Ewgeniy Kasakow: Spe- zialoperation und Frieden. Die russische Linke gegen den Krieg, Unrast, Münster 2022, 248 S., 16 Euro, ISBN 978-3-89771-194-5

Russische Linke gegen den Krieg

Das Buch «Spezialoperation und Frieden» Historiker Ewgenly Kasakow untersucht akribisch die unterschiedlichen Fraktionen der russischen Linke, die den Krieg in der Ukraine ablehnen. Aufgezeigt wird, wie differenziert und unterschiedlich diese Kräfte sind.

Mehr als ein Jahr nach dem Einmarsch der russischen Armee in der Ukraine ist aus dem Konflikt ein Stellvertreterkrieg zwischen der Nato und Russland mit weiterem Eskalationspotential geworden. Auf beiden Seiten ist die Zahl der Opfer immens, nur die Toten auf der russischen Seite werden hierzulande kaum beachtet,wie auch die russische Antikriegsbewegung kaum bekannt ist. So wird der Eindruck erweckt, es gäbe jenseits von Navalny keine Opposition in Russland. Das Buch des in Bremen lebenden Historikers Ewgenly Kasakow …

… schafft hier erfreulicherweise Abhilfe.

KPR gegen den Krieg
Zu Beginn stellt Kasakow die verschiedenen politischen Fraktionen der kriegsgegnerischen russischen Linken vor und gibt auch einen kurzen Überblick über deren Zerklüftungen und Spaltungen. Im ersten Kapitel widmet sich Kasakow der Sozialdemokratie, Linkssozialismus und Gewerkschaften. Das zweite Kapitel ist den Kriegsgegner*innen der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation gewidmet. Wie wichtig Kasakows Anspruch ist, einen differenzierten Blick auf die verschiedenen Gruppen zu werfen, zeigt sich gerade in diesem Kapitel. Er arbeitet die unterschiedlichen Positionen zum Ukrainekrieg in der grössten russischen Oppositionspartei, der Kommunistischen Partei Russland (KPR) sehr präzise heraus. In der westlichen Öffentlichkeit wird die KPR vor allem in der Aussenpolitik mit dem Etikett «putinfreundlich» versehen. Doch Kasakow sieht genauer hin. An der Parteibasis waren schon zu Beginn des Krieges kritische Töne zu hören. So haben die im Buch dokumentierte «Resolution des runden Tisches der linken Kräfte» vom 24.Februar 2022 auch Mitglieder der KPR unterzeichnet. Dort heisst es ganz unmissverständlich: «Wir verurteilen die (…) Invasion in die Ukraine, weil sie zum Tod von Tausenden von Menschen auf beiden Seiten führen wird. Die ökonomische Lage der Werktätigen beider Länder wird sich verschlechtern.»

Zwei Positionen bei den Anarchist:innen
Nach über einem Jahr zeigt sich, wie recht die Ver-fasser:innen dieser Resolution hatten. Kasakow zeigt auch, dass die Politiker:innen der KPR, die sich im Februar 2022 für eine Anerkennung der östlichen Provinzen der Ukraine als Teil Russlands aussprachen, damit gegen eine Ausweitung des Konflikts waren. Sie unterstützten die Absatzbewegung der Dones-Republiken, die auch von einem Teil der dortigen Bevölkerung getragen wurden, sprachen sich aber gegen den Angriff auf die übrige Ukraine aus. In einem eigenen kleinen Kapitel widmet sich Kasakow dem Phänomen des Linksstalinismus, was eigentlich als Widerspruch erscheint – zumindest, wenn Emanzipation und Kampf gegen Macht und Autoritäten als unverzichtbaren Teil linker Politik betrachtet werden. Bei den von Kasakow beschriebenen Linksstalinist:innen handelt es sich meist um kleine Gruppen, die aber oft auch schnell zerfallen oder ihre poststalinistischen Positionen revidieren. So schreibt der Autor, dass es zu Annäherung zwischen ehemaligen Linksstalinist:innen und Trotzkist:innen kommt, manche öffnen sich sogar feministischen Diskussionen. Die Ablehnung des Ukraine-Kriegs ist dort weitverbreitet.
Ausführlich widmet sich Kasakow auch den Diskussionen in der anarchistischen und antiautoritären russischen Linken. Dort gibt es im Grunde zwei Positionen: Ein Grossteil dieser Strömung lehnt sowohl den russischen als auch den ukrainischen Nationalismus ab und ruft zu einer schnellen Beendigung dieses Krieges auf, bei dem nur die armen Menschen auf beiden Seiten die Zeche zahlen müssen. Ein kleinerer Teil verteidigt die Ukraine. Einige ehemalige, russische Anarchist:innen kämpfen sogar in der ukrainischen Armee. Dabei muss allerdings offenbleiben, ob damit nicht alle anarchistischen Grundsätze über Bord geworfen wurden. 

Verschiedene Stimmen im russischen Feminismus
Ein weiteres Kapitel widmet sich dem feministischen Widerstand in Russland gegen den Krieg, die aber mit Abstrichen als links bezeichnet werden können. Schliesslich sagte die von Kasakow interviewte Soziologin Masrija Wjatschinko, dass sie sich keineswegs als Linke versteht. Sie bezeichnet sich als «dekoloniale Feministin». Für sie war auch die Sowjetunion eine Kolonialmacht, deren vollständige Auflösung sie fordert. Dass sich die Bolschewiki gegen grossrussischen Chauvinismus wandten und nach der Gründung der Sowjetunion Programme für die Angleichung der Lebensbedingungen im ganzen Land initiierten, von denen gerade die im Zarismus ausgebeuteten Regionen profitierten, ist für Wjatschinko nur Propaganda.
Mit dieser sehr prowestlichen Position ist Wjatschinko im feministischen Lager nicht allein. Erst vor wenigen Wochen hat sich eine grosse feministische Gruppe aus Russland mit der Kampagne des bürgerlichen Putin-Konkurrenten Navalny verbündet, der nun ebenso wenig wie Putin links und feministisch ist.
Doch es gibt auch andere Stimmen im russischen Feminismus. Das zeigt das im Buch abgedruckte Interview, dass Kasakow mit der sozialistischen Feministin Alla Mitrofanowa führte. Sie erinnerte daran, die Menschen haben sich nach der Oktoberrevolution «massenhaft in das politische Leben eingeschaltet über horizontale Institutionen von Sowjets über Schenotdels (Frauenabteilungen) und den Proletkult». Mitrofanowa bezieht sich auch positiv auf Rosa Luxemburg.

«Food not Bombs»
Kasakows Buch zeigt, wie differenziert und unterschiedlich die linken Kriegsgegner:innen in Russland sind. Doch es gibt zwei Gemeinsamkeiten: Erstens sind alle von der massiven Repression des Putin-Regimes betroffen. Schon in den ersten Wochen nach Beginn des Einmarsches in die Ukraine wurden fast 14000 Kriegsgegner:innen in Russland zumindest kurzzeitig festgenommen. Und zweitens fordern die meisten von ihnen alles zu tun, um das Blutvergiessen zu beenden.
«Um die Gewinne für sich zu behalten und zu steigern, erklärt die Regierung Kriege. Wer wird die Eingeweide mit den Händlern einsammeln, wem werden Arme und Beine durch Explosionen abgerissen, wessen Familien werden ihre Kinder begraben? Selbstverständlich betrifft dies alles nicht die herrschende Minderheit». Diese bewegenden Fragen stehen im Aufruf, die die libertäre Moskauer Gruppe «Food not Bombs» wenige Stunden nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine verfasst hat. Diese eindringlichen Worte haben mehr als ein Jahr später nichts an Aktualität verloren. Es sind die Fragen von Kriegsgegner:innen in aller Welt. Kasakow zeigt mit seinem Buch, dass sie in Russland Ansprechpartner:innen und Bündnispartner:innen haben.  Peter Nowak