Ewgenly Kasakow: Spezialoperation und Frieden – Die russische Linke gegen den Krieg Unrast­Verlag, 2022, 244 Seiten, 16 Euro, ISBN: 978­3­89771­194­5

Spezialoperation und Frieden

Eine weitere wichtige Arbeit ist die Solidarität mit den von Repression be­troffenen russischen Kriegsgegner*innen. Das ist auch eine wichtige Aufgabe der internationalen Solidarität, bei der die Rote Hilfe e.V. auch in Deutschland ei­nen Beitrag leisten kann. Dazu ist es aber zunächst einmal wichtig, die linken Organisationen und Netzwerke zu kennen, die sich in Russland am Widerstand ge­gen die Kriegspolitik beteiligen. Hier hat Kasakow mit seinem Buch Pionierarbeit geleistet und einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung geliefert.

„Folter und Knast gegen Kriegsgegner*innen in Russland“ ist ein Text des Projekts Zona Solidarnosti (Solidaritätszone) auf Seite 12 der Sonderbeilage der Roten Hilfe e.V. zum Tag der politischen Gefangenen 2023 überschrieben. Die Situation der linken Oppositionellen ist dort eher düster beschrieben: Die anhaltende staatliche Repression habe schon während der Covid-Pandemie zur „Auflösung politischer, ökologischer, feministischer und queerer Vereinigungen und Kollektive geführt“ schreiben die Genoss*innen von Zona Solidarnosti und kommen zu dem ernüchternden Fazit.

… „So traf der Kriegsbeginn eine völlig unvorbereitete, zersplitterte, geschwächte und eingeschüchterte linke Szene.“ Diesem Urteil würde der in Bremen lebende deutsch-russische Historiker Ewgenly Kasakow nur mit großen Einschränkungen zustimmen. Er ist ein profunder Kenner der unter- schiedlichen Spektren der russischen Linken, kennt ihre Diskussionen und ihre Streitpunkte. Für verschiedene deutschsprachige Zeitungen von den Monatszeitungen analyse und kritik (ak) und Konkret über die Wochenzei- tung Jungle World bis zur Tageszeitung Neues Deutschland informiert Kasa- kow fundiert über die russische Linke. Kürzlich hat er im Unrast-Verlag unter dem Titel „Spezialoperation und Frieden“ ein Buch herausgegeben, in dem er einen gut lesbaren Überblick über die unterschiedlichen Strömungen der russischen Linken gegen den Krieg gibt. „

Der Kreis der linken Antikriegsopposi­tion ist bei ihm wesentlich umfassender als die von Zona Solidarnosti genannten außerparlamentarischen Gruppen.

Kasakow bezieht auch linke Parteien oder bestimmte Parteiflügel mit in seine Un­tersuchung ein, wenn sie sich gegen den russischen Krieg in der Ukraine positio­nieren. Zu Beginn stellt er die verschie­denen politischen Fraktionen der kriegs­ gegnerischen russischen Linken vor und gibt auch einen kurzen Überblick über deren Zerklüftungen und Spaltungen. Im ersten Kapitel widmet sich Kasakow der Sozialdemokratie, dem Linkssozialismus und Gewerkschaften. Das zweite Kapi­tel ist den Kriegsgegner*innen innerhalb der Kommunistischen Partei der Russi­schen Föderation (KPRF) gewidmet. Das wird manche Leser*innen überraschen. Schließlich gilt doch die KPRF als treue Unterstützerin der Putinschen Außenpo­litik gerade auch beim Krieg gegen die Ukraine. Wie wichtig Kasakows Anspruch ist, einen differenzierten Blick auf die verschiedenen Gruppen zu werfen, zeigt sich gerade in diesem Kapitel. Er arbei­tet die unterschiedlichen Positionen zum Ukrainekrieg in der größten russischen Oppositionspartei sehr präzise heraus. An der Parteibasis waren schon zu Beginn des Krieges kritische Töne zu hören. So wurde die im Buch dokumentierte „Re­solution des runden Tisches der linken Kräfte“ vom 24. Februar 2022 auch von Mitgliedern der KPRF unterzeichnet. Dort heißt es ganz unmissverständlich: „Wir verurteilen die …. Invasion in die Ukrai­ne, weil sie zum Tod von Tausenden von Menschen auf beiden Seiten führen wird. Die ökonomische Lage der Werktätigen beider Länder wird sich verschlechtern“ (S. 73).

Nach über einem Jahr zeigt sich, wie recht die Verfasser*innen dieser Reso­ lution hatten. Kasakow zeigt auch, dass die Politiker*innen der KPRF, die sich im Februar 2022 für eine Anerkennung der östlichen Provinzen der Ukraine als Teil Russlands ausgesprochen haben, durchaus in Opposition zu Putin kommen konnten. Sie unterstützten die Absetzbe­ wegung der Donesz­Republiken, die auch von einem Teil der dortigen Bevölkerung getragen wurden, sprachen sich aber ge­ gen den Angriff der russischen Armee auf die übrige Ukraine aus.

Ausführlich widmet sich Kasakow auch den Diskussionen in der anarchis­ tischen und antiautoritären russischen Linken. Dort gibt es im Grunde zwei Positionen: Ein Großteil dieser Strömung lehnt sowohl den russischen wie auch den ukrainischen Nationalismus ab und ruft zu einer schnellen Beendigung dieses Krieges auf, bei dem nur die armen Men­ schen auf beiden Seiten die Zeche zah­ len müssen. Ein kleinerer Teil verteidigt die Ukraine. Einige ehemalige russische Anarchist*innen kämpfen sogar in der ukrainischen Armee. Dabei muss aller­dings offen bleiben, ob damit nicht alle anarchistischen Grundsätze über Bord geworfen wurden. Ein weiteres Kapitel widmet sich dem feministischen Wider­ stand in Russland gegen den Krieg, der aber nur mit Abstrichen als links bezeich­net werden kann. Schließlich sagte die von Kasakow interviewte Soziologin Mas­rija Wjatschinko, dass sie sich keines­ wegs als Linke versteht. Sie bezeichnet sich als dekoloniale Feministin. Für sie war auch die Sowjetunion eine Kolonial­ macht, deren vollständige Auflösung sie fordert. Dass sich die Bolschewiki gegen großrussischen Chauvinismus wandten und nach der Gründung der Sowjetunion Programme für die Angleichung der Le­bensbedingungen im ganzen Land initi­ierten, von denen gerade die im Zarismus ausgebeuteten Regionen profitierten, ist für Wjatschinko nur Propaganda. Mit die­ ser sehr prowestlichen Position ist Wjatschinko im feministischen Lager aber nicht alleine. Erst vor wenigen Wochen hat sich eine große feministische Grup­pe aus Russland mit der Kampagne des bürgerlichen Putin­Konkurrenten Navalny verbündet, der nun genau so wenig links und feministisch ist wie Putin. Doch es gibt auch andere Stimmen im rus­ sischen Feminismus. Das zeigt das im Buch abgedruckte Interview, das Kasa­ kow mit der sozialistischen Feministin Alla Mitrofanowa führte. Sie erinnerte da­ ran, dass sich nach der Oktoberrevolution viele vorher ausgegrenzte und arme Menschen massenhaft über die Sowjet oder die Schenotdels (Frauenabteilungen) und den Proletkult in das politische Leben eingeschaltet haben. Mitrofanowa kriti­siert auch die antisozialistische Agen­da der liberalen russischen Opposition, beispielsweise der hierzulande populären Organisation Memorial. „Die Revolution nach Rosa Luxemburg, nach Alexandra Kollontai – da geht es um dasselbe. Die Mitarbeiter von Memorial verwechseln häufig ihre Genealogie, weil sie denken, sie seien gegen die Revolution, gegen die sozialistische Politik, die sie mit dem GULAG gleichsetzen“ (S. 198).

Kasakows Buch gibt einen Überblick über die sehr unterschiedlichen linken Kriegsgegner*innen in Russland. Doch es gibt bei aller Diversität zwei Gemeinsam­ keiten: Sie fordern ein schnelles Ende des Blutvergießens. „Um die Gewinne für sich zu behalten und zu steigern, erklärt die Regierung Kriege. Wer wird die Eingeweide mit den Händen einsam­meln, wem werden Arme und Beine durch Explosionen abgerissen, wessen Familien werden ihre Kinder begraben? Selbst­ verständlich betrifft dies alles nicht die herrschende Minderheit“ (S. 184). Die­se bewegenden Fragen stehen im Auf­ ruf, den die libertäre Moskauer Gruppe „Food not Bombs“ schon wenige Stunden nach Beginn des russischen Einmarsches in die Ukraine veröffentlichte. Über ein Jahr später zeigt sich, wie recht sie hat­ten. Die zweite Gemeinsamkeit besteht in der massiven Repression, der sämtli­che linke Kriegsgegner*innen durch die russische Staatsmacht ausgesetzt sind. Schon in den ersten Wochen nach Be­ ginn des Einmarsches in die Ukraine wurden fast 14.000 Kriegsgegner*innen in Russland zumindest kurzzeitig fest­ genommen. In dieser Massenrepression sieht Kasakow auch den Hauptgrund, dass die Massenproteste auf der Straße, die in der ersten Woche nach Kriegsbe­ginn viele Menschen im In­ und Aus­ land überrascht haben, schnell der Vergangenheit angehörten. „Sich bei der Untersuchung der Antikriegsbewe­ gung in Russland allein auf die Zahlen der Demonstrationsteilnehmer*innen zu konzentrieren, wäre ein schwerwie­gender Fehler“ (S. 13), schreibt Kasa­kow mit Verweis auf die vielfältigen Tätigkeiten, wie die Unterstützung von Kriegsdienstverweiger*innen und Deser­teur*innen, Sabotage von Militäranlagen, aber auch die Veröffentlichung von Texten gegen den Krieg im Internet oder in Print­medien. Eine weitere wichtige Arbeit ist die Solidarität mit den von Repression betroffenen russischen Kriegsgegner*innen. Das ist auch eine wichtige Aufgabe der internationalen Solidarität, bei der die Rote Hilfe e.V. auch in Deutschland ei­nen Beitrag leisten kann. Dazu ist es aber zunächst einmal wichtig, die linken Organisationen und Netzwerke zu kennen, die sich in Russland am Widerstand ge­ gen die Kriegspolitik beteiligen. Hier hat Kasakow mit seinem Buch Pionierarbeit geleistet und einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung geliefert. 

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