Helge Döhring, Konflikte und Niederlagen des Syndikalismus in Deutschland, Edition AV, Bodenburg 2022, 225 Seiten, 18,00 Euro, ISBN: 978-3-86841-237-6

Zwischen ADGB-Terror, Repression und internem Streit

Unbekannte Geschichte des Syndikalismus Ein besonders gelungenes Kapitel des Buches widmet sich den im Nationalsozialismus ermordeten Anarchosyndikalist*innen. Hier kann die weitere Syndikalismusforschung anschließen

„Im Zuge systematischer Vergeltung für einen Anschlag auf die Nazi-Ausstellung ‚Das Sowjetparadies‘ im Jahre 1942 ermordete die SS in ihrer Kaserne in Berlin-Lichterfelde den unermüdlichen Redner und Agitator Berthold Cahn“ (S. 117), schreibt Helge Döhring in seinem kürzlich im Verlag Edition AV veröffentlichten Buch „Konflikte und Niederlagen des Syndikalismus in Deutschland“. Wie notwendig das Buch war, zeigt sich an dem langen Vergessen eines in der anarchistischen Bewegung so bekannten Mannes wie Cahn, der im Alter von 71 Jahren den Nazischergen zum Opfer fiel. Es bleibt offen, warum es …

„Zwischen ADGB-Terror, Repression und internem Streit“ weiterlesen

Stolperstein für Anarchisten

»Berthold Cahn – geboren im Mai 1871 in Langenlohnsheim bei Bad Kreuznach, ermordet 1942 im Konzentrationslager Sachsenhausen«. Diese dürren Angaben stehen auf einem kürzlich in der Waldzeckstraße 3 in der Nähe vom Berliner Alexanderplatz verlegten Stolperstein. Er gedenkt eines Mannes, der zu den bekanntesten Berliner Anarchisten gehörte und von den Nazis ermordet wurde. Die Berliner Gustav-Landauer-Initiative will ihn dem Vergessen entreißen.

»Beim Studium zeitgenössischer Dokumente sind wir immer wieder auf Berthold Cahn gestoßen«, erklärt der Politologe Erik Natter, der in der Initiative mitarbeitet. In der »Bibliothek der Freien in Berlin« gewährte er einem interessierten Publikum Einblicke in Cahns Leben. Dieser gehörte seit 1907 zu den bekanntesten Rednern in der Hauptstadt. Er referierte zu gewerkschaftlichen Fragen ebenso wie über politische Repression in Deutschland, Japan und in den USA. »Obwohl Cahn Deutschland nie verlassen hatte, konnte er sich gut in die Materie einarbeiten und das Publikum in seinem Bann ziehen«, sagt Natter. Dabei war Cahn Autodidakt, der seinen Lebensunterhalt mit ungelernten Arbeiten bestreiten musste und oft am Rande des Existenzminimums lebte. Das hielt ihn nicht von sozialem und politischem Engagement ab. So war er im Verband der »Hausdiener, Packer, Packerinnen und Geschäftskutscher Berlin« aktiv und versuchte, die besonders schlecht bezahlten Beschäftigten dieser Branche zu organisieren.
In Zeitungsartikeln wandte sich Cahn gegen in dieser Zeit (teils gar unter Linken) verbreitete Euthanasiekonzepte und verurteilte antisemitische Töne selbst bei einigen Anarchisten scharf. Früh wandte er sich gegen den aufkommenden Faschismus, von dem er als Linker und Jude doppelt bedroht war. Schon zwischen 1911 und 1915 mehrfach im Gefängnis, wurde er am 2. Dezember 1933 von den Nazis verhaftet. Lange Zeit wurde behauptet, er sei während der Reichspogromnacht am 9. November 1938 ermordet worden. Wie Natter recherchierte, gehörte Cahn zu den 250 Jüdinnen und Juden, die nach dem Anschlag der jüdisch-kommunistischen Gruppe um Herbert und Marianne Baum auf eine NS-Hetzausstellung gegen die Sowjetunion auf Befehl Himmlers im KZ Sachsenhausen erschossen wurden. Die Initiative hat eine 50-seitige Broschüre über Cahn herausgeben und hofft, dass zum 80. Jahrestag seiner Ermordung eine Straße in Berlin nach ihm benannt wird.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1101915.stolperstein-fuer-anarchisten.html

Peter Nowak

Stimme gegen Unterdrückung


Bertold Cahn war Anarchist und Syndikalist. Nun wird er mit einem Stolperstein geehrt

Ich bin „Berthold Cahn – geboren im Mai 1871 in Langenlonsheim bei Bad Kreuznach, ermordet 1942 im Konzentrationslager Sachsenhausen“. Diese Angaben stehen auf einem kürzlich vor Wadzeckstraße 4 in der Nähe vom Berliner Alexanderplatz verlegten Stolperstein für einen Mann, der lange Zeit dort wohnte und zwischen 1910 und 1933 zu den bekanntesten Berliner Anarchisten gehörte. „Wie wenige andere hat er in dieser Zeit seine Stimme gegen Unterdrückung und für soziale Gerechtigkeit erhoben“, erklärte der Politologe Erik Natter bei der Verlegung des Stolpersteins.
Cahn trat als Redner auf anarchistischen und syndikalistischen Veranstaltungen mit teilweise Tausenden BesucherInnen auf. Am 1. Mai 1924 stand er bei der Protestveranstaltung gegen die Verfolgung der Anarchisten in der Sowjetunion mit den bekannten AnarchistInnen Rudolf Rocker und Emma Goldman auf der Bühne des Berliner Lehrervereinshauses. Der Autodidakt, der nie eine Universität besucht hatte, publizierte in zahlreichen libertären und syndikalistischen Publikationen. So war er Herausgeber und Redakteur der Freien Generation und des Freien Arbeiters sowie Verfasser zahlreicher Artikel im Syndikalist. Dort kritisierte er die damals auch in großen Teilen der Arbeiterbewegung populären Euthanasie-Konzepte. Früh engagierte er sich auch gegen den Nationalsozialismus, von dem er als Anarchist und Jude doppelt bedroht war. Schon 1933 wurde Berthold Cahn nach einer Razzia in seiner Wohnung, bei der man staatsfeindliche Flugblätter fand, verhaftet und zu eineinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Anschließend wurde er in ein Konzentrationslager eingelie- fert, wo er 1942 ermordet wurde.

Kein Intellektueller
Jahrelang wurde fälschlicherweise behauptet, er sei bereits 1938 umgekommen. Fast hätten die Nazis es geschafft, Cahn aus der Geschichte zu streichen. Es ist der Berliner Gustav-Landauer Initiative zu verdanken, Cahn dem Ver- gessen entrissen zu haben. Sie setzt sich für ei- nen Gedenkort für den nach der Niederschlagung der Münchner Räterepublik von Soldaten ermordeten Anarchisten Landauer in Berlin ein. „Wir sind bei dem Studium libertärer Publikationen immer wieder auf Cahn gestoßen“, erklärt Erik Natter, der in dieser Initiative mitarbeitet. Bisher sei es nicht gelungen, Verwandte von Cahn ausfindig zu machen.
Cahn war kein Intellektueller. Wegen seines anarchistischen Engagements verlor er oft die Arbeit, lebte zeitweise am Rande des Existenzminimums. Das hielt ihn nicht von seinem gewerkschaftlichen Engagement ab. So versuchte er im Verband der „Hausdiener, Packer, Packerinnen und Geschäftskutscher Berlin“ die besonders schlecht bezahlten Beschäftigten zu organisieren. Seine politischen Aktivitäten trugen ihm schon vor 1933 diverse Haftstrafen ein.

Die Broschüre von Erik Natter über das Leben von Berthold Cahn wird am 7. September in der Bibliothek der Freien im Haus der Demokratie in der Greifswalder Straße vorgestellt.

aus Taz vom 7.9.2018
Peter Nowak