
Wir sind von einer Extremsituation direkt in die nächste gefallen. Auch wenn die Corona-Pandemie eine weltweite Krise ist, sind wir Teil davon, und die aktuellen Probleme überlagern alles andere in unserer Stadt“, begründete Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky am 2. April, warum eine ….
…. kollektive Trauerarbeit für die Opfer des rassistischen Terrors vom 19. Februar in der Stadt nicht möglich ist. Derweil haben die Angehörigen und Freunde in der Corona-Krise Kontaktverbot und so nicht einmal die Möglichkeit, kollektiv zu trauern oder sich gemeinsam gegen Versuche des BKA zu wehren, den rassistischen Charakter des Verbrechens wieder infrage zu stellen. Die Medien hatten spätestens nach der Trauerfeier vom 4. März die Kameras in Hanau abgebaut. Wie es den Angehörigen heute geht, interessiert sie nicht. Dafür erfahren wir jetzt viel über Deutsche, die im Zeichen von Corona aus aller Welt heimgeholt werden und meist bekunden, wie glücklich sie sind, wieder in Deutschland zu sein. Da will man über die Opfer von Hanau nichts mehr hören. „Das bisschen Totschlag bringt uns nicht gleich um“, texteten die Goldenen Zitronen“ nach den Mordanschlägen von Mölln im November 1992. Sie könnten diese Zeile auch nach Hanau geschrieben haben.
Der in Wien lebende Soziologe Helmut Dahmer hat im Januar 2020 im Verlag Westfälisches Dampfboot unter den Titel „Antisemitismus, Xenophobie und pathisches Vergessen“ ein Buch mit Texten veröffentlicht, die einen Erklärungsansatz für die Unfähigkeit von Politik und großer Teile der Bevölkerung geben, den Zusammenhang der langen Reihe der antisemitischen und rassistischen Verbrechen zu erkennen. „Die kollektive Gedächtnisschwäche hat eine Vorgeschichte: Die wurde in Deutschland im Frühjahr 1945 eingeübt, als die in Krieg, Raub und Massenmord „verstrickte Volksgemeinschaft durch einen Sprung in dieAmnesie zu salvieren suchte“, schreibt Dahmer. Unter den Eindruck des antisemitischen Anschlags von Halle hat Dahmer in dem Band Texte zusammengestellt, die er seit 1987 zum rechten Terror veröffentlicht hat. Er beschrieb dort die kurzfristige Empörung, die folgenlosen Trauerzeremonien, die Etikettierung der Mordtaten als „zutiefst erschreckend“, „beispiellos“ und „unbegreiflich“, der Warnungen vor den Anfängen, denen es zu wehren gilt, bevor das große Vergessen beginnt.
Peter Nowak
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