„Genug ist Genug“, stand auf den Plakaten und Transparenten, die an den Wänden des Kulturzentrums Oyoun in Berlin-Neukölln hingen. Es war eine Mut machende Veranstaltung im Rahmen der Teuerungsproteste im September 2022 in Berlin. In kurzen Ansprachen erklärten GewerkschafterInnen, Klimabewegte, MigrantInnen, Beschäftigte aus dem Krankenhaussektor und Reinigungskräfte ihre Bereitschaft, gemeinsam gegen die herrschende Politik Widerstand zu leisten. Die Veranstaltung vor fast zwei Jahren wäre wahrscheinlich schon vergessen, wenn sie nicht in den Film …
… “Niemals allein, immer zusammen“ Eingang gefunden hätte.
In der Dokumentation begleitet die Berliner Filmemacherin Joana Georgi die fünf AktivistInnen Feline, Patricia, Quang, Simin und Zaza durch ihren politischen Alltag im Jahr 2022.
Der Film beginnt mit den Klimaprotesten, für die hier der damalige Sprecher von Fridays for Future Berlin, Quang Paasch, steht. Bei der Vorbereitung auf einen Pressetermin erzählt er nebenbei, wie er durch sein Engagement in der Klimabewegung ein politisches, antikapitalistisches Bewusstsein entwickelt hat.
Vergessene Bewegungsgeschichte
Die nächsten Szenen spielen vor allem in Neukölln und Kreuzberg. Darunter ist das antirassistische Wochenende im Oktober 2022 am Oranienplatz, mit einer Rede der bekannten US-Feministin Angela Davis als Höhepunkt. Besonders beeindruckend ist eine Szene mit zwei jungen AktivistInnen der Berliner Krankenhausbewegung, die beim Malen der Schilder darüber nachdenken, warum sie an diesem kalten Wintermorgen ihre MitschülerInnen zum Streiken motivieren wollen. Am Ende kommen die beiden zu dem Schluss, dass ihr politisches Engagement auch für sie persönlich ein Gewinn ist. Ihnen ist klar geworden, dass sie Geschichte machen und keine hilflosen Objekte mehr sind.
Mitten im Film erklingt das Lied „Brot und Rosen“, die Hymne der proletarischen Frauenbewegung. Auch als ein klares Zeichen: Feministische Kämpfe, die Bewegungen für Klimagerechtigkeit und gegen Rassismus können nur in einer antikapitalistischen Perspektive gemeinsam mit möglichst vielen Lohnabhängigen erfolgreich sein.
Der Film ist nicht glattgebügelt und gibt genügend Stoff für politische Auseinandersetzungen. So erzählt eine Protagonistin, dass sie die Sommerschule der Kommunistischen Partei Palästinas besucht hatte. Später wird der 2020 erschienene Suhrkamp-Band „Reisende der Weltrevolution“ von Brigitte Studer eingeblendet, der die Geschichte der frühen Kommunistischen Internationale behandelt. Damals wurde der Kampf der Arbeiter, der Frauen und der rassistisch Unterdrückten noch zusammen gedacht, bevor die Stalinisierung diese Entwicklung stoppte.
Heute ist diese linke Geschichte weitgehend vergessen. Umso wichtiger sind Filme wie „Niemals allein, immer zusammen“. Hier ist zu sehen, wie eine politische Basis hergestellt werden kann – als Voraussetzung dafür, dass politische Streitthemen wie die Nahostfrage sinnvoll diskutiert werden können. Es steht die Frage im Mittelpunkt, wie man, bei allen Kontroversen, zusammen für ein wichtiges gemeinsames Ziel kämpfen kann.
Klimaaktivismus im gesellschaftlichen Winter
Wie man trotz unterschiedlicher Standpunkte gemeinsam etwas durchsetzen kann, ist auch der schwarz-rote Faden des Buches „Kipppunkte“, das der langjährige österreichische Klimaaktivist Manuel Grebenjak herausgegeben hat. Auf knapp 400 Seiten wird eine Bilanz von über 15 Jahren Klimabewegung gezogen. Dabei kommen KlimaaktivistInnen aus sehr unterschiedlichen Spektren zu Wort, von Greenpeace bis „Ende Gelände“. Auch weniger bekannte Initiativen aus dem deutschsprachigen Raum wie das Klimavolksbegehren in Österreich oder der Verein Klimaschutz Schweiz werden vorgestellt. Natürlich dürfen auch die bekannten Akteure wie Fridays for Future, Letzte Generation und Extinction Rebellion nicht fehlen.
In Kurzbeiträgen stellen die AktivistInnen ihre Organisationen selbst vor. Dabei kommen fast alle Gruppen zu dem Schluss, dass nach dem klimabewegten Aufbruch von 2019 spätestens ab 2022 der „Winter der Bewegung“ eingesetzt hat. Dieser Rückzug hat verschiedene Gründe. Die Aufbruchstimmung der ersten Klimastreiks ist vorbei, dafür setzt ein Prozess der Normalisierung der Klimakrise ein. Viele Menschen wollen von immer neuen apokalyptischen Meldungen nichts mehr hören und schalten im wahrsten Sinne des Wortes ihre Kommunikationsgeräte ab.
Burnout, Rückzug, Irrwege
Die andere Ebene der Krise der Klimabewegung betrifft ihre innere Struktur. AktivistInnen ziehen sich zurück wegen scheinbarer Erfolglosigkeit, auch wegen Burnout oder anderer beruflicher Perspektiven. In dieser Situation erhalten irrationale Bewegungen Zulauf, die sich eher einen Weltuntergang als ein Ende des Kapitalismus vorstellen können. Ein Grund dafür liegt auch in manchen apokalyptischen Erzählungen von der Klimakrise.
Im Buch vertreten aber nur sehr wenige AutorInnen einen solchen Diskurs. Eine Ausnahme ist die Mitbegründerin des Netzwerks Klimaaktivismus Sara Schurmann, die schon im Titel den Ton vorgibt: „Abgrund: Wie die Klimakrise eskaliert“. In dem Beitrag werden unterschiedliche Wetterphänomene benannt, ohne zu gewichten, welche mit dem Klimawandel in Verbindung stehen und welche immer wieder vorkommende Wetterereignisse sind. Eine solche Unterscheidung ist aber nötig, um überhaupt sinnvoll über den Klimawandel diskutieren zu können.
Wie hältst du‘s mit dem Kapitalismus?
Der Verzicht auf Alarmstimmung ist auch eine Voraussetzung, um zu erkennen, dass die Klimagerechtigkeitsbewegung das kapitalgetriebene Wirtschaftssystem zum Gegner hat. Dann ist es ein konsequenter Schritt, sich mit Lohnabhängigen zu vernetzen und zu verbünden. Die Initiative „Wir fahren zusammen“, in der Fridays-for-Future-Aktive mit Beschäftigten des öffentlichen Nahverkehrs kooperieren, wird nicht zufällig in dem Buch von ganz unterschiedlichen Gruppen als positives Vorbild hervorgehoben.
Es gäbe weitere Beispiele, etwa die Kooperation zwischen Klimabewegten und Bosch-ArbeiterInnen, die 2021 gegen die Schließung ihres Werks in München kämpften. Auch in Wolfsburg geht eine Verkehrswende-Initiative diesen Weg. Leider fanden solche Initiativen im Buch ebenso wenig Erwähnung wie der Film „Der laute Frühling“ von Johanna Schellhagen, der ebenfalls die Zusammenarbeit zwischen Klima- und ArbeiterInnenbewegung zum Thema hat (Rabe Ralf Juni 2023, S. 5).
Entbehrlich wäre das Interview mit Sven Hillenkamp gewesen. Der ehemalige Linke warnt heute die Klimabewegung sogar davor, sich antikapitalistisch aufzustellen. Stattdessen solle sie sich Verstärkung im konservativen Lager suchen, etwa mit dem Ruf nach Verteidigung der Heimat. Das ist zum Glück der einzige Text dieser Art. Ansonsten könnte der Titel des Films „Niemals allein, immer zusammen“ auch das Motto des Buches sein, das hoffentlich viele Diskussionen auslösen wird.
Peter Nowak
Niemals allein, immer zusammen
Regie: Joana Georgi
Dokumentarfilm, 90 Minuten
Deutschland 2024
seit 13. Juni im Kino
Manuel Grebenjak (Hrsg.):
Kipppunkte
Strategien im Ökosystem der Klimabewegung
Unrast-Verlag, Münster 2024
396 Seiten, 22 Euro
ISBN 978-3-89771-378-9
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