Herr Dinar nach der Kirchweih im Fokus der Rechten

Neonazipartei fordert Linkspolitiker nach vermeintlicher Attacke auf Polizei zu Rücktritt auf

Weil er sich in seiner fränkischen Kleinstadt schon lange gegen Rechts engagiert, ist der linke Kreisrat Erkan Dinar den lokalen Neonazis ein Dorn im Auge. Nun wollen sie ihn loswerden.

Bisher war Erkan Dinar fast nur im bayerischen Weißenburg bekannt. Dort kandierte er chancenlos für das Bürgermeisteramt und sitzt für die Linkspartei als Abgeordneter im Kreistag. Doch seit gut zwei Wochen macht sein Name die Runde im Internet. »Wir fordern den Rücktritt von Erkan Dinar als Stadtrat« lautete ein Onlineaufruf, den binnen weniger Tage über 800 Menschen unterzeichnet hatten.

Anlass war eine Auseinandersetzung zwischen Dinar, einigen Mitarbeitern eines Sicherheitsdienstes und der Polizei auf der Kirchweih von Weißenburg Mitte des Monats. Zum Hergang gibt es unterschiedliche Versionen, Es ging um den Einlass in das überfüllte Weinzelt auf der Kirchweih. Als ihm dieser verwehrt wurde, soll er sich uneinsichtig und aggressiv gezeigt haben, verbal ausfallend und auch körperlich übergriffig geworden sein.

Letztlich wird gegen Dinar wegen Widerstand, Körperverletzung, Beleidigung und Sachbeschädigung ermittelt. Er bestreitet jedoch, einem Polizisten ins Gesicht geschlagen zu haben und schreibt in einer Stellungnahme, es sei sein »größter Fehler« gewesen, »der Aufforderung der Polizei, den Platz zu verlassen, nicht sofort Folge geleistet« zu haben. Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen.

Geschlossen wurde aber mittlerweile die Facebook-Seite mit der Rücktrittsforderung. Zuvor hatten sich die die Betreiber politisch geoutet: »Ja, wir sind bekennende Nationalisten«, schreiben sie und rechnen sich der Partei »Der dritte Weg« zu. Sie wurde im September 2013 als Sammelbecken für Freie Nationalisten und NPD-Dissidenten gegründet. In einem Zehn-Punkte-Programm fordert die Partei einen »deutschen Sozialismus« und die »Wiederherstellung Gesamtdeutschlands« über die Grenzen der Bundesrepublik hinaus. Auf ihrer Homepage prangen Plakate mit der Parole »Kriminelle Ausländer raus«. Der Verdacht, dass die Facebook-Kampagne gegen Dinar aus der rechten Ecke kommt, bestand schnell.

Die Neonazis gaben selbst zu, dass sie Dinar schon lange im Visier haben: »Schon in der Vergangenheit waren es stets Aktivisten des nationalen Widerstands, die angeprangert haben, dass Herr Dinar weder als Stadtrat noch als Inhaber irgendwelcher Ämter tragbar ist«, heißt es in der Erklärung. Tatsächlich war Erkan Dinar in der Vergangenheit als Sprecher verschiedener Bündnisse gegen Rechts in Weißenburg von den Neonazis nicht nur verbal angegriffen worden.

Bereits im Juli vergangenen Jahres wurde er auf der Homepage der Freien Nationalisten Weißenburg als »Krawalltourist aus der Türkei« beschimpft. In der Onlineausgabe der »Zeit« hieß es am 19. August 2012 in einem Text über einen Neonaziaufmarsch in Weißenburg: »In der darauffolgenden Nacht attackierten Neonazis das Haus von Erkan Dinar, und versuchen die Fensterscheiben zu zerstören.« Zuvor wird berichtet, dass ein Neonazi »mit der Halsabschneidergestik in Richtung von Dinar zeigte«.

Gegenüber »nd« sagte Dinar, er werde sich nicht einschüchtern lassen. Besonders wichtig sei für ihn, dass seine Partei geschlossen hinter ihn stehe. Auch Weißenburger SPD-Politiker hätten sich von der rechten Kampagne distanziert und betont, die Vorfälle auf der Kirchweih müssten juristisch geklärt werden und dürften nicht zum Thema politischer Kampagnen werden.

Von den Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern des Rücktrittsaufrufes haben sich allerdings nur knapp 30 Personen distanziert, nachdem die rechte Urheberschaft bekannt wurde. Mittlerweile stellt sich Erkan Dinar auch die Frage, ob der Kirchweih-Zwischenfall einen politischen Hintergrund hatte. Zwei Tage  nachdem der Sicherheitsdienst ihm der Einlass verweigert wurde, fand eine »Böhse-Onkelz«- und »Frei.Wild«-Feier statt, über die sich Dinar in der Lokalpresse kritisch geäußert hatte. Beide Bands haben Fans aus der extrem rechten Szene.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/944270.herr-dinar-nach-der-kirchweih-im-fokus-der-rechten.html

Peter Nowak

Viel Populismus, wenig Fakten bei der Debatte um den Sozialmissbrauch

Nationale Userfront

Es deutschtümelt sehr in der NSA-Debatte. Von Peter Nowak

Nachdem sich die letzten NSDAP-Mitglieder in Deutschland aus Altersgründen aus der aktiven Politik zurückgezogen hatten, schwadronierten ihre politischen Erben am rechten Rand von der Besetzungsmacht USA. In den Bundestagsparteien vermied man zumindest öffentlich solche Töne. Doch längst zerbröselt der zivilisatorische Tarnanstrich, und auch Politiker der Regierungsparteien schwätzen nun angesichts der NSA-Affäre wieder so, wie es in der »Nationalzeitung« und ähnlichen Blättern schon immer gedruckt war.

»Die Amerikaner halten sich ganz offenkundig nicht daran, daß man Verbündete nicht ausspäht. Sie führen sich in Deutschland auf wie eine digitale Besatzungsmacht«, lamentierte etwa der langjährige CSU-Abgeordnete Hans-Peter Uhl und wurde dafür als Tabubrecher gefeiert. Schließlich hat er bewiesen, daß man nun auch wieder den USA und nicht nur den Russen deutlich machen kann, daß man ihnen den Sieg im Zweiten Weltkrieg mißgönnt. Widerspruch war in

Deutschland nicht zu hören. Woher auch? Man kennt eben in der NSA-Debatte hierzulande keine Parteien mehr, sondern nur noch Deutsche, die über fehlende Souveränität sowie Duckmäusertum und Hasenfüßigkeit klagen. Das war denn auch der Stoff mehrerer Parlamentsreden von Gregor Gysi und seinen Parteifreunden. »Wir haben heute nicht mehr 1945, sondern 2014«, rief er in den Parlamentssaal, was durchaus wie eine Drohung klang. Als konkrete Maßnahme schlug er vor, Mitarbeiter der Botschaften der USA und Großbritanniens zu unerwünschten Personen zu erklären. Erst wenige Wochen später ließ die Bundesregierung einen US-Geheimdienstmitarbeiter ausweisen. Doch damit sind führende Politiker der Linken noch nicht zufrieden; sie verlangen mehr Engagement im deutschen Souveränitätskampf.

Dazu werden häufig jene Kapitel aus dem von Josef Forschepoth herausgegebenen Buch Überwachtes Deutschland herangezogen, in denen es um die Rechte alliierter Geheimdienste geht. Die Kapitel, in denen der Historiker beschreibt, wie BRD-Dienste jahrelang Zigtausende Postsendungen aus der DDR öffneten, überwachten und teilweise sogar vernichteten, bleiben unbeachtet. Damit läßt sich schließlich keine Stimmung gegen die USA machen.

In der kurzen Zeit der Münchner Räterepublik veröffentlichte ihr Ministerpräsident Kurt Eisner 1919 Geheimdokumente der gestürzten bayerischen Monarchie. Einige Monate zuvor hatten schon die Bolschewiki viele Geheimabkommen des Zarismus bekanntgemacht und damit auch deren Verbündete kompromittiert. Es gab also schon mal Linke, denen die Geheimnisse der herrschenden Klassen, ihrer Dienste und Kabinette herzlich egal waren. Da es die einstweilen in Deutschland nicht gibt, muß man der NSA fast dankbar sein, daß sie die hiesige Politik so kritisch beäugt.

http://www.konkret-magazin.de/hefte/heftarchiv/id-2014/heft-92014/articles/nationale-userfront.html

– Peter Nowak –

Bei Sarrazin abgeschrieben

Bundesregierung will »Armutszuwanderung« aus Balkanstaaten unterbinden / Protest vor Merkels Amtssitz

Das Kabinett hat über die Begrenzung von »Armutszuwanderern« beraten. Das rief einige Aktive auf den Plan, die im Berliner Regierungsviertel Stellung bezogen.

Etwas verloren stand am Mittwochmorgen einen knappes Dutzend vor dem Bundeskanzleramt in Berlin: Aktivisten des »Arbeitskreises Marginalisierte – gestern und heute«, die um 9.30 Uhr zu einer Kundgebung aufgerufen hatten. Im Bundeskanzleramt begann zu dieser Stunde die erste Sitzung des Kabinetts nach der Sommerpause. Dort befasste es sich auch mit einem Gesetzespaket, das den angeblichen Missbrauch von Sozialleistungen durch Zuwanderer aus weniger wohlhabenden EU-Staaten verhindern soll.

Der Anmelder der Kundgebung, Dirk Stegemann vom AK Marginalisierte, übt nicht nur an dem Gesetzesentwurf Kritik, sondern an der gesamten Debatte darum. »Seit Monaten agiert die Bundesregierung entgegen anderslautenden Studien und Statistiken mit rechtspopulistischen Argumentationsmustern gegen Menschen vor allem aus Bulgarien und Rumänien, um politisch und wahlkampftaktisch motiviert über die Vortäuschung einer angeblichen ›Masseneinwanderung in die Sozialsysteme‹ deren garantierte Freizügigkeit und Teilhabe einschränken zu können«, erklärt er gegenüber »nd«. Besonders stark betroffen seien davon Roma aus Osteuropa. Stegemann verweist darauf, dass es sich dabei um eine Menschengruppe handelt, die seit Jahrhunderten diskriminiert und im Nationalsozialismus Opfer von Verfolgung und Vernichtung wurde.

Der AK Marginalisierte arbeitet seit mehreren Jahren zum Thema Verfolgung von armen, als »arbeitsscheu« stigmatisierten Menschen. Dabei spürt er Kontinuitäten von Ausgrenzung und Verfolgung bis in die Gegenwart auf. Die Debatte über Armutszuwanderung ist für Anne Allex ein aktuelles Beispiel. Die langjährige Aktivistin der Erwerbslosenbewegung gehört zu den Mitbegründern des AK Marginalisierte. »Damit schafft die Bundesregierung das Asylrecht faktisch ab, legt europäische Arbeitnehmerfreizügigkeit und das Europäische Fürsorgeabkommen selektiv nach ihren ökonomischen Interessen aus«, argumentiert sie gegenüber »nd«.

Dass der Kreis der Protestierenden am Dienstag klein geblieben ist, wundert sie nicht. Die Proteste werden wachsen, wenn der Gesetzesentwurf im Bundestag und dann im Bundesrat verhandelt wird, ist Stegemann überzeugt. Auch den juristischen Weg hält er noch nicht für aussichtslos. Er könne sich nicht vorstellen, dass die geplanten Einreisesperren verfassungskonform sind.

Auch Susanne Wagner erwartet in den nächsten Wochen noch heftige Diskussionen und Proteste gegen die geplanten Regelungen. Sie erinnert an die Proteste gegen den Buchautor Thilo Sarrazin, der in den letzten Jahren mit Thesen gegen Sozialmissbrauch und Armutszuwanderung für Schlagzeilen sorgte. Damals hätten sich in vielen Städten Bündnisse gegen Sozialchauvinismus gegründet. »Was die Bundesregierung jetzt plant, ist genau das, was Sarrazin forderte«, betont Wagner.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/943875.bei-sarrazin-abgeschrieben.html

Peter Nowak

Rücktritt am Oberdeck der Berlin-Titanic

Als Partybürgermeister ist Wowereit schon lange überflüssig geworden, jetzt zieht er die Konsequenzen

Auf der Homepage [1] des Regierenden Bürgermeisters von Berlin standen heute Nachmittag die mögliche Olympiabewerbung von Berlin und der „herausragende Unternehmer und gute Botschafter“ im Mittelpunkt. Dabei gab es bereits am Vormittag bei einigen Berliner Radiosendungen Programmunterbrechungen, als die ersten Meldungen bekannt wurden, dass Klaus Wowereit die erste Gelegenheit nach dem Ende der Sommerpause nutzen will, um den Termin für seinen Rücktritt im Dezember dieses Jahres festzulegen.

In seiner kurzen Erklärung betonte er, dass er freiwillig zurückgetreten sei, kritisierte allerdings auch, dass selbst in seiner Partei die Gerüchte über seine mögliche Amtsmüdigkeit nicht verstummen wollten. Dabei war schon länger klar, dass er bei Neuwahlen nicht mehr kandidieren werde. Schließlich waren seine Umfragewerte in den letzten zwei Jahren kontinuierlich schlechter geworden. Er hält sich mittlerweile in der Liste der unbeliebten Politiker [2]kontinuierlich auf den vorderen Plätzen und beschert auch seiner SPD schlechte Umfragewerte.

Vom großen Kommunikator zum Quotenschrecken

Dabei war Wowereit einst gerade als großer Kommunikator bekannt und auch beliebt. Wenn man sich fragt, für welche Inhalte Wowereit eigentlich stand, kommt man schnell ins Raten. Viel berühmter sind einige seiner Aussprüche, die viel auf das kulturelle und diskursive Klima ausstrahlten.

Gleich zu Beginn seiner Amtszeit wurde er mit dem Bekenntnis: „Ich bin schwul und das ist gut so“ bekannt und konnte damit den Beweis antreten, dass zumindest in der Metropole Berlin ein schwuler Politiker keine Karrierebremse mehr bedeuten muss. 2001 war einsolches Bekenntnis bundesweit durchaus noch ein Wagnis.

Wowereit gerierte sich hier auch als Anti-Koch. Der hessische Ministerpräsident hatte kurz zuvor gerade mit einer Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft eine Wahl gewonnen und machte immer wieder deutlich, dass zu seiner Klientel die Anhänger der traditionellen Kleinfamilie gehören. Fast zwei Jahrzehnte später ist das auch bei den Unionsparteien längst nicht mehr so klar. Die Anhänger der traditionellen Kleinfamilie gerieren sich als außerparlamentarische Opposition oder suchen in neuen Parteiformationen wie der AfD ein neues Betätigungsfeld. Wowereit mag hier als Tabubrecher gewirkt haben, wenige Jahre später war Guido Westerwelle als schwuler Politiker noch bekannter.

Daher kann man sagen, er hat sich selber überlebt. Wowereit galt in einer Zeit als linker SPD-Politiker, als das Kulturelle und Diskursive eine zentrale Rolle spielte. Vor 15 Jahren hat sich auch außerparlamentarische linke Politik vor allem auf die Durchsetzung der Rechte von Menschen konzentriert, die bisher ausgegrenzt und diskriminiert wurden, weil sie der gesellschaftlich durchgesetzte Norm nicht entsprachen. In diesem Sinne konnte Wowereit als linker SPD-Politiker durchgehen.

Die Zeit des Partybürgermeisters war schon lange vorbei

Dass aber die Stadt Berlin massive soziale Probleme hat und nicht erst seit der Wirtschafts- und Finanzkrise die Zahl der Geringverdiener und Minijobber wächst, die sich nur durch die Aufstockung mit Hartz IV ihre Reproduktionskosten bestreiten können, wurde in den Kreisen gerne verdrängt, in denen Wowereit als Partybürgermeister beliebt war. Wenn nun die Süddeutsche Zeitung Wowereits angekündigten Rücktritt knapp mit „Die Party ist aus“ [3] kommentierte, dann ist sie eigentlich der Zeit um Jahre hinterher.

Die Zeit des Partybürgermeisters war zu dem Zeitpunkt zu Ende, als die Dotcom-Blase platzte und auch im Mittelstand mehr von prekären Arbeits- und Lebensverhältnissen als von der neuen Party die Rede war. Dass jetzt viele sein Versagen fast nur mit der Pleite um den neuen Berliner Flughafen in Verbindung bringen, ist auch ein Ausdruck des Zynismus einer Politik, die die Verarmung großer Teile der Bevölkerung achselzuckend hinnimmt, solange nur am Oberdeck der Gesellschaft die Party weitergeht. Wowereit war für diese Klientel der ideale Stichwortgeber, der mit einem weiteren berühmten Spruch die Lage dieser Berlin-Titanic so klassifizierte: „Arm aber sexy“.

In Kreisen der prekären Kulturarbeiter und Wissenschaftler, die lange zu Wowereits Klientel zählten, kam dieser Spruch gut an, einige ließen ihn sich sogar auf das T-Shirt drucken. Sie hatten ja die Hoffnung, doch noch irgendwie aufzusteigen. Für Menschen aus den Berliner Unterklassen zeigte der Spruch vor allem die Verkommenheit derer auf dem Oberdeck. Sie wandten sich von der Politik ab und versuchten über die Runden zu kommen, indem sie Flaschen sammeln oder vor den Essenstafeln Schlange stehen. Wowereit konnte derweil den Partymeister am Oberdeck noch weiter spielen, weil die Subalternen nicht die Mitteln und Möglichkeiten haben, es zu stürmen. Selbst eine kleine Unterbrechung der Party, wie sie Ken Loach in dem Film „Brot und Rosen“ inszeniert, wo Putzkräfte in den USA mit Staubsaugern und Wischmob ein Filmfest unterbrachen, um für bessere Löhne zu demonstrieren, war in Berlin nicht in Sicht.

Dafür hatte auch Wowereit gesorgt. Außerparlamentarische Proteste wurden mittels Bannmeile vom Oberdeck ferngehalten und die Berliner PDS, die in den 90er Jahren noch ein gewisses Oppositionspotential hatte, wurde von Wowereit domestiziert, in dem er sie 2001 zum Koalitionspartner nahm und über ein Jahrzehnt als zahmen Regierungspartner hielt. Heute ist die Berliner Linksparteieine etwas geliftete SPD mit libertärem Flügel. Grundsätzliche Gesellschaftskritik ist von dort nicht zu erwarten.
Mit der PDS konnte Wowereit eine neoliberale Wirtschaftspolitik auf allen Gebieten durchsetzen. Der soziale Wohnungsbau wurde in dieser Ägide praktisch abgeschafft, die Kommunalen Wohnungsbaugesellschaften privatisiert und so der Grundstein für die Berliner Wohnungsmisere für Menschen mit geringen Einkommen gelegt. Mittlerweile versuchen Mieterinitiativen mit dem Projekt „Neuer Kommunaler Wohnungsbau“ gegenzusteuern. In der Ära Wowereit wuchs die Zahl der Minijobs und die Verarmung stieg. Dass sich der Partymeister trotzdem zeitweise als gefühlter Bundeskanzler gerierte und dabei von vermeintlich SPD-Linken wie Andrea Nahles bestärkt wurde, die Wowereit als Kanzlerkandidaten ins Gespräch brachte, zeigt nur den Zustand diese sozialdemokratischen Linken.

Wie weiter in Berlin?

Die Berliner SPD, in der Wowereit mögliche Konkurrenten jahrelang kleinhielt, wird nun nach seinem Rücktritt mit Ansage darüber beraten, wie sie die Nachfolge regelt. Der Berliner SPD-Landesvorsitzende Jan Stöß [4] hält sich ebenso für geeignet wie der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Raed Saleh [5]. Er hat schon angekündigt, sich um Wowereits Nachfolge zu bewerben. Besonders bekannt und beliebt sind beide nicht.

Jetzt wird überlegt, ob die Nachfolge mit einer Mitgliederbefragung geregelt werden soll, was Stöss zugute käme, der in der Partei besser vernetzt ist. Wenn es keine Einigung gibt, könnte auch ein SPD-Politiker eingeflogen werden, um das Amt zu übernehmen. Noch muss die SPD keine Neuwahlen fürchten, weil die CDU erklärt hat, dass sie die Regierungskoalition mit der SPD bis 2016 fortsetzen will, solange der Koalitionsvertrag gilt. Dieses Bekenntnis hat natürlich nur eine begrenzte Halbwertzeit, weil die CDU von der Schwächephase der SPD profitieren würde, was auch für die Grünen zutrifft, die bereits Neuwahlen nach Wowereits Rücktritt fordern.

Sollte die Linke auch die Gunst der Stunde nutzen, um von der Schwäche der SPD zu profitieren und die CDU den Zeitpunkt für den Absprung günstig erscheint, könnte es tatsächlich bald Neuwahlen und unter Umständen ein schwarz-grünes Bündnis auch in Berlin geben. Schließlich hat auch Wowereit 2001 sein Politdebüt damit gegeben, dass er das Bündnis mit der CDU unter Diepgen aufgekündigt hat und sich dann neue Partner suchte.

Für die Menschen, die in Berlin ganz unten sind, dürfte sich so oder so wenig ändern. So hat sich just am Tag des Wowereit-Rücktritts die Situation der Flüchtlinge, die dort für ihr Bleiberecht kämpfen, wieder verschärft. Die versprochenen Neuverhandlungen der Asylverträge erschöpften sich in einer Überprüfung nach Aktenlage. Jetzt droht [6] mehreren der betroffenen Menschen erneut Obdachlosigkeit und Abschiebung. Heute Nachmittag begannen einige Flüchtlinge in einer Unterkunft in der Berliner Gürtelstraße dagegen erneut mit Protesten und einer Dachbesetzung. Die Meldung ging in den Rummel um die Ankündigung des Wowereit-Rücktritts unter. Das ist eines der Probleme auf der Baustelle Berlin, die Wowereit hinterlassen hatte.

http://www.heise.de/tp/news/Ruecktritt-am-Oberdeck-der-Berlin-Titanic-2302772.html

Peter Nowak

Links:

[1]

http://www.klauswowereit.de/

[2]

http://www.berliner-zeitung.de/berlin/umfragewerte-fuer-berliner-spd-wowereit-wird-immer-unbeliebter,10809148,26479652.html

[3]

http://www.sueddeutsche.de/politik/ruecktritt-von-klaus-wowereit-die-party-ist-aus-1.2104207

[4]

http://www.jan-stoess.de/

[5]

http://www.raed-saleh.de/

[6]

http://www.fluechtlingsrat-berlin.de/print_neue_meldungen2.php?post_id=687

Hellersdorfer Bestandsaufnahme

Antifagruppen veranstalten Aktionswoche gegen Rassismus

Ein Jahr nach Eröffnung des Flüchtlingsheims in Hellersdorf gibt es Workshops, Theater und eine Demo gegen Ausgrenzung.

»Aktiv gegen Rassismus und Ausgrenzung« lautet das Motto einer Aktionswoche in Marzahn-Hellersdorf. Antifagruppen und zivilgesellschaftliche Initiativen planen in Kooperation mit der Alice Salomon Hochschule ab dem heutigen Montag bis zum 30. August zahlreiche Veranstaltungen, Theateraufführungen, Filme und Demonstrationen.

Zuerst beschäftigten sich mehrere Referenten in der Alice Salomon Hochschule mit der Frage »Was ist Rassismus?« und den Möglichkeiten der Unterstützung von Flüchtlingen. Am Mittwoch wird im Hellersdorfer Jugendzentrum La Casa das Theaterstück Asylmonologe aufgeführt. Am gleichen Tag wird gemeinsam mit Bewohnern des Hellersdorfer Flüchtlingsheims ein Skatebord-Workshop veranstaltet. Für Freitag ist ein Kiezspaziergang durch Hellersdorf zu Orten geplant, in denen in der letzten Zeit rassistische Übergriffe stattgefunden haben.

Die Aktionswoche endet am 30. August mit einer Demonstration, die um 12 Uhr am Cottbuser Platz beginnt. Sie wendet sich gegen Neonazis, will aber ebenso den Alltagsrassismus im Stadtteil thematisieren. Dabei geht es den Veranstaltern auch darum, Solidarität mit den Flüchtlingen zu zeigen, die seit einem Jahr in einer ehemaligen Schule in der Carola-Neher-Straße untergebracht sind. Im letzten Jahr machte Hellersdorf bundesweit Schlagzeilen, als unter dem Motto »Nein zum Heim« eine rechte Bürgerinitiative gegen den Einzug der Flüchtlinge hetzte. Auf Stadtteilversammlungen traten bekannte Neonazis mit Hetzreden auf. Auch auf Facebook wurde gegen die Flüchtlinge Stimmung gemacht. Diese rechte Mobilisierung wurde zum Vorbild für ähnliche rassistische Initiativen in anderen Städten.

Seitdem sind allerdings auch antirassistische Gruppen zur Unterstützung der Flüchtlinge aktiv, zum Beispiel unter dem Motto »Hellersdorf hilft«. Eine Initiative, bei der auch viele Anwohner dabei sind. Daran möchte die Aktionswoche anknüpfen. »Wir wollen ein Jahr nach der Eröffnung des Flüchtlingsheims eine Art Bestandsaufnahme machen und die Aufmerksamkeit auf Hellersdorf richten«, sagte Tanja Roth vom Vorbereitungskreis. Sie wies darauf hin, dass es im Stadtteil weiterhin rassistische Aktivitäten gebe. Davon sei auch die Aktionswoche betroffen, weil viele Ankündigungsplakate im Stadtteil abgerissen wurden. Aber auch die Unterstützungsarbeit der Flüchtlinge macht Fortschritte. So wurde am 22. August in der Schneebergerstraße 17 in unmittelbarer Nähe zum Heim ein Ladenlokal als Begegnungsstätte zwischen Flüchtlingen und Stadtteilbewohnern.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/943538.hellersdorfer-bestandsaufnahme.html

Peter Nowak

Aus Großvaters Tagebuch

Kriegsgegner besetzten das »GÜZ« in der Altmark

Am Dienstag und am gestrigen Mittwoch besetzten Kriegsgegner das »Gefechtsübungszentrum Heer« (GÜZ) der Bundeswehr in der Colbitz-Letzlinger Heide (Sachsen-Anhalt). Peter Nowak sprach mit Jan Stehn, einem der Organisatoren der Aktion, die vom Protestcamp »War Starts Here« ausging.

nd: Was hat Sie zu der Besetzung des GÜZ motiviert?
Stehn: Nachdem ich längere Zeit im Ausland lebte, haben mich die Aktionen gegen das GÜZ motiviert, mich wieder politisch zu betätigen. Dort bereitet sich die Bundeswehr auf ihre Einsätze vor und dort ist es auch möglich, Kriegsplanungen direkt zu behindern. Gerade in der aktuellen Debatte darum, was deutsche »Verantwortung« bedeutet, ist uns wichtig deutlich zu machen, dass Militär und Waffenexport kriegerische Konflikte verlängern und eskalieren. Es gibt viele Möglichkeiten, sich friedensfördernd zu engagieren. Die Bundeswehr brauchen wir nicht.

Wie ist Ihnen gelungen, in das GÜZ einzudringen?
Das war nicht schwer. Wir hatten die Aktion angekündigt und waren auf Wachleute, Polizei oder Feldjäger vorbereitet. Doch wir konnten unbehelligt zwei Kilometer vordringen und uns auf einer Brache niederlassen. Einige setzten dort vorbereitete Friedenszeichen, es wurden Bäume gepflanzt. Ich trug aus dem 100 Jahre alten Kriegstagebuch meines Großvaters vor. Er hat sich zu Beginn des Ersten Weltkrieges begeistert beteiligt, aber bald die Grausamkeit des Krieges erkannt.

Wie reagierten die Wachmannschaften?
Kurz, nachdem wir uns niedergelassen hatten, sind Soldaten eingetroffen und haben uns beobachtet. Dabei war auch der Leiter des GÜZ, Oberst Gunter Schneider, der bis zur Räumung durch die Polizei nach 2,5 Stunden vor Ort war. Ein Teil von uns verließ den Platz freiwillig, andere wurden vom Gelände getragen.

Welche juristischen Folgen kann die Aktion haben?
Das wird sich zeigen. Da das GÜZ kein eingefriedetes, umzäuntes Gelände ist, haben wir keinen Hausfriedensbruch begangen. Ob das Betreten des Geländes eine Ordnungswidrigkeit darstellt, ist ebenfalls unklar. Der Weg, auf dem wir uns befanden, war nicht einmal beschildert. Einige Aktivisten haben Widerspruch gegen die fragwürdigen Platzverweise eingelegt, die die Polizei für das GÜZ-Gelände ausgesprochen hat. Dort ist weder eine Begründung noch die verantwortliche Behörde angegeben.

Die Aktionen finden im Rahmen des »War Starts Here«-Camps statt, an dem verschiedenste Gruppen teilnehmen. Wie klappt die Kooperation derselben?
Das Camp wird bereits zum dritten Mal Spektren übergreifend organisiert. In diesem Jahr wurde besonderer Wert darauf gelegt, deutlich zu machen, dass unterschiedliche Gruppen ihre Aktionen auf dem Camp vorbereiten, sodass die Teilnehmer unterschiedliche politische Ansätze kennenlernen und darüber gemeinsam diskutieren können.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/943136.aus-grossvaters-tagebuch.html

Interview: Peter Nowak


Ebola-Fehlalarm in Berlin

Ein Camp gegen das Kriegstraining

Protestwoche am Truppenübungsplatz startet

Am Sonntag hat die Protestwoche von Kriegsgegnern am Gefechtsübungszentrum (GÜZ) bei Magdeburg begonnen. Etwa 400 Antimilitaristen aus der gesamten Republik und dem europäischen Ausland werden dazu erwartet, bis Sonntagnachmittag waren bereits rund 40 Aktivisten angereist. Zum dritten Mal findet das Aktionscamp in der sachsen-anhaltischen Altmark, auf einer Wiese in der Nähe der kleinen Ortschaft Potzehne statt. Der modernste Truppenübungsplatz Europas, auf dem sich Soldaten, nicht nur aus Deutschland, auf ihre Auslandseinsätze vorbereiten, ist nur wenige Kilometer entfernt. Auf dem vom Rüstungskonzern Rheinmetall betriebenen Areal wurden zu Übungszwecken afghanische und kosovarische Orte nachgebaut. Erst Anfang August hatte Rheinmetall von der Bundeswehr den Zuschlag bekommen, das GÜZ bis 2018 weiter zu betreiben – der Wert des Auftrags liegt nach eigenen Angaben bei rund 70 Millionen Euro.

Einen Erfolg haben aber auch die Kriegsgegner schon erzielt: Das GÜZ ist mittlerweile bundesweit bekannt. Vor allem wegen der derzeit im Bau befindlichen Übungsgroßstadt Schnöggersburg, in der zwischen Hochhäusern und U-Bahn-Stationen der Häuserkampf in urbanen Ballungsräumen trainiert werden soll.

Für LINKE-Vize Tobias Pflüger ist das GÜZ ein wichtiger Baustein der deutschen und europäischen Militärpolitik. »Es ist für viele Soldaten die letzte Station vor dem Auslandseinsatz«, so Pflüger. »War start’s here« – Krieg beginnt hier – ist deshalb das Motto des antimilitaristischen Camps. Eine Woche lang stehen Arbeitsgruppen zu Themen wie Militär und Rüstung, der Umsetzung der Zivilklausel an den Hochschulen bis hin zu zivilen Lösungen im Afghanistankonflikt auf dem Programm. Aus der Ukraine reisen Linke an, die in Opposition zur Regierung in Kiew stehen. Sie werden über die schwierigen Bedingungen berichten, unter denen sie ihre politische Arbeit leisten. Höhepunkt des Camps soll der Aktionstag am Sonnabend werden. Aktivisten wollen zuvor das Gelände für mehrere Tage gewaltfrei besetzen.

Militär und Polizei bereiten sich unterdessen auf einen Großeinsatz zur Abwehr der Antimilitaristen vor. Für das GÜZ erklärte Oberst Ludger Terbrüggen, dass man während des Camps »mit einer verstärkten Militanz« rechne. In der Aktionswoche werde es keine Gefechtsübungen geben.

In der strukturschwachen Region, in der viele Bewohner auf Jobs durch das GÜZ hoffen, finden die Aktivisten ebenfalls kaum Zuspruch. »Die Soldaten werden ausgebildet für ihren Job. Und wir alle wollen doch, dass sie heil und gesund wieder nach Hause kommen«, verteidigte eine Kommentatorin der »Altmark-Zeitung« die Übungen. Solche Töne bestärken die Camporganisatoren in ihrem Widerstand. »Wir wollen deutlich machen, dass es kein ruhiges Hinterland für Bundeswehrsoldaten gibt«, so eine Sprecherin.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/942736.ein-camp-gegen-das-kriegstraining.html

Peter Nowak

Kleine Verfassungsschutzkunde

Stipendiaten der Hans-Böckler-Stiftung kritisieren, es gebe dort zu wenig Distanz zum Verfassungsschutz.

von Peter Nowak

Spätestens seit der Selbstenttarnung des NSU im November 2011 ist der Verfassungsschutz (VS) in Erklärungsnöten. Wie konnten Neonazis über Jahre rassistische Morde verüben während der VS davon nichts mitbekommen haben will? Auch in gewerkschaftlichen Kreisen ist seitdem die Distanz zu den Diensten gewachsen. So hat sich die DGB-Jugend auf ihrer Konferenz im Herbst 2013 eindeutig positioniert. »Die Gewerkschaftsjugend lehnt jegliche Bildungsarbeit des Verfassungsschutzes ab und spricht sich eindeutig gegen jedes Engagement des Geheimdienstes in diesem Themenfeld aus«, lautete der Kernsatz des mit großer Mehrheit angenommenen Antrags »Bildungsarbeit ohne Verfassungsschutz«. Doch mit der Umsetzung dieses Beschlusses gibt es auch gewerkschaftsintern Probleme.

In einer Protesterklärung, die der Jungle World vorliegt, monieren Stipendiaten der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung (HBS), dass man dort Distanz zum VS vermissen lasse. Der Abteilungsleiter der Studienförderung der HBS habe im Februar vorgeschlagen, für ein Seminar über »rechte Strukturen« einen Referenten einzuladen, der Stipendiat der HBS war und nun beim Verfassungsschutz in Niedersachsen arbeitet. Dieses Ansinnen führte zu Protesten bei Stipendiaten. Der Verfassungsschutz habe keinen Bildungsauftrag und seinem eingeschränkten Demokratieverständnis dürfe kein Platz gegeben werden, lautete die Begründung.

Sehr zurückhaltend reagierte das siebenköpfige Leitungskollektiv der Promovierenden der Stiftung auf Nachfrage. Es wolle »zum jetzigen Zeitpunkt keine offiziellen Statements zum Thema Hans-Böckler-Stiftung und Verfassungsschutz abgeben«, hieß es in einem Schreiben an die Jungle World. »Solange keine konkreten Pläne durch die Veröffentlichung eines Seminarprogramms bekannt sind, dreht es sich unserer Ansicht nach um Spekulationen und Stiftungsinterna, die wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht diskutieren können«, so die defensive Begründung der Promovierenden. Die kritischen Stipendiaten halten diese abwartende Haltung für falsch. Schließlich ist eine Kooperation mit dem Verfassungsschutz leichter zu verhindern, wenn eine öffentliche Debatte entsteht, bevor das Programm druckfertig ist, heißt es in der Protesterklärung der VS-kritischen Stipendiaten. Im Mai suchten sie das Gespräch mit der Abteilung Studienförderung. Ihr Versuch, innerhalb der Stiftung eine kritische Diskussion zum Umgang mit dem Verfassungsschutz anzustoßen, stieß schnell an Grenzen. Die Kritiker wurden darauf verwiesen, dass die IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) beim Thema Rechtsextremismus mit dem Verfassungsschutz kooperiere.

Auch das Leitungskollektiv der Stipendiaten verweist auf diese Gewerkschaft. »Die bessere Ansprechpartnerin zu dem ganzen Thema wäre unseres Erachtens zurzeit die IG BCE, die öffentlich mit dem Verfassungsschutz Ausstellungen und Bildungsveranstaltungen organisiert.« Bei der Eröffnung der Wanderausstellung »Gemeinsam gegen Rechtsextremismus« im Foyer der Hauptverwaltung der IG BCE am 7.  November 2013 in Hannover betonte Ralf Sikorski, Mitglied des geschäftsführenden Hauptvorstands, dass »die Gewerkschaften stets die Bekämpfung rechtsextremer Politik und Auffassungen, aber auch die inhaltliche Auseinandersetzung mit ihren Formen und Methoden vorangetrieben haben«. Die Kooperation mit dem Verfassungsschutz wird bei Sikorski zur antifaschistischen Praxis: »Dies ist eine gute Gelegenheit zu zeigen, dass Prävention und Sensibilisierung gegenüber den sich wandelnden Erscheinungsformen des Rechtsextremismus hochaktuell ist und bleibt. Das ist zugleich ein gemeinsames Anliegen aller demokratischen Kräfte.« Auch der Pressesprecher der IG BCE, Michael Denecke, scheint die Beschlüsse der DGB-Jugend nicht wahrgenommen haben. Auf die schriftliche Anfrage der Jungle World, wie die IG BCE mit den gewerkschaftlichen Stimmen umgehe, die ein Ende der Kooperation mit dem VS fordern, reagiert er mit der Gegenfrage: »Welche Stimmen meinen Sie?«

http://jungle-world.com/artikel/2014/33/50396.html

Peter Nowak

Stolz auf Rawumsti – immer noch

Die Waffentechnik hat sich weiter entwickelt – die Konversionsdebatte nicht

Bis heute hat die IG Metall keine Antwort, wie ihr Einsatz für Frieden mit Interessenvertretung der Rüstungsarbeiter zusammenpasst. Im Gegensatz zu früher kümmert sich auch kaum noch jemand darum.

»Die Granaten wo wir drehen, sind in aller Welt begehrt. Wenn sie mit rawumsti platzen, ist so mancher sehr versehrt.« Diese Zeilen stammen aus dem Lied »35 Stunden sind genug« der deutschen Rüstungsarbeiter, mit dem der Satiriker Horst Tomayer 1986 die Haltung jener Gewerkschafter ironisierte, die stolz darauf verweisen, dass die Waffen, die sie produzierten, deutsche Wertarbeit sind. Fast 30 Jahre später hat sich die Waffentechnik weiter entwickelt. Nicht mehr Granaten, sondern Drohnen sind begehrtes Rüstungsgut. Die Debatte innerhalb der Gewerkschaften ist dagegen nicht von der Stelle gekommen.

Nachdem Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen die Entwicklung einer europäischen Drohne angekündigt hatte, sprach der zweite Bevollmächtigte der IG Metall Ingolstadt, Bernhard Stiedl, von einem »Lichtblick«. Ein solches Programm »würde am Airbusstandort Manching 1500 Arbeitsplätze sichern«. Stiedl hatte in den vergangenen Jahren wiederholt vor militärischer Abrüstung mit dem Verweis auf Arbeitsplätze gewarnt. Doch in der IG Metall steht er damit nicht allein. Anfang Juni warnten Betriebsratsvorsitzende von mehr als 20 Rüstungsfirmen, darunter zahlreiche Gewerkschaftsmitglieder, Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel in einem Brief, Rüstungsexporte einzuschränken, wie es im SPD-Programm steht. Rüstungsausfuhren könnten zwar kein Allheilmittel sein, aber ohne den Export sei die Industrie nicht überlebensfähig, hieß es in dem Schreiben.

Doch es gab in der Gewerkschaft auch Gegenstimmen. So betonte IG-Metall-Vorstandsmitglied Jürgen Kerner: »Waffengeschäfte dürfen nie vor Menschenrechte gehen.« Noch deutlicher wurde die beim IG-Metall-Bezirk Mitte für Tarif- und Betriebspolitik zuständige Sekretärin Katinka Poensgen. Sie kritisierte den Verweis auf die Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie als »Totschlagargument«. Es könne nicht Aufgabe einer Gewerkschaft sein, wegen des Erhalts »einiger weniger Arbeitsplätze in der Waffenindustrie, die Zerstörung des ganzen Erdballs zu riskieren«. Poensgen sieht sich mit ihrer Rüstungskritik in Übereinstimmung mit der Satzung. Demnach sind Ziele und Aufgaben der IG Metall neben der Demokratisierung von Wirtschaft, Staat und Gesellschaft auch der Einsatz für Frieden, Abrüstung und Völkerverständigung. Poensgen nimmt auch Bezug auf eine Debatte, die vor vier Jahrzehnten wesentlich weiter war als heute. Damals beschäftigten sich Arbeitskreise mit der Frage und unterbreiteten Vorschläge, wie in der Rüstungsindustrie eine Umwandlung in nichtmilitärische Produktion bewerkstelligt werden kann, ohne Arbeitsplätze zu gefährden.

Auftrieb erhielt die Debatte damals durch die Beschäftigten des britischen Luftfahrtunternehmens Lucas Aerospace, das zu über 50 Prozent von Rüstung lebte. Mitte der 70er Jahre sollte dort rationalisiert werden, die Schließung von Tochterfirmen stand an. Doch statt für mehr Rüstungsaufträge zu demonstrieren, machte sich die Belegschaft Gedanken über friedliche und nützliche Produkte. Die Techniker um den Ingenieur Mike Cooley entwickelten Alternativen – medizinische Apparate, innovative Energiequellen, Transport- und Bremssysteme, maritime Anlagen. Das Beispiel wirkte über Großbritannien hinaus.

In Deutschland war der Arbeitskreis »Alternative Produktion« der IG Metall Bremen besonders aktiv, der sich für eine Rüstungskonversion bei Airbus und dem damals noch existierenden Luft- und Raumfahrtunternehmen VFW einsetzte. Ende 2003 wurde der Arbeitskreis auf einstimmigen Beschluss der IG-Metall-Vertrauenskörperleitung aufgelöst. Der einstige Bestseller des Sozialdemokraten Freimut Duve »Produkte für das Leben statt Waffen für den Tod«, der mehrmals neu aufgelegt wurde, ist heute nur noch antiquarisch zu erhalten. Es beschäftigt sich kaum noch jemand mit dem Thema.

In der IG Metall war niemand für eine Stellungnahme zu erreichen. IG-Metall-Sekretär Stiedl, der sich für eine starke Rüstungsproduktion in Deutschland einsetzt, verwies auf den Vorstand. Dort bemühte sich die Pressestelle, den einzigen für diese Frage zuständigen Kollegen zu erreichen. Doch der ist im Urlaub.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/942478.stolz-auf-rawumsti-immer-noch.html

Peter Nowak

Campen gegen Kriegstraining

FRIEDEN In Sachsen-Anhalt entsteht Europas größtes Militärübungszentrum. Kriegsgegner protestieren

BERLIN taz | Nichts deutet im kleinen Letzlingen in der Altmark (Sachsen-Anhalt) darauf hin, dass nur wenige Kilometer entfernt eine Großstadt mit U-Bahn-Stationen und Hochhäusern entsteht. Doch in der Metropole wird kein Mensch wohnen. Die Stadt soll bis 2017 das Zentrum von Europas größtem Gefechtsübungsplatz werden, auf dem sich Bundeswehrsoldaten für Auslandseinsätze vorbereiten. Schon heute wurden dafür afghanische und kosovarische Orte in der Heide nachgebaut.

Nicht ohne Widerstand: Seit zwei Jahren organisieren AntimilitaristInnen nahe der Geisterstadt ein einwöchiges Protestcamp. Ab Sonntag ist es wieder so weit. Mehr als 300 BesucherInnen erwarte sie, sagt Martina aus dem Vorbereitungsteam, die ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen will. „Nicht nur aus Deutschland, auch aus dem europäischen Ausland.“

Neben Workshops rufen die Kriegsgegner auch zu einem „Aktionstag“: Am 23. August soll der Truppenübungsplatz besetzt werden – „gewaltfrei“, wie die VeranstalterInnen betonen.

Bereits in Vorjahren gab es im Umfeld des Camps zahlreiche Aktionen. 2013 gerieten in der 60 Kilometer entfernten Bundeswehrkaserne Havelberg 16 Fahrzeuge in Brand. Es entstand ein Millionenschaden. Das Camp beteuerte, nichts damit zu tun zu haben. Intern wurde heftig diskutiert: Gewaltfreie lehnten die Aktion strikt ab, andere zeigten Verständnis. Könnten doch zerstörte Bundesfahrzeuge keinen Schaden mehr anrichten.

In der Region, in der viele auf Arbeitsplätze durch das Militärzentrum hoffen, finden die Kriegsgegner nur wenig Zuspruch. „Die Soldaten werden ausgebildet für ihren Job“, schreibt eine Kommentatorin der Altmark-Zeitung. „Und wir alle wollen doch, dass sie heil und gesund wieder nach Hause kommen.“ Ein Sprecher des Gefechtszentrums sagte, man rechne während des Camps „mit einer verstärkten Militanz“. In der Aktionswoche werde es keine Übungen geben.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=in&dig=2014%2F08%2F15%2Fa0057&cHash=fa311e2dd3442b8d17fca096086b5fd0

Peter Nowak

Demo für Gewerkschaft der JVA Tegel

Am Donnerstag wird vor dem Amtssitz des Berliner Justizsenators in der Salzburger Straße 21 – 25 eine Kundgebung für Gewerkschaftsrechte organisiert, auf der die Betroffenen selbst nicht anwesend sein können. Es handelt sich um Häftlinge der JVA Tegel, die im Mai eine Gefangenengewerkschaft gegründet haben (»nd« berichtete). Mittlerweile haben sich weitere Gewerkschaftsgruppen in der JVA Berlin-Plötzensee, Willich, Aschaffenburg und Burg gegründet. Vor wenigen Tagen kam zudem unter Titel Outbreak (Ausbruch) eine Ausgabe der Zeitung der Gefangenengewerkschaft heraus. Die beiden Forderungen der Gefangenengewerkschaft, ein Mindestlohn für die Arbeit auch im Gefängnis und die Einbeziehung in die Rentenversicherung, stoßen bei den Gefangenen auf Zustimmung. Gar nicht erfreut über die gewerkschaftliche Organisierung im Knast ist hingegen der Berliner Justizsenator Thomas Heilmann (CDU). Sein Sprecher erklärte als Antwort auf eine Kleine Anfrage des Berliner Linkenvorsitzenden Klaus Lederer: »Der Senat beabsichtigt nicht, Insassen der Justizvollzugsanstalten entsprechend einem gesetzlichen Mindestlohn zu vergüten«. Deren Arbeit und Entlohnung sei nicht mit der Tätigkeit auf dem freien Arbeitsmarkt vergleichbar, lautet die Begründung.

»Wir wollen die Forderungen der Gefangenen unterstützen«, heißt es in dem Aufruf zur Solidaritätskundgebung am Donnerstag. Auch der Erwerbslosenausschuss der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di Berlin stellt sich hinter die Gefangenengewerkschaft. In einer Solidaritätserklärung heißt es: »Immerhin handelt es sich bei euren Tätigkeiten um ArbeiDemo für Gewerkschaft der JVA Tegelt, die dem ›freien Markt‹ entzogen wurde, um sie kostengünstig in den Gefängnissen ausführen zu lassen.«
http://www.neues-deutschland.de/artikel/942340.demo-fuer-gewerkschaft-der-jva-tegel.html

Peter Nowak

Nato-Bündnisfall an der russischen Grenze?

„Ich brauche keinen importierten Rassismus“