Lukas Meisner: Medienkritik ist links. Warum wir eine medienkritische Linke brauchen. Das Neue Berlin, 154 S., br., 16 €.

Linke Medienkritik: Jenseits von Lügenpresse

Lukas Meisner legt ein wichtiges Plädoyer für eine linke Medienkritik vor, versteigt sich jedoch in manch konservative Kulturkritik

Vielleicht finden sich im hinteren Winkel manches Kleiderregals in linken Hausprojekten noch T-Shirts mit der Parole »Taz lügt«. Vor 30 Jahren wollten sich Aktivist*innen der außerparlamentarischen Linken von den Grünen und den ihnen nahestehenden Medien abgrenzen. Ihre Parole war auch eine Antwort auf die Kampagne »Bild lügt«, die über Jahrzehnte von Linken und Linksliberalen unterstützt wurde. Indem auch die »Taz« mit dem unterkomplexen Vorwurf der Lüge belegt wurde, sollte deutlich gemacht werden, dass die wohlfeile Kritik am Springer-Konzern und seinen Zeitungen nicht ausreicht. Es brauchte, so viel schien der Linken klar zu sein, eine grundlegende Kritik der Medien in der kapitalistischen Gesellschaft. Es ist nicht verwunderlich, dass viele Linke an diese Parole heute nicht mehr erinnert werden wollen. Schließlich ähnelt sie dem auf rechtsoffenen Demonstrationen lauthals skandierten Vorwurf der Lügenpresse. Das Anliegen einer linken Medienkritik ist damit freilich nicht erledigt. Die Konsequenz kann nicht sein, die von rechts angegriffenen Medien umstandslos zu verteidigen. Daher ist es begrüßenswert, dass der Soziologe Lukas Meisner im Verlag Das Neue Berlin sein Buch …

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Der Streit über die Impfempfehlung der Stiko und der Vorschlag der Grünen zu einem Klimaministerium mit Vetorecht: Es geht um den Ermessensspielraum der Politik. Kommentar

Primat der Politik vor Technokraten

Der kleine Erfolg durch die Durchsetzung des politischen Primats über eine "Stiko-Technokratie" darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass gerade bei einer Regierungsbeteiligung der Grünen die Herrschaft der Technokratie im Namen des Klimaschutzes wachsen wird. Das von ihnen geforderte Klimaministerium mit Vetorecht ist dafür ein warnendes Beispiel. Statt politischen Streit über den richtigen politischen Weg geht es dann nur noch um die Frage, ob das Pariser Klimaziel eingehalten wird.

Die Ständige Impfkommission (Stiko) wurde bereits 1972 beim damaligen Bundesgesundheitsamt eingerichtet. 2001 wurde die Institution auch als unabhängiges Expertengremium gesetzlich verankert. Trotzdem dürfte bis vor wenigen Wochen kaum jemand über die Existenz der Stiko unterrichtet gewesen sein. Nun tobt seit einigen Tagen ein Streit, ob sich die …

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Was als wissenschaftlich gilt, legt nicht allein die Wissenschaft fest

Wo fliegen sie denn, die Aerosole?

Wir lassen uns nicht von der Regierung nachts einsperren, während wir tagsüber weiter zur Arbeit gezwungen werden, um für die Profite der Unternehmen zu schuften«, heißt es in einem Aufruf der Antinationalen Gruppe Bielefeld. Sie hören einfach auf die Wissenschaft, könnte man sagen - wenn dieser Satz nicht längst zu einer Floskel verkommen wäre, um die Zumutungen einer bestimmten Politik zu rechtfertigen.

Wie hält man’s mit der Wissenschaft? Die Frage stellt sich zurzeit immer wieder. So gehören die Ausgangssperren zwischen 22 und 5 Uhr zu den umstrittensten Elementen des neuen Infektionsschutzgesetz. Dass man schon von einer Liberalisierung spricht, weil der Beginn der Maßnahme um eine Stunde nach hinten verschoben wurde, ist ein Witz. Denn die mangelnde Wissenschaftlichkeit selbst müsste im Mittelpunkt der Kritik stehen. Schließlich haben fünf Aerosolforscher*innen in einem Offenen Brief auf folgenden Konsens innerhalb der Wissenschaft hingewiesen: »Die Übertragung der Sars-CoV-2 Viren findet fast ausnahmslos in …

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Während so viel von wissenschaftsorientierter Politik die Rede ist, fragt kaum jemand nach den empirischen Befunden

Wie faktenbasiert sind die Demoverbote der letzten Tage

Bei Demonstrationsverboten zahlt man mit dem Verlust von Grundrechten. Es gibt keine starken Lobbyorganisationen, die jetzt einfordern, doch einmal auf wissenschaftlicher Grundlage zu prüfen, ob Demoverbote notwendig sind. Anders als in der Konzertbranche wäre hier kein Experiment nötig. Man müsste nur die Ergebnisse der Demos der letzten Wochen auswerten, die antirassistischen Proteste nach dem Tod von George Floyd ebenso wie die Großdemonstration vom 1. August.

Über Wochen wurde mobilisiert und vorbereitet. Daher war die Enttäuschung groß, als die Großdemonstration wegen der steigenden Coronafallzahlen vom ….

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Gesellschaft ohne Opposition?

Auch ein 68er Resultat – Kongressbericht von Peter Nowak

Die Neue Gesellschaft für Psychologie (NGfP) sieht sich in der Tradition des Aufbruchs von 1968er. Jährlich organisiert sie einen Kongress, der sich mit wichtigen Stichwortgeber_innen des globalen Aufbruchs vor 50 Jahren befasst. Der diesjährige Kongress fand am zweiten Märzwochende unter dem Motto „Paralyse der Kritik – Gesellschaft ohne Opposition“ stand, da Herbert Marcuse, entliehen wurde. Wie ein schwarz-roter Faden zog sich die Frage durch die Panels und Arbeitsgruppen der drei Tage. Haben wir es aktuell wie 1968 erneut mit einer Gesellschaft ohne Opposition zu tun oder verbieten sich kurzschlüssige Analogien? Der Vorbereitungskreis betonte in der Einladung eher die Unterschiede zwischen 1968 und heute:
„Gleichzeitig müssen wir berücksichtigen, dass und wie sich die Welt (der Kapitalismus) seit der Verweigerungsrevolte von ’68 verändert hat – Stichwörter: Entkollektivierung und Prekarisierungder Arbeitsverhältnisse in ihrer gesamten sozialen Bandbreite, Unterwerfung von Wissenschaft, Bildung und Gesundheitswesen unter das direkte Diktat der Kapitalakkumulation, zerstörerische Aspekte der forcierten internationalen Arbeitsteilung und der globalen Zyklen seit 1971/73“.

Auch der Historiker Karl-Heinz Roth betonte in seinen vielbeachteten Impulsreferat am Samstagmorgen, dass die Revolte von 1968 ein globaler Aufstand war, der in den nominalsozialistischen Polen und Tschechien seine ersten Niederlagen durch die autoritäre Staatsmacht erleben musste. Roth zeichnete ein düsteres Bild der aktuellen politischen Situation. Heute habe man den Eindruck, als habe der Aufbruch von 1968 nie stattgefunden. Roth sprach angesichts der massenhaften Enteignung von Bäuerinnen und Bauern im globalen Süden und der Prekarisierung großer Teiler der Lohnabhängigen von einer Restauration von Klassenherrschaft im Weltmaßstab. Ob ein neuer sozialrevolutionärer Aufbruch heute noch möglich ist, sei völlig offen. Es gehe zunächst darum, das Ausmaß der eigenen Niederlage rücksichtslos zu analysieren. Dazu gehöre auch der Fakt, dass ein Teil der Errungenschaften von 1968 sich in Stabilisatoren des Kapitalismus verwandelt hätten.

Wie aus dem Individualismus der Egotrip wurde

So legtet Roth in seinen Vortrag da, wie die in der 1968er Bewegung starken Betonung des Individuums zum Egotrip und zum „Selfismus“ wurde und auch die Funktion veränderte. Anfangs habe die Betonung der Individualität den Widerstand gegen die Verhältnisse, die die Menschen auch persönlich nicht mehr aushalten wollten, befördert. Doch der heutige Selfismus verhindere Solidarität. Roth wie die meisten anderen Referent_innen verwiesen auf die massive Prekarisierung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, mit der heute junge Leute konfrontiert sind. Mit der Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse hingegen sei die Angst wider das beherrschende Gefühl vieler Menschen geworden, doch Angst mobilisiere in der Regel nicht sondern lähme. Das Unbehagen an den Verhältnissen ist deshalb nicht verschwunden, aber nicht der Widerstand dagegen kaum vorhanden. Stattdessen wird das Sich Einrichten in den Verhältnissen zur Überlebensmaxime. Diesen Befund bestärkte die Erziehungswissenschaftlerin Andrea Kleeberg-Niepage exemplarisch an Texten von jungen Erwachsenen, einer Gymnasiastin und einer Hauptschülerin. Sie sollten im Rahmen eines n Forschungsprojekt ihre Zukunftserwartungen formulieren. Die Schülerinnen waren durchaus nicht zufrieden mit ihrer Lebenssituation und ihren Zukunftserwartungen. Doch statt Gesellschaftskritik folgte eine Klage über undurchschaubare Kräfte, die sie nicht kontrollieren können. Anpassung statt Protest und Widerstand wird dann zur einzigen Überlebensstrategie

Kritik der repressiven Toleranz

Die Sozialwissenschaftler_innen Julia Plato und Falk Sickmann sind bei ihrer Aktualisierung von Herbert Marcuses Kritik an der repressiven Toleranz bei Slavoj Žižek fündig geworden. Der kritisiert, dass sich große Teile der Linken zum Wurmfortsatz des Liberalismus gemacht. hätten und damit unbeabsichtigt den Rechtspopulismus stärkten. Deutlich sei das in den USA geworden, wo Trump die Liberale Hillary Clinton besiegte. Plato und Sickmann haben zur Illustration zur Kritikder repressiven Toleranz ein Foto vom Eingang eines Cafés in einen Berliner Szenebezirk eingeblendet, wo eine Tafel verkündete, dass Rassismus, Antisemitismus und Homophobie nicht akzeptiert werde. Eine Zeile darüber war die Zahlungsmittel und –arten, aufgelistet, die akzeptiert sind. Eine wahrscheinlich alltägliche Hinweistafel. Dass die Basis der Akzeptanz der Besitz von Bargeld oder Kreditkarten ist, wird gar nicht besonders wahrgenommen, weil es die Grundlage des Kapitalismus ist. Kongressteilnehmer_innen beklagten, dass man der globalen Dimension der 68er-Bewegung nicht gerecht werde, wenn man nicht über den europäischen Tellerrand blickt. Zu den wenigen Ausnahmen auf dem Kongress gehörte das Referat der Ethnologin Raina Zimmering über die Bedeutung und Aktualität des Zapatismus. Für folgende Kongresse wäre die Einbeziehung weiterer Beispiele der aktuellen Widerstandspraxen global aber auch auf lokaler Ebene wünschenswert. Dadurch würde vielleicht auch die jüngere aktivistische Linke angesprochen, die auf der Konferenz kaum vertreten war.

aus: express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, Ausgabe: Heft 3/2018

http://www.labournet.de/express/,
Peter Nowak

Paralyse der Kritik: Gesellschaft ohne Opposition?

Ein Kongress in Berlin zeigt, wie ein Teil der ehemaligen 68er-Bewegung mit dazu beigetragen hat, dass sich die Verhältnisse, gegen die man einst kämpfte, noch mehr stabilisierten

Studierende opponieren gegen den in Berlin lehrenden Historiker Jörg Baberowski, dem nicht nur von ihnen, sondern auch in einem Gastbeitrag in der linksliberalen Frankfurter Rundschau rechtslastiges Gedankengut vorgeworfen wird.

Eigentlich ist es doch sehr erfreulich, dass 50 Jahre nach 1968, zumindest einige Studierende nicht nur über diese Ereignisse resümieren, sondern die damalige Parole „Unter den Talaren der Muff von Tausend Jahren“ heute zu aktualisieren versuchen. Dass die kritischen Studierenden von den konservativen Medien, FAZ und Welt verurteilt werden, ist nicht verwunderlich.

Diese Zeitungen haben auch vor 50 Jahren wütend auf diejenigen reagiert, die damals die Parole propagierten. Verwunderlicher ist dann schon, dass die grünennahen Taz, die ja immer ihre Nähe zur 1968er-Bewegung herausstellt, ganz klar Front gegen die Kritiker Baberowski macht und ihn in einen langem Artikel als Opfer linker Ideologen hinstellt. Das ist ein gutes Beispiel für die „Paralyse der Opposition“.

So beschrieb Herbert Marcuse 1968 die Gesellschaft in der BRD. Die Neue Gesellschaft für Psychologie, ein Kreis von Sozialwissenschaftlern, die sich selbst in der Tradition von 1968 sehen, hat auf ihrem diesjährigen Kongress, der am vergangenen Wochenende in Berlin zu Ende gegangen ist, Marcuses Verdikt auf die heutige Zeit übertragen. Auch seine Aufforderung „Weitermachen“ wollen sie in die heutige Zeit übernehmen.

Entkollektivierung und Prekarisierung und welchen Anteil die 68er daran hatten

Dabei übersehen sie die Schwierigkeiten eines solchen Unterfangens nicht, wie das Programm ausweist:

Gleichzeitig müssen wir berücksichtigen, dass und wie sich die Welt (der Kapitalismus) seit der Verweigerungsrevolte von ’68 verändert hat – Stichwörter: Entkollektivierung und Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse in ihrer gesamten sozialen Bandbreite, Unterwerfung von Wissenschaft, Bildung und Gesundheitswesen unter das direkte Diktat der Kapitalakkumulation, zerstörerische Aspekte der forcierten internationalen Arbeitsteilung und der globalen Zyklen seit 1971/73.

Aus dem Vorwort zum Konferenzprogramm

Die Auswirkungen dieser Veränderungen auf die Individuen wurden in verschiedenen Arbeitsgruppen veranschaulicht. So stellte die Erziehungswissenschaftlerin Andrea Kleeberg-Niepage Texte vor, in denen sich Jugendliche, eine Gymnasiastin und eine Hauptschülerin, der Frage widmen, was sie von der Zukunft erwarten.

Trotz vieler Unterschiede machte Kleeberg-Niepage eine Gemeinsamkeit fest: In beiden Texten fehlt jeder Hinweis auf eine Protesthaltung. Unzufriedenheit mit den Verhältnissen war zwar durchaus vorhanden, aber es herrscht die Vorstellung „wenn ich es nicht schaffe, ist es mein eigenes Verfehlen“. Gesellschaft wurde in den Schreiben nicht adressiert und so war es nur folgerichtig, dass es auch keine gesellschaftskritischen Gedanken gab. Aber es gab in den Schreiben auch keinen Hinweis auf die Vorstellung einer glücklichen Zukunft im Kapitalismus.

Vielmehr sahen sich die Schreiberinnen als Objekte blinder Mächte und die einzige Möglichkeit, die sie haben, ist, sich zu arrangieren und das Beste daraus zu machen. Es wäre interessant gewesen, diese Ergebnisse mit Befragungen von Jugendlichen in der DDR zu kontrastieren.

Ein Beispiel ist das Langzeitfilmprojekt „Die Kinder von Golzow“, in dem eine Landschulklasse ab 1961 filmisch begleitet wurde. Die Hoffnungen, Wünsche und Ängste der Menschen kamen zu Sprache. Auch beim Bankett der 500 Träumer, einem Preisausschreiben in der DDR im Jahr 1970 sollen sich Jugendliche die Welt im Jahr 2000 vorstellen. Man kann heute darüber spotten, aber man kann sich auch darüber Gedanken machen, warum die Jugendlichen damals weniger Zukunftsangst hatten, weniger das Gefühl, dass „blinde Mächte“ über ihr Schicksal bestimmen, als heute.

Wie aus dem Individualismus der Egotrip wurde

Eine Stärke des Kongresses bestand dahin, dass immer wieder auch die Frage gestellt wurde, wie Akteure der 1968er -Bewegung, den Kapitalismus mit stabilisieren halfen, anfangs oft gegen ihren Willen. So hat der Historiker Karl-Heinz Roth in seinem Vortrag dargelegt, wie die Betonung des Individuums zum „Egotrip“ und zum „Selfismus“ geriet und auch die Funktion veränderte.

Anfangs stärkte die Betonung der Individualität den Widerstand gegen die Verhältnisse, die die Menschen auch persönlich nicht mehr aushalten wollten. Doch der heutige Selfismus verhindert jede Solidarität. Roth vermied wie die meisten anderen Referentinnen und Referenten allerdings moralische Kritik. Man verwies auf die massive Prekarisierung der Lebens- und Arbeitsbedingungen.

Karl-Heinz-Roth erklärte, dass er selber als „bekannte rote Socke“ mit dicker Verfassungsschutzakte immer sofort einen Job als Assistenzarzt bekommen hat. Mit der Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse hingegen sei die Angst wieder das beherrschende Gefühl vieler Menschen geworden; doch Angst mobilisiere in der Regel nicht, sondern lähme.

Kritik der repressiven Toleranz

Einen wichtigen Aspekt haben Julia Plato und Falk Sickmann in ihrer Beschäftigung mit Slavoj Žižeks Toleranzbegriff angesprochen: Teile der Restlinken haben sich zum Wurmfortsatz des Liberalismus gemacht.

In den USA hat dies zum Aufstieg und zur Wahl von Trump entscheidend beigetragen – und nicht die angeblichen russischen Hacker, die gerade von den liberalen Kreisen ins Feld geführt werden. Sie wollen natürlich vermeiden, dass ihre Rolle bei dem Wahlergebnis diskutiert wird.

Plato und Sickmann haben dann noch zu Illustration ihrer „Kritik der repressiven Toleranz“ ein Foto vom Eingang eines angesagten Cafés in einem Berliner Szenebezirk eingeblendet, wo eine Tafel verkündete, dass Rassismus, Antisemitismus und Homophobie nicht akzeptiert werden. Eine Zeile darüber wurden Zahlungsmittel und -arten aufgelistet, die akzeptiert werden. Eine wahrscheinlich alltägliche Hinweistafel.

Die meisten Menschen nehmen je nach Gesinnung mit Freude oder Wut zur Kenntnis, was in der Lokalität nicht akzeptiert wird. Dass die Grundlage erst einmal der Besitz von Bargeld oder Kreditkarten ist, wird gar nicht besonders wahrgenommen, weil das eben zum Wesen des Kapitalismus gehört. Dass die Referenten genau dieses Schild als Exempel für eine repressive Toleranz nahmen, war gut gewählt.

So leistete der Kongress Aufklärung über den Zustand unserer Gesellschaft und der von vor 50 Jahren. Nur hätte man bei dem Titel „Deutschland ohne Opposition“ ein Fragezeichen setzen sollen. Denn es gibt im gegenwärtig in Deutschland durchaus eine Opposition – die aber steht rechts.

Die Vorstellung, dass Opposition immer staats- und kapitalismuskritisch sein muss, stimmt schon längst nicht mehr Aber das wäre unter Umständen ein Thema für den nächsten Kongress der Neuen Gesellschaft für Psychologie. Das in einem ideologiekritischen Brief befürchtete Abtriften des Kongresses in Antiamerikanismus und Verschwörungstheorien hat sich beim diesjährigen Programm zum Glück nicht feststellen lassen.

Die Unterzeichner kritisieren einige Interviewäußerungen eines federführend für den Kongress verantwortlichen Wissenschaftlers. Es wäre wünschenswert, wenn beim nächsten Kongress eine kritische Debatte über die Streitpunkte auf einer wissenschaftlichen Basis möglich wäre.

https://www.heise.de/tp/features/Paralyse-der-Kritik-Gesellschaft-ohne-Opposition-3990642.html

Peter Nowak
RL dieses Artikels:
http://www.heise.de/-3990642

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.geschichte.hu-berlin.de/de/bereiche-und-lehrstuehle/geosteuropas/personen/1683840
[2] http://www.fr.de/wissen/joerg-baberowski-die-selbstinszenierung-eines-rechten-a-1294450
[3] http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/forschung-und-lehre/der-diffamierte-joerg-baberowski-erhaelt-beistand-14960798.html
[4] https://www.welt.de/geschichte/article163535334/Linksextremisten-wollen-nichts-verstehen-sondern-denunzieren.html
[5] http://www.taz.de/!5485962/
[6] https://www.ngfp.de/
[7] https://www.ngfp.de/wp-content/uploads/2017/12/GoO_Programm.pdf
[8] https://www.ngfp.de/wp-content/uploads/2017/12/GoO_Programm.pdf
[9] https://www.uni-flensburg.de/psychologie/wer-wir-sind/personen/andrea-kleeberg-niepage/
[10] http://www.kinder-von-golzow.de/
[11] https://www.hoferichterjacobs.de/produktionen/das-bankett/
[12] https://www.tagesspiegel.de/politik/vor-30-jahren-ertraeumten-sich-einige-ddr-jugendliche-das-jahr-2000/116046.html
[13] http://www.stiftung-sozialgeschichte.de/joomla/index.php/de/publikationen/literaturlisten-2/101-karl-heinz-roth
[14] http://www.falksickmann.de/
[15] http://www.zeit.de/2016/18/slavoj-zizek-kapitalismus-der-neue-klassenkampf
[16] http://critpsych.blogspot.de/2017/12/offener-brief-die-neue-gesellschaft-fur15.html

Vom Elend der militanten Linken und ihrer Kritiker in Deutschland

Sabotage der Infrastruktur: Wenn die Militanz nicht mehr eine Frage von Strategie und Taktik ist, sondern zum eigenen Inhalt wird

Am vergangenen Montag mussten bundesweit Tausende Pendler auf ihre Züge warten (vgl. Sabotage an Bahnstrecken: „Kurze Unterbrechung der Reibungslosigkeit“[1]). Dieses Mal war die Ursache politischer Natur. Unbekannte Aktivisten haben auf Indymedia erklärt[2]:

Heute Morgen haben wir die Kabelstränge entlang mehrerer Hauptstrecken der Bahn in Brand gesetzt. Die Bahn nutzt die Kabelkanäle neben den Gleisen nicht nur für die interne Signalübermittlung sondern vermietet die Schächte auch an andere Datennetz-Betreiber. Wir unterbrechen die alles umfassende wirtschaftliche Verwertung. Und damit die so stark verinnerlichte Entwertung von Leben. Wir greifen ein in eines der zentralen Nervensysteme des Kapitalismus: mehrere Zehntausend Kilometer Bahnstrecke. Hier fließen Waren, Arbeitskräfte, insbesondere Daten.
Shutdown G20 – Hamburg vom Netz nehmen![3]

Wie immer, wenn in Deutschland politische Aktionen über das von der Polizei erlaubte hinausgehen, war der Chor der Distanzierer groß. Besonders die vielen staatstragenden Nichtregierungsorganisationen[4], die vor dem G20-Gipfel schon mit Merkel kooperieren, um die Welt zu retten, sind empört, dass jetzt einige Militante ihnen die Show stehlen. Wenn man die devoten Formulierungen[5] dieser Zivilgesellschaft[6] liest, kann man sich nur freuen, dass es 2017 im Land noch Linke gibt, deren Ziel nicht darin besteht, „zu global relevanten Themen eine gemeinsame Stimme“ zu finden und die internationale Politik „reflektierend“ zu begleiten.

Die Tendenz einer deutschen Zivilgesellschaft, die sich an Trump, Putin und Erdogan abarbeitet und das Modell Merkel umso nachdrücklicher zur Rettung der Welt anpreist, wird durch eine militante Praxis konterkariert, die alles andere als konstruktiv sein will und das ist tatsächlich das Beste, was man über die unbekannten Militanten sagen kann.


Wenn Militanz zum Fetisch wird

Das kurze Schreiben endet mit dem Satz: „Das einzige Maß für die Krise des Kapitalismus ist der Grad der Organisierung der Kräfte, die ihn zerstören wollen.“ Nun könnte man diesen Satz als Versuch werten, einer isolierten Aktion eine weltpolitische Dimension zu verleihen. Doch das Problem liegt tiefer und ist durchaus nicht auf diese Aktion beschränkt.

Da wird so leichthin von der Organisierung der Kräfte gesprochen, die den Kapitalismus zerstören können und die vielen Menschen vergessen, die sich in den unterschiedlichen Lohnarbeitsverhältnissen befinden. Lange Zeit war es in den unterschiedlichen Spektren der Linken Konsens, dass sich genau diese Arbeiterinnen und Arbeiter, heute auch um jede Arbeitertümelei zu vermeiden, auch Lohnabhängige genannt, organisieren müssen, wenn die Parole von der Überwindung der Kapitalismus mehr als eine Floskel sein soll.

Die Situationisten[7] haben gezeigt, dass auch Aktionen, die für die für Lohnabhängigen zunächst eine Provokation darstellen, eine aufklärerische Wirkung haben können. Doch in der Erklärung zur Bahnunterbrechung wurde nicht einmal problematisiert, wie eine Aktion, die dazu führt, dass Lohnabhängige teilweise über Stunden zu spät an ihren Arbeitsplatz kommen, dazu beitragen soll, dass sich genau diese Menschen organisieren?

Ist es nicht eher so, dass mit solchen Aktionen die Arbeiter noch lauter nach dem starken Staat rufen? Dass solche Fragen nicht gestellt werden, dürfte kein Zufall sein. Die Frage, wie sich Lohnabhängige selber organisieren können und damit auch ein Bewusstsein für die Verhältnisse bekommen, ist heute in der Regel kein Thema, dass die Freunde einer militanten Theorie und Praxis interessiert.

Dadurch haben ihre Aktionen aber auch etwas Voluntaristisches. Die zeitweilige Unterbrechung von Verkehrsströmen oder die Vernichtung und Zerstörung von Gütern bekommen dann den Stempel des Revolutionären, obwohl im Kapitalismus beständig Waren in weit höheren Ausmaß vernichtet werden, als es sämtliche militanten Kollektive auf der Welt bewerkstelligen können.

Das geschieht nicht nur ganz augenfällig bei Kriegen. Auch die Zerstörung von Ernten, um die Preise hochzutreiben, ist eine kapitalistische Praxis. Da im Kapitalismus Waren nicht der Bedürfnisbefriedigung, sondern dem Profit dienen, ist es nicht schwer verständlich, dass sie auch vernichtet werden, wenn sie diesen Zweck nicht erfüllen.


Die Negierung der Klasse führt zur Kleingruppenromantik

Daher die Zerstörung und Vernichtung von Waren eben auch nicht per se ein kapitalistischer Akt. Wenn aber die Lohnabhängigen zur Durchsetzung besserer Arbeitsbedingungen in einen Streik treten und damit die Normalität der Warenproduktion unterbrechen, kommt eben der kollektive Akt hinzu, der Lernprozesse auslösen und etwas vorantreiben werden kann, was einmal altmodisch die Bildung der Klasse für sich genannt wurde.

Aktuell kann von einem solchen Prozess im oft migrantisch geprägten Logistiksektor in Norditalien gesprochen werden. Seit mehreren Jahren gibt es einen Zyklus von Arbeitskämpfen. Es ist der Internetplattform labournet.tv[8] zu verdanken, dass mit Videos[9] verdeutlicht wird, wie solche Lern- und Organisierungsprozesse ablaufen. Hier könnte dann von der „Organisierung der Kräfte“ gesprochen werden, welche die Militanten in ihrer Erklärung erwähnen.

Die Lohnabhängigen sind in den Kämpfen in Norditalien Subjekte, die selber die Kampfagenda bestimmen, während sie bei Aktionen wie am Montagmorgen zu Objekten gemacht werden, die allerhöchstens die Möglichkeit haben, beim Warten auf den Zug über Sinn und Unsinn von kapitalistischer Lohnarbeit nachzudenken, wie ihnen schon mal gönnerhaft geraten wurde.

Es ist ein Unterschied, ob sich eine Linke zum Ziel setzt, Lohnabhängige bei ihren Kämpfen zu unterstützen, die in eine Arbeitsniederlegung führen können oder ob man die Infrastruktur sabotiert, mit der sie zur Arbeit kommen. Die Verachtung der Klasse und ihrer Bewegungsgesetze führt dann in der militanten Szene zu einer Kleingruppenromantik, die die Frage offen lässt, wie daraus die Organisierungsprozesse entstehen sollen, die in dem Schreiben erwähnt werden.
Ausstand und Aufstand: Die Rolle von Streiks

Dieses Problem stelle sich auch bei einer öffentlichen Debatte in Berlin, zu welcher der Publizist Thomas Ebermann[10] Anfang Juni eingeladen wurde[11]. Der hatte gekonnt treffend und pointiert die vielen Marotten der unterschiedlichen Spektren der Bewegungslinken aufgespießt.

Die Empörten, die regelmäßig die Bildung oder was auch immer zu Grabe tragen und deshalb auf ihren Demonstrationen Särge herumschleppen, sind ebenso verdientermaßen Objekt von Ebermanns Kritik wie junge Autonome, die sich mit Leuchtspurgeräten auf Häuserdächern postieren. Theoretisch knüpfte Ebermann bei dem Philosophen Herbert Marcuse[12] und seiner sehr differenzierte Sicht auf eine militante Praxis an.
Randgruppen

Allerdings erklärte er nicht, dass Marcuse mit seiner Randgruppenstrategie[13] ein klares politisches Projekt hatte und Militanz für ihn immer nur Mittel zum Zweck war. Für Marcuse war nicht mehr die Mehrheit der Lohnabhängigen, sondern ein Patchwork von Minderheiten das revolutionäre Subjekt. Heimkinder gehörten ebenso dazu wie unterschiedliche sexuelle Orientierungen.

Im Jahr 2017 hätte man aber diskutieren müssen, dass diese ehemaligen Randgruppen unter dem Stichwort Diversität längst zum Schwungrad des modernen Kapitalismus geworden sind. Damit müsste auch das Konzept von Marcuse und anderen kritisch hinterfragt werden. Doch das konnte nicht geschehen, weil ja das Konzept bei der Veranstaltung gar nicht benannt wurde. Man hat nur über die Mittel, also über die Militanz geredet.

Was auch ausgeblendet wurde, ist die Frage, warum sich in relativ kurzer Zeit viele junge Linke am Ende der 1960er Jahre von Marcuse, aber auch von den Theoretikern der Frankfurter Schule abwandten. Da hätte das Stichwort Septemberstreiks[14] fallen müssen, eine große Streikbewegung in Westdeutschland, die unabhängig vom DGB von der Basis organisiert wurde.

„Arbeiter doch noch nicht so angepasst“

Dieser Ausstand hatte viele junge Linke von den Theoretikern der Frankfurter Schule entfremdet, die ja erklärten, warum die Arbeiterklasse in den Staat integriert ist und daher als kämpferisches Subjekt ausfällt. Diese These konnte in Westdeutschland nur so lange mit einer gewissen Berechtigung vertreten werden, bis eine Streikwelle losbrach, die eben zeigte, dass die Arbeiter doch noch nicht so angepasst waren.

Dass dann ein Großteil der neuen Linken völlig unrealistisch ein K-Gruppen-Revival nach dem Vorbild der 1920er Jahre aufführte, ist ein anderes Kapitel über linkes Scheitern. Doch dass 2017 nicht einmal diese Zusammenhänge mehr erwähnt werden, ist Symptom für das aktuelle Elend einer Linken, für die Militanz nicht mehr eine Frage von Strategie und Taktik ist, sondern zum eigenen Inhalt wird.

Das kann dann aus biographischen Gründen und wegen des Repressionsdrucks nur für eine begrenzte Zeit aufrecht erhalten werden. Deswegen ist die Fluktuation in der linken Szene Deutschlands besonders hoch. In Ländern wie Italien, wie Italien und Frankreich, wo die Lohnabhängigen in ihren Kämpfen Lernprozesse machen, hingegen gibt es Militante, die bis ins hohe Alter dabeibleiben[15].

Peter Nowak

https://www.heise.de/tp/features/Vom-Elend-der-militanten-Linken-und-ihrer-Kritiker-in-Deutschland-3751881.html
URL dieses Artikels:

http://www.heise.de/-3751881

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/tp/features/Sabotage-an-Bahnstrecken-Kurze-Unterbrechung-der-Reibungslosigkeit-3747655.html
[2] https://linksunten.indymedia.org/en/node/215853?page=1#comment-248456
[3] https://linksunten.indymedia.org/en/node/215853?page=1
[4] http://www.forumue.de/
[5] http://www.forumue.de/pm-c20-gipfel-internationale-zivilgesellschaft-ueberreicht-bundeskanzlerin-ihr-communique-mit-forderungen-an-g20/
[6] http://civil-20.org/
[7] http://www.si-revue.de/situationistische-internationale
[8] http://de.labournet.tv
[9] http://de.labournet.tv/videos/kampfzyklus-logistik-italien
[10] https://www.perlentaucher.de/autor/thomas-ebermann.html
[11] https://linksunten.indymedia.org/it/node/210171
[12] http://www.marcuse.org/herbert
[13] https://wolfwetzel.wordpress.com/tag/randgruppenstrategie/
[14] http://www.gegenwind.info/268/septemberstreiks1969.html
[15] https://www.unrast-verlag.de/neuerscheinungen/dabei-geblieben-detail