inGrid sCHubert, brieFe Aus dem knAst 1970 – 1977, 254 seiten, edition Cimarron 2022

Briefe aus dem Knast

Grosse Teile der Linken hörten den Namen von Ingrid Schubert nie. Dabei war sie in den 1970er-Jahren sehr bekannt. Sie gehörte zu den ersten Mitgliedern der Rote Armee Fraktion (RAF), die verhaftet wurden, am 8. Oktober 1970 gemeinsam mit Horst Mahler, Brigitte Asdonk und Irene Goergens.

Schubert, die wegen Beteiligung an der Befreiung von Andreas Baader zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden war, verliess das Gefängnis nichtmehrlebend.Am 12.November1977 wurde sie in ihrer Zelle in der Justizvollzugsanstalt Stadelheim in München tot aufgefunden, angeblich erhängt. Doch wie bei den wenige Wochen zuvor am 18. Ok tober 1977 in Stuttgart-Stammheim gestorbenen RAF-Gründungsmitgliedern Andreas Baader, Jan Carl Raspe und Gudrun Ensslin blieben auch beim Tod von Schubert viele Fragen offen. Doch anders als die drei in Stammheim gestorbenen RAF-Leute ist Ingrid Schubert heute auch in linken Kreisen kaum bekannt. Daher ist es um so erfreulicher, dass die Edition Cimarron jetzt die Briefe veröffentlicht hat, die …

… ihre Schwester Gerti Wilford zusammengestellt hat. Zunächst waren sie nur für einen kleineren Kreis aus Freund*innen und Verwandten gedacht. Doch dann zeigte sich, dass vor allem die jüngeren Leser*innen, die eigentlich überhaupt keinen Bezug mehr zu den 1970er-Jahren hatten, besonders interessiert an der Lektüre waren. Sie regten eine grössere Ausgabe an und wollten auch eine Übersetzung ins Englische in die Wege leiten.

Schmerz und ständige Angst

In der Einleitung wird auch angesprochen, wie die politische Entwicklung von Ingrid Schubert auf ihre nächste Verwandtschaft wirkte. «Für die Familie war die Entscheidung unserer Schwester, sich dieser Bewegung anzuschliessen, ein schwerer Schlag, be- sonders für unsere Eltern und Familienmitglieder. Sie wusste das und sprach es auch an als unausbleibliche Folge ihrer Entscheidung, was weder den Schmerz noch die ständige Angst minderte, die alle in der Fa- milie betraf.» Mit der Veröffentlichung der Briefe soll nach fast 50 Jahren auch ein Zeichen gegen diese Angst gesetzt werden.

Die Dokumentation wird ergänzt durch Fo- tos, persönliche Erinnerungen und Berichte von Freund*innen und Genoss*innen wie Brigitte Asdonk, Brigitte Mohnhaupt und Irmgard Möller. So gelingt es dem Buch, den Leser*innen den Menschen Ingrid Schubert näherzubringen. In einer kurzen Einleitung wird berichtet, dass Ingrid Schubert ihr medizini- sches Examen mit Gut absolvierte. Bei einem Osterurlaub habe sie der Schwester angedeutet, sie könne nicht gleich wie geplant in einer Praxis arbeiten. Sie habe erst noch Dinge zu erledigen, die sie machen musste. Wenige Wochen später wurde sie in Berlin verhaftet.

«Systeme der Unterdrückung wurden immer deutlicher»

Gleich im Klappentext findet sich ein Zitat vo Ingrid Schubert, das einen Eindruck von der revoluti- onären Ungeduld vermittelt, die damals grosse Teile vor allem der akademischen Linken, die nicht den Marsch durch die Institutionen antreten wollten, erfasst hatte. «Nichts ging vorwärts, nichts änderte sich, die Systeme der Unterdrückung wurden immer deutlicher, ausgehend von der Gesellschaft, den Staat, die Herrschaftssysteme, die Mächte. Es erdrückte einen, und man selbst sass immer noch und rieb sich seinen dicken Bauch und applaudierte kräftig denen, die es schon lange begriffen hatten und auf internationaler Ebene den Kampf gegen die Unterdrückung aller Minderheiten aufgenommen hatten. Und irgendwie begriff ich, dass ich konsequent zu sein hatte.»

Auf dieses Thema, die eigene Konsequenz und die Weigerung, sich auf die eigentlich vorgezeichnete Biographie einer linken Ärztin einzulassen, wird In- grid Schubert immer wieder in den Briefen zurück- kommen. So heisst es am 3.November, also wenige Wochen nach ihrer Verhaftung: «Du hast mich gefragt, ob ich hassen kann, und ich kann Dir sagen, ich hasse das Bürgertum. Dass seine Moral, sein Streben nach Besitz und krampfhaften Festhalten daran, ständige Vergrösserung und Sicherung seiner Kapitalanlagen, die Gier nach Ruhe und Ordnung, das Bespitzeln und Verleugnen und Kaputtmachen. Dass das scheinbare Liberale in unserer Gesellschaft – natürlich kann man auswandern – ein wichtiges Detail der Unterdrückungsmaschine ist, auch das begriff ich erst, als ich mein Verhältnis zum Proletariat begriff.»

Natürlich geriet Ingrid Schubert mit dieser Positionierung immer wieder in Konflikt mit ihrer Schwester und vor allem mit ihrer Mutter. Die sorgte sich um das Wohlergehen ihrer Tochter und rief dann auch schon mal bei der Gefängnisleitung an, weil sie sich dort Verbesserungen ihrer Haftbedingungen versprach. Für Ingrid Schubert grenzten diese Bemühungen al- lerdings an Verrat an ihr und ihren Genoss*innen. Sie wies dann die Mutter und auch andere Verwandte barsch zurecht und drohte, den Kontakt ganz einzustellen.

Mutter Teil des Problems

So schreibt sie am 16. Mai 1976, wenige Tage nach dem Tod von Ulrike Meinhof: «Die liebe Mutter hat sich auch wieder so ’n Ding geleistet, wo ich nur noch sagen kann, mir reicht’s. Ruft bei der Knastpsycholo- gin an und erkundigt sich, wie ich die Sache mit Ulrike verkraftet habe». Am 14. Juni 1976 schreibt sie dann: «Na, Mutter bleibt das Problem, weil sie Teil des Problems ist.» Doch an anderer Stelle zeigt Schubert auch Verständnis, dass ihre Angehörigen ihre Radikalisierung nicht gleich nachvollziehen können. Vieles dreht sich in der Kommunikation um die Organisierung des Alltags im Gefängnis. So schrieb sie, welche Kosmetika sie brauche, fragte nach einem bestimmten Kleidungs- stück und oft auch nach Büchern, manchmal war sie da auch sehr fordernd und rügte die Schwester, wenn sie ihr die falsche Marmeladensorte geschickt hatte. Im letzten dokumentierten Brief vom 4.November 1977 schreibt Schubert knapp drei Wochen nach der Todesnacht von Stammheim: «Die, die ich am meis- ten liebe, sind tot – sie hatten es schwer mit mir und ich mache es mir schwer. Mal sehen, vielleicht kann ich das einmal aufschreiben, wenn ich wieder reden kann». Eine Woche später war sie tot.

Gesellschaftliche Umstände

«Heute ist es immer noch unklar, wie es damals dazu kam, dass sie so gewaltsam starb. Eines nur ist sicher: wäre sie nicht isoliert, total isoliert gewesen,dann wäre sie wahrscheinlich noch da», schreibt Gerti Wilford in der Einführung. Die Veröffentlichung der Briefe kann dazu beitragen, die Isolation von Ingrid Schubert, die auch nach ihrem Tod nicht beendet war, zu durchbrechen. In kurzen Texten werden die gesellschaftlichen Umstände beschrieben, die zur Gründung der RAF führten. Das Buch endet mit ei- ner kurzen Chronologie, die vor allem Nachgeborene dazu anregt, selbst weiter zu forschen. Das Buch ist so ein Teil der Gegengeschichte und kann dazu beitragen, dass der Name von Ingrid Schubert nicht nur in den Akten von Polizei und Justiz aufbewahrt wird. Es wäre erfreulich, wenn es weitere solcher Buchprojekte gibt, die auch ein Stück Rückeroberung linker Geschichte bedeuten. Peter Nowak

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