Sonia Combe: Loyal um jeden Preis. »Linientreue Dissidenten« im ­Sozialismus Berlin: Ch.Links-Verlag, 2022. 268 S., 25 Euro

›Linientreue Dissidenten‹

Combe interessierte sich besonders für jüdische Linke in der DDR, daher nimmt auch die Frage, ob es einen DDR-Antisemitismus gab, einen großen Raum ein. Die Frage bejaht sie für die frühen 50er Jahre, als auch in der DDR eine Kampagne gegen jüdische Kommunist:innen begann, die in der UdSSR ihren Ausgangspunkt nahm. Deren antisemitischer Charakter wird von der Autorin klar belegt.Die spätere DDR könne allerdings nicht als antisemitisch bezeichnet werden, so Combe.

»Georg Lukács empfängt Anna Seghers, die mit der tschechoslowakischen Fluggesellschaft angekommen ist, auf dem Flughafen Budapest, Februar 1952.« So lautet die Unterzeile unter einem Foto, das zwei bekannte kommunistische Persönlichkeiten mit völlig unterschiedlichen Biographien zeigt.
Anna Seghers gilt als linientreue DDR-Schriftstellerin, die zumindest nach außen hin keine Differenzen zur SED-Politik zeigte. Georg Lukács war Aktivist der kurzlebigen ungarischen Räterepublik gewesen und avancierte später mit seinem zentralen Werk Geschichte und Klassenbewusstsein (1923) zu einem wichtigen Philosophen der kommunistischen Bewegung. Viele seiner ehemaligen Genoss:innen kritisierten Lukács, weil er …

… im sowjetischen Exil geschwiegen hatte, als viele seiner Freund:innen verhaftet und auch ermordet wurden. Doch 1956 wurde Lukács selbst Opfer des stalinistischen ungarischen Regimes. Er war kurzzeitig Kulturminister in der Regierung des Nationalkommunisten Imre Nagy, der einen eigenen Weg zum Sozialismus gehen wollte. Sowjetische Truppen machten diesem Experiment 1956 ein Ende. Danach war auch Lukács in Gefahr.
Seine Freundin Anna Seghers versuchte ihn gemeinsam mit weiteren bekannten DDR-Schriftsteller:innen in die DDR zu holen. Der damalige Kulturminister Johannes R. Becher war eingeweiht, zog sich aber sofort zurück, als die SED-Führung um Walter ­Ulbricht ihr Veto einlegte.
Die Angelegenheit hatte für einige der beteiligten Schriftsteller:innen wie Walter Janka und Wolfgang Harich noch ein unerfreuliches Nachspiel. Sie wurden 1957 wegen angeblich konterrevolutionärer Handlungen zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Im Prozess wurde ihnen ihr Kontakt und ihre Freundschaft zu Georg Lukács vorgeworfen.
Als Janka und seine Verteidigung beantragten, Anna Seghers und sogar den Kulturminister Becher als Zeugen dafür zu laden, dass sie gemeinsam Lukács vor der Verfolgung retten wollten, wurde das von der Justiz empört als Provokation zurückgewiesen. Beide schwiegen.
Diese Details kann man in dem informativen Buch der französischen Historikern Sonia Combe nachlesen, dass kürzlich im Ch.Links-Verlag auf deutsch erschienen ist. Es ist ein wichtiges Buch, weil die Autorin ohne den westdeutschen Furor auskommt, nach dem alle Schriftststeller:innen, die in der DDR für eine sozialistische Gesellschaft kämpften, per se verdächtig sind.
Combe hingegen zeigt, dass viele linke DDR-Intellektuelle immer mehr an der Praxis des SED-Sozialismus verzweifelten, aber aus ihrer antifaschistischen Biographie heraus nie auf den Gedanken kamen, »dorthin zu gehen, wo die Gehlens und Globkes sind«. Mit dieser Zwischenüberschrift nimmt Combe Bezug auf die Adenauer-BRD, wo Altnazis wieder in führenden Positionen saßen. In einem eigenen Kapitel zeigt die Autorin auf, dass in der DDR tatsächlich viel mehr Ex-Nazis verurteilt wurden, andere flohen in den Westen.
Combe besuchte in den 80er Jahren die Nachkommen der linken DDR-Intellektuellen der Aufbaujahre, die zu dieser Zeit schon ernüchtert über die Entwicklung im Land waren und trotzdem Respekt vor der Biographie ihrer Vorfahren zeigten. »Beide waren Marxisten, Sozialisten, Antifaschisten, Atheisten. Kritische Marxisten natürlich, keinen dummen SED-Tölpel, sondern skeptisch und witzig. Aber Mitglied der Partei, der SED, beide«, charakterisiert die Schriftstellerin Barbara Honigmann ihre Eltern gegenüber Combe.
Das Buch ist besonders interessant, weil sich Combe auch mit heute weniger bekannten Intellektuellen wie Max Schröder oder Wolfgang Heise beschäftigt. Den marxistischen Philosophen Heise bezeichnet sie als heute leider vergessenen, wichtigen Intellektuellen der DDR, der immer SED-Mitglied blieb, bei seinen Vorlesungen aber freie Diskussion praktizierte. 2019 hat sein Sohn, der Filmemacher Thomas Heise, mit dem Film Heimat ist ein Raum aus Zeit seine Eltern zumindest in einem kulturinteressierten Milieu etwas bekannter gemacht.
Die Autorin geht auch auf die Biographie von Jürgen Kuczynski ein, der sich selber als »linientreuen Dissidenten« bezeichnete. Das hinderte ihn nicht, gelegentlich für seinen Freund Erich ­Honecker Reden zu schreiben.
Combe interessierte sich besonders für jüdische Linke in der DDR, daher nimmt auch die Frage, ob es einen DDR-Antisemitismus gab, einen großen Raum ein. Die Frage bejaht sie für die frühen 50er Jahre, als auch in der DDR eine Kampagne gegen jüdische Kommunist:innen begann, die in der UdSSR ihren Ausgangspunkt nahm. Deren antisemitischer Charakter wird von der Autorin klar belegt.
Die spätere DDR könne allerdings nicht als antisemitisch bezeichnet werden, so Combe. Sie betont, eine Kritik an Israel könne nicht mit Antisemitismus gleichgesetzt werden, und spricht sich dagegen aus, Antizionismus und Antisemitismus gleichzusetzen.
Combe kommt sogar für die späte DDR zu dem Befund, dass sich dort eine deutsch-jüdische Symbiose für jüdische Kommunist:innen vollendete. »Denn dort lebten sie nicht mehr in einem jüdisch-deutschen Ghetto, sondern in einem größeren, das sie sich selbst gewählt hatten, als Antifaschisten und ehemalige Emigranten, die mehr oder weniger ihrer Partei treu blieben.«
Combes Buch liefert eine gute Grundlage für eine linke Debatte über den Charakter der DDR, aber auch über den Antisemitismus. Peter Nowak