Das Bundesverfassungsgericht hat die Klage der Linksfraktion gegen den Bundeswehr-Einsatz zur Bekämpfung der Terrormiliz IS verworfen. Damit ermöglicht es weitere Militarisierung der deutschen Außenpolitik

Großer Spielraum der Bundesregierung in der Militärpolitik

Die Militarisierung der deutschen Politik ist nun kein zentraler Gegenstand großer außerparlamentarischer Bewegungen. Deswegen muss die Justiz hier auch keinen Ausgleich zwischen Politik und der Meinung von relevanten Teilen der Gesellschaft herstellen. In diesem Fall bekommt die Politik großen Spielraum. Das Urteil bestätigt so einmal mehr: Außerparlamentarischer Protest kann nicht durch das Beschreiten des Rechtswegs ersetzt werden.

Ende 2015, nach den islamistischen Anschlägen von Paris, hatte der Bundestag unter anderem ein Mandant erteilt für den Einsatz von Tornado-Aufklärungsflugzeugen, von Tankflugzeugen für die Luftbetankung der Kampfflugzeuge von anderen Ländern und für Personal an Bord der AWACS-Aufklärer. Dagegen hatte die Bundestagsfraktion der Linken geklagt und jetzt auf der ganzen Linie verloren. In der Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts heißt es: ….

…. Der Antrag ist mangels Antragsbefugnis unzulässig. Die von der Antragstellerin behauptete Verletzung der in Prozessstandschaft geltend gemachten verfassungsmäßigen Rechte des Bundestages erscheint von vornherein ausgeschlossen.

Bundesverfassungsgericht

Gigi Deppe, die juristische Fragen für die ARD analysiert, fasste die formale Begründung für die Ablehnung der Organklage durch das Bundesverfassungsgericht so zusammen:

Die Linke könnte erfolgreich klagen, wenn sie irgendwie im Verfahren übergangen worden wäre. Aber einfach die Verteidigungspolitik vom Verfassungsgericht überprüfen lassen, und dies per Klage erzwingen – das geht nicht.

Gigi Deppe, ARD

Ausweitung des Kriegsbegriffs

Doch die Juristen beließen es nicht bei der formalen Begründung der Klageablehnung. Denn auf den letzten Seiten des Urteils betonen sie, dass die Bundesregierung in militärischen Fragen einen großen Spielraum hat.

So erklärten die Richter eine bereits praktizierte Methode für rechtmäßig, militärisch gegen als Terrorgruppen deklarierte Gruppen vorzugehen, auch wenn die Staaten, in denen sie angegriffen werden, gar nicht der Gegner sind. Damit geht eine Ausweitung des Kriegsbegriffs einher. Denn was eine Terrorgruppe ist, entscheiden die jeweilige Staatsraison und die gegebenen Machtverhältnisse.

So wurden nach dem islamistischen Anschlägen vom 11. September nicht nur der IS und al-Qaida mit Recht zu Terrororganisationen erklärt. Die Türkei konnte ihre Praxis, die kurdische Nationalbewegung zur terroristischen Organisation zu erklären, ausweiten. In Sri Lanka liquidierte die nationalistische Regierung mit terroristischen Mitteln die tamilische Nationalbewegung, die zur terroristischen Organisation deklariert worden war.

Und auch für die Bundesregierung kommt es auf die politischen Umstände an, ob eine bewaffnete Organisation als Befreiungsbewegung oder als Terrorgruppe gelabelt wird. Während die kosovarische UCK zur Befreiungsbewegung verklärt wurde, lassen sich staatliche Instanzen bei der Kriminalisierung der kurdischen Nationalbewegung zur Terrororganisation von der Türkei nicht übertreffen.

Am Schluss der Urteilsbegründung wird eine EU-Militarisierung schon mal für unbedenklich erklärt:

Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist, anders als die Antragstellerin meint, nicht dahingehend zu verstehen, dass die Europäische Union grundsätzlich nicht als System im Sinne von Art. 24 Abs. 2 GG eingeordnet werden kann. Vielmehr ist es zumindest vertretbar, die Europäische Union als ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit anzusehen. Ein Streitkräfteeinsatz auf der Grundlage der Beistandsklausel des Art. 42 Abs. 7 EUV ist verfassungsrechtlich dem Grunde nach jedenfalls nicht ausgeschlossen.

Aus der Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts

Die Rechtsanalystin Gigi Deppe kommentiert den Passus wohl richtig so:

Das ist ein Signal, die Europäische Union auch als militärisches Bündnis anzusehen. Künftig muss die Bundesregierung also keinen Ärger aus Karlsruhe befürchten, wenn sie nur im Rahmen der EU die Bundeswehr zu Beistands- und Verteidigungszwecken losschickt.

Gigi Deppe, ARD

Das Gericht argumentiert also hier längst schon in der Logik der „Deutsch-EU“, die schon lange eigene militärische Akzente außerhalb der Nato und damit auch unabhängig von den USA auf den Weg bringen will. Sollte der Brexit einmal bewältigt und Großbritannien nicht mehr Mitglied der EU sein, wird der Ruf nach mehr europäischen Militär wieder lauter werden. Das Bundesverfassungsgericht hat hier schon mal grünes Licht gegeben.

Justiz kann außerparlamentarische Proteste nicht ersetzen

Insgesamt bedeutet die Entscheidung aus Karlsruhe in dieser Frage, dass die Justiz der Militarisierung der deutschen Politik keine Grenzen setzen wird. Das hatten höchstens Rechtspositivisten erwartet, die noch immer hoffen, dass die Justiz eine Art Korrektiv der Politik ist.

Doch die Justiz ist ein integraler Bestandteil des bürgerlichen Staates. Oberste Maxime ist das möglichst reibungslose Funktionieren dieses Staats. So kommt es schon öfter mal vor, dass das höchste Gericht politische Entscheidungen durchfallen lässt. Das geschieht meist dann, wenn es relevanten Widerstand gegen bestimmte politische Entscheidungen in der Gesellschaft gibt. Da können Gerichtsurteile wieder Rechtsfrieden herstellen, wenn die Entscheidungen als nicht verfassungsgemäß beurteilt werden.

Die Militarisierung der deutschen Politik ist nun kein zentraler Gegenstand großer außerparlamentarischer Bewegungen. Deswegen muss die Justiz hier auch keinen Ausgleich zwischen Politik und der Meinung von relevanten Teilen der Gesellschaft herstellen. In diesem Fall bekommt die Politik großen Spielraum. Das Urteil bestätigt so einmal mehr: Außerparlamentarischer Protest kann nicht durch das Beschreiten des Rechtswegs ersetzt werden. 

Das sollte nicht nur für die Linkspartei eine Lektion über das Funktionieren des bürgerlichen Rechtstaats sein.

Peter Nowak