Eva Willig: Heilsames Neukölln Selbstverlag, Berlin 2022 175 Seiten, 18 Euro Bezug: ewil@gmx.de

Neukölln ist essbar

Überall in Berlin wachsen gesunde und wohlschmeckende Pflanzen, man muss sie nur kennen

In gebückter Haltung pflückt eine Teilnehmerin eine unscheinbare Pflanze und steckt sie in einen Stoffbeutel. Eine andere Frau blättert in einem Buch, um die Pflanze zu identifizieren. „Das ist der Schachtelhalm, eine der ältesten Heilpflanzen, die seit Langem zum Beispiel gegen Rheuma und Gicht angewendet wird“, erklärt Eva Willig. Die 72-Jährige ….

… kennt sich aus in der Berliner Kräuterwelt. Bei der Industrie- und Handelskammer absolvierte sie eine Prüfung und erhielt eine Erlaubnis für frei verkäufliche Heilmittel. Seit mehr als zehn Jahren veranstaltet sie von März bis Oktober am jeweils letzten Samstag im Monat kostenlose Kräuterspaziergänge in Berlin. Sie finden überwiegend in Parks und Grünanlagen statt, die nicht direkt an viel befahrenen Hauptstraßen liegen, weil sich Staub und andere Verunreinigungen auch auf Pflanzen ablagern.

Dass Pflanzen nicht nur eine heilende, sondern auch eine giftige Wirkung haben können, beschreibt die Kräuterfrau auch in ihrem Buch „Heilsames Neukölln“. Dort hat sie den Giftpflanzen ein ganzes Kapitel gewidmet. Das lange Zeit als Heilpflanze betrachtete Immergrün und die Kleine Wolfsmilch gehören in diese Rubrik.

Vitamine für alle

Die Mehrzahl der aufgeführten Gewächse hat eine heilende Wirkung und wird dem Buchtitel gerecht. Eigentlich hätte es auch „Heilsames Berlin“ heißen können, schließlich wachsen die aufgeführten Pflanzen nicht nur in Neukölln. Willigs Anliegen ist es aber, in dem Stadtteil, in dem sie seit Jahren lebt, die Giftpflanzen in Grünanlangen zu erkennen und sie möglichst von dort zu verbannen. Stattdessen sollen essbare und heilsame Gewächse stehen gelassen werden. Schließlich haben dann auch Menschen mit geringen Einkommen die Möglichkeit, ihre Nahrung vitaminreich zu ergänzen. 

Willig fällt da sofort der Löwenzahn ein. Jeder Teil dieser anspruchslosen Pflanze kann genutzt werden: „Die Blüten können einen Salat zieren oder zu Sirup gekocht werden. Die Wurzel wurde in der Nachkriegszeit geröstet und zu Kaffee-Ersatz gemahlen.“ Ähnlich verfuhr man mit der Wurzel der Wegwarte, auch als Zichorie bekannt. „Die jungen Blätter des Löwenzahns können zu Salat, die älteren Blätter wie Spinat verarbeitet werden“, fährt Willig fort. „Getrocknete Blätter können Teil eines Blutreinigungstees sein oder ebenfalls als Tee zur Linderung rheumatischer Beschwerden beitragen.“

Ein Kraut gegen fast jedes Leiden

Nach mehr als zwei Stunden verabschieden sich die TeilnehmerInnen des Kräuterspaziergangs. Die meisten wollen die gesammelten Pflanzen gleich verarbeiten. Gänseblümchen waren diesmal besonders beliebt. Die anspruchslose Pflanze blüht zwischen März und November, wirkt entzündungshemmend, regt aber auch Verdauung und Stoffwechsel an. Ihre Blüten wurden mittlerweile von Gourmets entdeckt und dienen in Nobelrestaurants als Zutat teurer Menüs. 

Eva Willig hingegen will mit ihren Kräuterspaziergängen und mit ihrem Buch ein Bewusstsein für eine alte Weisheit schaffen: Gegen fast jedes Leiden ist ein Kraut gewachsen. Selbst in einer Großstadt wie Berlin trifft das heute noch zu.

Peter Nowak