Heinz Jürgen Schneider, Rote Marine; 500 Seiten, Verlag Tradition, 2024, 19,- Euro, ISBN: 9783384148360

Linkes Geschichtsbuch

Über 35.000 Menschen versammelten sich am 21. März 1931 in Winterhude im Norden Hamburgs, um Ernst Henning das letzte Geleit zu geben. Es war auch ein Massenprotest gegen den NS-Terror. Denn er war ein in Hamburg bekannter Politiker der KPD und beteiligte sich auch im Rotfrontkämpferbund am Kampf gegen den aufkommenden NS-Faschismus.

„ Am 14. März 1931 wurde Henning in einem Bus auf dem Rückweg von einer
KPD­-Versammlung von SA-­Männern erschossen. Sein Begleiter wurde schwer verletzt und verlor ein Auge. Eine Berufsschullehrerin, die zufällig auch im Bus saß, wurde ebenfalls durch die Schüsse verletzt. Die faschistische Mordtat sorgte damals wegen ihrer Brutalität für große Empörung. Heute ist Henning kaum noch bekannt. Daher ist es sehr erfreulich, dass Hans­Jürgen Schneider seinen Geschichtsroman …

… „Rote Marine“ mit Hennings Beerdigung beginnen lässt. Schneider ist in der Roten Hilfe vielen als engagierter linker Rechtsanwalt bekannt. Nicht wenige werden ihn auch als Autor zahlreicher Krimis mit politischem Hintergrund kennen. Mit seinem neuesten Buch „Rote Marine“ gelingt Schneider eine beeindruckende Beschreibung der letzten Jahre der Weimarer Republik. Schneider beschreibt das Leben von vier Personen aus dem Umfeld der KPD in Hamburg und zeigt, wie sich der NS-Faschismus erst langsam, dann immer schneller ausbreitet und schließlich die Macht übernimmt. Wichtig ist, dass er dabei auch die Arbeit der Genossinnen gewürdigt hat und sie nicht einfach als Gefährtinnen ihrer Männer darstellt, wie es häufig geschieht. Der Einstieg mit den Trauerkundgebungen für Ernst Henning, einem frühen Opfer des NS-­Terrors, ist gut gewählt. Denn die Leserinnen stellen sich natürlich schnell die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass trotz des großen Widerstands gegen den braunen Terror, die Nazis drei Jahre später die unumschränkte Macht in Deutschland ausüben konnten und die Gegenkräfte tot, im KZ oder auf der Flucht sind. Im Buch geht es immer wieder auch um die Fehler in den eigenen Reihen. So endet das erste Kapitel über den Trauerzug für Ernst Henning mit der Frage: „Ein Gedanke ging allen durch den Kopf und musste noch besprochen werden. Hätte der Parteischutz nicht vor einer Woche im Autobus zwischen Zollenspieker und Hamburg sitzen müssen?“ Das Buch überzeugt besonders, weil Schneider unterschiedliche linke gesellschaftliche Milieus darstellt, die damals die KPD unterstützten. Da waren die emsigen Parteiarbeiterinnen, oft in ärmlichen Verhältnissen, die oft schon lange in der SPD aktiv waren, bis sie dann in der KPD ihre politische Heimat fanden. Dazu gehören im Buch Claus, Jonny und Anni. Dann gibt es eine junge Generation, darunter viele Frauen, die über die avantgardistische Kunst der jungen Sowjetunion, ihre Filme, ihre Theaterstücke, Zugang zur kommunistischen Bewegung fanden. Dafür steht im Roman die Kunststudentin und KPD­-Sympathisantin Alma Kalender. Schneider gelingt es überzeugend diese unterschiedlichen Milieus in den realen Kämpfen zwischen 1931 und 1933 darzustellen. Es werden keine Heldinnen gezeigt, sondern Kommunistinnen mit und ohne Parteibuch in all ihren Widersprüchen, die an unterschiedlichen Orten ihre politische Arbeit machen. Auch die Rote Hilfe wird mehrmals im Buch erwähnt und im Nachwort dankt Schneider
auch der RHZ-­Autorin Silke Makowski für ihre Unterstützung beim Teilen von Wissen zu historischen Themen. Dabei fällt auf, dass die Protagonistinnen spätestens Ende 1932 einerseits mit einer Machtübertragung an die Nazis rechneten, andererseits sich aber nicht vorstellen konnten, wie sich dadurch ihr Leben verändern würde. So hatte sich Ende 1932 eine kleine Gruppe in Berlin getroffen die sich auf eine Delegationsreise in die Sowjetunion vorbereitete, die im Mai 1933 beginnen sollte. Doch sie hat nie stattgefunden. Zu diesem Zeitpunkt war ein Teil der Gruppe schon verhaftet, andere waren auf der Flucht. Wir können im Roman mitverfolgen, wie problemlos sich das Bürgertum an die braunen Machthaber anpasste. Auch bei der Repression gegen Linke konnten die Nazis an die Vorarbeit in der Weimarer Republik anknüpfen. Im Buch sind mehrere Steckbriefe von Hamburger Kommunistinnen abgedruckt, die bereits von der Polizei der Weimarer Republik angelegt wurden. Die Nazis konnten sie wie auch das Personal, das sie erstellt hatte, gut gebrauchen. Schneiders linkes Geschichtsbuch kommt zum richtigen Zeitpunkt. Angesichts der weltweiten Rechtsentwicklung ist die Lektüre besonders beklemmend. Peter Nowak