In den USA hat Richterin Lucretia Clemons vom Common Pleas Court in Philadelphia den Antrag des Journalisten Mumia Abu-Jamal auf einen neuen Prozess abgelehnt. Damit haben sich Hoffnungen auf seine Freilassung in absehbarer Zeit zerschlagen. Unterstützer sprechen von Rechtsbeugung, verweisen aber auch auf eine 40-jährige Solidaritätsbewegung, die verhindert hat, dass Abu-Jamal hingerichtet wurde Überraschend kommt die Ablehnung nicht – sie hatte sich durch Entscheidungen in den Vorinstanzen schon abgezeichnet. Trotzdem sprechen Aktivisten des weltweiten Solidaritätsnetzwerkes für Mumia Abu-Jamal von einem herben Rückschlag. Der heute knapp 69-Jährige war im Sommer 1982 …
… bei fragwürdiger Beweislage wegen angeblichen Mordes an einem Polizisten zum Tod verurteilt worden. Mehr als ein Vierteljahrhundert engagierte sich eine weltweite Solidaritätsbewegung dafür, dass die Todesstrafe 2011 in eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt wurde.
Doch weil lebenslang in den USA tatsächlich bedeutet, dass die Verurteilten bis zum Lebensende das Gefängnis nicht verlassen können, war damit für Mumia und seine Unterstützer der Kampf noch nicht beendet. Seitdem kämpft die Solidaritätsbewegung darum, dass mit einen neuen Gerichtsprozess bewiesen werden kann, dass der Journalist nicht für den Mord an dem Polizisten verantwortlich ist.
Mumia Abu-Jamal hat seine Beteiligung von Anfang an bestritten. In Lauf der Jahrzehnte konnte bewiesen werden, dass die zuständigen Juristen damals alles getan hatten, um ein Verfahren zu verhindern. Bewiesen werden konnte das, nachdem im Dezember 2018 im Gerichtsgebäude Dokumente gefunden wurden, die Mumia Abu-Jamal entlasten und von der Staatsanwaltschaft nicht weitergeleitet worden waren. Allein das würde schon reichen, um das bisherige Urteil aufzuheben, erklärten bekannte Juristen mit Verweis auf die Entscheidung von US-Gerichten.
Doch die Richterin Lucretia Clemons entschied nun, dass die Dokumente für eine neue Beweisaufnahme nicht ausreichten würden. Eine solche wäre aber notwendig gewesen, damit es zu einen neuen Prozess kommen kann. Clemons räumte auch ein, dass Mumia Abu-Jamal bei seinen Gerichtsprozessen durch eine rassistische Auswahl der Jury, die über Schuld oder Unschuld der Angeklagten entscheidet, benachteiligt worden sei.
Personen mit schwarzer Hautfarbe waren damals gezielt ausgeschlossen worden. Doch diesen Sachverhalt hätte Abu-Jamal bereits in den 1990er-Jahren vorbringen müssen. Er sei jetzt verjährt, erklärte die Richterin. Das sorgte für Widerspruch bei Juristen, die darauf verwiesen, dass die gezielte Diskriminierung von schwarzen Juroren erst durch die Aktenfunde 2018 bewiesen werden konnte.
Mit der Entscheidung setze sich die Richterin in zwei Punkten über die aktuelle Rechtsprechung hinweg, so die kritischen Juristinnen und Juristen. Demnach reicht der Nachweis, dass es eine rassistische Diskriminierung von Jury-Mitgliedern gab, um ein Urteil aufzuheben. Auch der Nachweis, dass die Staatsanwaltschaft Dokumente, die den Angeklagten entlasten, zurückhielt, macht nach dieser Rechtsprechung das Urteil ungültig.
Das hätte eigentlich bedeutet, dass das Urteil aufgehoben und der Inhaftierte hätte freigelassen werden müssen. Danach hätte die Staatsanwaltschaft einen neuen Prozess anstrengen müssen, mit einer Jury ohne Diskriminierung und mit den zurückgehaltenen entlastenden Dokumenten, so die Kommentare von Juristen in den USA.
Über 40 Jahre Solidaritätsarbeit
Das war auch Ziel der Solidaritätsbewegung, die bereits seit 40 Jahren besteht. Markus Matter vom Berliner Solidaritätsbündnis für Abu-Jamal spricht gegenüber Telepolis von einem großen Erfolg, dass die transnationale Solidaritätsbewegung eine solche große Ausdauer hat. „Viele, die heute in den USA aktiv sind, waren noch nicht geboren, als Mumia verurteilt wurde“, erklärt er.
Gerade die antirassistische Black-Lives-Matter-Bewegung habe das Interesse für das Schicksal des Journalisten auch bei einer jungen Generation wachgehalten. Zudem existiert auch ein Netzwerk von transnationalen Arbeiterinnen und Arbeitern, die sich mit ihm solidarisieren. Dort sind vor allem Gewerkschaften vom afrikanischen Kontinent engagiert.
Auch in den USA hat sich die Solidaritätsbewegung zurückgemeldet. Schon kurz nachdem bekannt wurde, dass es in absehbarer Zeit keinen neuen Prozess für den Journalisten geben wird, gab es in Philadelphia Proteste. Das ist allerdings seine Heimatstadt, dort hätte er auch gute Chancen, zum Bürgermeister gewählt zu werden, wenn er kandidieren könnte.
Texte aus dem Todes- und Hochsicherheitstrakt
Dort ist Mumia vor allem bei den schwarzen Menschen ein Symbol für ungebrochenen Widerstand, den er jahrelang sogar aus dem Todestrakt leistete. „Texte aus dem Todestrakt“heißt denn auch das kürzlich im Westend-Verlag herausgegebene Buch, in dem bisher größtenteils in Deutschland unbekannte Texte von Abu-Jamal veröffentlicht sind. Herausgegeben wurde es von Michael Schiffmann, der schon in den 1990er-Jahren in der Solidaritätsbewegung aktiv war.
Schiffmann informiert auch am Beginn und in einem Nachwort über die Hintergründe der Verurteilung und den langen Kampf zunächst gegen eine Hinrichtung und nun für die Freilassung Abu-Jamals. Zentral aber sind in dem Buch die Essays, die der Journalist seit seiner Verhaftung hinter Gefängnismauern verfasst hat. Im ersten Beitrag von 1982 berichtet er, wie er schwerverletzt durch den Schuss eines Polizisten im Haftkrankenhaus aufwacht und ein Polizist, der ihn bewacht, auf den Urinbeutel tritt, was große Schmerzen verursacht.
Es sind Zeugnisse eines engagierten Journalisten, der gegen die Mächtigen der Welt ankämpft, der denen eine Stimme gibt, die von der Gesellschaft vergessen werden. Wer die Essays liest, spürt seine Leidenschaft – für eine Welt, in der Menschen nicht mehr hinter Gefängnismauern gesperrt werden, weil sie arm sind und die falsche Hautfarbe haben.
Es sind bedrückende Fallbeispiele aus der Welt des gefängnisindustriellen Komplexes in den USA. Diese Charakterisierung hat er von der Wissenschaftlerin und Kommunistin Angela Davis übernommen, die in den 1970er-Jahren unschuldig im Gefängnis saß und der damals ebenfalls die Todesstrafe drohte. Auch sie konnte durch eine internationale Solidaritätsbewegung vor dem elektrischen Stuhl gerettet werden.
Kritische Solidarität
Über manche von Abu-Jamals Positionen soll und muss jedoch gestritten werden. Dazu gehören Texte, in denen er sich zu Israel durch die Brille der Kolonialismuskritik äußert und vergisst, dass das Land ein Schutzraum für von Antisemitismus bedrohte Juden aus aller Welt ist. Wer ihn wegen dieser regressiven Israelkritik aber gleich einen Antisemiten nennt , sollte im Buch seinen berührenden Nachruf auf die jüdische Linke Frances Goldin, Wohnrechtsaktivstin, Radikale und Literaturagentin lesen.
Kritikwürdig ist sicher auch seine lange Zeit unkritische Begeisterung für die Move-Bewegung, die eine esoterische Kommune aufgebaut hatte und massiv von Polizei und Justiz verfolgt worden war. In einem späteren Text setzt er sich allerdings damit auseinander, dass er schmerzhaft erfahren musste, dass es innerhalb der Bewegung Machtmissbrauch und auch sexuelle Übergriffe gegeben hat, was durch ausgestiegene Mitglieder bekannt wurde.
Diese kritische Auseinandersetzung ist notwendig, auch wenn Abu-Jamals Gegner solche Fälle nutzen, um gegen ihn und seine Unterstützer Front zu machen. In einem anderen Essay räumt er ein, dass die Black Panther Bewegung, in der er als Jugendlicher politisiert wurde, den Angriffen der Staatsapparate besser standgehalten hätte, wenn es mehr Freundlichkeit in der Partei gegeben hätte.
Über solche und viele andere Fragen sollten wir mit ihm diskutieren, wenn er endlich das Gefängnis verlassen hat. Es wird wohl noch langer Kampf und dafür braucht es viele Unterstützer in aller Welt. Das Buch kommt daher genau zur richtigen Zeit. Allerdings bleibt die kritische Frage, warum der Titel „Texte aus dem Todestrakt“ heißt, obwohl ein großer Teil im Hochsicherheitstrakt verfasst wurde, nachdem die Todesstrafe aufgehoben war.
Und warum wurde auf dem Buchcover ein Foto aus den Jahren nach seiner Verhaftung, also vor 40 Jahren verwendet? Sicher ist das Foto des Mannes mit den langen Rasta-Haaren in Teilen der Solidaritätsbewegung schon fast ikonisch. Aber wäre es nicht sinnvoll, sich dagegen zu wenden, indem man ein Foto des knapp 69-jährigen Mumia Abu-Jamal verwendet hätte, der eben auch krankheitsbedingt nicht mehr diese langen Haare trägt. Schließlich braucht eine emanzipatorische Bewegung keine Ikonen, sondern Menschen, mit denen sich auch viele identifizieren können. Dafür steht Mumia Abu-Jamal bis heute. (Peter Nowak)