
„Tiere und Pflanzen, die man als Naturprodukte zu betrachten pflegt, sind nicht nur Produkte vielleicht vom vorigen Jahr, sondern, in ihren jetzigen Formen, Produkte einer durch viele Generationen unter menschlicher Kontrolle, vermittels menschlicher Arbeit, fortgesetzten Umwandlung“, schrieb Karl Marx im ersten Band seiner bekanntesten Schrift „Das Kapital“. Der in Basel lehrende Soziologe Simon Schaupp beruft sich darauf gleich am Anfang seines …
… im Suhrkamp-Verlag erschienen Bandes „Stoffwechselpolitik“. Denn was Marx hier ausdrückt, ist auch der Leitgedanke bei Schaupp, den er auf mehr als 400 Seiten mit vielen historischen Fakten unterlegt.
Gute Natur, schlechte Technik?
Schaupp richtet sich damit direkt an die weltweite Klimabewegung und stellt fest, dass dort die Rolle der Arbeit und vor allem der Arbeitenden entweder gar nicht erwähnt oder in einen Gegensatz zur Natur gestellt wird. Hier entsteht ein Romantizismus, der eine von Menschen unberührte Natur beschwört, was dann oft zu wenig emanzipativen Schlussfolgerungen führt. Bei manchen geht das so weit, dass „der Mensch“ als Feind der Natur gesehen wird.
Gegen eine solche Mystifizierung der Natur wendet sich Schaupp, eben auch mit Verweis auf Marx. Er betont, dass die Grenze nicht zwischen Natur und Technik verläuft. „Vielmehr verläuft die Grenze durch die Gegenstände hindurch, denn fast alle Dinge – einschließlich des menschlichen Körpers – sind sowohl gegeben als auch gemacht.“
Hier hebt Schaupp auch den hohen Stellenwert der menschlichen Arbeit hervor. Marx spricht von einem Stoffwechsel zwischen Gesellschaft und Natur. Genau darauf bezieht sich Schaupp, wenn er sein Buch „Stoffwechselpolitik“ nennt. Der Band leistet einen wichtigen Beitrag zu einer materialistischen Debatte über Klima und Umwelt, die sich von Naturromantik theoretisch abgrenzt. Aber die Ausführungen haben auch eine politische Bedeutung und liefern damit einer Klimagerechtigkeitsbewegung wichtige Argumente, die sich gemeinsam mit den ArbeiterInnen für eine lebenswerte Umwelt einsetzt.
Auch hier könnte ein recht bekanntes Marx-Zitat aus Band eins des „Kapital“ einen guten Fingerzeig geben, das Schaupp leider nicht verwendet: „Die kapitalistische Produktion entwickelt nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen allen Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.“
Das erste Fließband lief in einer Fleischfabrik
Doch Schaupp zeigt auch auf, dass in aller Welt und zu allen Zeiten der Eigensinn dieser ArbeiterInnen den Profit- und Vernutzungsstrategien des Kapitals Schranken setzte. Der Autor führt uns auf den Viehmarkt in Chicago, der dort im Jahr 1865 eröffnet wurde. Er beschreibt sehr anschaulich, wie in den dortigen Fleischfabriken und Schlachthäusern die ersten Fließbänder eingerichtet wurden. Die Automobilfabriken eines Henry Ford zogen erst später nach.
Schaupp beschreibt auch, warum das Fließband gerade in der Fleischindustrie zuerst Einzug hielt. Dafür waren Naturprozesse verantwortlich: „Problematisch war die Verwesung des Fleischs insbesondere beim Transport.“ So wurde an immer ausgefeilteren Methoden experimentiert, damit das Fleisch noch genießbar an die Kundschaft gelangen konnte. „Die Industrialisierung zieht ihre Kostenvorteile vor allem aus den Skaleneffekten: Je größere Mengen gleichartiger Güter man mit Hilfe von Maschinen herstellen kann, desto niedriger sind die Stückkosten. Die Fleischindustrie stand somit stärker als andere Branchen unter dem Druck, die Produktionsgeschwindigkeit zu erhöhen.“
Hier kommt auch der proletarische Eigensinn ins Spiel. Schaub stellt heraus, dass die Arbeit in den Schlachthöfen gefährlich, gesundheitsschädlich und schlecht bezahlt war. So entwickelten sich gerade in den Schlachthöfen phantasievolle Strategien der ArbeiterInnen, wie sie Upton Sinclair 1906 im Roman „Der Dschungel“ beschrieb. „Die Beschäftigten legten eigensinnige Praktiken der Nutzlosigkeit an den Tag, setzten aber auch auf eine starke Bewegung für den Achtstundentag, die ihren vorläufigen Höhepunkt mit einem Massenstreik erreichte, an dem sich am 1. Mai 1886 über 90.000 Personen beteiligten“, so Schaupp.
Hier sehen wir exemplarisch das Herangehen des Autors. Er beschreibt die technologische Entwicklung, das Verhältnis zur Natur und die Reaktionen der Arbeitenden, die auf sehr unterschiedliche Weise in den Prozess eingegriffen haben. Mit dem Begriff der Nutzlosigkeit fasst er konkrete Eingriffe in den Arbeitsprozess zusammen, beispielsweise das Anhalten oder Sabotieren des Fließbands, was bei der leicht verderblichen Ware schnell zu Produktionsausfällen führte. Schaupp zeigt an dem Schlachthof-Beispiel auch die unterschiedlichen Formen von Widerspruch und Widerstand. Auf den Kampf für den Achtstundentag reagierten Kapital und Staat mit einem blutigen Klassenkampf von oben, der zum Chicagoer Haymarket-Massaker im Jahr 1886 führte, wofür Gewerkschaftler unschuldig hingerichtet wurden. Aus dem Gedenken daran entstand der 1. Mai als internationaler Kampftag der Arbeiterbewegung.
Proletarische Umweltpolitik
Simon Schaupp gehört nicht zu denen, die behaupten, es gäbe heute keine Bewegung der ArbeiterInnen mehr. Er besteht aber darauf, dass sich die heutigen ArbeiterInnen und die Klimabewegung verbünden müssen. „Die Relevanz einer solchen proletarischen Umweltpolitik resultiert insbesondere daraus, dass es die Arbeitenden sind, die den Stoffwechsel mit der Natur vollziehen.“ Sie seien als erste von ökologischen Problemen betroffen. Daher hätten sie besonderen Anlass, darauf hinzuwirken, dass ökologische Risiken minimiert werden. Damit gibt Schaupp wichtige Impulse für eine wirkliche Klimagerechtigkeitsdebatte, indem er deutlich macht, dass es sich hier auch um eine Klassenfrage handelt.
Dafür gibt es viele Beispiele. Es sind meist arme Menschen, die in Straßen und Kiezen wohnen, wo die Luftverschmutzung besonders hoch ist. Sie leben oft in besonders ungesunden Wohnungen und auch die Bedingungen an ihren Arbeitsplätzen schädigen viel häufiger die Gesundheit. Solche Verhältnisse finden sich in vielen deutschen Städten, aber auch im globalen Süden. Schaupp spricht auch an, wie Müll aus dem globalen Norden in den Süden verbracht wird und oft dort landet, wo arme Menschen leben, die scheinbar wenig Unterstützung haben.
Aus diesem Grund sind mittlerweile in aller Welt ökologische Bewegungen aktiv, die sich auch stark mit der Klassenfrage beschäftigen. Dort gibt es die Trennung von Arbeiter- und Klimabewegung nicht. Auch hierzulande sieht Schaupp einige hoffnungsvolle Ansätze: „Aktuell gibt es in Deutschland erste Vorstöße zu einer Zusammenführung sozialer und ökologischer Forderungen. Die Gewerkschaft Verdi und Fridays for Future kooperieren etwa bei einer Kampagne für den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und bessere Arbeitsbedingungen.“
Peter Nowak
Simon Schaupp:
Stoffwechselpolitik
Arbeit, Natur und die Zukunft des Planeten
Suhrkamp Verlag, Berlin 2024
422 Seiten, 24 Euro
ISBN 978-3-518-02986-2
https://www.grueneliga-berlin.de/publikationen/der-rabe-ralf/aktuelle-ausgabe/rezensionen-28/