Aufregung gab es im hippen Londoner Coworking Space. Die Start-Up-Szene, die sich dort für teures Geld einen Arbeitsplatz kauft oder mietet, war über eine Frau verwirrt, die immer freundlich in dem mondänen Gebäude herumlief, und alle Personen, die ihr entgegenkamen, am Arm packte und „Alles okay?“ fragte. Viele der jungen Menschen aus dem digitalen Mittelstand waren nicht erfreut über die Frau, die sich als „Wellness Consultant“ vorstellte und vorgab, mit ihrer Dienstleistung zur Verbesserung des Betriebsklimas beitragen zu wollen. In Wirklichkeit war es allerdings eine Aktion der …
… finnischen Künstlerin Pilvi Takala, die sich mit ihren Interventionen kritisch mit der schönen neuen Arbeitswelt im digitalen Kapitalismus befasst. Aktuell sind im Programm der Berlinischen Galerie drei ihrer Videos zu sehen.
Neben „The Stroker“, in dem gezeigt wird, wie die Armtätschlerin für Streit im Coworking Space sorgt, ist dort auch das „Workers Forum“ zu sehen, in dem die Chat-Kommunikation von Beschäftigten eines Dienstes zu lesen ist, der sich darauf spezialisiert hat, Nutzern für viel Geld SMS von angeblichen Freunden zu schicken, die es real gar nicht gibt.
Das Video kommentiert somit eine kapitalistische Gesellschaft, die immer mehr Orte der realen Begegnung von Menschen – beispielsweise am Arbeitsplatz minimiert – was zur Vereinsamung führt, so dass selbst SMS- oder Telefonkontakte gekauft werden müssen.
Beschleunigung der Arbeitsprozesse
Einen anderen Aspekt der neuen Arbeitswelt nimmt der Arbeitssoziologe Hermann Buren in seinem Buch „Bewegt Euch schneller“ in den Blick, das kürzlich im Kellner-Verlag erschienen ist. Es geht um agile Managermethoden.
Zum Titel „Bewegt Euch schneller“ schreibt er:
Dieser Aufforderung des SAP-Mitgründers Hasso Plattner an die Beschäftigten des Konzerns lassen viele Unternehmen Taten folgen. Mit agilen Managementmethoden betreiben sie eine Neuausrichtung der Unternehmen und eine Umgestaltung der Arbeitsabläufe. Ziel ist eine höhere Leistung der Beschäftigten und eine Beschleunigung der Arbeitsprozesse. Möglichst in Echtzeit auf Kunden und Märkte zu reagieren – das ist der Wunsch der agilen Unternehmen, das ist der Erwartungsdruck, mit dem die Beschäftigten konfrontiert sind.
Hermann Bueren
Allgemeinverständlich macht Bueren immer wieder Exkurse in die Geschichte der Managermethoden und kommt zu dem Schluss, dass es da gar keine so großen Unterschiede zwischen den tayloristischen Methoden, wie sie in den USA schon vor fast 100 Jahren praktiziert wurden, und den volksgemeinschaftlichen Methoden im Naziregime gab.
Das Ziel war immer, möglichst viel Mehrwert aus den Beschäftigten herauszupressen. Das klappt am besten, wenn man den Arbeitern das Gefühl gibt, sie wollen selber die Methoden umsetzen. Direkter Zwang soll daher nur dann angewandt werden, wenn sich eben Beschäftigte nicht davon überzeugen lassen, dass sie selber ja für möglichst viel Profit sorgen wollen. Das bedeutet aber auch, dass die noch so auf die einzelnen Personen abgestimmten Managermethoden ohne diesen Zwang nicht auskommen.
Wenn das Arbeitsteam Chef spielen soll
Klassenkampfgedanken und engagierte Interessenvertretung der Lohnabhängigen haben natürlich in dieser agilen Arbeitswelt keinen Platz. Gibt es Probleme im Betrieb, dann werden sie individualisiert. Mitarbeitergespräche sollen dafür sorgen, dass Arbeitende im Sinn des Unternehmens funktionieren – und sie sollen das Gefühl haben, das ihren Kollegen schuldig zu sein. So wird der Solidaritätsgedanke pervertiert.
Unsolidarisch ist der, der vielleicht aus Gesundheitsgründen langsamer arbeitet, Solche Kollegen werden dann schnell als Minderleister abgestempelt, von denen sich das Unternehmen trennen muss. Nur ist es dann oft nicht der Chef oder Vorarbeiter, der darauf drängt, sondern ein Team von Kollegen, die darüber klagen, dass es sie alle betrifft, wenn ein Kollege zu wenig leistet.
Bueren zeigt auf, welche auch psychischen Folgen es für Mitarbeitende hat, die dann plötzlich als unsolidarisch gegenüber ihren Kollegen dargestellt werden. Sie werden noch kränker. Vor allem hat der Gedanke von Solidarität unter den Beschäftigten in einer solchen Arbeitswelt keinen Platz. Aber es nicht nur der Solidaritätsgedanke, der in der schönen neuen Managerwelt gekapert wird.
Zu den ursprünglich von Linken genutzten Begriffen, die hier gekapert werden, gehört auch der Begriff der Selbstorganisation: „Die Teams sollen sich frei und selbstorganisiert in einem Netzwerk mit anderen Teams des Unternehmens bewegen und austauschen können“, beschreibt Bueren, warum ein Konzept, das seit Jahrzehnten in linksgewerkschaftlichen Kreisen diskutiert wurden, von modernen Managern nutzbar gemacht wird.
Auch das esoterisch angehauchte „New Work“-Konzept des kürzlich verstorbenen US-Professors Fritjof Bergmann gehört längst in die Managerkultur. Da braucht man gar nicht von Kaperung sprechen, Bergmann hat sich schließlich nicht als Antikapitalist verstanden.
Die Lektüre von Buerens Buch macht noch mal deutlich, dass man immer skeptisch sein sollte, wenn penetrant Respekt für die Arbeiter eingefordert wird. Dann ist meist von der Ausbeutung nicht mehr die Rede und auch nicht davon, dass die Arbeiter selber für ihre Rechte und ihre Befreiung kämpfen müssen.
Plädoyer für eine neue Organisation von Beschäftigung und Produktion
Es ist ein besonders Plus des Buches, dass Bueren nicht nur die Methoden des modernen Managements offenlegt, sondern auch den Widerstand dagegen deutlich macht. Er zeigt auf, dass der Widerstand der Beschäftigten und die Renitenz am Arbeitsplatz auch durch die modernen Managermethoden nicht gebrochen werden können. Hier ist ein Quell der Hoffnung.
So wie ein Normalvollzug in der Arbeitsorganisation existiert, so zieht sich durch die Geschichte der kapitalistischen Arbeitsorganisation auch ein Ringen der Beschäftigten um eine andere Form und Organisation der Arbeit. In diesen Kämpfen werden neben Widerstand und einer gesunden Form von Eigensinn auch Aufgeschlossenheit sowie Interesse an einer intelligenteren, menschlicheren, ressourcenschonenden Arbeit erkennbar.
Der kapitalistischen Arbeitsorganisation stellen die Beschäftigten andere Formen einer solidarisch-kooperativen Arbeitsorganisation entgegen, in der ihre Fähigkeiten besser zur Geltung kommen.
Hermann Bueren
Als wichtiges Beispiel für dieses Interesse an einem „Anders arbeiten“ benennt Bueren die Techniker, Angestellten und Ingenieure des britischen Rüstungskonzerns Lucas Aerospace. Als Alternative zu den Schließungsplänen des Lucas-Managements entwickelten sie 1975 zahlreiche neue Produkte zur Herstellung ökologischer und sozialer Güter.
Ihre Vorgehensweise bei der Entwicklung dieser Produktvorschläge zeigt nach Bueren Parallelen zu heutigen Formen der Projektarbeit, wie sie in der IT- und Softwareindustrie unter dem Stichwort der „agilen“ Projektarbeit praktiziert werden. Wie verbreitet die Kritik an den existierenden Arbeits- und Produktionsverhältnissen und der Wunsch nach einem „Anders arbeiten“ war, wie aktuell diese Diskussion heute ist, beschreibt der ehemalige Betriebsrat Thomas Adler in einem Beitrag mit dem Titel „Blick zurück nach vorn. Auto, Umwelt, Verkehr – Produktionskonversion revisited“.
Hier zeigt Bueren, dass eine Kritik an den agilen Managermethoden eben nicht bedeutet, sich nach den anders autoritären Managermethoden des Taylorismus zurückzusehen, wie es viele sozialdemokratische Gewerkschafter machen. Vielmehr wird deutlich, dass mit den agilen Managermethoden wie auch Sonst im Neoliberalismus Wünsche der Beschäftigten nach Freiheiten und Selbstorganisierung für Kapitalzwecke ausgebeutet werden.
Für eine moderne Linke wäre es eine Aufgabe, Selbstverwaltung und Selbstorganisation als Teil des Klassenkampfs zu begreifen, auch gegen die modernen Managermethoden des agilen Kapitalismus. Das Buch von Bueren gibt uns hierfür wichtige Anregungen. (Peter Nowak)