Peter Mertens – Meuterei: Wie unsere Weltordnung ins Wanken gerät, Jacobin-Verlag, ISBN: 978-3-948608-55-2, 19 Euro,

Aufruf zur Meuterei

Peter Mertens, Generalsekretär der Partei der Arbeit Belgiens, präsentiert in Berlin sein neues Buch. Er lässt darin Arbeiter:innen aus allen Kontinenten zu Wort kommen und betont die Bedeutung der Lohnabhängigen für eine erfolgreiche linke Politik.

Es gibt noch linke Parteien in Europa, die einen Zuwachs an Wähler:innen und Mitgliedern haben. Dazu gehört die …

… belgische Partei der Arbeit (PTB/PVDA). Da ist es kein Wunder, dass das Interesse gross ist, wenn deren Generalsekretär Peter Mertens sein neuestes Buch «Meuterei – wie die Weltordnung ins Wanken gerät» vorstellt. Schliesslich erhoffen sich viele eine Antwort auf die Fragen, warum die belgische Linkspartei auf Erfolgskurs ist und was man in Deutschland daraus lernen kann. Tatsächlich war der Saal des «Aquarium», eines linken Veranstaltungsortes in Berlin-Kreuzberg, bis auf den letzten Platz gefüllt. Es waren überwiegend jüngere Menschen, die Mertens bereits mit freundlichem Applaus begrüssten, bevor er nur ein Wort gesagt hatte.
Denn er wurde angekündigt mit den Worten, dass er in den letzten Jahren die linke, ehemalige Kleinpartei PTB/PVDA auf Erfolgskurs gebracht hat.

Ängste, Sorgen, Widerstand


Sein Rezept kann man mit den wenigen Worten zusammenfassen. Man müsse sich den Lohnabhängigen zuwenden. Nun ist Mertens nicht der erste, der der ge
sellschaftlichen Linken vorwirft, ihre ganze Misere läge darin, dass sie sich zu wenig um die Nöte und Sorgen der Arbeiter:innenklasse kümmere. Doch Mertens trägt seine Thesen nicht in Form von ideologischen Grundsätzen vor. Er verwendet wenige Marx-Zitate. Stattdessen hat er sich umgehört bei Arbeiter:innen in vielen Länddern der Welt. Er lässt sie mit ihren Ängsten und Sorgen, ber auch mit ihren Widerstand zu Wort kommen. Da ist der Londoner Busfahrer, der das erste Mal im Leben an einem Streik teilgenommen hat, weil die materielle Not zu gross wurde. Er und viele seiner Kolleg:innen konnten von ihrem Lohn nicht mehr leben und mussten zur Essenstafel gehen. Da ist Kath die Londoner Krankenschwester, die mit ihren Kolleg:innen wegen der wachsenden Arbeitsbelastung in einen Streik getreten ist. Es sind diese sehr persönlichen Beschreibungen von proletarischen Schicksalen, die Mertens Eintreten für die Sache der Lohnabhängigen so glaubwürdig machen.

Die Arbeiterklasse ist international

Zudem spielt Mertens nicht eine Orientierung an den Lohnabhängigen gegen eine angebliche Identitätspolitik aus, wie es Sahra Wagenknecht in den letzten Jahren immer vorführte. Mertens betonte ausdrücklich, dass der Kampf gegen Sexismus und Rassismus notwendig sei, dass er mit einer klassenkämpferischen Orientierung geführt werden müsse. Was er damit meint, machte er mit konkreten Beispielen klar. Die Arbeiter:innen, die er in
seinem Buch erwähnt, heissen Harsev, Bazazo, Emma, Jean, Tim und Liam. Sie kommen von allen Kontinenten. «Die Klasse der Lohnabhängigen ist in allen westeuropäischen Ländern längst international», betonte Mertens. Der proletarische Kampf gegen Rassismus bestehe darin, dass die Kolleg:innen für die gleichen Rechte kämpfen, egal aus welchen Ländern sie kommen. Mertens verwies darauf, dass es viele historische Beispiele gibt, wo die Parole von der internationalen Solidarität zur gelebten Praxis geworden ist.

Hoher Erwartungsdruck
Gerade darum, weil Mertens Klassenpolitik nicht in einen Gegensatz zur Identitätspolitik gestellt hat, bekam er auf der Veranstaltung in Berlin viel Zustimmung. Deswegen ist er auch für die Partei «Die Linke» ein Vorbild,
die nach dem Abgang des Wagenknecht-Flügels auch och mit dem Austritt von bekannten Politiker:innen aus dem Reformerlager um Klaus Lederer konfrontiert ist. Manche, vor allem jüngere Parteimitglieder, sehen genau darin aber die Chance für eine Erneuerung der Linkspartei. Dabei setzen sie grosse Hoffnung auf Ines Schwerdtner, die bei der Diskussionsveranstaltung ein
Heimspiel hatte. Schwerdtner war jahrelang das bekannteste Gesicht der deutschsprachigen Ausgabe des linken Magazin Jabobin, das die Diskussionsveranstaltung oranisierte. Schwerdtner trat als frisch gewählte Vorsitzende der Partei «Die Linke» auf. Es wurde aber auch deutlich, wie hoch der Erwartungsdruck ist. Sie sieht in der PTB/PVDA ein Vorbild. Schliesslich stand die Partei von Mertens vor mehr als zehn Jahren dort, wo sich heutete die Linkspartei befindet.


Linke Hoffnungsträger:innen?

Die Rolle des kritischen Beobachters, der vor zu viel Optimismus warnte, nahm auf dem Podium am Mario Neumann ein. Der parteilose Bewegungslinke
arbeitet bei der NGO Medico International und spielte vor 15 Jahren eine wichtige Rolle bei den europaweiten Protesten der Blockupy-Bewegung. Neumann erinnerte daran, dass es seit dieser Zeit verschiedene linke
Parteien oder bekannte Personen in unterschiedlichen Ländern gab, die als Hoffnungsträger:innen auch für die gesellschaftliche Linke in Deutschland galten. Bis sie selber scheiterten: Dazu gehört der Syriza-Partei in
Griechenland, Podemos in Spanien, Corbyn in Grossbritannien, um nur einige zu nennen. Neumann betonte ausdrücklich, dass er das Buch von Mertens sowie die praktische Arbeit seiner Partei sehr schätzt. Doch man müsse sich immer fragen, was sie von den früheren linken Hoffnungsträger:innen unterscheide. Über die spezifischen Bedingungen in Belgien, die den Aufstieg der PTB/PVDA begründeten, wurden an der Veranstaltung leider nicht geredet.

Die Mühen der Ebene
Dafür vermittelte die Thüringische Verdi-Gewerkschaftssekretärin Katja Barthold einen guten Einblick in die Mühen der Ebene, die konkreten Herausforderungen für eine linke Politik, die sich an den Lohnabhängigen
orientiert. Sie berichtete, wie die Beschäftigten in konkreten Auseinandersetzungen am Arbeitsplatz Selbstbewusstsein entwickelten und sich politisierten. Sie erzählte aber auch über Beschäftigte bei den Verkehrs-
betrieben von Apolda, denen seit Jahren die ihnen zustehenden Mitbestimmungsrechte vorenthalten werden. «Was mache ich dann, wenn das einzige Mitglied der Linkspartei im Aufsichtsrat der Verkehrsbetriebe sich
nicht traut, den Konflikt deutlich anzusprechen und sich die rechtspopulistischen ‹Bürger für Apolda› sich populistisch des Themas annehmen?», fragte Barthold. Als ein positives Beispiel erwähnte sie die Bewegung «Wir fahren zusammen», eine Kooperation von Klimaaktivist*innen mit der Gewerkschaft Verdi. «Glaubt ja nicht, die Klimaaktivist:innen wären von Beschäftigten in den Verkehrsbetrieben mit offenen Armen empfangen worden, als sie ihre Unterstützung bei gewerkschaftlichen Forderungen angeboten haben», sagte Barthold. Es habe Kolleg:innen gegeben, die anfangs sogar abgelehnt haben, mit den als Chaot:innen diffamierten Klimaaktivist:innen auch nur zu reden. Doch die seien wieder gekommen, hätten in Betriebsversammlungen zugehört und so sei langsam Vertrauen zwischen Beschäftigten und Unterstützer:innen entstanden. Diesen langen Atem werden auch die brauchen, die die Linkspartei aus der Krise führen wollen. Ob sie damit Erfolg haben, bleibt ungewiss. Diesen langen
Atem werden auch die brauchen, die die Linkspartei aus der Krise führen wollen. Ob sie damit Erfolg haben, bleibt ungewiss. um Schluss… Polit-Agenda
Peter Mertens führte die belgische Partei der Arbeit zu Erfolge.

Peter Nowak

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