Robin De Greef analysiert die Proteste der Delivery Riders – von Peter Nowak und Torsten Bewernitz

Alle Macht den Rädern

Robin De Greef, Riders United! Arbeitskämpfe bei Essenslieferdiensten in der Gig-Economy, Das Beispiel Berlin, Die Buchmacherei, Berlin 2020, 143 Seiten, 10 Euro, ISBN: 978-3-9822036-5-2 

Wir werden gerade Zeug:innen eines Prozesses, in dem Unternehmen wie Uber, Deliveroo and Amazon Turk arbeitsrechtlichen Schutz umgehen und das unternehmerische Risiko durch Scheinselbständigkeit, „Gig Economy“, Plattform- und Crowd Arbeit auf die Schultern von Arbeiter:innen abladen. Das Phänomen „Lieferdienste“ ist nur ein Beispiel für die Entstehung einer prekär organisierten Plattform-Ökonomie, in der die Daten relevanter sind als die letztliche Ware, die auf einem eingehegten Online-Marktplatz, dem oft einzigen „Kapital“, das die Start-Ups hier einbringen, angeboten werden. Arbeitsmittel, vor allem die notwendigen Smartphones und Apps, werden von den Arbeiter:innen mitgebracht (siehe auch express 10 und 11/2019). Der Göttinger Soziologe Robin De Greef zeigt in seinem Ende 2020 im Verlag Die Buchmacherei erschienen Buch „Riders unite!“ einführend die …

… Funktionsweisen dieses Sektors auf. Im ersten Kapitel geht De Greef auf die Besonderheiten der Gig-Economy ein, zu der auch die Kurierdienste gehören. Kennzeichnend sind prekäre Arbeitsverhältnisse. Zudem werden die Lohnarbeitenden nur teilweise in betriebliche Zusammenhänge eingebunden. Einerseits werden die Beschäftigten als Selbstständige betrachtet, die die Plattformen nur nutzen. Andererseits gibt es bei der Arbeit oft eine umfassende Überwachung, beispielsweise, da der gesamte Bestell- und Liefervorgang über Smartphone-Apps organisiert wird.

Dazu gehört auch, dass die Start-Ups letztlich gar nicht planen, lange im Geschäft zu sein: Die beidne Firmen, um die es in De Greefs Buch in erster Linie geht, Foodora und Derliveroo sind beide vom deutschen Markt verschwunden. Der Markt der Essenslieferung per App und Fahrrad liegt hierzulande mit Liferando nunmehr ausschließlich in der Hand des niederländischen Unternehmens takeaway. Dennoch – bzw. gerade deswegen – ist DeliveryHero, die Firma hinter Foodora, Lieferheld und pizza.de, genau in diesem Moment in den DAX aufgestiegen – der Zufall hat mal wieder etwas nachgeholfen, denn ein anderes erfolgreiches Börsenunternehmen verschwand etwa gleichzeitig: Auch der Skandal um Wirecard ermöglichte den Börsenaufstieg.

Mit der Ausbreitung der Lieferdienste ging eine Basisorganisierung und eine europaweite Protestwelle einher. In Berlin wurde 2016 die der FAU zugehörige Deliverunion gegründet. Sie fand auch schnell ein recht großes mediales Echo. „Den Forderungen der Rider wurde Legitimität eingeräumt und die FAU Berlin überwiegend positiv dargestellt, während die Lieferdienste eher skeptisch betrachtet wurden“ schreibt der De Greef . Er liefert einen knappen aber informativen Blick auf einen Organisationsprozess, der auch für viele der Betroffenen überraschend kam. „Manche sagen, dass wir die Unorganisierbaren organisieren. Also, das sind Leute, die keinen Treffpunkt haben, sie haben kaum Möglichkeiten miteinander zu kommunizieren; ihre Schichten sind unregelmäßig und es gibt Fluktuation“, erklärte ein Mitglied der Deliverunion-Kampagne 2018 (S. 5). Für die Erklärung dieser Organisierung greift De Greef dabei auf den Machtressourcenansatz des Jenaer Arbeitskreises Strategic Unionism um Klaus Dörre zurück. Dabei wird auch deutlich: Die vor allem von den organisierten Riders angezapfte Machtressource ist die Medien- oder Diskursmacht, also die Möglichkeiten, auf die öffentliche Meinungsbildung einzuwirken. Sowohl die strukturelle Arbeitermacht als auch – dies vielleicht sogar gewollt – die institutionelle Macht, bleibt dagegen marginal. Dies zeigt sich auch darin, dass Deliveroo bis zur Ankündigung seines Rückzugs vom deutschen Markt jede Verhandlung verweigerte. Die Verhandlungsbereitschaft von Foodora dagegen entpuppte sich als Hinhaltetaktik. Nichtsdestotrotz war der Druck durch Protest und Öffentlichkeit so groß, dass die Unternehmen einige entscheidende Änderungen vornahmen: eine Anpassung der Arbeitsverhältnisse (um Betriebsräte zu vermeiden, arbeiteten bei Deliveroo nur noch Soloselbständige), aber auch der Stundenlöhne, der Übernahme von Kosten für Radreperatur und Smartphonenutzung etc.

Das Bild der autoritären Vorarbeiter:innen mit Chef-Allüren, das es in den fordistischen Fabriken gab, wird bei den Kurierdiensten durch Vorgesetzte ersetzt, die scheinbar von nichts eine Ahnung haben. Das wird für die Beschäftigten zum Problem, wenn bei ihrer Arbeit Komplikationen auftreten. „Sie antworten normalerweise schnell. Aber nach ungefähr zwei Minuten wird der Chat blockiert und man muss einen neuen Chat starten, und natürlich weiß die neue Person nie, was los ist“ beschreibt eine Kurierfahrer:innen die Kommunikationsprobleme mit der (S. 60). Die zahlreichen Ausschnitte aus Gesprächen mit Beschäftigten geben einen guten Einblick in die Probleme, auf die sie bei ihrer Arbeit stoßen. Hier wird auch deutlich, dass ein durch einen Algorithmus gesteuertes System von Abmahnungen und Sanktionen an Repression den autoritären Strukturen in einer fordistischen Fabrik in nichts nachsteht. Aber in diesem Aspekt sieht De Greef auch Widerstandspotentiale bei den Beschäftigten. Ob diese in gewerkschaftliche Organisierungsprozesse münden, hängt von vielen spezifischen Faktoren ab, die auch von der Jahreszeit abhängen. Im Sommer, wenn die Zahl der Riders größer ist, sind die Organisationsbedingungen günstiger als im Winter. Die Berliner Deliverunion, die De Greef genauer analysiert, ist durch eine Whatsapp-Gruppe entstanden, in der sich ca. 100 Beschäftigte kritisch mit ihren Arbeitsbedingungen auseinandersetzten. De Greef beschreibt in Kurzform die Geschichte dieses Organisierungsprozesses. Es gab zahlreiche Kundgebungen und Demonstrationen. Besonders positiv hebt de Greef hervor, dass sich die Taxi-AG bei ver.di, ein Zusammenschluss gewerkschaftlich organisierter Taxifahrer:innen, mit den bei der FAU organisierten Riders solidarisch erklärte. Er spricht von einen „besonderen Beispiel unternehmens- und gleichzeitig gewerkschaftsübergreifender Solidarität“ (S. 74).

Abschließend wird daran erinnert, dass sich in London im August 2016 im Rahmen eines Aktionstages Rider von Deliveroo, Uber-Taxifahrer:innen und Beschäftigte von Fast-Food-Ketten wie McDonalds gemeinsam koordinierten. Angesichts der in Zeiten der Corona-Pandemie massiv gestiegenen Bedeutung der Lieferdienste liegt hier durchaus eine Perspektive.De Greefs Band wird komplettiert durch zahlreiche Dokumente und Fotos aus dem Berliner Organisierungsprozess.

Die Geschichte sich organisierender Rider ist noch nicht vorbei:Während diese Rezension entsteht, protestieren in Berlin die Riders des erst im Mai gegründeten Berliner Start Ups Gorillas (siehe analyse und kritik 671/ Mai 2021, S. 8; Die ZeitNr. 23/2021, 2. Juni 2021). Eigentlich handelt es sich um eine nahezu exakte Kopie des Geschäftsmodells von Foodora, Deliveroo und Lieferando, allerdings liefert Gorillas Supermarktwaren aus eigenen Lagern, setzt dabei auf kurze Strecken (Lieferversprechen: Zehn Minuten) und auf E-Bikes. Umgehend gründete sich das Gorillas Workers Collective. Während man sich am 3. Juni zwecks Betriebsratsgründung in einem Neuköllner Kongresszentrum versammelte, versuchten leitende Angestellte, in diese Betriebsversammlung einzudringen („Ich bin auch Gorillas-Arbeiterin“) und mussten vom hauseigenen Sicherheitsdienst davon abgehalten werden, berichtet die junge welt (05. Juni 2021). Nur eine halbe Woche später kam es zu einer fristlosen Kündigung – seit nunmehr zwei Tagen (Stand: 10. Juni 2021) befindet sich deshalb ein Großteil der Belegschaft in einem „wilden“ Streik und blockiert den Eingang des Warenlagers nahe des Checkpoints Charly. Der Forderungskatalog der organisierten Riders wurde bereits über die Wiedereinstellung des entlassenen Riders ausgeweitet. Ein bisschen wird das Unternehmen noch ausharren müssen, bis es sein Geschäft gewinnbringend an der Börse verkaufen kann – und so lange wird auch Gorillas mit Arbeiterunruhe zu kämpfen haben.

Erstveröffentlichungsort:
https://www.labournet.de/express/