Wenn es um antifaschistische Widerstandskämpferinnen geht, wird wenig an Anarchistinne und Anarchosyndikalistinnen gedacht. Daher ist es umso begrüßenswerter, dass sich der Anarchismusforscher Helge Döhring in einem Buch mit dem Anarchosyndikalismus in den Jahren 1933 bis 1945 in Deutschland befasst. Der Historiker fasst auf 244 Seiten kompakt die Geschichte des …
… Anarchosyndikalismus in der Zeit der Naziherrschaft zusammen. Bisher gibt es darüber wenig Literatur, weil diese Strömung innerhalb der Arbeiterinnenbewegung in Deutschland nach einem kurzen Aufschwung in den Jahren 1919 bis 1921 schnell wieder an Bedeutung verloren hat. Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte sie nicht mehr an diese Stärke anknüpfen. Doch Döhring kann in dem Buch nachweisen, dass auch Anarchosyndikalistinnen am Widerstand gegen den Nationalsozialismus beteiligt waren. Die verschiedenen Orte des Widerstands in Deutschland werden dargestellt und ebenso die unterschiedlichen Berufsgruppen, in denen sie in der Nazizeit Widerstand leisteten. Ein eigenes Kapitel ist den ermordeten syndikalistischen Widerstandskämpfern wie Kurt Berkner, Hermann Hahn, Arthur Holke, Carl Windhoff, Gerhard Wartenberg, Berthold Cahn, Johann Steinacker, Gottlieb Aberle und Rudolf Hermann gewidmet. Döhring hat mit diesem Buch historische Pionierarbeit geleistet. Es wäre wünschenswert, wenn es die Grundlage wäre, um auf regionaler Ebene weiterzuforschen und vielleicht auch viele offene Fragen zu beantworten. Die Geschichte von Emil Hessenthaler und auch die von Berthold Cahn wurden erst vor wenigen Jahren erforscht und in dem Buch dargestellt. Das Schicksal von Berthold Cahn Besonders am Beispiel von Berthold Cahn ist zu sehen, dass eine Auseinandersetzung mit den Kämpferinnen gegen den deutschen Faschismus in der anarchistischen und syndikalistischen Bewegung bisher fehlt. Cahn war ein unermüdlicher Organisator der anarchistischen Bewegung schon seit 1900. Während des Ersten Weltkriegs war er wegen seiner antimilitärischen Positionen insgesamt 21 Monate inhaftiert. Zwischen 1919 und 1933 organisierte er Veranstaltungsreisen durch ganz Deutschland und beteiligte sich unter anderem mit weltweit bekannten Anarchistinnen wie Emma Goldman, Rudolf Rocker und Augustin Souchy an Protestveranstaltungen gegen die Verfolgung von Anarchistinnen in der Sowjetunion sowie gegen die Hinrichtung von Sacco und Vanzetti in den USA.
Schicksal ungeklärt
Trotz seiner exponierten Stellung in der anarchistischen Bewegung und seiner Bekanntschaft mit Anarchistinnen in vielen Ländern, gab es keine Versuche, Cahn nach dem Machtantritt der Nazis aus Deutschland ins Exil zu bringen. Sein Schicksal in Nazideutschland blieb viele Jahrzehnte ungeklärt, und er war auch unter Anarchistinnen weitgehend vergessen. Das führte dazu, dass auch in anarchistischen Publikationen bis vor wenigen Jahren fälschlicherweise behauptet wurde, Berthold Cahn sei während der Reichspogromnacht am 9.
November 1938 ermordet worden. Erst durch neuere Forschungen der
Gustav-Landauer-Initiative, in der sich jüngere Anarchistinnen mit akademischem Hintergrund der anarchistischen Geschichte annehmen, wurde das Schicksal von Cahn aufgeklärt. Er gehörte zu den 250 Jüdinnen und Juden, die am 28. und 29. Mai 1942 nach dem Anschlag der jüdisch-kommunistischen Gruppe um Herbert und Marianne Baum gegen die NS-Propagandaausstellung »Das Sowjetparadies« auf Befehl Himmlers im Konzentrationslager Sachsenhausen durch Erschießung ermordet wurden. Emil Hessenthalers abenteuerliches Leben Ein besonderes Highlight in dem Buch ist der Beitrag von Deborah Tal-Rüttger über das Leben ihres Vaters, des anarchistischen Aktivisten Emil Hessenthaler. Bisher war nur wenig über seinen Einsatz in Spanien in der Exilorganisation Deutscher Anarchistinnen (DAS) bekannt. Danach verloren sich die Spuren. Doch jetzt wissen wir mehr über die »Odyssee des Emil Hessenthaler«, der Titel eines zweiseitigen Beitrags in dem Buch über ihn. Deborah Tal-Rüttger hat diese schier unglaubliche Lebensgeschichte ihres Vaters erstmals in einer deutschsprachigen Publikation veröffentlicht. Schon deswegen lohnt es, dass Buch zu lesen. Peter Nowak
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