN FÜR DIE ZUKUNFT DES PLANETEN

Der Film gibt da einen hoffnungsvollen Einblick. Allerdings bleibt ein Kritikpunkt. Die Klimaaktivist:innen verlassen Wolfsburg und es bleibt nur die Hoffnung, dass es irgendwie weiter geht mit der Verkehrswende. Warum wurden in den zwei Jahren von den kämpferischen Beschäftigten nicht Strukturen im Betrieb aufgebaut?

Mitten im Corona-Winter 2021 hatten die Essenslieferdienste Hochkonjunktur. Weil die Restaurants und Kneipen geschlossen waren, musste das Essen nach Hause bestellt werden. An die oft prekär Beschäftigten dachte niemand. Die Kisten mit dem bestellten Essen wurden immer schwerer und dann gab es im Februar 2021 noch einige besonders kalte Wintertage in Berlin. In diesen Tagen besannen sich Beschäftigte auf ihr wichtigstes Gut, die Solidarität. Sie weigerten sich, …

… unter diesen Bedingungen die Bestellungen auszuliefern und konnten so die Lieferdienste zeitweilig unter Druck setzen, die schließlich damit warben, das Essen besonders schnell an die Kund:innen zu bringen. In diesen kalten Februartagen 2021 entstand die Bewegung der Rider:innen, wie die Essenslieferant:innen genannt werden. Sie konnten sich auf Vorbilder wie Deliverunion beziehen, an deren Gründung 2017 auch die FAU beteiligt war. Doch erst ihre eigenen Erfahrungen mit der Ausbeutung lieferten dann 2021 den Impuls für einen neuen Kampfzyklus.

Dieses Beispiel, wie auch Wetterbedingungen die Kämpfe der Lohnabhängigen bestimmen, hätte gut in das neue Buch des Soziologen Simon Schaupp gepasst, das kürzlich unter dem Titel „Stoffwechselpolitik“ in der Edition Suhrkamp erschienen ist. Seine zentrale These lautet, dass in der gesamten Diskussion über Umwelt und Klima die Arbeiter:innen oft nicht vorkommen.

Dabei zeigt er in dem Buch, wie über viele Jahrhunderte der proletarische Eigensinn eine wichtige Rolle spielt. Dabei haben sich die Arbeitenden auch immer die Naturbedingungen zu Nutze gemacht. Schaupp führt uns in die Fleischfabriken von Chicago, wo erstmals die Fließbänder eingesetzt wurden, bevor sie dann in den Autowerken von Ford zum Inbegriff von fordistischer Ausbeutung wurden. Schaupp beschreibt, wie die kapitalistische Logik dafür sorgte, dass mit dem Fließband immer mehr aus den Arbeitenden herausgeholt werden musste. „Die Industrialisierung zieht ihre Kostenvorteile vor allem aus den Skaleneffekten: Je größere Mengen gleichartiger Güter man mit Hilfe von Maschinen herstellen kann, desto niedriger sind die Stückkosten- Die Fleischindustrie stand somit stärker als andere Branchen unter dem Druck, die Produktionsgeschwindigkeit zu erhöhen“ (S. 156), schreibt Schaupp.

Aber er zeigt auch hier, dass die Arbeitenden kein Teil der Maschine sind. „Die Beschäftigten legten eigensinnige Praktiken der Nutzlosigkeit an den Tag, setzten aber auch auf eine starke Bewegung für den Achtstundentag, die ihren vorläufigen Höhepunkt mit einem Massenstreik erreichte, an dem sich am 1. Mai 1886 über 90000 Personen beteiligen“ (S. 160), so Schaupp. Es war die Massenbewegung der Arbeiter:innen, auf die die Herrschenden in den USA mit Terror reagierten. Dazu gehörte der staatliche Mord an führenden Arbeiteraktivisten, die dazu führte, dass es heute den 1. Mai als Internationalen Kampftag der Arbeiter:innen gibt.

Mit den Begriff der Nutzlosigkeit beschreibt Schaupp, dass die Arbeitenden sich nicht den kapitalistischen Verwertungsbedingungen unterwerfen. Dafür gibt es in der Geschichte auf allen Kontinenten immer wieder Beispiele, die Schaupp in dem Buch auflistet. Diese Kampfgeschichte wird bis heute fortgeschrieben. Auch die Rider, die sich im Februar 2021 weigerten, ihre Gesundheit aufs Spiel zu setzen und die Essensauslieferung verweigerten, gehören dazu.

Schaupp kritisiert auch die Teile der Klimabewegung, die die Arbeitenden eher als Gegner:innen statt als Verbündete sehen. Aber er beschreibt auch die hoffnungsvollen Ansätze einer Kooperation. „Aktuell gibt es in Deutschland erste Vorstöße zu einer Zusammenführung sozialer und ökologischer Forderungen. Die Gewerkschaft Verdi und Fridays for Future kooperieren etwa bei einer Kampagne für den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und besserer Arbeitsbedingungen“ (S.362).

VW HEISST VERKEHRSWEND

Wer sich darüber genauer informieren will, denen sei der knapp einstündige Film „Verkehrswendestadt Wolfsburg – den Automobilen Konsens aufbrechen“, empfohlen, der seit einigen Wochen auf der Onlineplattform labournet.tv zu sehen ist. Er handelt von einer gelungenen Kooperation von Klimaaktivist:innen, die sich im Hausprojekt Amsel 44 in Wolfsburg für einige Zeit eingemietet hatten, um gemeinsam mit den Beschäftigten eine Alternative zum Automobil zu erarbeiten: Straßenbahnen und Busse. Sie fanden Unterstützung bei VW-Arbeiter:innen wie Lars Hirsekorn, Michael Werner, Torsten Bleibaum oder Thorsten Donnermeier, die in dem Film zu Wort kommen.

„Ich habe immer gehofft, dass sich hier was tut“, brachte VW-Arbeiter Michael Werner seine Position auf den Punkt. Er gehörte wie seine im Film interviewten Kolleg:innen natürlich zu einer Minderheit unter der VW-Belegschaft. Aber sie sprachen aus einer sehr selbstbewussten Position, weil sie im Gegensatz zu den Kolleg:innen, die den fossilen Status Quo verteidigen, eine Alternative anzubieten haben. Diese wird mit einer spektakulären Aktion deutlich, die im Film zu sehen ist. Die Aktivist:innen besetzen einen Autozug und verhängten ihn mit einer Folie, auf dem eine Straßenbahn zu sehen ist. „Dann wurde eine Pressemitteilung verfasst, mit der Überschrift „Die erste Straßenbahn verlässt das VW-Werk Wolfsburg“, sagt Klimaaktivist Tobi Rosswog. Die Botschaft wurde von den sympathisierenden Arbeiter:innen verstanden. „Ich bin dadurch aufgewacht“, sagt VW-Arbeiter Torsten Donnermeier.

Es war die Erkenntnis, dass sie mit den gleichen Maschinen und ihrem Wissen statt Autos Züge produzieren können. „Wir sind dazu als Beschäftigte in der Lage, eine gesunde Mobilität aufzubauen“, so die Erkenntnis von Donnermeier, die auch ein Wiederaneignen von Klassenbewusstsein bedeutet. Arbeiter:innen sehen sich dann nicht als Opfer der Energiewende, sondern als Kraft, die eine gesellschaftlich progressive Entwicklung voranbringen. Dabei sind auch die als Sozialpartner:innen agierenden Gewerkschaftsführungen oft keineswegs Verbündete in diesem Kampf, sehr wohl aber die Gewerkschaftsbasis. Donnermeier liest bei einer Kundgebung vor dem Wolfsburger IG-Metall-Haus eine Erklärung vor, in der die gemeinsamen Interessen zwischen Gewerkschaften und Klimabewegung betont werden. Dort wird darauf verwiesen, dass im Programm der IG-Metall die Forderung nach der Vergesellschaftung der Schlüsselindustrie steht. Diese Forderung wurde von der Gewerkschaftsbürokratie schon längst vergessen, wurde aber von den Klimaaktivist:innen wieder aufgegriffen. Denn diese Vergesellschaftung ist der erste Schritt, um Bahnen statt Autos produzieren zu können. Denn dazu muss das Kommando des Kapitals verschwinden. Donnermeier betont, dass es wichtig ist, dass die Gesellschaft und die Arbeiter:innen und nicht Aktionär:innen über diese Produktion entscheiden sollen. Die in Wien lehrende kritische Sozialwissenschaftlerin Nina Schlosser sieht in der Kooperation zwischen Klimaaktivist:innen und Arbeiter:innen in Wolfsburg ein Beispiel, wie Arbeiter:innen und Klimabewegung solidarisch zusammenarbeiten können.

EINE KÄMPFERISCHE GEWERKSCHAFT FEHLT

Der Film gibt da einen hoffnungsvollen Einblick. Allerdings bleibt ein Kritikpunkt. Die Klimaaktivist:innen verlassen Wolfsburg und es bleibt nur die Hoffnung, dass es irgendwie weiter geht mit der Verkehrswende. Warum wurden in den zwei Jahren von den kämpferischen Beschäftigten nicht Strukturen im Betrieb aufgebaut? Damit würde die Diskussion um die Verkehrswende im Betrieb einen enormen Schwung bekommen. Vielleicht könnte man dann auch erste Schritte treffen, um diese Verkehrswende von unten zu erkämpfen, wie es in dem Film „Der laute Frühling“ von Johanna Schellhagen zu sehen ist, der auch in Wolfsburg spielt. Diese Kritik richtet sich nicht gegen die Klimaaktivist:innen. Hier wird vielmehr deutlich, dass das sehr begrüßenswerte Engagement der Klimaaktivist:innen eine klassenkämpferische Gewerkschaft nicht ersetzen kann.

Schaupp, Simon (2024): Stoffwechselpolitik. Arbeit, Natur und die Zukunft des Planeten. Suhrkamp Verlag, 422 Seiten, ISBN:978-3-518-02986-2 24

VERKEHRSWENDESTADT WOLFSBURG – DEN AUTOMOBILEN KONSENS AUFBRECHEN | deutsch |56 min | 2024 | labournet.tv | Team: John Mio Mehnert