Partei ohne linken Flügel

Die neue grüne Spitze Annalena Baerbock und Robert Habeck

Wenn der Begriff „ehrlichmachen“ nicht so schrecklich abgenudelt wäre, auf die Wahl von Annalena Baerbock und Robert Habeck zu den beiden Parteivorsitzenden der Grünen würde der Begriff passen. Beide gehören zur Parteirechten, die eigentlich nur ein Ziel hat: Mitregieren. Da sind auch die Orban-Freunde von der CSU kein Hindernis mehr, die FDP sowieso nicht. Die wird längst als Konkurrenz im bürgerlichen Wählersegment empfunden.

Regieren um jeden Preis

Die Sondierungsgespräche zur Bildung einer Koalition aus FDP, Grünen und Union haben gezeigt, dass solche Bündnisse an den Grünen nicht scheitern werden. Im Gegenteil: Die Grünen waren nach dem Scheitern einer solchen Koalition durch die FDP wirklich traurig, dass es nicht geklappt hat.

Und sie überboten sich mit Lob, wie geschlossen die gesamte Partei bei den Sondierungsgesprächen agierte, wie sie alle nur ein Ziel hatten, endlich auch von FDP und Union als gleichberechtigter Partner anerkannt zu werden. Dieses Interesse teilten sich ein Cem Özdemir ebenso wie eine Claudia Roth und ein Jürgen Trittin. Von diesem Zeitpunkt war endgültig klar, es gibt keine Linken und Realos mehr, es gibt nur noch Grüne.

Der Parteitag hat dann mit der Wahl von Baerbock und Habeck nur konsequent umgesetzt, was alle in der Partei seit Wochen gesagt haben. Warum noch eine Vertretung eines linken Flügels, wenn der in der realen Politik keine Rolle spielt?

Ein kurzer Exkurs in die Geschichte zeigt, dass die Partei eigentlich seit den frühen 1990er Jahren keinen linken Flügel mehr hat. Zu diesem Zeitpunkt haben die Parteilinken um Thomas Ebermann, Rainer Trampert, Manfred Zieran und Jutta Ditfurth die Partei verlassen. Es waren Protagonistinnen von durchaus unterschiedlichen linksgrünen und ökosozialistischen Parteikonzepten. Weil ihnen klar war, dass sie diese weder mit der SPD noch mit der Union umsetzen konnten, lehnten sie Regierungsbündnisse mit beiden Parteien ab.

Höchstens eine begrenzte Tolerierung der SPD war bei ihnen auf Länderebene denkbar. Die Frage der Regierungsbündnisse war bei ihnen sekundär. Es ging um linke Konzepte zur ökosozialistischen Transformation der Gesellschaft. Als Schwungmasse erhofften sich die Parteilinken die in den 1980er Jahren noch starke Anti-AKW-Bewegung sowie die neuen sozialen Bewegungen insgesamt.

Doch sie irrten sich über den Charakter dieser Bewegungen. Obwohl die noch in der zweiten Hälfe der 1980er in der BRD an den Bauzäunen von Wackersdorf und anderswo eine erstaunliche Massenmilitanz produzierten und damit auch einige Atomkraftwerke verhinderten, wurden sie nicht zur Avantgarde einer dauerhaften kapitalismus- und staatskritischen Bewegung in Deutschland.

Vielmehr wurden sie zur Schwungmasse eines erneuerten Kapitalismus und gaben ihre staats- und kapitalismuskritischen Positionen auf. Diese Entwicklung wurde durch die Umbrüche von 1989 verstärkt, diese waren aber nicht die Ursache. In aller Welt waren die Erben von 1968 und da vor allem die Ökologie die Pioniere des modernen Kapitalismus, der in Deutschland mit der Phrase von der „ökosozialen Erneuerung“ im Taz-Kommentator Peter Unfried seinen besten Propagandisten gefunden hat.

Die Parteilinke stand bald ohne Basis da und wurde seit Mitte der 1980er Jahre parteiintern immer mehr unter Beschuss genommen und schließlich verdrängt.

Grüner Etikettenschwindel

Was dann ab Anfang der 1990er Jahre als linker Flügel der Grünen reüssierte, war eigentlich ein Etikettenschwindel. So wurden zunehmend jene bezeichnet, die nur mit der SPD, aber nicht auch mit der Union und der FDP koalieren wollten. Da aber, wie die Sondierungsgespräche gezeigt haben, alle mit allen regieren wollen, ist es nur konsequent, wenn jetzt auf dem Parteitag mit der Wahl die entsprechenden Konsequenzen gezogen werden.

Wenn nun Christian Ströbele öffentlich dementiert und erklärt, es gebe den linken Flügel bei den Grünen noch, dann erfüllt er nur eine Funktion, die er seit 25 Jahren ausgeübt hat. Er simuliert einen linken Flügel, den es schon lange nicht mehr gibt.

Damit konnte er noch einige Gefühlslinke bei der Stange halten. Ob das auch Ströbeles Nachfolger Canan Bayram gelingt, ist fraglich. Schließlich war sie massiver innerparteilicher Kritik ausgesetzt, nachdem sie erklärte, eine Koalition aus Union und FDP nicht mitwählen zu wollen. Dass sie den „grünen Sarrazin“, den Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (http://www.borispalmer.de), gar empfahl, mal den Mund zu halten, wurde noch ungnädiger aufgenommen.

Da nahm man Bayram vor allem übel, dass sie tatsächlich noch inhaltliche Debatten führen wollte und Fragen nach einer Gesellschaftstransformation nicht für obsolet hielt.


Phrase von der Überwindung der Spaltung der Gesellschaft

Dabei stehen die meisten Grünen völlig hinter Habeck, wenn der erklärt, er wolle etwas gegen die Spaltung der Gesellschaft tun. Das ist seit der Wahl von Trump eine ständig wiederholte Phrase im grünen Milieu. Dabei wird ausgeblendet, dass es reale Spaltungen in der Gesellschaft gibt. Neben der Klassenspaltung sind es rassistische und patriarchale Unterdrückungsformen.

Nun kann man diese Spaltungen durch eine Transformation überwinden. Klassenkampf sowie antipatriarchale und antirassistische Kämpfe sind Mittel dazu. Das war die Linie der Parteilinken bei den Grünen in den 1980er Jahren. Da wäre es nie darum gegangen, die Spaltung der Gesellschaft zuzukleistern, was nur eine weitere Variante von volksgemeinschaftlichen Denkens und Mitte-Mythos ist.

Es wäre vielmehr darum gegangen, die Risse, die sich durch die kapitalistische Gesellschaft ziehen, offenzulegen, zu vertiefen und durch die Transformation in eine nichtkapitalistische Gesellschaft zu überwinden.

Darum geht es den Grünen schon lange nicht mehr. Vielmehr soll gar nicht mehr über die realen Spaltungslinien in den modernen kapitalistischen Gesellschaften geredet werden. Die Wahl des neuen Parteivorstands ist so auch ein Triumpf des volksgemeinschaftlichen Denkens unter grüner Ägide.

Ökologismus versus Zivilisation

Hier kommt der Ökologismus zu sich, der immer schon keine Klassen, sondern nur eine Menschheit, die Mutter Natur, den blauen Planeten und ähnliche Phantasmen gekannt hat. Längst schon ist im Ökologismus die menschliche Zivilisation selber das Feindbild.

Nirgends wird dies besser deutlich, an der Denunziation der menschlichen Fußspuren, die die Zivilisation hinterlassen hat und die durchweg negativ bewertet werden. So geht es konsequenterweise dabei immer nur um die Verringerung dieser menschlichen Fußspuren. Konsequenten Ökologen wäre es nur recht, wenn der Mensch oder mindestens die menschliche Zivilisation ganz verschwinden und keine weiteren Spuren mehr hinterlassen würden.

Eine linke Erzählung müsste aber gerade die Befreiung der Menschen aus den reinen Naturverhältnissen, also die Zivilisation und ihre Spuren, begrüßen. Dabei dürfte sie natürlich nicht blind sein, von den Fährnissen und Sackgassen dieser Zivilisation unter den Bedingungen der kapitalistischen Verwertung, wozu auch eine Vernutzung von Mensch, Tier und der Vernichtung von Natur gehört.

Die Orientierung müsste dabei auf ein schönes Leben für alle Menschen liegen. Doch das ist nicht der Diskurs der Grünen. Ihr Programm kann mit dem Titel eines gerade populären Films als Downsizing beschrieben werden.

Alle sollen den Gürtel enger schnallen, alles soll geschrumpft werden für den modernen energetischen Kapitalismus. Das ist kein linkes Programm und war es auch nie. Deshalb ist es nur konsequent, wenn die Grünen jetzt auch keinen linken Flügel mehr im Vorstand haben.

Peter Nowak
https://www.heise.de/tp/features/Partei-ohne-linken-Fluegel-3952731.html

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Links in diesem Artikel:
[1] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/gruene-waehlen-annalena-baerbock-zur-parteichefin-a-1190127.html
[2] https://www.acast.com/deutschlandfunk/deutschland-1988-24-zaune-uberall-wackersdorf-ein-lehrstuck
[3] http://www.taz.de/!5299015/
[4] http://www.stroebele-online.de/show/10517075.html
[5] http://bayram-gruene.de
[6] https://www.randomhouse.de/Buch/Wir-koennen-nicht-allen-helfen/Boris-Palmer/Siedler/e526754.rhd
[7] http://www.bertz-fischer.de/mythosmitte.html
[8] http://www.vsa-verlag.de/nc/detail/artikel/kapitalistische-naturverhaeltnisse/
[9] https://www.rottentomatoes.com/m/downsizing/

Streit bei den Grünen um Ströbele-Nachfolgerin Canan Bayram

Rechte Grüne machen gegen linke Realpolitikerin mobil – Ein Kommentar

Bei den Grünen ist drei Wochen vor den Bundestagswahlen Panik ausgebrochen. Nicht nur, dass der Partei kein besonders hohes Wahlergebnis prognostiziert wird. Ihr droht sogar ein Status als viert- oder fünfstärkste Partei. Sie könnte von FDP und AFD überflügelt werden.

Nun haben die Grünen sogar mit dem Grundsatz gebrochen, wenigstens vor den Wahlen Geschlossenheit zu simulieren und die innerparteilichen Abrechnungen erst nach dem Wahlsonntag zu beginnen. Es wurden Chat-Protokolle von Parteirechten bekannt, die offen eine ihrer Berliner Spitzenkandidatinnen als unwählbar bezeichnen. Es handelt um die Direktkandidatin im Berliner Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg Canan Bayram.

Die Juristin war von der SPD zu den Grünen übergetreten und hatte sich dort am linken Flügel positioniert. Gegen sie intrigiert ihr Rechtsanwaltskollege Volker Ratzmann, der in den 1990er Jahren noch den Ruf als linker Anwalt hatte und auch in linken Zentren auftrat. Er hat sich bald als rechter Realpolitiker bei den Grünen bekannt gemacht und seinen Wirkungskreis nicht ganz freiwillig nach Baden-Württemberg verlegt, wo er seinem Vorbild Kretschmann nahe ist. Von dort hat er Bayram für nicht wählbar erklärt, weil sie zu eng mit der außerparlamentarischen Linken verbunden sei, und befeuert eine Debatte, die von rechten Medien schon längst in Gang gesetzt worden war und auch von der AfD aufgegriffen wurde.

Dass es bei den Streit nicht nur um Querelen eines in Berlin im parteiinternen Machtkampf unterlegenen Konkurrenten handelt, zeigte die Reaktion der Grünen zum Wahlplakat unter dem Motto „Die Häuser denen, die darin wohnen“, das nur im Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg geklebt wurde. In einer Klarstellung betonte der Bundesvorstand der Grünen, dass er mit dem Plakat nichts zu tun haben und dass es missverständlich sei. Danach stellen sie noch einmal ihr gemäßigtes Mieterprogramm vor, das so auch von der Bezirksgruppe Kreuzberg/Friedrichshain unterstützt wird. Nur wissen die Stadtteilaktivisten, dass die Parole dort altbekannt ist und dass man damit auch noch Stimmen von links bekommt, die sie auch für Realpolitik brauchen. Doch darauf scheinen die Parteirechten immer weniger Rücksicht nehmen zu wollen.

Der linke Realpolitiker Ströbele und die Parteirechte

Sie wollen endlich das Vermächtnis eines Politikers entsorgen, der Vorbild für die gescholtene Bayram ist, wie sie auf dem Plakat sehr deutlich macht. Es ist der Grüne der ersten Stunde Hans-Christian Ströbele, der den Wahlkreis dreimal direkt gewonnen hat und aus Altersgründen nicht mehr kandidiert. Der Erfolg war ihm nur gelungen, weil er erfolgreich den Eindruck erweckte, eine Stimme für ihn sei nicht eine Zustimmung zum Kurs der Grünen insgesamt. So gab sich Ströbele als moderater Kritiker von Militäreinsätzen, die von den Grünen gebilligt wurden, und auch zur Agenda 2010 hatte er ein kritisches Verhältnis.

Doch die Partei wusste, was sie an ihrem lautesten internen Kritiker hatte. Schließlich mussten seine Wähler die Grünen wählen und Ströbele war in der Praxis immer Realpolitiker. An ihm platzte kein Regierungsbündnis, wenn es darauf ankam. Denn so klar sich Ströbele auch persönlich gegen Militäreinsätze wandte, die Regierungsfähigkeit seiner Partei hätte er dabei nie bedroht. Und wenn Ströbele, der mehrere RAF-Mitglieder verteidigte, bis heute die Todesumstände der RAF-Gründer am 18.10.1977 für ungeklärt hält, solange die Aufnahmen aus dem Isolationstrakt nicht freigegeben sind, sich als Kritiker gerierte, war er gleichzeitig derjenige, der einige wenige Linke noch an die Grünen binden konnte.

Wenn man so will, war Ströbele ein linker Realpolitiker, während die Parteirechte zu Unrecht mit diesem Begriff bezeichnet werden. Seit dem Austritt der Parteilinken wie Jutta Ditfurth und Thomas Ebermann vor mehr als 25 Jahren gibt es nur noch Realpolitiker bei den Grünen. Der Unterschied ist nur, dass der eine Flügel ein sogenanntes Reformlager mit der SPD und unter Umständen auch mit der Linkspartei bilden will, während die Parteirechte das historische Bündnis mit der Union wagen will. Politiker, die eine Regierungsbeteiligung mit welcher der beiden Variationen grundsätzlich ablehnen, spielen seit 25 Jahren bei den Grünen keine Rolle mehr.

Ströbele konnte deshalb einen Reim verbreiten lassen, nachdem seine Wahl Fischer quält. Solange er im entscheidenden Moment Fischer nicht die Stimme entzog, wurde das unter Wahlrhetorik abgebucht. Doch seiner Nachfolgerin will man den leicht abgewandelten Spruch „Bayram wählen, heißt Investoren quälen“ nicht durchgehen lassen. Denn die politische Gemengelage hat sich auch für die Grünen verändert. Da wird vermutet, dass die Union schon im Vorfeld abgeschreckt ist und schließlich sei auch nicht garantiert, dass Bayram als direkt gewählte Kandidatin einen Pakt mit der Union ihre Zustimmung geben würde. Da will man sie lieber scheitern sehen und zieht die Parteirechte Renate Künast vor, mit der es in dieser Beziehung keine Probleme geben wird. Sie hat schon mehrere Wahlen verloren und könnte wegen der Besonderheiten des Wahlgesetzes leer ausgehen, wenn Bayram ein Direktmandat gewinnt.

Wer sich vom grünen Sarrazin Boris Palmer nicht distanziert, soll zu Sahra Wagenkecht schweigen

Mit der Stabilisierung der Linkspartei war für die linken Realpolitiker bei den Grünen eine Alternative entstanden, wenn sie nicht die linke Flankendeckung für eine rechte Parteiführung geben wollten. Deswegen musste die Parteirechte, die die Führung bei den Grünen innehat, sich besonders deutlich von den Linken distanzieren und deren zentrale Politikerin Sahra Wagenknecht in die rechte Ecke stellen.

Dabei überschreiten ihre Aussagen zur Flüchtlingspolitik an kaum einer Stelle die aktuelle Regierungspolitik, die in den Bundesländern von den Grünen, in Baden-Württemberg sogar an exponierter Stelle, mitgestaltet werden. Interessanter ist noch, dass einige der Wagenknecht-Kritiker keinen Anstoß an Boris Palmer nehmen, den grünen Tübinger Bürgermeister, der sich mit seinen ständigen Interventionen für eine Flüchtlingspolitik im Interesse Deutschlands längst den Ruf als grüner Sarazzin erworben hat.

Wer sich davon parteiintern nicht distanziert, soll auch zu Wagenknechts Positionen in der Flüchtlingspolitik schweigen. Es ist interessant, dass der Inland-Redakteur der Taz, Martin Reeh, der oft und meistens mit Recht Wagenknecht kritisiert, richtig erkannt hat, warum die SPD Wagenknecht in die rechte Ecke zu stellen versucht.

Wagenknecht erscheint den Sozialdemokraten wie der Rächer aus dem Horrorfilm „I know what you did last summer“, wenn sie immer wieder erwähnt, dass es die SPD war, die Hartz IV und Rentenkürzungen durchgesetzt hat. Sie konterkariert den SPD-Gerechtigkeitswahlkampf, an dessen Spitze mit Schulz, Scholz und Heil Personen stehen, die den Sozialabbau zu Schröder-Zeiten durchgewinkt haben … Die SPD will eine Linkspartei, die so zahm ist, dass sie überflüssig wird. Weil Wagenknecht dem im Weg steht, wird sie als Populistin angegriffen.

Martin Reeh
Diese Einschätzung ist sehr präzise. Gilt aber auch für die Grünen. Wenn selbst die zum linken Flügel der Grünen zählende Europapolitikerin der Grünen Ska Keller das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Umverteilung von Migranten innerhalb der EU als Meilenstein lobt, ohne zu erwähnen, dass es impliziert, dass diese Menschen gegen ihren Willen in Länder gebracht werden soll, die sie nicht wollen und wo sie nicht hinwollen, ihnen also das Recht auf Bewegungsfreiheit genommen wird, dann ist das genau so der Realpolitik und nicht den Interessen der Migranten geschuldet wie kritisierbare Auslassen von Wagenknecht.

Es ist bezeichnend, dass Bayram parteiintern vorgeworfen wird, dem grünen Sarrazin Palmer auf einem Parteitag geraten hat, er solle mal den Mund halten. Dass dieselben Politiker Wagenknecht gegenüber von Palmer noch moderaten Äußerungen in die Nähe der AfD rücken, ist einfach Wahlkampf.

https://www.heise.de/tp/features/Streit-bei-den-Gruenen-um-Stroebele-Nachfolgerin-Canan-Bayram-3824032.html

Peter Nowak
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Links in diesem Artikel:
[1] http://www.tagesspiegel.de/berlin/vor-der-bundestagswahl-gruenen-fluegel-zoffen-sich-im-wahlkampf/20286562.html
[2] http://bayram-gruene.de/
[3] http://www.tagesspiegel.de/berlin/gruene-stoermanoever-das-suendenregister-des-volker-ratzmann/5830554.html
[4] http://stm.baden-wuerttemberg.de/de/vertretung-beim-bund/vertretung-des-landes-beim-bund/bevollmaechtigter-beim-bund/
[5] http://www.bz-berlin.de/berlin/verbot-linksunten-indymedia-warum-solidarisiert-sich-gruenen-abgeordnete-bayram-mit-linksextremisten
[6] http://www.sueddeutsche.de/news/politik/extremismus—berlin-gruenen-politikerin-fuer-linksuntenindymedia-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-170828-99-812500
[7] https://www.facebook.com/GrueneXhain/posts/1435680813182284
[8] http://bayram-gruene.de/
[9] http://www.stroebele-online.de/
[10] http://www.focus.de/politik/deutschland/tid-11956/christian-stroebele-stroebele-waehlen-fischer-quaelen_aid_336012.html
[11] https://www.renate-kuenast.de/
[12] http://www.borispalmer.de/
[13] http://www.tuebingen.de/palmer
[14] http://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.buendnis-90-die-gruenen-palmer-eckt-mit-fluechtlings-buch-an.4945e41f-15f8-471d-b4cd-8982679f89ef.html
[15] http://www.taz.de/!5440586/
[16] http://www.skakeller.de
[17] http://www.skakeller.de/themen/migration-und-flucht/eugh-urteil-zur-umverteilung-von-fluechtlingen-meilenstein-fuer-eu-fluechtlingspolitik.html
[18] http://www.focus.de/politik/deutschland/parteitag-in-nach-fresse-halten-attacke-tuebingens-ob-boris-palmer-knoepft-sich-gruene-vor_id_7254676.html

Grüne und die Jamaica-Vibes

Am Ende könnte die FDP die Grünen bremsen, wenn die mal wieder der Meinung ist, dass der deutsche Umweltstandard die Formel für die Weltrettung ist

Ob der Grüne Co-Vorsitzende Cem Özdemir [1] noch einen Nebenjob als Werbeträger für Kosmetika hat? Fast scheint es so, wenn man seine Twittermeldung[2] von vor einigen Tagen sieht. Unter dem Foto mit Tube Duschgel, das die Aufschrift „Jamaica Vibes“ trägt, schrieb der Grüne Realo: „Ich hatte keine Wahl. Einziges Duschgel heute Morgen.“

Damit schaffte es Özdemir in die Bildzeitung[3] und damit hatte er wohl einen Hauptzweck schon erreicht. Özdemir hat es wieder in die Medien geschafft und sich damit unmittelbar vor dem Parteitag der Grünen noch mal politisch positioniert. Dass Özdemir genau so wie seine Partnerin im Grünen-Vorsitz Katrin Göring Eckardt eine Koalition mit der Union präferieren, ist schon länger bekannt. Dass sie damit parteiintern keineswegs isoliert sind, ist auch kein Geheimnis.

Doch, dass auch die von vielen Grünen politisch schon abgeschriebene FDP nun womöglich mit ins Regierungsboot soll, ist vielen Grünen schon schwerer zu vermitteln. Das hat aber weniger politische Gründe, im neoliberalen Staatsumbau können Grüne und FDP schließlich gut konkurrieren. Das Programm der Jamaica-Koalition in Schleswig-Holstein ist sogar für die grünennahe Taz eine sozialpolitische Bankrotterklärung[4].

Es sind eher geschmäcklerisch-kulturalistische Differenzen, die vielen Grünen ein Bündnis mit der FDP nicht leicht machen. Das gilt übrigens auch umgekehrt. Schließlich hat sich die wiedererstarke FDP die Grünen zum Lieblingsgegner aufgebaut. Es handelt sich dabei um einen Streit im liberalen Spektrum. Historisch gab es da schon lange Differenzen zwischen National- und Sozialliberalen. In der Weimarer Republik waren sie auch auf zwei Parteien aufgeteilt.

Der FDP war es zeitweise gelungen, die differenzierte liberale Szene in einer Partei zu vereinen. Das wird FDP und Grünen so schnell nicht gelingen, weil eben die kulturellen Milieus doch zu verschieden sind. Das heißt nicht, dass sie bald auch bundesweit zusammen Politik machen können.

„Ehe für Alle“ kein Hindernis für eine Jamaika-Koalition

Der Bundesparteitag der Grünen hat hier zumindest eher die Signale für eine solche Koalition gesetzt. So wurde die „Ehe für Alle“[5] zur Voraussetzung jeder Koalition mit den Grünen beschlossen. Das wird schon als möglicher Stolperstein für ein Bündnis mit der Union interpretiert. Doch längst gibt es im modernistischen Flügel der Union Stimmen, die eine Ehe für Alle im Interesse einer Koalition mit den Grünen hinzunehmen bereit sind.

Hier könnte die FDP dann ins Spiel kommen, die mit der Ehe für Alle anders als mit sozialpolitischen Forderungen keine Probleme hat. So könnten auch bei einem Großteil des grünen Spektrums die Aversionen gegen die FDP an Bedeutung verlieren Wie man seinem Umfeld ein Bündnis mit dieser Partei schmackhaft machen kann, zeigt ein Kommentar, den der Chefredakteur des Greenpeace-Magazins[6] Kurt Stukenberg vor ca. einen Monat in der taz veröffentlichte.[7]

„Die Grünen sollten mutig auf ein Jamaika-Bündnis setzen. Rechnerisch und inhaltlich wäre das die beste Wahl“, meint die publizistische Stimme einer Organisation, deren Ziel schon immer darin bestand, den Kapitalismus effektiver zu machen und mögliche Schwachstellen zu enttarnen. Stukenbergs Argumentation für ein Bündnis mit der Union und der FDP wird im Umfeld der Grünen ähnlich wiederholt.

Der Glaube an die Machtperspektive Rot-Grün dürfte selbst den unerschütterlichsten Jüngern vergangen sein, eine solche Mehrheit ist schlicht unerreichbar. Und weil Sahra Wagenknecht nicht ablässt, vom verbotenen, süßen Apfel des Populismus zu kosten, und die Linke es versäumt hat, sich realpolitisch zu erneuern, gilt auch Rot-Rot-Grün als praktisch ausgeschlossen. Ein Bündnis mit der Union hat hingegen unter vielen Funktionären und Anhängern der Grünen seinen Schrecken verloren. Auch aufgrund der Erfahrungen in Hessen und Baden-Württemberg.
Kurt Stukenberg

Im nächsten Schritt muss man jetzt auch der Kooperation mit der FDP Vorteile abgewinnen und das fällt Stukenberg nicht schwer.

Da Dreierbündnisse wahrscheinlicher werden, könnte nach der Bundestagswahl auch die FDP auf der schwarz-grünen Regierungsbank Platz nehmen. Wer dabei kulturelle Unterschiede geltend macht, sollte auch hier kühl rechnen und auf die Kernthemen schauen. Denn mit der FDP hätten die Grünen einen Verbündeten, um ihr zentrales Anliegen einer offenen Gesellschaft und solider Bürgerrechte gegenüber der CDU durchzusetzen. Die Liberalen bieten sich als Partner bei der Abschaffung der Vorratsdatenspeicherung und der Eindämmung von Onlinedurchsuchungen ebenso an wie bei der Durchsetzung der Ehe für alle.
Kurt Stukenberg

So war es eher eine Bestätigung und nicht eine Absage an eine Jamaika-Koalition, das die Grünen nun die Ehe für Alle zur Bedingung für eine Regierungsbeteiligung machten. Es wird in der Union, vor allem in der CSU, dagegen einigen Widerstand geben.

Doch, wenn es zur Abstimmung kommt, dürfte daran eine Koalition nicht scheitern. Zumal die Grünen mit ihren Forderungskatalog, der an einigen Punkten von den schon vor einigen Wochen beschlossenen 10 Punkte-Programm[8] abweicht, die Interessen des modernen deutschen Kapitalismus mustergütig ausformulieren. Ob es um den Ausstieg aus der Kohle oder den Diesel oder die Abwrackung der Tierfabriken geht, immer werden die Interesse des Standort Deutschland mit besonders viel Moralsülze überzogen.

Modell Deutschland gegen Russland und die USA

Natürlich drückt sich das auch in dem besonders innigen Bekenntnis der Grünen für die EU aus, solange diese im Interesse Deutschlands funktioniert, was auf absehbare Zeit der Fall sein wird. EU-Bestrebungen, die nicht in Deutschlands Interesse liegen, werden aus dem Grünen Umfeld besonders gerne als Populismus diffamiert. Hier wird auch eine neue grüne Totalitarismustheorie konstruiert, nach der rechte und linke Gegner einer von Deutschland dominierten EU unter das Populismusverdikt fallen.

Am Beispiel Frankreich wurde der rechte Front National und die linkssozialdemokratische Bewegung für ein unbeugsames Frankreich gleichermaßen aus dem grünen Umfeld bekämpft. Während die Grünen bei ihrer Pro-EU-Haltung immer ihre Abgrenzung zum deutschen Nationalismus betonen, wird nicht erwähnt, dass der sich in einen spezifisch deutschen EU-Nationalismus transformiert hat.

Dass mit Helmut Kohl, ein Politiker, der tief im deutschen Nationalismus verwurzelt war und in Bitburg auch die SS wieder rehabilitierte, auch bei den Grünen zum großen Europäer[9] verklärt wird, der mit großen Brimborium mit einem EU-Staatsakt beerdigt werden soll, zeigt einmal mehr, wie stark die EU ein deutsches Projekt ist.

Niemand kann es so wie die Grünen gegen Russland und die USA in Front bringen. Das ist durchaus nicht nur symbolisch gemeint. Die Grünen machen sich heute schon Gedanken, wie sie ihr EU-Projekt gegen Russland auch militärisch verteidigen wollen. Gegen die Trump-USA wurde auf den Parteitag zunächst mit SMS und Email geschossen, aber auch das kann sich noch ändern.

Die Grenzen der Offenen Gesellschaft

Wer Beispiele für die Doppelmoral der Grünen haben wollte, konnte die auf und um den Parteitag immer wieder finden. Während sich fast alle, die bei den Grünen einen Namen haben über die linke Sozialdemokratin Sahra Wagenknecht und ihre Rhetorik gegen Migranten echauffieren und sie sogar als Hindernis für ein Bündnis mit den linken Reformisten benennen, darf der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer weiter den grünen Sarrazin[10] geben.

Nachdem ihn die Kreuzberger Kandidatin für den Bundestag Cenan Bayram[11], eine der wenigen Linksgrünen, riet, doch endlich mal die Fresse zu halten, gab Palmer den Beleidigten und erntete viel Applaus[12]. Hätte Bayram diese Aufforderung an Wagenknecht gerichtet, wäre ihr der Applaus sicher gewesen.

Doch wenn man Parteikollegen wie Palmer, der es nicht als beleidigend findet, wenn er als Rechtsausleger oder Quartalsirrer bezeichnet wird, ebenso hart angeht, dann wird er als Opfer von Diffamierung uns Ausgrenzung gehätschelt. Die Doppelmoral des grünen Spektrums musste jetzt auch die grünennahe Taz feststellen.

Die hat nach dem Tod von Kohl mit einen frechen Titelbild unter dem Stichwort „Blühende Landschaften“[13] mal wieder einen Coup gelandet, für den man ihr sogar zehn Beiträge des ökoliberalen Chefkolumnisten Peter Unfried verzeiht.

Doch dass sich die Chefredaktion der Taz schon am nächsten Erscheinungstag der Zeitung für ihr Markenzeichen „frech und witzig“ mit einer so moralinsauren Erklärung entschuldigt, die sich liest, als wäre sie direkt Claudia Roth verfasst[14] lässt befürchten, dass die Zeitung auch noch ihr letztes Alleinstellungsmerkmal aufgibt und nur noch die Titanic sich dazu bekennt, nicht pietätsvoll zu sein.

Den Leserbriefen der grünennahen Klientel nach zu urteilen, ist die so viel strapazierte Offene Gesellschaft im grünennahen Bereich sehr eng. Da wird angeführt, dass man einen Mann, der „Deutschland die Wiedervereinigung schenkte“, nicht so beleidigen könne. Dabei waren in dem Beitrag zu Kohls Tod keinerlei Verbalinjurien erhalten, die bleiben Erdogan, Putin und Trump vorbehalten.

So bleibt sich das von den Grünen repräsentierte neue Deutschland doch sehr treu und das ist keinesfalls beruhigend. Man sieht sich als Ökoweltmeister umringt von lauter Umweltsündern. Dass Deutschland der Prototyp für den PKW-Export ist, bleibt ausgespart. Man ist so lange offen, wie es gegen Trump, Putin und Erdogan geht.

Witze gegen die eigenen Heroen hingegen sind noch immer Majestätsbeleidigung wie einst in Preußen. Da könnte man ja noch hoffen, dass die FDP in einer Jamaica-Koalition die Grünen bremsen, wenn es wieder mal darum geht, dass mit dem deutschen Flaschenpfand die Welt gerettet werden soll.

https://www.heise.de/tp/features/Gruene-und-die-Jamaica-Vibes-3747188.html
Peter Nowak
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http://www.heise.de/-3747188

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.oezdemir.de
[2] https://twitter.com/cem_oezdemir/status/875250956161753088
[3] http://www.bild.de/politik/inland/cem-oezdemir/cem-oezdemir-scherzt-auf-twitter-ueber-jamaika-koalition-52211230.bild.html
[4] http://www.taz.de/!5418380/
[5] http://www.ehefueralle.de/
[6] https://www.greenpeace-magazin.de
[7] http://www.taz.de/!5408165/
[8] https://www.gruene.de/ueber-uns/2017/10-punkte-fuer-gruenes-regieren.html
[9] http://www.zeit.de/news/2017-06/16/deutschland-oezdemir-wuerdigt-kohl-als-grossen-europaeer-16180010
[10] http://www.focus.de/politik/videos/boris-palmer-gruenen-ob-fotografiert-fluechtlinge-beim-schwarzfahren-und-kontert-shitstorm_id_7125404.html
[11] http://bayram-gruene.de/
[12] http://www.focus.de/politik/deutschland/parteitag-in-nach-fresse-halten-attacke-tuebingens-ob-boris-palmer-knoepft-sich-gruene-vor_id_7254676.html
[13] https://www.facebook.com/taz.kommune/photos/pb.171844246207985.-2207520000.1497707801./1461765807215816/?type=3&theater
[14] http://www.taz.de/!5421768