Anarcho-Syndikalismus in Deutschland 1933 – 1945 Helge Döhring, Anarcho-Syndikalismus in Deutschland 1933 – 1945, Verlag Edition AV, Bodenburg 2023, 244 Seiten, 18 Euro, ISBN 978-3-86841-296-3

Anarcho-Syndikalismus in Deutschland 1933 – 1945

Emil Hessenthaler blieb in Haft unter unvorstellbaren Bedingungen und wurde, wie viele Nazigegner*innen, kurz vor dem Ende der NS-Diktatur auf einen Todesmarsch quer durch Deutschland geschickt, bevor er von französischen Soldaten befreit wurde.

„Von Schweden nach Spanien“, so der Titel eines im Dezember 2023 in der Graswurzelrevolution Nr. 484 erschienenen Artikels von Jürgen Mümken über Syndikalist*innen aus aller Welt, die gegen den Franco-Faschismus kämpften. Dort wird auch ein Emil Hessenthaler erwähnt, dessen Geburtsjahr mit 1914 angegeben wird. Das Todesjahr war ebenso wenig bekannt wie weitere Details aus dem Leben Hessenthalers. Lediglich eine Anmerkung gab es noch zu ihm. Er sei vorher Kommunist gewesen und erst kurz vor ihrem Einsatz in Spanien der Exilorganisation „Deutsche Anarcharchosyndikalisten“ (DAS) (1) beigetreten. Doch jetzt wissen wir mehr über die „Odyssee des Emil Hessenthaler“. So ist ein zweiseitiger Text in dem Buch …

… „Anarcho-Syndikalismus in Deutschland 1933 – 1945“ überschrieben. Verfasst wurde der Text von Deborah Tal Rüttger, die diese spannende Lebensgeschichte ihres Vaters erstmals in einer deutschsprachigen Publikation aufzeichnete. Emil Hessenthaler wurde 1914 bei Stuttgart geboren und schloss sich früh der zionistisch-sozialistischen Jugendbewegung an. „Dass mein Vater kein Jude war, hat die Gruppe nicht interessiert. Sie waren ohnehin areligiös“, so Deborah Tal Rüttger. Wegen seiner Widerstandsarbeit musste ihr Vater Hitlerdeutschland verlasen. Wie viele junge Antifaschist*innen jener Jahre, wollte er an der Arbeiter*innenolympiade in Barcelona teilnehmen, die eine von Antifaschist*innen aller Spektren als Gegenveranstaltung zur Nazi-Sportshow in Berlin 1936 geplant war. Er wurde wie viele vom Putsch des Franco-Faschismus in Barcelona überrascht und beteiligte sich am antifaschistischen Widerstand in Spanien. „Mein Vater kämpfte mit den Anarcho-Syndikalisten“, bestätigte die Tochter. Nach der Niederlage der Spanischen Republik 1939 war ihr Vater in Spanien in verschiedenen Lagern interniert. Schließlich gelang ihm die Flucht nach Norwegen, wo er sich an Sabotageaktionen gegen die Nazibesatzung beteiligen wollte. Doch schon bei der Einreise wurde er verhaftet. Die Nazis planten in Stuttgart einen Schauprozess gegen ihn, der dadurch verhindert wurde, dass alliierte Bomber das Stuttgarter Justizgebäude trafen und die Akten vernichteten. Doch Hessenthaler blieb in Haft unter unvorstellbaren Bedingungen und wurde, wie viele Nazigegner*innen, kurz vor dem Ende der NS-Diktatur auf einen Todesmarsch quer durch Deutschland geschickt, bevor er von französischen Soldaten befreit wurde. Hessenthaler ermittelte fortan im Auftrag der französischen Armee gegen Nazis, die dann wegen ihrer Verbrechen vor Gericht gestellt wurden. „Dann passierte etwas Eigenartiges. Wir wissen, dass 1939 mein Vater sich hat beschneiden lassen. …. Ist er damit zum Judentum konvertiert. Diese Frage bleibt offen,“ schreibt seine Tochter. Sicher ist, dass Emil Hessenthaler von Marseille aus mit vielen jüdischen Überlebenden der Shoah auf kleinen Booten Israel erreichte. Dort starb er am 23.11.1989. Er blieb in Israel ein Linker. Die Tochter klärt auf, warum ihr Vater als vermisst galt. Seine Verwandten haben ihn durch das Rote Kreuz suchen lassen, aber nicht in Israel.

Diese Geschichte habe ich hier etwas ausführlicher dargestellt, weil sie allein schon dazu animieren könnte, Helge Döhrings Geschichtsbuch „Anarchosyndikalismus in Deutschland 1933 – 1945“ zu lesen.

Der Historiker fasst kompakt die Geschichte des Anarchosyndikalismus in der Zeit der NS-Herrschaft zusammen. Bisher gibt es darüber relativ wenig Literatur, auch weil diese Strömung innerhalb der Arbeiter*innenbewegung in Deutschland nach einem kurzen Aufschwung in den Jahren 1919-21 schnell wieder an Bedeutung verloren hat. Döhring zeigt auf, wie Anarchosyndikalist*innen am Widerstand gegen den Nationalsozialismus beteiligt waren. Unterschiedliche Orte des Widerstands in Deutschland werden dargestellt und Berufsgruppen, in denen Anarchosyndikalist*innen in der NS-Zeit Widerstand leisteten. Ein eigenes Kapitel ist den im NS ermordeten syndikalistischen Widerstandskämpfern Kurt Berkner, Hermann Hahn, Arthur Holke, Carl Windhoff, Gerhard Wartenberg, Berthold Cahn, Johann Steinacker, Gottfried Aberle und Rudolf Hermann gewidmet.

Die Geschichte von Emil Hessenthaler und auch Berthold Cahn wurde erst vor wenigen Jahren erforscht.

Döhring hat mit diesem Buch eine wichtige Arbeit geleistet. Es wäre zu wünschen, wenn es dazu anregen kann, um auf regionaler Ebene weiterzuforschen und offene Fragen zu beantworten.

Peter Nowak

Anmerkung:

1) Zur Geschichte der DAS siehe: Dieter Nelles, Ulrich Linse, Harald Piotrowski, Carlos Garcia: Deutsche AntifaschistInnen in Barcelona 1933 – 1939. Die Gruppe „Deutsche Anarchosyndikalisten“ (DAS), Verlag Graswurzelrevolution, Heidelberg 2013