Entbehrlich wäre das Interview mit Sven Hillenkamp gewesen. Der ehemalige Linke warnt heute die Klimabewegung sogar davor, sich antikapitalistisch aufzustellen. Stattdessen solle sie sich Verstärkung im konservativen Lager suchen, etwa mit dem Ruf nach Verteidigung der Heimat. Das ist zum Glück der einzige Text dieser Art. Ansonsten könnte der Titel des Films „Niemals allein, immer zusammen“ auch das Motto des Buches sein, das hoffentlich viele Diskussionen auslösen wird.
„Genug ist Genug“, stand auf den Plakaten und Transparenten, die an den Wänden des Kulturzentrums Oyoun in Berlin-Neukölln hingen. Es war eine Mut machende Veranstaltung im Rahmen der Teuerungsproteste im September 2022 in Berlin. In kurzen Ansprachen erklärten GewerkschafterInnen, Klimabewegte, MigrantInnen, Beschäftigte aus dem Krankenhaussektor und Reinigungskräfte ihre Bereitschaft, gemeinsam gegen die herrschende Politik Widerstand zu leisten. Die Veranstaltung vor fast zwei Jahren wäre wahrscheinlich schon vergessen, wenn sie nicht in den Film …
Hertha Gordon Walcher war über viele Jahrzehnte eine Reisende in Sachen Weltrevolution, wie die Schweizer Historikerin Brigitte Studer in ihrer im Suhrkamp-Verlag erschienen Geschichte der Kommunistischen Internationale die Kommunist:innen der ersten Stunde bezeichnete, die ihr Leben dem Kampf für die sozialistische Revolution widmeten.
Jakob Walcher ist als linker Gewerkschafter nur noch wenigen bekannt. Dabei schreibt der ehemalige SPD-Bundeskanzler Willy Brandt in seiner Biographie: „Walcher war für mich einer der kernigsten Repräsentanten der alten deutschen Arbeiterbewegung: selbstsicher und kulturbewusst, kein blutleerer Intellektueller, sondern ein intelligenter und vitaler Facharbeiter.“ Doch von Walchers Frau erfahren wir auch bei ihm nichts, wie es oft in der Arbeiterbewegung der Fall war (die hier bewusst nicht gegendert wird). Jetzt hat die Theater- und Kulturwissenschafterin Regina Scheer sie mit einer gründlich recherchierten Biographie dem Vergessen entrissen. Ihre Bekanntschaft geht in die …
Studer Brigitte, Reisende der Weltrevolution. Eine Globalgeschichte der Kommunistischen Internationale, Suhrkamp Taschenbuch, 2021, 30 Euro, ISBN 9783518299296
Spätestens seit 1989 sind wir mit einer Flut von Schriften konfrontiert, die die Oktoberrevolution und alles, was damit zusammenhängt, als von Beginn an falsch und verbrecherisch abqualifizieren. Da wird den Protagonist*innen jenes globalen sozialistischen Aufbruchs höchstens noch als mildernde Umstände zugute gehalten, dass sie Idealist*innen waren, die aber die Realität nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Besonders in der Kritik steht die Kommunistische Internationale (Komintern), die in der Regel immer mit dem Zusatz „von Moskau“ oder gleich „von Stalin gesteuert“ versehen wird. Das reicht für die meisten der heutigen Autor*innen, um sich damit nicht weiter befassen zu müssen. Die Beweggründe der vielen Menschen, die in der Komintern und ihrem Umfeld aktiv gewesen sind, werden dann meistens ignoriert.
Da ist die Schweizer Historikerin Brigitte Studer eine lobenswerte Ausnahme. In ihrer im Suhrkamp-Verlag veröffentlichten über 600seitigen Geschichte der Komintern nimmt sie die Protagonist*innen ernst. „Weshalb engagieren sich Menschen als internationale Berufs revolutionäre, selbst auf die Gefahr hin, ihr Leben dabei zu verlieren? Weshalb wählten sie ein unsicheres, nomadisches Leben? Weshalb stürzten sie ihr ganzes Selbst in ein Leben für die Komintern?“ Diese Fragen …