Holi Powder statt Holy Shit

Gewerkschaften und Flüchtlinge

Gegen ausgrenzende Logik

Im Sommer 2013 wurden rund 300 Flüchtlinge der Gruppe «Lampedusa in Hamburg» in die Gewerkschaft Ver.di aufgenommen – vom Hamburger Fachbereich «Besondere Dienstleistungen». Die Asylbewerber schrieben: «In der Gewerkschaft haben wir eine Partnerin gefunden, die die Ungerechtigkeit, die uns angetan wurde, realisiert und diesen Kampf mit uns zusammen führt.» Seitdem sah man bei Flüchtlingsdemos häufig Ver.di-Fahnen.

Doch dann bekam der Hamburger Gewerkschaftssekretär Peter Bremme eine Abmahnung vom Bundesvorstand. Er habe mit der Aufnahme der Flüchtlinge gegen die Satzung verstoßen. Flüchtlinge, die keine Arbeitserlaubnis haben, seien weder lohnabhängig noch erwerbslos. Muss eine Gewerkschaft die ausgrenzende Logik der deutschen Asylgesetze übernehmen, die Flüchtlingen eine Arbeitsaufnahme verbietet und so auch verhindert, dass sie sich arbeitslos melden können? Sollte der Staat entscheiden, wer Gewerkschaftsmitglied wird? Und wird durch ein solches Gebaren nicht die Verhandlungsposition von Ver.di gegenüber den Arbeitgebern geschwächt?

Es gibt einen guten Grund, weshalb sich nicht nur Lohnabhängige in Gewerkschaften organisieren: Erwerbslose können leicht gegen sie ausgespielt werden. Wenn sie durch Sozialhilfekürzungen gezwungen sind, jeden noch so schlecht bezahlten Job anzunehmen, dann erhöht das auch den Druck auf die Beschäftigten, eine miese Bezahlung zu akzeptieren. Bei Menschen ohne Arbeitserlaubnis ist es genauso: Wenn sie illegal für Hungerlöhne arbeiten, schwächt das auch die Gewerkschaften. Der Ver.di-Vorstand schießt sich also ins eigene Knie, wenn er die Flüchtlinge ausschließt.

Das erkennen inzwischen auch viele ehren- und hauptamtliche Gewerkschafter. Sie haben einen Aufruf unterzeichnet, der eine Ver.di-Mitgliedschaft unabhängig vom Aufenthaltsstatus fordert. Der Bundesvorstand ist von seiner Position zwar nicht abgerückt, aber die aufgenommenen Flüchtlinge aus Hamburg dürfen Ver.di-Mitglieder bleiben. Zudem gibt es seit einigen Jahren in mehreren Städten Ver.di-Arbeitskreise, die auch Beschäftigten ohne gültige Dokumente zu ihrem Recht verhelfen. Ihr Motto: Papierlos, aber nicht rechtlos.

Gewerkschaften und Flüchtlinge

Peter Nowak

Ein Dienstag im August

Die Ecke, an der im Berliner Stadtteil Friedrichshain die Scharnweberstraße in die Gürtelstraße mündet, ist eigentlich kein Ort, an dem Menschen länger verweilen. Doch seit dem 26. August befindet sich dort ein Antirassismus-Camp. Tag und Nacht halten Menschen Wache und verteilen Flugblätter, mit denen sie ein Bleiberecht für die Geflüchteten in Berlin fordern. Von Zeit zu Zeit stimmen sie Sprechchöre an. Damit wollen sie neun Menschen unterstützen, die seit dem 26. August auf dem Dach eines ehemaligen Hotels in der Gürtelstraße ausharren. Bis vor ein paar Monaten gehörten diese zu den Bewohnern des Camps auf dem Oranienplatz in Kreuzberg, das im Zuge der bundesweiten Refugee-Proteste entstanden war. Ihre Zelte hatten sie im April freiwillig gegen eine Unterbringung in einem ehemaligen Hotel getauscht. Sie hatten auf die Zusage von Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) vertraut, ihre Asylverfahren würden erneut überprüft. Ende August wurde ihnen mitgeteilt, dass alle Anträge abgelehnt worden seien. Die Flüchtlinge wurden aufgefordert, ihre Unterkünfte binnen weniger Stunden zu verlassen. Dabei waren sie, nachdem sie das Camp auf dem Oranienplatz selbst abgebaut hatten, für ihre Konstruktivität gelobt worden, weil sie bereit waren, in diese Unterkünfte zu ziehen. An der Gürtelstraße sprechen nun auch Geflüchtete, die Kolats Kompromiss damals abgelehnt haben, den Dachbesetzern in verschiedenen Sprachen Mut zu. Seit Tagen sorgt die Polizei dafür, dass keine Lebensmittel zum Haus gebracht werden. Die Unterstützer werden mit Essen und Getränken aus der Nachbarschaft versorgt. Auch in der direkten Umgebung hängen Transparente, die Bewohner solidarisieren sich mit den Dachbesetzern. Doch ob der Druck berlinweit größer wird, damit der Senat zumindest die eigenen Zusagen einhält, ist unklar. In den Medien wird derzeit mehr über die Rücktrittsankündigung des Bürgermeisters als über den Kampf der Refugees berichtet.

http://jungle-world.com/artikel/2014/36/50510.html

Peter Nowak

Gehören Kriege zur Natur der Menschen?

Deutsche Tabubrüche am 1. September

Der Antikriegstag im Zeichen der Militarisierung: deutsche Waffenlieferungen in ein Krisengebiet und Gaucks Kampfansage an die Putin-Regierung

Wenn es in größeren Teilen der Gesellschaft noch historisches Bewusstsein gäbe, hätte es eine große Debatte darüber geben müssen, dass ausgerechnet am 1. September im Bundestag über deutsche Waffenlieferungen in einen kriegerischen Konflikt geredet wurde. Schließlich ist der Jahrestag des deutschen Angriffs auf Polen, also der Beginn des 2. Weltkriegs, in gewerkschaftlichen Kreisen als Antikriegstag bekannt.

Doch nur Teile der Linkspartei monierten gestern, dass an einem solchen historischen Datum wieder einmal über einen Tabubruch in der Militärpolitik beratschlagt wurde. Denn bisher waren deutsche Waffenlieferungen in Kriegsgebiete offiziell tabu, was nicht heißt, dass in der Praxis nicht längst Waffen in Krisengebiete geschickt wurden. Nur sollte jetzt der Aufstieg der islamistischen IS dafür genutzt werden, um nun auch ganz offiziell deutsche Waffenlieferungen auch in Krisengebieten erleichtern und erstmals auch nichtstaatliche Akteure einzubeziehen.

Selbst innerhalb der Regierungskoalition ist dieses Vorgehen umstritten. So hat der SPD-Vize Ralf Stegner Zweifel angemeldet, ob Frieden schaffen mit immer mehr Waffen die richtige Parole sein kann.

Noch einmal: Ich weiß um die deutsche Freiheit als Produkt des militärischen Sieges der Alliierten gegen das völkermordende Nazi-Deutschland und ich bin kein Radikalpazifist sondern dafür, dass die Völkergemeinschaft im Notfall eingreift und die „Freedom tot Protest“ realisiert. Aber nein, dieses um sich greifende leichtfertige Enttabuisieren der militärischen Logik, dieser Neointerventionismus, dieses deutsche „Think big“ (von der Leyen), diese Häme und der angeblich so realpolitische Zynismus gegenüber Beiträgen von Kaßmann und Augstein (Egon Bahr und Helmut Schmidt sind übrigens auch keine Radikalpazifisten- nur mal so bemerkt).

Zu entscheiden gab es für das Parlament nichts

Stegner ist allerdings kein Bundestagsabgeordneter und konnte deshalb am 1. September auch nicht über die Waffenlieferungen im Bundestag debattieren. Am Ende gab es denn auf Druck der SPD sogar eine Abstimmung, bei der eine große Mehrheit aus SPD und CDU/CSU die Regierungspolitik unterstützten. Die Bundesregierung hatte schon am Vortag entschieden, dass die kurdische Armee im Nordirak unter anderem 500 Panzerabwehrraketen, 16.000 Sturmgewehre und mehrere Millionen Schuss Munition für ihren Kampf gegen die IS bekommen.

Das Parlament hatte gar nicht mitzubestimmen, was die CDU/CSU von Anfang klarmachte. Es ist schon seltsam, dass einerseits so viel von einer parlamentarischen Demokratie geredet wird und dann eine gewiss nicht unwichtige Frage, wie die Waffenlieferungen in einen kriegerischen Konflikt derart abgehandelt wird.

In den USA und anderen Ländern haben Parlamentarier unabhängig von der politischen Couleur für das Recht gekämpft, über solche Fragen zu entscheiden. In Deutschland hört man davon wenig. Dort sind die Fronten ganz klar. Die Mehrheit der Abgeordneten von SPD und Union sehen sich als Verteidiger der Regierungspolitik und nicht für die Stärkung des Parlaments.

Auch die Debatte selbst bot keine großen Überraschungen. Die Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU verteidigten auch hier die Regierungspolitik und die Opposition betätigte sich als Kritiker. Dabei waren im Vorfeld der Debatte die Fronten längst nicht so klar. Bei den Grünen gab es in der Frage für oder gegen Waffenlieferungen sogar an der Spitze unterschiedliche Äußerungen. Selbst bei der Linkspartei war Gregor Gysi mit der Forderung nach Waffenlieferungen an die Kurden aufgetreten [1], war dafür innerparteilich stark kritisiert wurden und hat die Forderung dann wieder zurückgezogen.

Kampf gegen Putin gefordert

Doch nicht nur im Bundestag gab es am 1.September 2014 Tabubrüche. Auch Bundespräsident Gauck meldete sich in Polen mit einer Rede [2] zum Jahrestag des Beginns des 2. Weltkriegs zu Wort, die als Kampfansage an die Putin-Regierung verstanden wird.

„Die Geschichte lehrt uns, dass territoriale Zugeständnisse den Appetit von Aggressoren oft nur vergrößern“, hieß es da. Noch betonen in Deutschland alle relevanten Gruppen, dass es im Ukrainekonflikt gegenüber Russland keine militärischen Optionen gibt. Aber wer in den späten 1990er Jahren beim Jugoslawienkonflikt die Kurzlebigkeit solcher Aussagen erleben konnte, weiß, dass es auch hier noch zu Tabubrüchen kommen kann.

http://www.heise.de/tp/news/Deutsche-Tabubrueche-am-1-September-2307047.html

Peter Nowak

Links:

[1]

http://www.taz.de/!143996/

[2]http://www.bundespraesi

Herr Dinar nach der Kirchweih im Fokus der Rechten

Neonazipartei fordert Linkspolitiker nach vermeintlicher Attacke auf Polizei zu Rücktritt auf

Weil er sich in seiner fränkischen Kleinstadt schon lange gegen Rechts engagiert, ist der linke Kreisrat Erkan Dinar den lokalen Neonazis ein Dorn im Auge. Nun wollen sie ihn loswerden.

Bisher war Erkan Dinar fast nur im bayerischen Weißenburg bekannt. Dort kandierte er chancenlos für das Bürgermeisteramt und sitzt für die Linkspartei als Abgeordneter im Kreistag. Doch seit gut zwei Wochen macht sein Name die Runde im Internet. »Wir fordern den Rücktritt von Erkan Dinar als Stadtrat« lautete ein Onlineaufruf, den binnen weniger Tage über 800 Menschen unterzeichnet hatten.

Anlass war eine Auseinandersetzung zwischen Dinar, einigen Mitarbeitern eines Sicherheitsdienstes und der Polizei auf der Kirchweih von Weißenburg Mitte des Monats. Zum Hergang gibt es unterschiedliche Versionen, Es ging um den Einlass in das überfüllte Weinzelt auf der Kirchweih. Als ihm dieser verwehrt wurde, soll er sich uneinsichtig und aggressiv gezeigt haben, verbal ausfallend und auch körperlich übergriffig geworden sein.

Letztlich wird gegen Dinar wegen Widerstand, Körperverletzung, Beleidigung und Sachbeschädigung ermittelt. Er bestreitet jedoch, einem Polizisten ins Gesicht geschlagen zu haben und schreibt in einer Stellungnahme, es sei sein »größter Fehler« gewesen, »der Aufforderung der Polizei, den Platz zu verlassen, nicht sofort Folge geleistet« zu haben. Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen.

Geschlossen wurde aber mittlerweile die Facebook-Seite mit der Rücktrittsforderung. Zuvor hatten sich die die Betreiber politisch geoutet: »Ja, wir sind bekennende Nationalisten«, schreiben sie und rechnen sich der Partei »Der dritte Weg« zu. Sie wurde im September 2013 als Sammelbecken für Freie Nationalisten und NPD-Dissidenten gegründet. In einem Zehn-Punkte-Programm fordert die Partei einen »deutschen Sozialismus« und die »Wiederherstellung Gesamtdeutschlands« über die Grenzen der Bundesrepublik hinaus. Auf ihrer Homepage prangen Plakate mit der Parole »Kriminelle Ausländer raus«. Der Verdacht, dass die Facebook-Kampagne gegen Dinar aus der rechten Ecke kommt, bestand schnell.

Die Neonazis gaben selbst zu, dass sie Dinar schon lange im Visier haben: »Schon in der Vergangenheit waren es stets Aktivisten des nationalen Widerstands, die angeprangert haben, dass Herr Dinar weder als Stadtrat noch als Inhaber irgendwelcher Ämter tragbar ist«, heißt es in der Erklärung. Tatsächlich war Erkan Dinar in der Vergangenheit als Sprecher verschiedener Bündnisse gegen Rechts in Weißenburg von den Neonazis nicht nur verbal angegriffen worden.

Bereits im Juli vergangenen Jahres wurde er auf der Homepage der Freien Nationalisten Weißenburg als »Krawalltourist aus der Türkei« beschimpft. In der Onlineausgabe der »Zeit« hieß es am 19. August 2012 in einem Text über einen Neonaziaufmarsch in Weißenburg: »In der darauffolgenden Nacht attackierten Neonazis das Haus von Erkan Dinar, und versuchen die Fensterscheiben zu zerstören.« Zuvor wird berichtet, dass ein Neonazi »mit der Halsabschneidergestik in Richtung von Dinar zeigte«.

Gegenüber »nd« sagte Dinar, er werde sich nicht einschüchtern lassen. Besonders wichtig sei für ihn, dass seine Partei geschlossen hinter ihn stehe. Auch Weißenburger SPD-Politiker hätten sich von der rechten Kampagne distanziert und betont, die Vorfälle auf der Kirchweih müssten juristisch geklärt werden und dürften nicht zum Thema politischer Kampagnen werden.

Von den Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern des Rücktrittsaufrufes haben sich allerdings nur knapp 30 Personen distanziert, nachdem die rechte Urheberschaft bekannt wurde. Mittlerweile stellt sich Erkan Dinar auch die Frage, ob der Kirchweih-Zwischenfall einen politischen Hintergrund hatte. Zwei Tage  nachdem der Sicherheitsdienst ihm der Einlass verweigert wurde, fand eine »Böhse-Onkelz«- und »Frei.Wild«-Feier statt, über die sich Dinar in der Lokalpresse kritisch geäußert hatte. Beide Bands haben Fans aus der extrem rechten Szene.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/944270.herr-dinar-nach-der-kirchweih-im-fokus-der-rechten.html

Peter Nowak

Viel Populismus, wenig Fakten bei der Debatte um den Sozialmissbrauch

Nationale Userfront

Es deutschtümelt sehr in der NSA-Debatte. Von Peter Nowak

Nachdem sich die letzten NSDAP-Mitglieder in Deutschland aus Altersgründen aus der aktiven Politik zurückgezogen hatten, schwadronierten ihre politischen Erben am rechten Rand von der Besetzungsmacht USA. In den Bundestagsparteien vermied man zumindest öffentlich solche Töne. Doch längst zerbröselt der zivilisatorische Tarnanstrich, und auch Politiker der Regierungsparteien schwätzen nun angesichts der NSA-Affäre wieder so, wie es in der »Nationalzeitung« und ähnlichen Blättern schon immer gedruckt war.

»Die Amerikaner halten sich ganz offenkundig nicht daran, daß man Verbündete nicht ausspäht. Sie führen sich in Deutschland auf wie eine digitale Besatzungsmacht«, lamentierte etwa der langjährige CSU-Abgeordnete Hans-Peter Uhl und wurde dafür als Tabubrecher gefeiert. Schließlich hat er bewiesen, daß man nun auch wieder den USA und nicht nur den Russen deutlich machen kann, daß man ihnen den Sieg im Zweiten Weltkrieg mißgönnt. Widerspruch war in

Deutschland nicht zu hören. Woher auch? Man kennt eben in der NSA-Debatte hierzulande keine Parteien mehr, sondern nur noch Deutsche, die über fehlende Souveränität sowie Duckmäusertum und Hasenfüßigkeit klagen. Das war denn auch der Stoff mehrerer Parlamentsreden von Gregor Gysi und seinen Parteifreunden. »Wir haben heute nicht mehr 1945, sondern 2014«, rief er in den Parlamentssaal, was durchaus wie eine Drohung klang. Als konkrete Maßnahme schlug er vor, Mitarbeiter der Botschaften der USA und Großbritanniens zu unerwünschten Personen zu erklären. Erst wenige Wochen später ließ die Bundesregierung einen US-Geheimdienstmitarbeiter ausweisen. Doch damit sind führende Politiker der Linken noch nicht zufrieden; sie verlangen mehr Engagement im deutschen Souveränitätskampf.

Dazu werden häufig jene Kapitel aus dem von Josef Forschepoth herausgegebenen Buch Überwachtes Deutschland herangezogen, in denen es um die Rechte alliierter Geheimdienste geht. Die Kapitel, in denen der Historiker beschreibt, wie BRD-Dienste jahrelang Zigtausende Postsendungen aus der DDR öffneten, überwachten und teilweise sogar vernichteten, bleiben unbeachtet. Damit läßt sich schließlich keine Stimmung gegen die USA machen.

In der kurzen Zeit der Münchner Räterepublik veröffentlichte ihr Ministerpräsident Kurt Eisner 1919 Geheimdokumente der gestürzten bayerischen Monarchie. Einige Monate zuvor hatten schon die Bolschewiki viele Geheimabkommen des Zarismus bekanntgemacht und damit auch deren Verbündete kompromittiert. Es gab also schon mal Linke, denen die Geheimnisse der herrschenden Klassen, ihrer Dienste und Kabinette herzlich egal waren. Da es die einstweilen in Deutschland nicht gibt, muß man der NSA fast dankbar sein, daß sie die hiesige Politik so kritisch beäugt.

http://www.konkret-magazin.de/hefte/heftarchiv/id-2014/heft-92014/articles/nationale-userfront.html

– Peter Nowak –

Bei Sarrazin abgeschrieben

Bundesregierung will »Armutszuwanderung« aus Balkanstaaten unterbinden / Protest vor Merkels Amtssitz

Das Kabinett hat über die Begrenzung von »Armutszuwanderern« beraten. Das rief einige Aktive auf den Plan, die im Berliner Regierungsviertel Stellung bezogen.

Etwas verloren stand am Mittwochmorgen einen knappes Dutzend vor dem Bundeskanzleramt in Berlin: Aktivisten des »Arbeitskreises Marginalisierte – gestern und heute«, die um 9.30 Uhr zu einer Kundgebung aufgerufen hatten. Im Bundeskanzleramt begann zu dieser Stunde die erste Sitzung des Kabinetts nach der Sommerpause. Dort befasste es sich auch mit einem Gesetzespaket, das den angeblichen Missbrauch von Sozialleistungen durch Zuwanderer aus weniger wohlhabenden EU-Staaten verhindern soll.

Der Anmelder der Kundgebung, Dirk Stegemann vom AK Marginalisierte, übt nicht nur an dem Gesetzesentwurf Kritik, sondern an der gesamten Debatte darum. »Seit Monaten agiert die Bundesregierung entgegen anderslautenden Studien und Statistiken mit rechtspopulistischen Argumentationsmustern gegen Menschen vor allem aus Bulgarien und Rumänien, um politisch und wahlkampftaktisch motiviert über die Vortäuschung einer angeblichen ›Masseneinwanderung in die Sozialsysteme‹ deren garantierte Freizügigkeit und Teilhabe einschränken zu können«, erklärt er gegenüber »nd«. Besonders stark betroffen seien davon Roma aus Osteuropa. Stegemann verweist darauf, dass es sich dabei um eine Menschengruppe handelt, die seit Jahrhunderten diskriminiert und im Nationalsozialismus Opfer von Verfolgung und Vernichtung wurde.

Der AK Marginalisierte arbeitet seit mehreren Jahren zum Thema Verfolgung von armen, als »arbeitsscheu« stigmatisierten Menschen. Dabei spürt er Kontinuitäten von Ausgrenzung und Verfolgung bis in die Gegenwart auf. Die Debatte über Armutszuwanderung ist für Anne Allex ein aktuelles Beispiel. Die langjährige Aktivistin der Erwerbslosenbewegung gehört zu den Mitbegründern des AK Marginalisierte. »Damit schafft die Bundesregierung das Asylrecht faktisch ab, legt europäische Arbeitnehmerfreizügigkeit und das Europäische Fürsorgeabkommen selektiv nach ihren ökonomischen Interessen aus«, argumentiert sie gegenüber »nd«.

Dass der Kreis der Protestierenden am Dienstag klein geblieben ist, wundert sie nicht. Die Proteste werden wachsen, wenn der Gesetzesentwurf im Bundestag und dann im Bundesrat verhandelt wird, ist Stegemann überzeugt. Auch den juristischen Weg hält er noch nicht für aussichtslos. Er könne sich nicht vorstellen, dass die geplanten Einreisesperren verfassungskonform sind.

Auch Susanne Wagner erwartet in den nächsten Wochen noch heftige Diskussionen und Proteste gegen die geplanten Regelungen. Sie erinnert an die Proteste gegen den Buchautor Thilo Sarrazin, der in den letzten Jahren mit Thesen gegen Sozialmissbrauch und Armutszuwanderung für Schlagzeilen sorgte. Damals hätten sich in vielen Städten Bündnisse gegen Sozialchauvinismus gegründet. »Was die Bundesregierung jetzt plant, ist genau das, was Sarrazin forderte«, betont Wagner.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/943875.bei-sarrazin-abgeschrieben.html

Peter Nowak

Rücktritt am Oberdeck der Berlin-Titanic

Als Partybürgermeister ist Wowereit schon lange überflüssig geworden, jetzt zieht er die Konsequenzen

Auf der Homepage [1] des Regierenden Bürgermeisters von Berlin standen heute Nachmittag die mögliche Olympiabewerbung von Berlin und der „herausragende Unternehmer und gute Botschafter“ im Mittelpunkt. Dabei gab es bereits am Vormittag bei einigen Berliner Radiosendungen Programmunterbrechungen, als die ersten Meldungen bekannt wurden, dass Klaus Wowereit die erste Gelegenheit nach dem Ende der Sommerpause nutzen will, um den Termin für seinen Rücktritt im Dezember dieses Jahres festzulegen.

In seiner kurzen Erklärung betonte er, dass er freiwillig zurückgetreten sei, kritisierte allerdings auch, dass selbst in seiner Partei die Gerüchte über seine mögliche Amtsmüdigkeit nicht verstummen wollten. Dabei war schon länger klar, dass er bei Neuwahlen nicht mehr kandidieren werde. Schließlich waren seine Umfragewerte in den letzten zwei Jahren kontinuierlich schlechter geworden. Er hält sich mittlerweile in der Liste der unbeliebten Politiker [2]kontinuierlich auf den vorderen Plätzen und beschert auch seiner SPD schlechte Umfragewerte.

Vom großen Kommunikator zum Quotenschrecken

Dabei war Wowereit einst gerade als großer Kommunikator bekannt und auch beliebt. Wenn man sich fragt, für welche Inhalte Wowereit eigentlich stand, kommt man schnell ins Raten. Viel berühmter sind einige seiner Aussprüche, die viel auf das kulturelle und diskursive Klima ausstrahlten.

Gleich zu Beginn seiner Amtszeit wurde er mit dem Bekenntnis: „Ich bin schwul und das ist gut so“ bekannt und konnte damit den Beweis antreten, dass zumindest in der Metropole Berlin ein schwuler Politiker keine Karrierebremse mehr bedeuten muss. 2001 war einsolches Bekenntnis bundesweit durchaus noch ein Wagnis.

Wowereit gerierte sich hier auch als Anti-Koch. Der hessische Ministerpräsident hatte kurz zuvor gerade mit einer Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft eine Wahl gewonnen und machte immer wieder deutlich, dass zu seiner Klientel die Anhänger der traditionellen Kleinfamilie gehören. Fast zwei Jahrzehnte später ist das auch bei den Unionsparteien längst nicht mehr so klar. Die Anhänger der traditionellen Kleinfamilie gerieren sich als außerparlamentarische Opposition oder suchen in neuen Parteiformationen wie der AfD ein neues Betätigungsfeld. Wowereit mag hier als Tabubrecher gewirkt haben, wenige Jahre später war Guido Westerwelle als schwuler Politiker noch bekannter.

Daher kann man sagen, er hat sich selber überlebt. Wowereit galt in einer Zeit als linker SPD-Politiker, als das Kulturelle und Diskursive eine zentrale Rolle spielte. Vor 15 Jahren hat sich auch außerparlamentarische linke Politik vor allem auf die Durchsetzung der Rechte von Menschen konzentriert, die bisher ausgegrenzt und diskriminiert wurden, weil sie der gesellschaftlich durchgesetzte Norm nicht entsprachen. In diesem Sinne konnte Wowereit als linker SPD-Politiker durchgehen.

Die Zeit des Partybürgermeisters war schon lange vorbei

Dass aber die Stadt Berlin massive soziale Probleme hat und nicht erst seit der Wirtschafts- und Finanzkrise die Zahl der Geringverdiener und Minijobber wächst, die sich nur durch die Aufstockung mit Hartz IV ihre Reproduktionskosten bestreiten können, wurde in den Kreisen gerne verdrängt, in denen Wowereit als Partybürgermeister beliebt war. Wenn nun die Süddeutsche Zeitung Wowereits angekündigten Rücktritt knapp mit „Die Party ist aus“ [3] kommentierte, dann ist sie eigentlich der Zeit um Jahre hinterher.

Die Zeit des Partybürgermeisters war zu dem Zeitpunkt zu Ende, als die Dotcom-Blase platzte und auch im Mittelstand mehr von prekären Arbeits- und Lebensverhältnissen als von der neuen Party die Rede war. Dass jetzt viele sein Versagen fast nur mit der Pleite um den neuen Berliner Flughafen in Verbindung bringen, ist auch ein Ausdruck des Zynismus einer Politik, die die Verarmung großer Teile der Bevölkerung achselzuckend hinnimmt, solange nur am Oberdeck der Gesellschaft die Party weitergeht. Wowereit war für diese Klientel der ideale Stichwortgeber, der mit einem weiteren berühmten Spruch die Lage dieser Berlin-Titanic so klassifizierte: „Arm aber sexy“.

In Kreisen der prekären Kulturarbeiter und Wissenschaftler, die lange zu Wowereits Klientel zählten, kam dieser Spruch gut an, einige ließen ihn sich sogar auf das T-Shirt drucken. Sie hatten ja die Hoffnung, doch noch irgendwie aufzusteigen. Für Menschen aus den Berliner Unterklassen zeigte der Spruch vor allem die Verkommenheit derer auf dem Oberdeck. Sie wandten sich von der Politik ab und versuchten über die Runden zu kommen, indem sie Flaschen sammeln oder vor den Essenstafeln Schlange stehen. Wowereit konnte derweil den Partymeister am Oberdeck noch weiter spielen, weil die Subalternen nicht die Mitteln und Möglichkeiten haben, es zu stürmen. Selbst eine kleine Unterbrechung der Party, wie sie Ken Loach in dem Film „Brot und Rosen“ inszeniert, wo Putzkräfte in den USA mit Staubsaugern und Wischmob ein Filmfest unterbrachen, um für bessere Löhne zu demonstrieren, war in Berlin nicht in Sicht.

Dafür hatte auch Wowereit gesorgt. Außerparlamentarische Proteste wurden mittels Bannmeile vom Oberdeck ferngehalten und die Berliner PDS, die in den 90er Jahren noch ein gewisses Oppositionspotential hatte, wurde von Wowereit domestiziert, in dem er sie 2001 zum Koalitionspartner nahm und über ein Jahrzehnt als zahmen Regierungspartner hielt. Heute ist die Berliner Linksparteieine etwas geliftete SPD mit libertärem Flügel. Grundsätzliche Gesellschaftskritik ist von dort nicht zu erwarten.
Mit der PDS konnte Wowereit eine neoliberale Wirtschaftspolitik auf allen Gebieten durchsetzen. Der soziale Wohnungsbau wurde in dieser Ägide praktisch abgeschafft, die Kommunalen Wohnungsbaugesellschaften privatisiert und so der Grundstein für die Berliner Wohnungsmisere für Menschen mit geringen Einkommen gelegt. Mittlerweile versuchen Mieterinitiativen mit dem Projekt „Neuer Kommunaler Wohnungsbau“ gegenzusteuern. In der Ära Wowereit wuchs die Zahl der Minijobs und die Verarmung stieg. Dass sich der Partymeister trotzdem zeitweise als gefühlter Bundeskanzler gerierte und dabei von vermeintlich SPD-Linken wie Andrea Nahles bestärkt wurde, die Wowereit als Kanzlerkandidaten ins Gespräch brachte, zeigt nur den Zustand diese sozialdemokratischen Linken.

Wie weiter in Berlin?

Die Berliner SPD, in der Wowereit mögliche Konkurrenten jahrelang kleinhielt, wird nun nach seinem Rücktritt mit Ansage darüber beraten, wie sie die Nachfolge regelt. Der Berliner SPD-Landesvorsitzende Jan Stöß [4] hält sich ebenso für geeignet wie der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Raed Saleh [5]. Er hat schon angekündigt, sich um Wowereits Nachfolge zu bewerben. Besonders bekannt und beliebt sind beide nicht.

Jetzt wird überlegt, ob die Nachfolge mit einer Mitgliederbefragung geregelt werden soll, was Stöss zugute käme, der in der Partei besser vernetzt ist. Wenn es keine Einigung gibt, könnte auch ein SPD-Politiker eingeflogen werden, um das Amt zu übernehmen. Noch muss die SPD keine Neuwahlen fürchten, weil die CDU erklärt hat, dass sie die Regierungskoalition mit der SPD bis 2016 fortsetzen will, solange der Koalitionsvertrag gilt. Dieses Bekenntnis hat natürlich nur eine begrenzte Halbwertzeit, weil die CDU von der Schwächephase der SPD profitieren würde, was auch für die Grünen zutrifft, die bereits Neuwahlen nach Wowereits Rücktritt fordern.

Sollte die Linke auch die Gunst der Stunde nutzen, um von der Schwäche der SPD zu profitieren und die CDU den Zeitpunkt für den Absprung günstig erscheint, könnte es tatsächlich bald Neuwahlen und unter Umständen ein schwarz-grünes Bündnis auch in Berlin geben. Schließlich hat auch Wowereit 2001 sein Politdebüt damit gegeben, dass er das Bündnis mit der CDU unter Diepgen aufgekündigt hat und sich dann neue Partner suchte.

Für die Menschen, die in Berlin ganz unten sind, dürfte sich so oder so wenig ändern. So hat sich just am Tag des Wowereit-Rücktritts die Situation der Flüchtlinge, die dort für ihr Bleiberecht kämpfen, wieder verschärft. Die versprochenen Neuverhandlungen der Asylverträge erschöpften sich in einer Überprüfung nach Aktenlage. Jetzt droht [6] mehreren der betroffenen Menschen erneut Obdachlosigkeit und Abschiebung. Heute Nachmittag begannen einige Flüchtlinge in einer Unterkunft in der Berliner Gürtelstraße dagegen erneut mit Protesten und einer Dachbesetzung. Die Meldung ging in den Rummel um die Ankündigung des Wowereit-Rücktritts unter. Das ist eines der Probleme auf der Baustelle Berlin, die Wowereit hinterlassen hatte.

http://www.heise.de/tp/news/Ruecktritt-am-Oberdeck-der-Berlin-Titanic-2302772.html

Peter Nowak

Links:

[1]

http://www.klauswowereit.de/

[2]

http://www.berliner-zeitung.de/berlin/umfragewerte-fuer-berliner-spd-wowereit-wird-immer-unbeliebter,10809148,26479652.html

[3]

http://www.sueddeutsche.de/politik/ruecktritt-von-klaus-wowereit-die-party-ist-aus-1.2104207

[4]

http://www.jan-stoess.de/

[5]

http://www.raed-saleh.de/

[6]

http://www.fluechtlingsrat-berlin.de/print_neue_meldungen2.php?post_id=687

Hellersdorfer Bestandsaufnahme

Antifagruppen veranstalten Aktionswoche gegen Rassismus

Ein Jahr nach Eröffnung des Flüchtlingsheims in Hellersdorf gibt es Workshops, Theater und eine Demo gegen Ausgrenzung.

»Aktiv gegen Rassismus und Ausgrenzung« lautet das Motto einer Aktionswoche in Marzahn-Hellersdorf. Antifagruppen und zivilgesellschaftliche Initiativen planen in Kooperation mit der Alice Salomon Hochschule ab dem heutigen Montag bis zum 30. August zahlreiche Veranstaltungen, Theateraufführungen, Filme und Demonstrationen.

Zuerst beschäftigten sich mehrere Referenten in der Alice Salomon Hochschule mit der Frage »Was ist Rassismus?« und den Möglichkeiten der Unterstützung von Flüchtlingen. Am Mittwoch wird im Hellersdorfer Jugendzentrum La Casa das Theaterstück Asylmonologe aufgeführt. Am gleichen Tag wird gemeinsam mit Bewohnern des Hellersdorfer Flüchtlingsheims ein Skatebord-Workshop veranstaltet. Für Freitag ist ein Kiezspaziergang durch Hellersdorf zu Orten geplant, in denen in der letzten Zeit rassistische Übergriffe stattgefunden haben.

Die Aktionswoche endet am 30. August mit einer Demonstration, die um 12 Uhr am Cottbuser Platz beginnt. Sie wendet sich gegen Neonazis, will aber ebenso den Alltagsrassismus im Stadtteil thematisieren. Dabei geht es den Veranstaltern auch darum, Solidarität mit den Flüchtlingen zu zeigen, die seit einem Jahr in einer ehemaligen Schule in der Carola-Neher-Straße untergebracht sind. Im letzten Jahr machte Hellersdorf bundesweit Schlagzeilen, als unter dem Motto »Nein zum Heim« eine rechte Bürgerinitiative gegen den Einzug der Flüchtlinge hetzte. Auf Stadtteilversammlungen traten bekannte Neonazis mit Hetzreden auf. Auch auf Facebook wurde gegen die Flüchtlinge Stimmung gemacht. Diese rechte Mobilisierung wurde zum Vorbild für ähnliche rassistische Initiativen in anderen Städten.

Seitdem sind allerdings auch antirassistische Gruppen zur Unterstützung der Flüchtlinge aktiv, zum Beispiel unter dem Motto »Hellersdorf hilft«. Eine Initiative, bei der auch viele Anwohner dabei sind. Daran möchte die Aktionswoche anknüpfen. »Wir wollen ein Jahr nach der Eröffnung des Flüchtlingsheims eine Art Bestandsaufnahme machen und die Aufmerksamkeit auf Hellersdorf richten«, sagte Tanja Roth vom Vorbereitungskreis. Sie wies darauf hin, dass es im Stadtteil weiterhin rassistische Aktivitäten gebe. Davon sei auch die Aktionswoche betroffen, weil viele Ankündigungsplakate im Stadtteil abgerissen wurden. Aber auch die Unterstützungsarbeit der Flüchtlinge macht Fortschritte. So wurde am 22. August in der Schneebergerstraße 17 in unmittelbarer Nähe zum Heim ein Ladenlokal als Begegnungsstätte zwischen Flüchtlingen und Stadtteilbewohnern.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/943538.hellersdorfer-bestandsaufnahme.html

Peter Nowak

Aus Großvaters Tagebuch

Kriegsgegner besetzten das »GÜZ« in der Altmark

Am Dienstag und am gestrigen Mittwoch besetzten Kriegsgegner das »Gefechtsübungszentrum Heer« (GÜZ) der Bundeswehr in der Colbitz-Letzlinger Heide (Sachsen-Anhalt). Peter Nowak sprach mit Jan Stehn, einem der Organisatoren der Aktion, die vom Protestcamp »War Starts Here« ausging.

nd: Was hat Sie zu der Besetzung des GÜZ motiviert?
Stehn: Nachdem ich längere Zeit im Ausland lebte, haben mich die Aktionen gegen das GÜZ motiviert, mich wieder politisch zu betätigen. Dort bereitet sich die Bundeswehr auf ihre Einsätze vor und dort ist es auch möglich, Kriegsplanungen direkt zu behindern. Gerade in der aktuellen Debatte darum, was deutsche »Verantwortung« bedeutet, ist uns wichtig deutlich zu machen, dass Militär und Waffenexport kriegerische Konflikte verlängern und eskalieren. Es gibt viele Möglichkeiten, sich friedensfördernd zu engagieren. Die Bundeswehr brauchen wir nicht.

Wie ist Ihnen gelungen, in das GÜZ einzudringen?
Das war nicht schwer. Wir hatten die Aktion angekündigt und waren auf Wachleute, Polizei oder Feldjäger vorbereitet. Doch wir konnten unbehelligt zwei Kilometer vordringen und uns auf einer Brache niederlassen. Einige setzten dort vorbereitete Friedenszeichen, es wurden Bäume gepflanzt. Ich trug aus dem 100 Jahre alten Kriegstagebuch meines Großvaters vor. Er hat sich zu Beginn des Ersten Weltkrieges begeistert beteiligt, aber bald die Grausamkeit des Krieges erkannt.

Wie reagierten die Wachmannschaften?
Kurz, nachdem wir uns niedergelassen hatten, sind Soldaten eingetroffen und haben uns beobachtet. Dabei war auch der Leiter des GÜZ, Oberst Gunter Schneider, der bis zur Räumung durch die Polizei nach 2,5 Stunden vor Ort war. Ein Teil von uns verließ den Platz freiwillig, andere wurden vom Gelände getragen.

Welche juristischen Folgen kann die Aktion haben?
Das wird sich zeigen. Da das GÜZ kein eingefriedetes, umzäuntes Gelände ist, haben wir keinen Hausfriedensbruch begangen. Ob das Betreten des Geländes eine Ordnungswidrigkeit darstellt, ist ebenfalls unklar. Der Weg, auf dem wir uns befanden, war nicht einmal beschildert. Einige Aktivisten haben Widerspruch gegen die fragwürdigen Platzverweise eingelegt, die die Polizei für das GÜZ-Gelände ausgesprochen hat. Dort ist weder eine Begründung noch die verantwortliche Behörde angegeben.

Die Aktionen finden im Rahmen des »War Starts Here«-Camps statt, an dem verschiedenste Gruppen teilnehmen. Wie klappt die Kooperation derselben?
Das Camp wird bereits zum dritten Mal Spektren übergreifend organisiert. In diesem Jahr wurde besonderer Wert darauf gelegt, deutlich zu machen, dass unterschiedliche Gruppen ihre Aktionen auf dem Camp vorbereiten, sodass die Teilnehmer unterschiedliche politische Ansätze kennenlernen und darüber gemeinsam diskutieren können.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/943136.aus-grossvaters-tagebuch.html

Interview: Peter Nowak


Ebola-Fehlalarm in Berlin

Ein Camp gegen das Kriegstraining

Protestwoche am Truppenübungsplatz startet

Am Sonntag hat die Protestwoche von Kriegsgegnern am Gefechtsübungszentrum (GÜZ) bei Magdeburg begonnen. Etwa 400 Antimilitaristen aus der gesamten Republik und dem europäischen Ausland werden dazu erwartet, bis Sonntagnachmittag waren bereits rund 40 Aktivisten angereist. Zum dritten Mal findet das Aktionscamp in der sachsen-anhaltischen Altmark, auf einer Wiese in der Nähe der kleinen Ortschaft Potzehne statt. Der modernste Truppenübungsplatz Europas, auf dem sich Soldaten, nicht nur aus Deutschland, auf ihre Auslandseinsätze vorbereiten, ist nur wenige Kilometer entfernt. Auf dem vom Rüstungskonzern Rheinmetall betriebenen Areal wurden zu Übungszwecken afghanische und kosovarische Orte nachgebaut. Erst Anfang August hatte Rheinmetall von der Bundeswehr den Zuschlag bekommen, das GÜZ bis 2018 weiter zu betreiben – der Wert des Auftrags liegt nach eigenen Angaben bei rund 70 Millionen Euro.

Einen Erfolg haben aber auch die Kriegsgegner schon erzielt: Das GÜZ ist mittlerweile bundesweit bekannt. Vor allem wegen der derzeit im Bau befindlichen Übungsgroßstadt Schnöggersburg, in der zwischen Hochhäusern und U-Bahn-Stationen der Häuserkampf in urbanen Ballungsräumen trainiert werden soll.

Für LINKE-Vize Tobias Pflüger ist das GÜZ ein wichtiger Baustein der deutschen und europäischen Militärpolitik. »Es ist für viele Soldaten die letzte Station vor dem Auslandseinsatz«, so Pflüger. »War start’s here« – Krieg beginnt hier – ist deshalb das Motto des antimilitaristischen Camps. Eine Woche lang stehen Arbeitsgruppen zu Themen wie Militär und Rüstung, der Umsetzung der Zivilklausel an den Hochschulen bis hin zu zivilen Lösungen im Afghanistankonflikt auf dem Programm. Aus der Ukraine reisen Linke an, die in Opposition zur Regierung in Kiew stehen. Sie werden über die schwierigen Bedingungen berichten, unter denen sie ihre politische Arbeit leisten. Höhepunkt des Camps soll der Aktionstag am Sonnabend werden. Aktivisten wollen zuvor das Gelände für mehrere Tage gewaltfrei besetzen.

Militär und Polizei bereiten sich unterdessen auf einen Großeinsatz zur Abwehr der Antimilitaristen vor. Für das GÜZ erklärte Oberst Ludger Terbrüggen, dass man während des Camps »mit einer verstärkten Militanz« rechne. In der Aktionswoche werde es keine Gefechtsübungen geben.

In der strukturschwachen Region, in der viele Bewohner auf Jobs durch das GÜZ hoffen, finden die Aktivisten ebenfalls kaum Zuspruch. »Die Soldaten werden ausgebildet für ihren Job. Und wir alle wollen doch, dass sie heil und gesund wieder nach Hause kommen«, verteidigte eine Kommentatorin der »Altmark-Zeitung« die Übungen. Solche Töne bestärken die Camporganisatoren in ihrem Widerstand. »Wir wollen deutlich machen, dass es kein ruhiges Hinterland für Bundeswehrsoldaten gibt«, so eine Sprecherin.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/942736.ein-camp-gegen-das-kriegstraining.html

Peter Nowak

Kleine Verfassungsschutzkunde

Stipendiaten der Hans-Böckler-Stiftung kritisieren, es gebe dort zu wenig Distanz zum Verfassungsschutz.

von Peter Nowak

Spätestens seit der Selbstenttarnung des NSU im November 2011 ist der Verfassungsschutz (VS) in Erklärungsnöten. Wie konnten Neonazis über Jahre rassistische Morde verüben während der VS davon nichts mitbekommen haben will? Auch in gewerkschaftlichen Kreisen ist seitdem die Distanz zu den Diensten gewachsen. So hat sich die DGB-Jugend auf ihrer Konferenz im Herbst 2013 eindeutig positioniert. »Die Gewerkschaftsjugend lehnt jegliche Bildungsarbeit des Verfassungsschutzes ab und spricht sich eindeutig gegen jedes Engagement des Geheimdienstes in diesem Themenfeld aus«, lautete der Kernsatz des mit großer Mehrheit angenommenen Antrags »Bildungsarbeit ohne Verfassungsschutz«. Doch mit der Umsetzung dieses Beschlusses gibt es auch gewerkschaftsintern Probleme.

In einer Protesterklärung, die der Jungle World vorliegt, monieren Stipendiaten der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung (HBS), dass man dort Distanz zum VS vermissen lasse. Der Abteilungsleiter der Studienförderung der HBS habe im Februar vorgeschlagen, für ein Seminar über »rechte Strukturen« einen Referenten einzuladen, der Stipendiat der HBS war und nun beim Verfassungsschutz in Niedersachsen arbeitet. Dieses Ansinnen führte zu Protesten bei Stipendiaten. Der Verfassungsschutz habe keinen Bildungsauftrag und seinem eingeschränkten Demokratieverständnis dürfe kein Platz gegeben werden, lautete die Begründung.

Sehr zurückhaltend reagierte das siebenköpfige Leitungskollektiv der Promovierenden der Stiftung auf Nachfrage. Es wolle »zum jetzigen Zeitpunkt keine offiziellen Statements zum Thema Hans-Böckler-Stiftung und Verfassungsschutz abgeben«, hieß es in einem Schreiben an die Jungle World. »Solange keine konkreten Pläne durch die Veröffentlichung eines Seminarprogramms bekannt sind, dreht es sich unserer Ansicht nach um Spekulationen und Stiftungsinterna, die wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht diskutieren können«, so die defensive Begründung der Promovierenden. Die kritischen Stipendiaten halten diese abwartende Haltung für falsch. Schließlich ist eine Kooperation mit dem Verfassungsschutz leichter zu verhindern, wenn eine öffentliche Debatte entsteht, bevor das Programm druckfertig ist, heißt es in der Protesterklärung der VS-kritischen Stipendiaten. Im Mai suchten sie das Gespräch mit der Abteilung Studienförderung. Ihr Versuch, innerhalb der Stiftung eine kritische Diskussion zum Umgang mit dem Verfassungsschutz anzustoßen, stieß schnell an Grenzen. Die Kritiker wurden darauf verwiesen, dass die IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) beim Thema Rechtsextremismus mit dem Verfassungsschutz kooperiere.

Auch das Leitungskollektiv der Stipendiaten verweist auf diese Gewerkschaft. »Die bessere Ansprechpartnerin zu dem ganzen Thema wäre unseres Erachtens zurzeit die IG BCE, die öffentlich mit dem Verfassungsschutz Ausstellungen und Bildungsveranstaltungen organisiert.« Bei der Eröffnung der Wanderausstellung »Gemeinsam gegen Rechtsextremismus« im Foyer der Hauptverwaltung der IG BCE am 7.  November 2013 in Hannover betonte Ralf Sikorski, Mitglied des geschäftsführenden Hauptvorstands, dass »die Gewerkschaften stets die Bekämpfung rechtsextremer Politik und Auffassungen, aber auch die inhaltliche Auseinandersetzung mit ihren Formen und Methoden vorangetrieben haben«. Die Kooperation mit dem Verfassungsschutz wird bei Sikorski zur antifaschistischen Praxis: »Dies ist eine gute Gelegenheit zu zeigen, dass Prävention und Sensibilisierung gegenüber den sich wandelnden Erscheinungsformen des Rechtsextremismus hochaktuell ist und bleibt. Das ist zugleich ein gemeinsames Anliegen aller demokratischen Kräfte.« Auch der Pressesprecher der IG BCE, Michael Denecke, scheint die Beschlüsse der DGB-Jugend nicht wahrgenommen haben. Auf die schriftliche Anfrage der Jungle World, wie die IG BCE mit den gewerkschaftlichen Stimmen umgehe, die ein Ende der Kooperation mit dem VS fordern, reagiert er mit der Gegenfrage: »Welche Stimmen meinen Sie?«

http://jungle-world.com/artikel/2014/33/50396.html

Peter Nowak