Lisa Yashodhara haller, Alice Schlender (Hrg.): Handbuch Feministische Perspektiven auf Elternschaft, Verlag Barbara Budrich, 620 Seiten.

Perspektive auf Elternschaft

Mit feministischen Perspektiven auf Elternschaft beschäftigt sich eine Buch-Neuerscheinung aus dem Verlag Barbara Budrich. Die Beiträge geben einen kurzen, gut verständlichen Überblick über das Thema.

Das klassische Bild über Mütter und Elternschaft hat sich in den Jahrzehnten in der Gesellschaft massiv gewandelt. Das stellt auch die feministische Theorie und Praxis vor grosse Herausforderungen. So war es in den 1970er-Jahren in feministischen Kreisen regelrecht verpönt, sich mit Elternschaft und Familie zu beschäftigen. Leitbild war die Frau, die sich gerade von der Familie und der Mutterrolle emanzipiert. Als Mitte der 1980er Jahre in der BRD einige Frauen bei den Grünen ein Müttermanifest verfassten, wurde das sogar von Feministinnen innerhalb und ausserhalb der Partei als Kampfansage aufgefasst. «Zeiten ändern sich: Ein Bedeutungswandel in der Perspektive auf Elternschaft hält Einzug in feministischen Auseinandersetzungen und Kämpfe. Nicht länger richten diese sich gegen die Familie, sondern gegen Verhältnisse, in denen das Leben mit Kindern zur Zumutung wird», schreiben Lisa Yashodhara Haller und Alicia Schlender. Die beiden Sozialwissenschaftlerinnen haben kürzlich …

… das «Handbuch Feministische Perspektive auf Elternschaft» herausgegeben, in dem 50 Autor*innen Beiträge zu Mutter-, Vater- und Elternschaft verfasst haben.

Feministische Familienpolitik

Das Buch ist in fünf grosse Kapitel gegliedert. Im ersten geht es um «Elternschaft in feministischen Theorien und Debatten», das zweite widmet sich feministischen Perspektiven der Elternschaft, beim dritten Kapitel geht es um Wege in der Elternschaft, das vierte Kapitel befasst sich mit dem Elternsein und im Schlusskapitel geht es um die Herausforderungen für eine feministische Familienpolitik. Mehrere Aufsätze befassen sich mit den Wandel des Konzepts der Mutterschaft in einer historischen Perspektive. Lisa Malich und Susanne Weise unterscheiden in der Frauenbewegung drei unterschiedliche Konzepte von Mutterschaft. In der bürgerlichen Frauenbewegung des frühen 20.Jahrhunderts wurde das politische Potential der guten Mutter beschworen, deren zentrale Aufgabe das Erziehen und Pflegen ist. Während die zweite Welle der Frauenbewegung von der Ablehnung der Mutterrolle geprägt war, dominiert in der dritten Welle die «Super Mom», die Erwerbstätigkeit und Mutterrolle vereinen soll.

Kritisch befassen sich Malisch und Weise mit der zunehmenden Akademisierung der Frauenbewegung. «Fragen materieller Verteilungsgerechtigkeit gerieten mitunter in den Hintergrund und wurden mit dem Fokus auf Anerkennung und Performativität untersucht». Das bedeutet konkret, dass Teile der feministischen Bewegung mehr darüber diskutieren, ob alle Tätigkeiten die gendergerechten Bezeichnungen haben, während die Fragen des Lohns eine geringere Rolle spielt. Nur kurz gehen die Autor*innen auf die Situation der Frauen in der Deutschen Demokratischen Republik ein, der sie einer «paternalistisch-patriarchale Gleichberechtigungspolitik» vorwerfen. Es ist ein Manko des Buches, dass auch in den anderen Kapiteln die DDR weitgehend ausgeblendet wird. Dabei hätte es doch sicher kompetente Autor*innen gegeben, die einen Text zur Debatte um die Verankerung von Frauenrechten in die DDR-Gesetzgebung hätten kritisch nachzeichnen können. Das Buch ist mit Gewinn für alle zu lesen, die sich einen Überblick über die aktuelle feministische Debatte verschaffen wollen.

Wandel des Vaterbilds

Dabei werden erfreulicherweise auch Konflikte in der feministischen Theorie und Praxis nicht ausgespart. So beschäftigten sich mehrere Autor*innen auch mit dem Wandel des Vaterbilds. Dabei betont Jochen König, der sich als alleinerziehender Vater mit zwei Kindern vorstellt, dass es nicht ausreicht, wenn Männer gelegentlich die Windel der Kleinkinder wechseln. «Wer es mit feministischer Vaterschaft erst meint, muss bereit sein, auch wesentlich mehr als fünfzig Prozent der offensichtlichen Aufgaben zu übernehmen», so König. Lilly Lent und Andrea Trumann kri- tisieren in ihrem Aufsatz feministische Debatten, die die Befreiung der Frau von der Schwangerschaft durch künstliche Befruchtung propagieren. «Es ist merkwürdig, wenn in feministischen Utopien der Frauenkörper und seine Möglichkeit, schwanger zu sein, als eigentliches Problem angesehen wird, an dessen Abschaffung man arbeitet, und nicht die Umstände, die Schwangerschaft und Geburt zu einer Einschränkung und auch Gefahr für das Leben der Mutter werden lassen», schreiben Trumann und Lent. Nicht nur sie erinnert daran, dass zu diesen abzuschaffenden Umständen neben dem Patriarchat auch der Kapitalismus gehört.

Der letzte Aufsatz des Handbuchs trägt denn auch die Überschrift «Kollektivität». Dort stellt sich die Journalistin Teresa Bücker die Frage, warum sich viele Frauen doch für eine Schwangerschaft statt für eine Adoption entscheiden. «Gesellschaftliche und juristische Diskussionen um leibliche Elternschaft spielen ebenso eine Rolle wie mögliche Wege zum leiblichen Kind, gegebenenfalls mit reproduktionstechnologischer Unterstützung», so Bücker. Demgegenüber will sie kollektive Alternativen aus feministischer Perspektive stark machen.

Verweis auf Kollontai

Die Texte in dem Handbuch machen erfreuli- cherweise auch klar, dass es für eine Mehrheit der Frauen keine Befreiung in einem feministischen Ka- pitalismus geben wird. Die Ausbeutung verschwindet eben nicht, wenn es mehr weibliche Chef*innen gibt und die Politik wird auch nicht antimilitaristischer, wenn mehr weibliche Militärs in verantwortlichen Positionen sitzen.

Es sind eben in letzter Instanz die kapitalistischen Produktionsverhältnisse, die das moderne Patriarchat strukturieren. Es sind auch diese Produkti- onsverhältnisse, die dafür gesorgt haben, dass sich das Patriarchat in den letzten Jahrzehnten verändert hat und eben den neuen Produktionsverhältnissen angepasst hat. Lilly Lent und Andrea Truman beschreiben gut, welche neuen Zumutungen damit für viele Frauen verbunden sind. «Heute hat die arbeitende Mutter ihren Schrecken weitgehend verloren. Vielmehr gilt um- gekehrt die Frau, die nicht arbeitet, als gesellschaftlich abgehängt, wenn nicht gar als faul – falls sie nicht dem höheren Bürgertum angehört».

Lent und Truman erinnern damit nicht nur an Klassenverhältnisse, sie beziehen sich auch auf eine feministische Kommunistin. «Die arbeitende Frau ist zur Norm geworden. Damit hat sich aber auch der Stress verallgemeinert, dem die arbeitende Mutter seit jeher ausgesetzt ist, und deren Leid schon der Stachel war, den die russische Revolutionärin Alex- andra Kollontai 1920 antrieb. Doch auch heute, trotz der teilweise realisierten, schon von Kollontai geforderten ganztägigen Betreuung von Kindern ist die Vereinbarkeit von Beruf und Kinderbetreuung noch immer ein Vabanquespiel». Mit seiner Frontstellung gegen einen kapitalkonformen Feminismus könnte das Handbuch notwendige Debatten in der antipatriarchalen Bewegung fördern. Peter Nowak

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