Die Unzufriedenheit mit der Corona-Politik wächst vor allem unter Erwerbstätigen. Bei manchen führt das auch zur "Impfmüdigkeit". Ergebnisse einer Befragung als Warnsignal

Corona-Krise: Verzicht auf Booster mangels Vertrauen in die Politik

Die Frage, wie soziale Proteste in der Pandemie aussehen könnten, die nicht von irrationalen Gruppen vereinnahmt werden können, stellt sich nach den Umfragen der Hans-Böckler-Stiftung um so dringlicher. Schließlich kann die wachsende Unzufriedenheit vermehrt zu Protesten führen. Doch mit welchen Inhalt und mit welchen Bündnispartnern? Das war eine zentrale Frage der Autorinnen und Autoren des Buches "Corona und Gesellschaft", die sich aus haben verschiedenen emanzipatorischen Zusammenschlüssen von Wissenschaftlern zusammensetzt – darunter die Assoziation für Kritische Gesellschaftsforschung, das Institut für Protest- und Bewegungsforschung und das Netzwerk Kritische Bewegungsforschung zusammensetzt.

Zwei Jahre nach Beginn der Corona-Krise in Deutschland erreicht die Unzufriedenheit unter Erwerbspersonen neue Höchststände. Dabei handelt es sich nicht etwa um eine Fake-News von „Querdenkern“ und Maßnahmenkritikern. Das ist vielmehr das Ergebnis einer Befragung   …

… des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung des Deutschen Gewerkschaftsbundes.

Dabei wirkt für eine große Mehrheit der Befragten die Stabilisierungspolitik auf dem Arbeitsmarkt und bei den Einkommen offensichtlich weiter recht gut. Während Sorgen um den Job und die finanzielle Zukunft leicht zurückgehen, sind vor allem bei Eltern und insbesondere bei Müttern Belastungsgefühle, die Sorge um den sozialen Zusammenhalt und die Kritik am Umgang der Politik mit der Krise spürbar angestiegen.

Insgesamt zeigen sich nur noch 31 Prozent der Erwerbstätigen und Arbeitsuchenden in Deutschland zufrieden mit dem Krisenmanagement der Bundesregierung. Im Juli 2021 waren es noch 40 Prozent – und kurz nach Ausbruch der Pandemie hatte die Zustimmung bei 67 Prozent gelegen.

Den Abwärtstrend zeigt der neueste Durchgang der repräsentativen Erwerbspersonenbefragung, die die Hans-Böckler-Stiftung seit Frühjahr 2020 durchgeführt hat. Angesichts der Omikron-Welle hat auch die Sorge, sich mit dem Coronavirus zu infizieren, laut der Befragung vom Januar 2022 wieder zugenommen. Doch mit gewachsener Unzufriedenheit und vielen vergleichsweise „milden“ Krankheitsverläufen scheint auch ein neues Phänomen dass „Impfmüdigkeit“ einher zu gehen:

Geimpfte Befragte, die in den letzten Monaten ihr Vertrauen ins Krisenmanagement der Politik verloren haben, ließen sich beispielsweise signifikant seltener auch „boostern“. Dabei handelt es sich also nicht um eine generelle Ablehnung von Impfungen, sondern um Unzufriedenheit mit dem Impfmanagement oder schwindendes Vertrauen in die Politik.

Einkommen niedrig, Belastung hoch: Corona als Klassenfrage

„Es gelingt in Deutschland weiterhin vergleichsweise gut, Erwerbsarbeit in der Corona-Krise abzusichern. Deshalb klagen noch relativ wenige der Befragten über die finanzielle Belastung. Dabei gibt es allerdings eine wichtige Ausnahme. Für Menschen mit Niedrigeinkommen waren die finanziellen Belastungswerte so hoch wie noch zu keinem anderen Zeitpunkt in der Pandemie“, so das Fazit des WSI.

Damit wird einmal mehr deutlich, dass die Erzählung, in der Corona-Pandemie säßen alle Menschen in einem Boot, Propaganda ist – und inzwischen auch weniger geglaubt wird. Menschen, die schon immer am Rande des Existenzminimums leben mussten, werden durch die Pandemie noch mehr belastet.

Auch Menschen mit Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen sehen sich mit deutlich höheren Belastungen konfrontiert, was in der Öffentlichkeit allerdings weniger vermittelt wird. Eltern, vor allem Mütter, fühlen sich alleingelassen. Hier sieht die wissenschaftliche Direktorin des Instituts, Bettina Kohlrausch einen wesentlichen Grund für einen Vertrauensverlust.

Als realpolitische Gegenmaßnahmen fordert sie verstärkte familien- und bildungspolitische Anstrengungen nach Abklingen der Pandemie. „Die coronabedingten Rückstände und Lücken, die etwa bei vielen Schülerinnen und Schülern entstanden sind, werden nicht von selbst verschwinden, wenn die akute Pandemie ausläuft.“ Das sei eine Aufgabe über Jahre, so Kohlrausch, die gemeinsam mit dem WSI-Forscher Andreas Hövermann eine neue Serie der Erwerbspersonenbefragungen der Hans-Böckler-Stiftung abgeschlossen hat.

Dafür wurden von Anfang bis Mitte Januar 6419 Erwerbstätige und Arbeitsuchende vom Markt- und Meinungsforschungsunternehmen Kantar zu ihrer Lebenssituation während der Pandemie befragt. Dieselben Personen waren bereits im April, im Juni und im November 2020 sowie im Januar und im Juli 2021 interviewt worden, allerdings teilweise nicht mit dem vollständigen Fragebogen.

Die Befragten bilden die Erwerbspersonen in Deutschland im Hinblick auf die Merkmale Geschlecht, Alter, Bildung und Bundesland repräsentativ ab. Durch die Panelstruktur lassen sich Veränderungen im Zeitverlauf herausarbeiten.

Zunehmende soziale Ungleichheit wird als Problem erkannt

Das zentrale Ergebnis der neuen Befragungswelle muss für die Regierung und die Staatsapparate ein Warnsignal sein. Die Zufriedenheit sinkt in allen Schichten, bei Menschen mit Niedrigeinkommen ist sie besonders gering, Im Durchschnitt aller Befragten ist die Zufriedenheit mit dem Krisenmanagement der Bundesregierung auf dem niedrigsten Stand, der im Studienverlauf bisher gemessen wurde, betont das Forscherteam.

Die Unzufriedenheit ist unter Erwerbspersonen mit den niedrigsten Haushaltseinkommen am höchsten. Auf den ersten Blick erstaunlich: Unter Befragten, die während der Krise nicht an Einkommen eingebüßt haben, ist der Rückgang gegenüber der vorigen Befragungswelle besonders ausgeprägt. Allerdings äußerten Befragte mit Einbußen schon im vergangenen Jahr ein geringeres Vertrauen in die Politik.

Kohlrausch und Hövermann konstatieren, dass sich Befragte, deren Zufriedenheit mit dem Krisenmanagement im Zeitverlauf gesunken ist, deutlich häufiger als andere um den sozialen Zusammenhalt und eine zunehmende soziale Ungleichheit sorgen. Beide Sorgen hatten im Januar 2022 gegenüber früheren Wellen zugenommen.

Nun scheinen die Problemfelder sozialer Zusammenhalt und soziale Ungleichheit ähnlich. Doch muss man sich fragen, was mit den Begriffen gemeint ist. Mit der Sorge um den sozialen Zusammenhalt wird oft auch die in einer kapitalistischen Klassengesellschaft illusionäre und letztlich reaktionäre Vorstellung verbunden, dass sich die Gesellschaft nicht spalten soll und alle an einem Strang ziehen.

Dahinter stecken allerdings falsche Vorstellungen über die Funktion und die Rolle des Staates im Kapitalismus. Hinter der Sorge um die wachsende soziale Ungleichheit steckt die richtige Beobachtung, dass sich die kapitalistischen Widersprüche während der Pandemie noch einmal verschärft haben. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt ein Kreis von Sozialwissenschaftlern, die kürzlich im Mandelbaum-Verlag das Buch „Corona und Gesellschaft – Soziale Kämpfe in der Pandemie“ herausgegeben haben.

Die Autoren haben seit März 2020 die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen beobachtet und auf der Website Corona Monitor dokumentiert. In dem Buch beschäftigt sich die Sozialwissenschaftlerin Stefanie Hürtgen mit der Aufwertung der Sorge- und Pflegearbeit unter Pandemiebedingungen und kommt zu dem Fazit:

So wie der Kapitalismus auf Carearbeit angewiesen ist, zehrt und er zerstört er gleichzeitig seine eigene Grundlagen.


Stefanie Hürtgen

Da ist Hürtgen mit ihren Beobachtungen sehr nahe an den Ergebnissen der Befragung durch die Hans-Böckler-Stiftung. Auch dort äußern sich vor allem viele Frauen unzufrieden mit den Regelungen der Sorgearbeit in der Pandemie.

Soziale Kämpfe in der Pandemie

Der Befund der Befragungen muss auch als ein Alarmsignal an die Politik verstanden wurden. Oft wurde dort argumentiert, die Proteste der sogenannten „Querdenker“ und Corona-Maßnahmengegner seien eine zu vernachlässigende Größe. Schließlich sei die Zahl der Geimpften wesentlich größer als die der Protestierenden.

So richtig es ist, dass vor allem den harten Kern der Protestierenden oft irrationale Motive auf die Straße treiben, so haben sich dort in den letzten Wochen auch Menschen angeschlossen, die keine grundsätzlichen Impfgegner und teilweise auch gegen das Coronavirus geimpft sind, aber mit dem Umgang mit der Politik mit der Pandemie unzufrieden.

Dieser Befund könnte sich mit den Ergebnissen der Befragung der Hans-Böckler-Stiftung treffen. Die Unzufriedenheit mit der Pandemiepolitik ist gestiegen und seit Dezember hat auch die Zahl der Teilnehmer dieser Demonstrationen und „Spaziergänge“ zugenommen. Doch da stellt sich auch die Frage, ob diese Menschen zwangsläufig dort landen müssen.

Gäbe es nicht eine Alternative? Das wären soziale Proteste, die egalitäre statt irrationale Forderungen stellen und sich nicht auf die Impfungen als vermeintliches Übel fokussieren.

Wie könnten soziale Proteste in der Pandemie aussehen? Das war eine zentrale Frage der Autorinnen und Autoren des Buches „Corona und Gesellschaft“, die sich aus haben verschiedenen emanzipatorischen Zusammenschlüssen von Wissenschaftlern zusammensetzt – darunter die Assoziation für Kritische Gesellschaftsforschung, das Institut für Protest- und Bewegungsforschung und das Netzwerk Kritische Bewegungsforschung zusammensetzt.

Die Frage, wie soziale Proteste in der Pandemie aussehen könnten, die nicht von irrationalen Gruppen vereinnahmt werden können, stellt sich nach den Umfragen der Hans-Böckler-Stiftung um so dringlicher. Schließlich kann die wachsende Unzufriedenheit vermehrt zu Protesten führen. Doch mit welchen Inhalt und mit welchen Bündnispartnern? (Peter Nowak)