Max Michaelis: Antikrieg zwischen den Kriegen. Ein Lesebuch. Die Buchmacherei, 650 S., geb., 24 €.

Nie war unsere Einsamkeit hilfloser

Die Texte sind gerade in einer Zeit wichtig, in der es das erklärte Ziel deutscher Politik ist, wieder «kriegstüchtig» zu werden, und mahnende Stimmen übertönt werden. Es ist ein Lesebuch der besonderen Art. Wir erfahren viel über die damaligen Militarismus-Debatten. Auch Querelen innerhalb der pazifistischen Bewegung werden nicht ausgespart

Nie habe ich die moralische Atmosphäre giftiger und erstickender empfunden, als jetzt, nie unsere Einsamkeit hilfloser, unser Wort sinnloser.» Diese pessimistischen Zeilen schrieb Stefan Zweig am 8. Februar 1921 an seinen Freund und Schriftstellerkollegen Romain Rolland. Die beiden Pazifisten gehörten während des Ersten Weltkriegs zu den wenigen intellektuellen Stimmen, die sich gegen Nationalismus, Militarismus und Kriegsbegeisterung in Deutschland und Frankreich wandten. Nach dem Ende des Massenmordens, so hofften sie, …

… würde es eine große Bewegung gegen jegliche Kriege geben. Doch schon 1921 musste Zweig mit Erschrecken feststellen, dass die Nationalisten, die Deutschland in den Krieg geführt hatten, ihr nationalistisches Gift weiter verspritzten und dass sie weiterhin Anhang hatten. Die Buchmacherei dokumentiert verdienstvollerweise Texte, die sich gegen Militarismus und Krieg positionierten. Der überwiegende Teil ist in der «Weltbühne» publiziert worden, ein in der Weimarer Zeit wichtiges Forum der parteiunabhängigen Linken. Mehrere Artikel stammen von Carl von Ossietzky und Kurt Tucholsky, andere von Kurt Hiller und Erich Kästner, aber auch von heute nur noch wenig bekannten Autoren wie Alfons Goldschmidt oder Kurt Kersten. Leider sind nur wenige Beiträge von Frauen zu finden, obwohl es mit Anita Augspurg, Minna Cauer oder Margarethe Selenka sehr wohl engagierte Streiterinnen für Frieden und Völkerverständigung gab. Was aber das Verdienst des ostdeutschen Herausgebers mit dem Alias-Namen Max Michaelis nicht schmälern soll. Die Texte sind gerade in einer Zeit wichtig, in der es das erklärte Ziel deutscher Politik ist, wieder «kriegstüchtig» zu werden, und mahnende Stimmen übertönt werden. Es ist ein Lesebuch der besonderen Art. Wir erfahren viel über die damaligen Militarismus-Debatten. Auch Querelen innerhalb der pazifistischen Bewegung werden nicht ausgespart. Kurt Hiller wird aus der Deutschen Friedensgesellschaft ausgeschlossen, als er Geldzahlungen an diese bekannt macht, die aus tschechischen und polnischen Quellen stammen sollten. Ossietzky wiederum verteidigt die Gesellschaft: Es sei eben manchmal schwer, die Miete für Büro und Aktionen aufzubringen. Zugleich verurteilt er Hillers Ausschluss.

Wir erfahren, dass Tucholsky Erich Remarques berühmten Roman «Im Westen nichts Neues» als «pazifistische Kriegspropaganda» kritisierte, aber auch das staatliche Verbot des Films 1929 verurteilte. Die Behörden beugten sich einem Nazi-Aufmarsch vor den Kinos, die das Antikriegsdrama zeigten. Hellsichtig erkannte Tucholsky, dass Institutionen, die nicht einmal einen Film vor den Faschisten verteidigen können, kein Bollwerk gegen diese sein werden. Auch wurden Vorstellungen der SPD kritisiert, die Reichswehr von innen heraus zu demokratisieren. «Das Wehrprogramm der Sozialdemokratie, wie es jetzt vorliegt, ist eine viel schlimmere Bankrotterklärung eines aktiven Sozialismus, als es die Bewilligung der Kriegskredite am 4. August 1914 war. Denn hier werden die Kriegskredite und noch viel mehr bereits in Friedenszeiten bewilligt», schrieb Jakob Links.

Wenn man diese Artikel, Aufsätze und Appelle liest, glaubt man zuweilen, sie seien erst jetzt verfasst worden. Frühzeitig hatten kluge Menschen erkannt, dass der deutsche Imperialismus einen neuen Krieg vorbereitet. Umso deprimierender, dass sie ihn nicht verhindern konnten. Peter Nowak