Ungefiltert über den Arbeitsalltag schreiben, über den Frust und die Langeweile, aber auch über Solidarität unter den Kolleg*innen – das war auf »Recomposition« möglich. Die von Mitgliedern der in den USA und Kanada aktiven Basisgewerkschaft Industrial Workers of the World (IWW) betriebene Online-Plattform knüpfte an die operaistische Tradition an. Nun wurde eine gesammelte Auswahl von Beiträgen im Verlag Die Buchmacherei in deutscher Sprache herausgegeben. Schon in der Widmung machen die Herausgeber*in- nen deutlich, dass sie von der Trennung in Klassen- und Identitätspolitik nichts halten. Gewidmet haben sie das Buch »allen Kolleg*innen, die in ihrer Praxis Feminismus, Antirassismus und Klassenkampf verbinden«. Im Buch sind die Texte von …
„Ankunft im kapitalistischen Alltag“ weiterlesenSchlagwort: IWW
Migration – Zeichen von Freiheit oder zu bekämpfendes Übel?
„Es ist nicht Europa, das uns ein Leben in Würde schuldet, sondern mein Land.“ Dieser Satz steht über einem Essay von Saikou Suwareh Jabai. Dort bringt der gambische Journalist einige Argumente in die Debatte um Migration ein, die sich manche der „Refuge Welcome“-Bewegung doch einmal durch den Kopf gehen lassen sollten.
Er schildert dort die ganz individuellen Folgen der Migration am Beispiel seiner beiden Brüder:
„Migration – Zeichen von Freiheit oder zu bekämpfendes Übel?“ weiterlesen
Ohne Telefonnummer kein sozialer Streik
Gewerkschaft und Nachbarschaft – Das Buch »Solidarische Netzwerke« ist auch ein Praxisratgeber für soziale Proteste
Kurierfahrer und private Taxifahrer befanden sich in London im August für mehrere Tage im Ausstand gegen die Senkung der Pauschale, die sie pro Lieferung oder Fahrt bekommen. Unterstützt wurden sie von kleinen Basisgewerkschaften. Sie sorgen auch dafür, dass der kurze Arbeitskampf in Deutschland überhaupt wahrgenommen wurde. Schließlich gibt es auch hierzulande unter dem wachsenden Heer der Kurierdienste deutlichen Unmut über die geringen Pauschalen und schlechte Arbeitsbedingungen.
Daher ist es auch begrüßenswert, dass die Sektion Frankfurt am Main der Basisgewerkschaft Industrial Workers of the World (IWW) Diskussionen und Erfahrungen von Arbeitskämpfen und sozialen Bewegungen aus dem englischsprachigen Raum ins Deutsche übersetzt und sowohl in gedruckter Form als auch dem Internetportal zweiter-mai.org zugänglich macht. Kürzlich hat die IWW unter dem Titel »Solidarische Netzwerke – Ein Leitfaden« Texte über die Geschichte und die politische Praxis des Solidarischen Netzwerkes aus Seattle übersetzt.
Die Stadt in den USA war 1999 kurzzeitig als Ort des linken politischen Aktivismus in die Schlagzeilen beraten, weil dort die Proteste gegen eine WTO-Konferenz zum Aufschwung der globalisierungskritischen Bewegung beigetragen haben. Doch über die Alltagskämpfe in der Stadt war bisher wenig bekannt. Die Herausgeber der Broschüre betonen, dass die Erfahrungen aus den Kämpfen in den USA nicht einfach auf die hiesigen Verhältnisse übertragen werden können. Doch die Gemeinsamkeiten sind in vielen Bereichen nicht zu übersehen: »Was unser Interesse geweckt hat, war die Idee, sich nicht ausschließlich gegen das Chefs, das Jobcenter, oder innerhalb eines Wohnhauses zu organisieren. […] So können vielfältige Widersprüche und Konflikte in den Blick genommen werden, die sich aus unseren prekären Alltag ergeben«, schreibt die IWW Frankfurt im Vorwort.
Damit greifen sie Debatten auf, die unter dem Label sozialer Streik in Deutschland geführt werden. Es geht darum, wie Arbeitskämpfe im prekären Sektor mit den Widerstand gegen hohe Mieten oder gegen Fahrpreiserhöhungen im Öffentlichen Nahverkehr verbunden werden können Bisher existieren in manchen Städten Initiativen, die sich um Stadtteilarbeit kümmern, andere widmen sich der Unterstützung von Arbeitskämpfen. Der Kontakt zwischen den Gruppen läuft über Bündnistreffen. Das solidarische Netzwerk Seattle versteht sich dagegen als Arbeiter- und Mieterorganisation. »Statt eine gemeinsame Identität als Mieter, Nachbarschaft oder Arbeiter eines bestimmten Sektors zu entwickeln, erzeugen wir das Gefühl einer umfassenden Klassensolidarität«, heißt es in dem Selbstverständnis der Aktivisten. Im weiteren Text wird deutlich, dass es sich dabei um eine Zielvorstellung handelt. Sehr detailliert wird beschrieben, wie man soziale Kämpfe beginnen kann. Dabei wird die Wichtigkeit einer allgemeinverständlichen Sprache ebenso betont wie die der Orte zum Kleben von Plakaten, damit sie Wirkung zeigen. Zudem sei eine Telefonnummer wichtig, damit Interessierte Kontakt aufnehmen können.
Diese und viele andere praktische Tipps mögen sich unspektakulär anhören, sind aber für Menschen nützlich, die auch hierzulande solidarische Netzwerke aufbauen wollen. Die Autoren machen auch klar, dass man für die Organisierungsarbeit einen langen Atem braucht und sich selber klare Ziele stecken muss. Daran aber hapert es oft, so dass die Verfasser am Ende wieder einmal ein scheinbar unbedeutendes Detail erinnern. »Abschließend sei bemerkt, dass für die meisten Menschen das größte Hindernis bei der Entwicklung ihrer Organisationsfähigkeiten ihre eigene Desorganisierung ist, z.B. keinen Kalender zu führen.«
Die Broschüre kann hier heruntergeladen werden: dasND.de/netzwerke
Im prekären Sektor gibt es eine Alternative zum DGB
Betr.: «Auf absehbare Zeit gibt es keine Alternative zu den DGB-Gewerkschaften», von Jakob Schäfer in SoZ Mai 2016
Es ist erfreulich, dass die SoZ eine Debatte über die linke Bewegung und Gewerkschaften initiiert hat. Schließlich wächst auch in Teilen der außerparlamentarischen Linken die Erkenntnis, dass Gewerkschaften für eine Transformation der Gesellschaft unverzichtbar sind.
Ein Teil vor allem der postautonomen Linken arbeitet in unterschiedlichen DGB-Gewerkschaften mit. Weil ein Großteil der außerparlamentarisch Aktiven im Bildungs-, Erziehungs-, Gesundheits- und Pflegebereich arbeitet, konzentriert sich ihr gewerkschaftliches Engagement auf die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di und die GEW. Mittlerweile setzt ein Teil davon die durch das politische Engagement erworbenen Kenntnisse beruflich als Organizer in Gewerkschaften ein. Vereinzelt gibt es auch schon hauptberufliche Gewerkschaftssekretäre aus der außerparlamentarischen Linken.
Ein anderer Teil der an gewerkschaftlichen Aktivitäten interessierten außerparlamentarischen Linken sieht hingegen diese Mitarbeit in DGB-Gewerkschaften kritisch. Sie verweist auf Erfahrungen aus der Gewerkschaftsgeschichte, wo immer wieder Impulse aus kritischen Bewegungen in die Gewerkschaftsapparate integriert wurden und wenige Konsequenzen für eine kämpferische Gewerkschaftspolitik hatten. Diese Widersprüche hat Jakob Schäfer in seinem Diskussionsbeitrag gut benannt.
«Auf der einen Seite sind sie Schutzmacht gegen die schrankenlose Herrschaft des Kapitals, indem sie der Unterbietungskonkurrenz von Belegschaften einen Riegel vorschieben, vor allem durch Tarifverträge, nach Möglichkeit landesweit. Zum anderen sind sie auch Ordnungsmacht, weil sie auch ein Element des Kapitalverhältnisses sind (mindestens dann, wenn Tarifverträge abgeschlossen sind), auch unabhängig von einer Politik der Klassenversöhnung (die allerdings für fast alle Gewerkschaften, auch außerhalb des DGB, die Regel ist).»
Diesen Ausführungen könnte ich zustimmen, wenn der Halbsatz in der Klammer nicht wäre. Es stimmt eben nicht, dass die Politik der Klassenversöhnung für fast alle Gewerkschaften außerhalb des DGB gilt. Für die meisten Spartengewerkschaften, wie den Marburger Bund oder die Gewerkschaft Cockpit trifft das sicher zu. Ihr manchmal verbalradikaler Ton bei der Durchsetzung von Forderungen für meist kampfstarke Segmente der Lohnabhängigen darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie keinerlei gesellschaftskritisches Konzept haben und selbst den Gedanken der Solidarität unterschiedlicher Segmente der Lohnabhängigen, der auch in den DGB-Gewerkschaften meistens Lippenbekenntnis bleibt, nicht einmal dem Anspruch nach verwirklichen wollen.
Anders sieht es bei den Basisgewerkschaften aus, die die in den letzten Jahren in vielen europäischen Ländern an Bedeutung gewonnen haben. In Deutschland ist hier neben den Industrial Workers of the World (IWW), die in einigen Städten Organisationsversuche unternehmen, die Freie Arbeiter-Union (FAU) zu nennen. Ihr ist es in den letzten Jahren gelungen, den Status einer anarchistischen Gruppe mit Gewerkschaftsanspruch abzulegen. Die SoZ gehörte zu den wenigen linken Zeitungen, die über den Arbeitskampf im Berliner Kino Babylon berichtet hat. Er hat dazu beigetragen, dass die FAU als Basisgewerkschaft wahrgenommen wird.
Ein aktueller Arbeitskampf, der von der FAU getragen wird, ist der Kampf der rumänischen Bauarbeiter bei der Mall of Berlin, die seit nun mehr fast zwei Jahren um ihren Lohn kämpfen. Die Auseinandersetzung macht die großen Probleme deutlich, die das Beschreiten des Rechtswegs für die Betroffenen bedeutet. Die Bosse gehen notfalls durch alle Instanzen und geben lieber viel Geld für Gerichtskosten aus, als dass sie die ausstehenden Löhne bezahlen. Wenn sie dann in allen Instanzen zu Zahlungen verurteilt wurden, melden die Subunternehmen Insolvenz an.
Am Beispiel der Mall of Berlin zeigt sich auch, dass eine DGB-Gewerkschaft für die Bauarbeiter keine Option gewesen wäre. Sie waren schließlich zuvor bei einer Beratungsstelle unter dem Dach des DGB. Dort wurde ihnen gesagt, dass sie einen Bruchteil ihrer Ansprüche erstattet bekämen, wenn sie auf alle weiteren Rechte verzichteten. Diejenigen Bauarbeiter, die das ablehnten, wandten sich danach an die FAU. Erst dadurch wurde die Kampagne der letzten beiden Jahre möglich; sie richtet auch über die Mall of Berlin hinaus den Fokus darauf, dass Lohnbetrug und Überausbeutung zum alltäglichen Geschäftsmodell im Kapitalismus gehören.
So wie die Bauarbeiter bei der Mall of Berlin haben sich auch viele andere Lohnabhängige vor allem im prekären Bereich zunächst vergeblich an eine DGB-Gewerkschaft gewandt, bevor sie dann in und mit der FAU für ihre Rechte kämpften – etwa Beschäftigte aus der Serviceabteilung der Heinrich-Böll-Stiftung, oder ein Mitarbeiter eines Spätkaufs in Berlin, der mehrere Jahre als eine Art Geschäftsführer auf Hartz-IV-Basis gearbeitet hat. In Jena haben Beschäftigte eines universitären Call-Centers mit der FAU einen Arbeitskampf begonnen.
Oft waren die Betriebe so klein, dass sie gar nicht ins Konzept des DGB gepasst hätten. Nun breiten sich solche prekären Arbeitsverhältnisse immer weiter aus. Lange Zeit galten diese Bereiche als für Gewerkschaften verloren. Die FAU hat in einigen Fällen gezeigt, dass auch hier Arbeitskämpfe möglich sind. Bärbel Schönafinger hat in dem Film Die Angst wegschmeißen am Beispiel des Arbeitskampfzyklus in der norditalienischen Logistikbranche gezeigt, was möglich ist, wenn eine Gruppe kampfentschlossener Beschäftigter auf eine Basisgewerkschaft stoßen, die den Kampf mit ihnen führen will. In diesem Fall waren es die Sin Cobas.
Von solchen Verhältnissen sind wir in Deutschland noch weit entfernt. Aber auch hier spielt die Musik eben nicht mehr nur in den fordistischen Großbetrieben, wo die DGB-Gewerkschaften noch die Hegemonie haben, auf die Schäfer in seinem Beitrag verweist. Vor allem im prekären Sektor haben sich auch in Deutschland basisgewerkschaftliche Ansätze als kampf- und streikfähig erwiesen und damit bewiesen, dass sie dort eine Alternative zum DGB sein können.
von Peter Nowak*
* Der Autor hat im letzten Jahr im Verlag Edition Assemblage das Buch «Ein Streik steht, wenn mensch ihn selber macht. Arbeitskämpfe nach dem Ende der großen Fabriken» herausgegeben (112 S., 7,80 Euro).
Alles immer selber machen
Broschüre zu Geschichte und Prinzipien der Wobblies
Immer häufiger mischen neben dem DGB auch Basisgewerkschaften bei Arbeitskonflikten mit. Die aus der Tradition des Anarchosyndikalismus kommende Freie Arbeiter Union (FAU) hat in den letzten Jahren mehrere Arbeitskämpfe geführt. In einigen deutschen Städten haben sich mittlerweile Ortsgruppen der Industrial Workers oft the World (IWW) gegründet. In einem Callcenter in Rostock ist die IWW-Gruppe mittlerweile genauso stark wie die ver.di-Gruppe und beteiligt sich an der Gründung eines Betriebsrates. Damit wird auch in Deutschland an eine sehr traditionsreiche Gewerkschaft angeknüpft. Die IWW war unter den Namen Wobblies vor knapp 100 Jahren eine kämpferische Gewerkschaftsbewegung in den USA, die mit einer massiven Repressionswelle in die Defensive gedrängt, aber nie ganz zerschlagen werden konnte. In den letzten Jahren haben sich in den USA, Großbritannien und Spanien wieder GewerkschaftlerInnen auf die Organisationsgrundsätze der IWW berufen.
Jetzt hat die IWW unter dem Titel „Direct Unionism“ die deutsche Übersetzung einer 58-seitigen Broschüre vorgelegt, in der sie einige Grundsätze ihrer Gewerkschaftsarbeit zur Diskussion stellt: „Kurz zusammengefasst schlagen wir vor, dass Mitglieder der IWW daran arbeiten sollen, Netzwerke von Aktivisten in den Industrien [gemeint: Branchen; d. Red.] aufzubauen, in denen sie arbeiten, statt auf Tarifverträge, Gewerkschaftswahlen und rechtliche Auseinandersetzungen zu zielen“ (S. 6).So wird das Konzept des Direct Uniosm zusammengefasst. Gewerkschaftsbürokratien werden ebenso abgelehnt wie eine Verrechtlichung von Arbeitskonflikten kritisch gesehen wird. Doch wenn es in der Broschüre auf Seite 13 apodiktisch über den Direct Unionism heißt: „Es werden keine BürokratInnen, keine Offiziellen und keine AnwältInnen gebraucht“ (S. 13), bleiben viele Fragen offen, einschließlich der Frage des Kräfteverhältnisses . In den Text fließen die Erfahrungen aus den Organisierungsprozessen der letzten Jahre ein. So gibt es immer wieder Bezüge zu den Arbeitskämpfen bei Starbucks in den USA, bei McDonalds in Schottland und den Puerto Real Werften in Spanien. Dabei wird deutlich, dass die IWW durchaus pragmatisch an die Gewerkschaftsarbeit herangeht. So widmet sich ein Kapitel der Broschüre der Frage, wie eine der Basisdemokratie verpflichtete Gewerkschaft reagieren soll, wenn die Mehrheit der streikenden KollegInnen einen Tarifvertrag einfordert. „Wenn sie einen Lohn zum Überleben, anständige Vorteile und tolerable Arbeitsbedingungen erreicht haben, sind verständlicherweise viele ArbeiterInnen darum besorgt, dass diese Erfolge auch sicher geschützt sind. Verträge bieten eine Möglichkeit“ (S. 30).
Auch Niederlagen werden dabei benannt und mit Selbstkritik wird nicht gespart. Das ist ein großer Pluspunkt der Broschüre. Sie ist ein Angebot, über ein in Deutschland noch wenig bekanntes Gewerkschaftskonzept zu diskutieren. Es sollte angenommen werden.
Der komplette Text kann online gelesen und heruntergeladen werden:
http://tinyurl.com/direct-unionism
Bestellmöglichkeiten der Printausgabe gibt es über: versand@wobblies.de
aus:
express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit
http://www.labournet.de/express/
Peter Nowak
Refugees als billige Arbeitskräfte willkommen
Während die Flüchtlingsunterstützer noch immer hauptsächlich mit moralischen Argumenten hantieren, geht es bei der Wirtschaft um die weitere Senkung der Arbeitskraft
„Refugees Welcome, aber ohne Mindestlohn“, so hätte die Devise am Arbeitgebertag 2015 [1] lauten können, der in dieser Woche in Berlin tagte. Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer wiederholte dort seine Forderung, den Mindestlohn für Flüchtlinge auszusetzen. Dabei wollte er nicht von einer Sonderregelung reden. Er will sich vielmehr an der Regelung für Langzeitarbeitslose orientieren, bei denen der Mindestlohn ebenfalls ausgesetzt werden kann.
Diese Regelung soll nach den Vorstellungen von Kramer und seinem Wirtschaftsverband auch für die Neuankömmlinge aus anderen Ländern Anwendung finden. Dabei soll die bisherige Halbjahrespflicht bei der Aussetzung des Mindestlohns gleich auf ein Jahr erhöht werden.
Die Taktik des Wirtschaftslagers ist klar. Die Geflüchteten sollen mithelfen, den Wert der Ware Arbeitskraft noch weiter zu senken. Dass sich in dieser Angelegenheit die oft zerstrittenen Fraktionen der deutschen Wirtschaft einig sind, zeigte sich daran, dass auch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag die Aussetzung des Mindestlohns fordert [2]. Zuvor hatte bereits der Präsident des Arbeitergeberverbands Reinhard Görner Ausnahmen verlangt [3].
Zumindest bei der Union, die sich ja erst auf Druck der SPD mit dem Mindestlohn abfand, stieß die Industrie auf offene Ohren. CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn sprach sich für ein befristetes Aussetzen des Mindestlohns für Flüchtlinge aus. „Wir haben doch schon die Ausnahme, dass der Mindestlohn für Menschen, die vorher lange Zeit arbeitslos waren, im ersten Jahr nicht gilt“, sagte Spahn der „Rheinischen Post“. Dies könne analog für Flüchtlinge gelten.
Unorthodoxe Methoden aus dem Instrumentenkasten der Wirtschaftsliberalen
Ähnlich äußerte sich Agrarminister Christian Schmidt. Bei der Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt seien „auch unorthodoxe Maßnahmen nötig“, sagte [4] Schmidt der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Er denke an eine Bezahlung von Flüchtlingen, die sich zunächst an die von Auszubildenden anlehne. „Wer noch nicht vollwertige Arbeit leistet, zum Beispiel aufgrund fehlender Sprachkenntnisse oder in einer Anlernphase, kann nicht den vollen Lohn erwarten“, begründete er die partielle Aussetzung des Mindestlohns.
Unorthodox sind die Maßnahmen mitnichten, sie passen sehr gut zur Orthodoxie der Kräfte, deren größte Sorge immer darin besteht, die Märkte und den Dax nicht zu verärgern. Noch will die SPD sich zumindest offiziell der Forderung nach Aussetzung des Mindestlohns nicht anschließen. Schließlich handelt es sich um ein sozialdemokratisches Renommierprojekt, mit dem die SPD-Spitze sicher auch in die kommenden Landtags- und Bundestagswahlen ziehen will. Die SPD hat so viel auf der Habenseite nicht anzubieten.
Für wen der „Mindestlohn für alle“ nicht gilt
Auch wenn Andrea Nahles überall verkündet, sie und ihre Partei hätten den Mindestlohn für alle durchgesetzt, sind eine ganze Reihe von Lohnabhängigen nicht mit einbezogen. Dazu gehören Zigtausende Beschäftige in den Justizvollzugsanstalten. Das hat das schnelle Wachstum der Gefangenengewerkschaft [5] bewirkt, die mittlerweile auch eine Frauensektion hat und mit ihrem österreichischen Zweig [6] auch transnational aufgestellt ist. Demnächst wollen Gefangene in der JVA Butzbach in den Hungerstreik [7] für die Forderungen der Gefangenengewerkschaft gehen.
Gerade die Wut darüber, vom Mindestlohn, der angeblich für alle gelten soll, ausgeschlossen zu sein, hat der Gefangenengewerkschaft Schwung gegeben. Unterstützer der Geflüchteten könnten sich daran ein Beispiel nehmen und mit Gewerkschaften kooperieren, damit aus Geflüchteten Kolleginnen und Kollegen werden.
Solche Kooperationsmöglichkeiten gibt es sowohl in einigen Einzelgewerkschaften des DGB, besonders bei der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. Dort sind 2013 Geflüchtete aus der Gruppe Lampedusa in Hamburg [8] eingetreten und haben für heftige Kontroversen innerhalb des DGB [9] gesorgt. Denn es haben sich Gewerkschafter auf verschiedenen Ebenen dafür eingesetzt, dass Geflüchtete Gewerkschaftsmitglieder werden können. Die Basisgewerkschaften FAU [10] und IWW [11] haben diese Probleme nicht, weil es dort selbstverständlich ist, dass Lohnabhängige aus unterschiedlichen Ländern Gewerkschaftsmitglieder werden können.
Die Flüchtlingsunterstützer sollten die Ansagen aus den Wirtschaftskreisen ernst nehmen und beginnen, die Geflüchteten in verschiedenen Sprachen über ihre Rechte aufzuklären und sie bei derDurchsetzung am Arbeitsplatz zu unterstützen. Das sollte schon deshalb schnell geschehen, weil die Chancen in einer Zeit günstiger sind, in der die Menschen noch zusammen in den Aufnahmeeinrichtungen zu erreichensind und noch nicht verstreut und isoliert an ihren Arbeitsplätzen.
Noch längst nicht alle Unterstützer aus der Flüchtlingssolidarität ist die Problematik überhaupt bewusst. Zu oft findet sich dort noch immer der moralische Diskurs vor den hilflosen Menschen, die Schutz brauchen. Viele Migrationsforscher beschreiben realitätsnäher viele junge Geflüchtete als Scouts, die auf der Suchenach einem besseren Leben sind und in Europa die Chancen erkunden sollen. Solche Tatsachen könnten den Widerstand der Flüchtlingsgegner noch stärken, lautet die Begründung für die moralische Argumentation.
Da nimmt man sich ein Vorbild an die Werbekampagne der Afrikahilfe, wo in der Regel kleine Kinder mit großen Augen auf den Rücken ihrer Mütter vor Hütten stehen. Dass ein Großteil der Menschen in Afrika heute in oder am Rande von Großstädten lebt, wird außer Acht gelassen. Ein Jugendlicher in einem Internetcafé regt vielleicht weniger zu Spenden an. Doch ist das ein Grund, die Realität zu retuschieren? Vielleicht ist mancher Flüchtlingsunterstützer nur bereit, einem Menschen zu helfen, wenn er ihn für hilflos hält, aber nicht einem Menschen, der bewusst ein besseres Leben für sich und seine Angehörigen sucht?
Billiglöhner für die digitale Bohème?
Ein Freund von Flüchtlingen zumindest hat sich ehrlich gemacht. Der Taz-Redakteur Jan Feddersen hat auf einer Diskussion im Taz-Cafe kategorisch erklärt, dass die Aussetzung des Mindestlohns für Geflüchtete kommen wird und dass er als bekennender Sozialdemokratmit grünalternativer Vergangenheit das sehr begrüßt. Es sei wichtig, dass die Menschen etwas zu tun haben und der Lohn sei dabei nicht entscheidend, so seine Begründung.
Sie blendet aus, dass die Geflüchteten so zu Menschen mit minderen Rechten gemacht werden und dass damit eine weitere Runde im Dumpingwettbewerb im Niedriglohnsektor eingeleitet wird. Zudem wird hiermit ein Prozess der Entsolidarisierung zwischen alten und neuen Lohnabhängigen geradezu forciert. Doch auch Feddersens Forderung bedient die Interessen einer digitalen Boheme, die ihre Hausgehilfen, Kinderbetreuer, Pizzadienste, Gärtner und nicht zuletzt die Pflegekräfte ihrer Angehörigen gerne kostengünstig aus allen Teilen der Welt haben will.Nun ist die Auswahl gewachsen und mit der Aussetzung des Mindestlohns soll gewährleistet werden, dass ihre Arbeitskraft billig bleibt.
Das Motto der Diskussionsveranstaltung, auf der Feddersen seine Thesen vorstellte, hieß übrigens „Die schwarze Republik und das Versagen der deutschen Linken“. Es ist der Buchtitel [12] des Redakteurs der „Blätter für deutsche und internationale Politik“Albrecht von Lucke. Dort plädiert er für eine Kooperation von SPD, Grünen und Linkspartei als einer Alternative zur Merkel-Politik.
Warum ausgerechnet eine solche Alternative von politischen Parteien kommen soll, die selber Akteure dieser kritisierten Politik sind, wäre eine Frage an den Autor. Doch Albrecht von Lucke ist zuzustimmen, dass es das Versagen einer gewerkschaftlichen und außerparlamentarischen Linken wäre, wenn sie nicht zumindest den ernsthaftenVersuch unternehmen würde, allen Pläne, den Mindestlohn für Geflüchtete auszusetzen, ob sie nun vom Arbeitgeberverband, dem Mittelstand oder der digitalen Boheme kommen, eine entschiedene Absage zu erteilen.
http://www.heise.de/tp/news/Refugees-als-billige-Arbeitskraefte-willkommen-3025031.html
Peter Nowak
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Deutsche Willkommenskultur, doch mehr als ein Spätsommermärchen 2015?
Die Refugee-Welcome-Bewegung diskutierte in Berlin über grundlegende Ansätze nach bisherigen Erfahrungen
Nach den Anschlägen von Paris und der nachfolgenden Terrorangst von Brüssel bis Hannover sind die Probleme der Geflüchteten in den Medien in den Hintergrund getreten. Pegida und andere Rechtspopulisten trumpfen mit der Geste „Wir haben es schon immer gewusst“ auf. Oft wird sogar den Menschen, die teilweise ebenfalls vor islamistischen Terror fliehen, eine Mitverantwortung für die Anschläge gegeben. Eine weitere Verschärfung der Asylgesetzgebung ist in Vorbereitung.
Doch wie reagieren die Teile der Bevölkerung, die noch vor wenigen Wochen an Bahnhöfen deutscher Städte standen und die Geflüchteten nicht nur willkommen hießen, sondern auch tatkräftig spendeten und für die Erstversorgung sorgten? Dieser Frage widmete sich kürzlich in Berlin auf Einladung des Hate-Magazins [1] eine Diskussionsveranstaltung [2]. Die drei Podiumsgäste aus der Refugee-Welcome-Bewegung setzen durchaus unterschiedliche Akzente.
Die zivilgesellschaftliche Initiative „Moabit hilft!“ [3] gehörte zu den ersten Gruppen, die rund um die Uhr die Erstversorgung und Betreuung der ankommenden Flüchtlinge vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales [4] organisierten. Christine Beckmann, eine der Mitbegründerinnen der Initiative berichtete, dass zeitgleich zu der Diskussion mindestens 150 Geflüchtete am Lageso anstanden, um am nächsten Tag einen Termin für ihre Registrierung zu bekommen.
Sie habe oft erlebt, wie verzweifelt Flüchtlinge waren, wenn sie nach stundenlangen Anstehen, mit einem Stempel weggeschickt wurden, der ihnen bescheinigt, dass ihr Fall noch nicht bearbeitet werden konnte und sie erneut zum stundenlangen teilweise, sogar nächtlichen Anstehen verurteilte. Beckmann spricht von massenhaften Verletzungen der Grundrechte der Geflüchteten und einer Dreiklassenkultur vor dem Lageso. Die unterschiedlichen Flüchtlingsgruppen werden auch unterschiedlich behandelt, was zu Unmut und teilweise Streit auch unter den Geflüchteten führt.
„Es gibt Deutschland nicht ohne Rassismus“
Während Beckmann betonte, dass die Flüchtlingshilfe keine explizit linke Angelegenheit ist und sie deshalb in diesem Zusammenhang auch innerlinke Debatten wenig interessieren, ging es Joshua Schulz genau darum. Er vertrat auf der Diskussion die von der Berliner Naturfreundejugend [5] initiierte antirassistische Kampagne „Deutschland demobilisieren“. Ihr Ziel ist es, innerhalb der außerparlamentarischen Linken einen Gegenpol zur einem Refugee-Welcome-Patriotismus zu schaffen, der im Spätsommer propagiert wurde und später in Merkel-Welcome-Bekundungen mündete.
So wie Anfang September manche den Wunsch verspürten, stolz auf Deutschland zu sein, so bekundeten sie einige Wochen später, mit der gleichen Geste den Tabubruchs, dass sie auf einmal Merkel gut finden. Für nicht wenige war die Flüchtlingskrise nur das Vehikel, um doch noch im politischen Mainstream anzukommen. Dagegen setzt die Kampagne „Deutschland demobilisieren“ [6] die Erkenntnis, dass der Rassismus zu Deutschland auch in den Tagen der Willkommenskultur gehörte.
Die Initiative hat in den letzten Monaten in verschiedenen Teilen Deutschlands gegen eine rassistische Mobilisierung von Neonazis, aber auch der rechten Zivilgesellschaft interveniert. Bei der Fülle der rassistischen Aktivitäten sei es allerdings nicht möglich, auf alle Aktionen zu reagieren, betont Schulz. Für seine Initiative sei es wichtig, bei den Bildern über die deutsche Willkommenskultur die rassistische Mobilisierung nicht zu vergessen.
Diese Aufmärsche einfach zu ignorieren, sei politisch fatal, betont Schulz und verwies auf eine rechte Initiative, die in den Chemnitzer Stadtteil Einsiedel wochenlang ein Gebäude blockierten [7], die als Flüchtlingsunterkunft vorgesehen war. Die örtlichen Antifagruppen hätten nicht zu Gegenaktionen aufgerufen, um die Rechten nicht aufzuwerten. Doch sie zogen sich nicht zurück, sondern sehen sich in ihrer Aktion bestätigt und haben die Blockaden sogar noch ausgeweitet, berichtet Schutz.
Peter Schaber vom linken lowerclass-Magazin [8] hingegen riet dazu, nicht auf jede Aktion gegen Geflüchtete zu reagieren. Er regte dagegen eine stärkere Organisierung mit Geflüchteten an. Dabei führte er als Beispiel die kurzzeitige Besetzung eines leerstehenden Gebäudes der Technischen Universität Berlin Anfang September an, das als soziales Zentrum mit Schwerpunkt Flüchtlingsselbstorganisierung dienen sollte, aber bereits nach wenigen Stunden geräumt wurde [9] .
In Göttingen hat die Besetzung eines ehemaligen DGB-Hauses [10] mit ähnlicher Zielsetzung sogar die Chance, mehr Zeit zu bekommen [11] für die Umsetzung ihrer Vorstellung einer Flüchtlingsselbstverwaltung. Hier zeigten sich auch die größten Differenzen am Podium. Das wurde auf die kritische Nachfrage einer Frau aus dem Publikum deutlich, warum keine Geflüchteten am Podium saßen.
Während Beckmann doch eher in einen paternalistischen Ton abglitt, als sie Geflüchteten in erster Linie als traumatisierte vor Angst zitternde Menschen darstellte, denen eine solche Diskussion nicht zuzumuten sei, erklärte Peter Schaber, die syrischen Geflüchteten aus seinem politischen Umfeld hätten es vorgezogen, bei dem Plenum eines ehemals besetzen Hauses aufzutreten, das zeitgleich mit der Podiumsdiskussion stattfand.
Schaber erinnere auch an Protestaktionen [12] afghanischer Geflüchteter vor dem Lageso gegen das dortige Prozedere. Einige von ihnen haben sich am 19.11. am Berliner Refugee- Schul- und Unistreik [13] aktiv beteiligt. Leider wurde kein Bezug auf das mehrere Monate bestehende antirassistische Zentrum [14] an der TU-Berlin vor fast 15 Jahren genommen, das auch durch eine Besetzung von Flüchtlingen und solidarischen Unterstützern entstanden ist. Auch damals wurden die Geflüchteten als gesellschaftlich handelte Subjekte wahrgenommen.
Wenn aus Refugees Kolleginnen und Kollegen werden
Peter Schaber hat auch einige Impulse für die Frage gegeben, wie eine Perspektive der Refugee-Welcome-Bewegung aussehen könnte.
Dabei betonte Schaber, dass eine solche Organisierung noch am Lageso beginnen müsste, wo die Menschen noch zusammen sind. In ihren dann wahrscheinlich prekären Arbeitsverhältnissen wären sie vereinzelt und es wäre schwieriger, sie zu erreichen Leider wurde diese Anregung nicht vertieft.
Enttäuschend war, dass die Anfragen aus dem Publikum nicht aufgegriffen wurden, welche Rolle dabei die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di spielen könnte. Die Moderation Nina Schulz vom Hate-Magazin bekundete, sie habe sich mit der Gewerkschaft nicht befasst und die sei ihr auch nicht besonders sympathisch. „Ist die noch klassenkämpferisch“, fragte sie eher rhetorisch und damit war das Thema bereits abgehakt. Natürlich stimmt es, das der verdi-Vorstand nicht klassenkämpferisch ist, aber galt das nicht auch für die meisten der am Podium vertretenen Gruppen und für einen Großteil der außerparlamentarischen Linken?
Dabei wäre über das Thema Gewerkschaften und Papierlose sicher mehr zu sagen gewesen. Die Diskussion darum wurde von dem Netzwerk respect [15] schon vor mehr 10 Jahren geführt [16]. In den letzten Jahren hat die Aufnahme von Geflüchteten bei der Dienstleistungsgewerkschaft [17] ver.di in Hamburg auch gewerkschaftsintern für heftige Diskussionen gesorgt. Es gab an der Gewerkschaftsbasis zahlreiche Initiativen, die sich für eine erleichterte Mitgliedschaft von Geflüchteten in den DGB-Gewerkschaften aussprachen.
Auch außerhalb des DGB gibt es mit der Freien Arbeiter Union [18] und ihrer in einigen Städten sehr aktiven Foreigners-Sektion [19] Ansprechpartner. Zudem haben sich in einigen Städten mittlerweile Gruppen der Industrial Workers of the World [20], die ebenfalls Lohnabhängige ohne Passkontrolle aufnehmen. Ansprechpartner für eine gewerkschaftliche Organisierung von Migranten gäbe es also durchaus Dass das Thema bei der Diskussion so schnell abgehakt wurde, liegt denn wohl auch an der Gewerkschaftsferne außerparlamentarischer Linker.
http://www.heise.de/tp/news/Deutsche-Willkommenskultur-doch-mehr-als-ein-Spaetsommermaerchen-2015-3010437.html
Peter Nowak
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Kämpferische Basis
Neue Broschüre zu »Direct Unionism« erschienen
Die Gewerkschaftslandschaft ist auch in Deutschland im Umbruch. Immer häufiger mischen neben den DGB- und Berufsgewerkschaften auch Basisgewerkschaften mit. Die anarchosyndikalistische Freie ArbeiterInnen Union (FAU) hat in den letzten Jahren mehrere Arbeitskämpfe geführt. In einigen deutschen Städten haben sich Ortsgruppen der Industrial Workers oft the World (IWW) gegründet. Jetzt hat die IWW unter dem Titel »Direct Unionism« eine 58-seitige Broschüre vorgelegt, in der sie ihre Grundsätze vorstellt.
Die IWW war unter den Namen »Wobblies« vor knapp 100 Jahren eine kämpferische Gewerkschaftsbewegung in den USA, die bekämpft und in die Defensive gedrängt aber nie ganz zerschlagen wurde. In den letzten Jahren haben sich in den USA, Großbritannien und Spanien wieder Gewerkschafter auf die Organisationsgrundsätze der IWW berufen. In der Broschüre wird an diese Erfahrungen angeknüpft und versucht eine »Strategie für Basisgewerkschaften auf der Höhe der Zeit« zur Diskussion zu stellen, wie es im Untertitel heißt.
Die Grundsätze des Direct Unionism werden auf den ersten Seiten formuliert: Sie schlagen vor, »dass Mitglieder der IWW daran arbeiten sollen, Netzwerke von Aktivisten in den Industrien aufzubauen, in denen sie arbeiten, statt auf Tarifverträge, Gewerkschaftswahlen und rechtliche Auseinandersetzungen zu zielen«. Die Ablehnung von Gewerkschaftsbürokratien und einer Verrechtlichung von Arbeitskonflikten sind zentral im IWW-Konzept.
In der Broschüre werden exemplarische Arbeitskämpfe, die nach diesen Grundsätzen geführt wurden, vorgestellt. Dabei werden aber auch die Probleme und Niederlagen nicht verschwiegen, die mit einer Gewerkschaftsarbeit, die sich ganz auf die eigenen Kräfte verlassen will, verbunden ist. So widmet sich ein Kapitel der Frage, wie eine der Basisdemokratie verpflichtete Gewerkschaft reagieren soll, wenn die Mehrheit der streikenden Kollegen einen Tarifvertrag einfordert. Hier, wie auch an vielen anderen Punkten, beispielsweise der Wahl von Betriebsräten, empfehlen die Autoren einen pragmatischen Umgang.
Ein großer Pluspunkt der Broschüre ist ein nachdenklicher Ton, der auch eigene Irrtümer mit einkalkuliert und nicht mit den Anspruch antritt, das Rezept für eine unbedingt erfolgreiche Gewerkschaftsarbeit in der Tasche zu haben. Es handelt sich eher um das Angebot, über ein in Deutschland noch wenig bekanntes Gewerkschaftskonzept zu diskutieren. Es sollte auch von den Kollegen angenommen werden, die ihm kritisch gegenüberstehen.
Die Broschüre kann unter dasND.de/Basis bei sricbd.com nach Anmeldung kostenlos heruntergeladen werden. Die gedruckte Ausgabe kann unter versand@wobblies.de gegen Spende bestellt werden.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/990996.kaempferische-basis.html
Peter Nowak
»Wir haben es schon lange satt«
Am Donnerstag protestierten Kantinenbeschäftigte der Firma Eurest gegen schlechte Arbeitsbedingungen
Bei der Cateringfirma Eurest ist die Stimmung schlecht. Das gilt nicht nur bei den Arbeitsbedingungen, Streit gibt es auch über die Frage der Organisierung.
»Nach der Arbeit bei Eurest gehen wir noch putzen, um unseren Kindern auch einmal etwas kaufen zu können«, erklärt eine Beschäftigte der Cateringfirma. Doch die Belegschaft belässt es nicht bei diesen Klagen, am Donnerstag haben sie mit einem Aktionstag ihren Protest auf die Straße getragen. Demonstrationen gab es unter anderem in Köln und Frankfurt am Main, aber auch in London und New York.
Besonders aktiv sind die Kantinenbeschäftigen bei der Commerzbank in Frankfurt am Main. Zu ihren zentralen Forderungen, die am Donnerstag auf Transparenten zu lesen waren, gehört die Übernahme aller Kantinenbeschäftigten der von Schließung bedrohten Filialen der Commerzbank und ein Ende der Auslagerung. »Die Commerzbank soll ihre Kantinen wieder selbst betreiben«, fordert Betriebsrat Harald Stubbe. Er hatte 2008 für Aufsehen gesorgt.
Unzufriedenheit mit der Branchengewerkschaft
Der langjährige Betriebsratsvorsitzende der Eurest-Kantine bei der Commerzbank Frankfurt am Main war nach 20 Jahre Mitgliedschaft in der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) zur Gewerkschaft Industrial Workers of the World (IWW) übergetreten. Auch andere aktive Kollegen wechselten die Gewerkschaft. Hintergrund war ihre Unzufriedenheit mit dem zwischen Eurest und der NGG aushandelten Haustarifvertrag. Seitdem ist die IWW, die in Deutschland vorher kaum in Erscheinung getreten war, aber in den USA als Wooblies bekannt ist, im Kampf der Kantinenbeschäftigten ein wichtiger Akteur. Auch der Aktionstag am Donnerstag war von der IWW in verschiedenen Ländern unterstützt worden.
Eurest als große, glückliche Familie? Redner wiesen auf der Kundgebung in Frankfurt am Main diese offizielle Firmenideologie zurück: »Wir haben das zunächst geglaubt. Dann haben sie die Springer abgeschafft und wir haben deren Arbeit mitgemacht, wenn jemand fehlte. Wir arbeiteten immer schneller. Wir haben sogar gearbeitet, wenn wir krank waren. In einer Familie – so dachten wir – hilft man sich gegenseitig«, brachte eine Kantinenmitarbeiterin unter Applaus die Stimmung großer Teile der Belegschaft auf den Punkt. Andere beklagten sich über Bespitzelungen und Schikanen der Belegschaft.
In weiteren Redebeiträgen wurde deutlich, dass es diese Probleme nicht nur bei Eurest gibt. »Ob der Arbeitgeber Eurest, Aramark, Sodexo oder sonst wie heißt, ist uns egal. Sie zahlen alle zu wenig«, wurden auch die Arbeitsbedingungen anderer Cateringfirmen kritisiert.
Streit um kostenloses Kantinenessen
Und auch die Gewerkschaft NGG wurde von der Kritik nicht ausgespart. »Dort wurde verlangt, dass wir unseren Beitrag bezahlen. Besser geworden ist dadurch aber nichts. Deshalb haben wir uns in der Basisgewerkschaft IWW organisiert«, wirbt ein Redner. Wie Heiner Stuhlfauth von der IWW-Köln gegenüber »nd« bestätigt, ist das Interesse unzufriedener NGG-Mitglieder an der IWW nach wie vor groß.
Ein konkreter Streitpunkt: Seit Jahresanfang gibt es für die Kantinenarbeiter von Eurest kein bezahltes Frühstück und Mittagsessen mehr. Der mehrheitlich von NGG-Mitgliedern besetzte Eurest-Gesamtbetriebsrat habe kurz vor Weihnachten dieser Regelung zugestimmt, kritisierten die Demonstranten. Sie befürchten als Konsequenz zunehmende Kontrollen und mögliche Bagatellkündigungen, wenn ein Beschäftigter ein Brötchen essen sollte. Eine zentrale Forderung war deshalb die Weitereinführung der kostenlosen Mahlzeiten für Kantinen- und Küchenpersonal.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/216742.wir-haben-es-schon-lange-satt.html
Peter Nowak
Die Unsichtbaren fordern Rechte
Kantinenbeschäftigte in NRW und Hessen wehren sich gegen schlechte Arbeitsbedingungen
Bei ihren Protesten gegen schlechte Arbeitsbedingungen beim Kantinenbetreiber Eurest erhalten die Beschäftigten auch Unterstützung von der weltweiten Gewerkschaft IWW.
»Ohne Mampf kein Kampf«, lautet ein vielzitierter Kalauer in linken Kreisen. In den vergangenen Monaten haben KantinenmitarbeiterInnen in Hessen und NRW deutlich gemacht, dass der Spruch auch umgestellt werden kann. „Ohne Kampf kein Mampf“ sagten sich Beschäftigte der Ford-Kantine des Ford-Entwicklungswerks in Köln-Merkenich. Sie gründeten zusammen mit sozialen Initiativen sogenannte Küchenkomitees. Diese Bündnisse warfen dem Kantinenbetreiber Eurest schlechte Arbeitsbedingungen und Mobbing in der Ford-Kantine vor. Mit ihrer Mobilisierung erreichten sie eine Öffentlichkeit über Deutschland hinaus. So bekamen die Beschäftigten der Kölner Fordkantine bei einem Aktionstag am 8. Februar 2010 sogar internationale Unterstützung. An diesem Tag organisierten die Küchenkomitees nicht nur in Frankfurt/Main, Saarlouis und Köln, sondern auch in New York und London Protestaktionen vor Eurest-Filialen. Unterstützt wurde der Kantinenkampf von der Industrial Workers of the World (IWW), die in Deutschland bisher kaum in Erscheinung getreten ist. In den USA hat sich die IWW, besser bekannt als Wooblies, hingegen den Ruf einer kämpferischen Gewerkschaft erworben.
Von der NGG zur IWW
Bei manchen Kantinenbeschäftigten in Deutschland hat sich die IWW mittlerweile Sympathien erworben. Dass wurde 2008 deutlich, als mit weiteren aktiven Gewerkschaftern auch Harald Stubbe zur IWW übergetreten ist. Der langjährige Betriebsratsvorsitzende der Eurest-Kantine bei der Commerzbank Frankfurt/Main war 20 Jahre Mitglied der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG). Für sie sollte er 2008 als Mitglied der Tarifkommission den Haustarifvertrag zwischen Eurest und der NGG mit aushandeln. Die Kollegen hätten kampflos alles abgenickt, was von der Geschäftsleitung kam, lautet der Vorwurf, den Stubbe zum Gewerkschaftsübertritt veranlasst hat. Die Auseinandersetzungen des Kantinenpersonals hätten sich bisher auf Köln und Frankfurt konzentriert, aber die Arbeit der IWW werde bundesweit wahrgenommen, erklärte Stubbe gegenüber ND. „Je schlechter die Abschlüsse von NGG und je höher der Arbeitsdruck in den Betrieben, desto mehr Anfragen gibt es“, betont Stubbe, der im Frühjahr 2010 auch als IWW-Aktivist wieder in den Betriebsrat gewählt worden ist. Der Umgang im Gesamtbetriebsrat sei auch von Seiten der NGG-Mitglieder entspannt, doch zwischen IWW und NGG gibt es keinen Kontakt, so Stubbe.
Schwierige Organisierung
Von einem Nichtverhältnis spricht auch Sylvia Arzten, die bei der NGG-Hessen für die Kantinenbeschäftigten zuständig ist. Sie kann Stubbes Schritt nicht verstehen. Schließlich sei die IWW nicht tariffähig, erklärte sie gegenüber dem ND. Die NGG sei mit der Mitgliederentwicklung im Kantinenbereich zufrieden. Allerdings sei es oft nicht einfach, die dort Beschäftigten, überwiegend Frauen und migrantische Arbeitskräfte, zu organisieren. Da die Kapazitäten der NGG angesichts der geringen Zahl der Hauptamtlichen begrenzt seien, müsse die Initiative von den Beschäftigten ausgehen, so Arzten.
Die nächsten Konflikte im Kantinensektor sind schon abzusehen. Eurest werde weiter versuchen, Kostensenkungen auf dem Rücken der Belegschaft durchzusetzen.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/175341.die-unsichtbaren-fordern-rechte.html
Peter Nowak