Paarweise undogmatisch

Neuerscheinungen von Emmy und Roman Rosdolsky

„Mit permanenten Grüssen“ ist eine merkwürdige Form, sich in einen Brief zu verabschieden. Doch nur manchen dürften sich dabei an Trotzkis Theorie von der permanenten Revolution erinnert fühlen. Und damit liegen sie richtig. Emmy und Roman Rosdolksy, deren Leben das im Mandelbaum veröffentlichte Buch mit dem Titel gewidmet ist, hätten sich wohl selber nie als TrotzkistInnen bezeichnet Doch sie standen dem russischen Revolutionär nahe, wenn sie auch durchaus kritisch manche politische Wendung von Trotzki und noch mehr seinen EpigonInnen gegenüber gestanden haben. Wenn Roman Rosdolsky seine Briefe mit permanenten Grüsse unterzeichnete wird auch deutlich, dass er Humor und Selbstironie kannte. Das, wie im Mandelbaumverlag üblich, optisch sehr ansprechend gestaltete Buch macht die LeserInnen mit zwei MarxistInnen bekannt, die von früher Jugend bis an ihr Lebensende ihren Idealen treu geblieben sind. Roman Rosdolsky dürfte manchen als Pionier der Marxschen Werttheorie ein Begriff sein. Sein Buch „Entstehungsgeschichte des Marxschen ‚Kapital‘“ erfuhr in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren mehrere Auflagen und gilt als „Standwerk der Marxforschung“ (S. 375). Doch Rosdolksy starb, bevor das Buch veröffentlicht wurde. Auch einen geplanten Vortrag auf einer Internationalen Marx-Konferenz zum 100ten Jubiläum der Fertigstellung der ersten Kapital-Ausgabe in Frankfurt/Main konnte er nicht mehr halten. Wegen seiner Erkrankung musste er seine Teilnahme absagen und wenige Wochen darauf, starb er. So konnte er auch nicht mehr erleben, wie die Außerparlamentarische Linke in den USA und Europa Rosdolksy die Anerkennung zollte, die er Zeit seines Lebens oft vermisste. In dem Buch werden verschiedene Briefe zitiert, in denen Rosdolsky bezweifelte, ob sein Manuskript je veröffentlicht werden wird. Gelegentlich ob er den hohen Ansprüchen gerecht werden kann die die er an sein Buch stellte. Freunde und Genossen sprachen ihm immer wieder Mut zu. In de letzten Jahrzehnten war sein Name wieder vergessen. Mit diesem Buch zu seinem 50ten Todestag verschafft ihm und seiner Frau und Genossin ein Rosdolksy-Kreis wieder die verdiente Aufmerksamkeit und regt zur Beschäftigung mit seinen Schriften an. Im Rosdolsky-Kreis ist eine Runde hat sich eine Runde von Linken zusammengefunden, die über die Lektüre der „Entstehungsgeschichte des Marxschen ‚Kapital‘“ auf die beiden MarxistInnen aufmerksam geworden sind. Sehr erfreulich ist, dass sie Emmy Rosdolksy gleichberechtigt in dem Buch behandelt haben. Sie war schließlich selber von frühester Jugend an in der sozialistischen Bewegung engagiert und in den USA und in Österreich jahrelang in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit aktiv. Sie hat später mit ihren Gehalt mit dafür gesorgt, dass Roman Rosdolsky seine langjährigen Forschungen betreiben konnte.

Von frühester Jugend in der sozialistischen Bewegung seines Herkunftslandes Ukraine aktiv, nahm er sich nicht die Zeit für Studium und Ausbildung. Er beteiligte sich an den Auseinandersetzungen innerhalb der zersplitterten sozialistischen Bewegung am Vorabend der Russischen Revolution. Die politischen und gesellschaftlichen Konflikte im zerfallenden Habsburger Imperium der Jahre 1915/1918 werden in dem Buch gut vermittelt. Es ist so auch ein Buch über eine weitgehend unbekannte Geschichte der sozialistischen und kommunistischen Bewegung der frühen Ukraine. Es vermittelt die leidenschaftlichen Diskussionen der damaligen ukrainischen Linken über die Frage der nationalen Selbstbestimmung. Die Schriften des österreichischen Sozialdemokraten Otto Bauer wurden ebenso rezipiert wie die Texte on Lenin und Rosa Luxemburg. Hier vermitteln die AutorInnen einen lebendigen Überblick über eine linke Debatte, die einerseits zeitlich weit entfernt aber doch sehr aktuell scheint. Schließlich wiederholte sie sich nach 1989, als die Nationalstaaten erneut entstanden, die Debatte über die Sinnhaftigkeit von Nationalstaaten. Rosdolsky befasste sich auch früh mit der Geschichte der ukrainischen Bauern- und Landarbeiter in der Ukraine. Diese Schriften wurden wurde sogar in den späten 1950er Jahren in Polen veröffentlicht. Die AutorInnen gehen nicht weiter auf die Frage ein, wie es möglich war. War nicht bekannt, dass es sich um einen erklärten Kritiker der nominalsozialistischen Staaten handelte?

Schließlich sind die Rosdolskys 197in die USA ausgewandert, weil sie befürchteten in Österreich womöglich vom NKWD in die Sowjetunion in entführt und zu langjähriger Lagerhaft verurteilt zu werden. Ein Freund und Genosse des Ehepaars, der ebenfalls des Trotzkismus beschuldigt wurde, wurde aus Wien in die Sowjetunion entführt und war über Jahre in einen Lager in Sibirien eingekerkert.

Das Schweigen über Auschwitz

Über die persönlichen Angelegenheiten der Rosdolskys liest man in dem Buch wenig. Das Gerüst sind die Schriften und Diskussionsveranstaltungen. Ein eigens Kapitel nimmt die Verfolgungsgeschichte der Rosdolkys ein. Er war ein Jahr in Auschwitz inhaftiert und wurde von dort nach Ravensbrück, dann nach Sachsenhausen deportiert. Er gehörte zu denen Überlebenden eins Todesmarsches. „Immer derselbe Traum. Ich komme irgendwie wieder ins KZ, obwohl der Krieg schon aus ist, und ich muss die ganze Suppe noch mal auslöffeln“, vertraute t er viele Jahre später an seinen Freund, den Psychoanalytiker Ernst Federn, an (S.325). Seine Enkelin Diana Rosdolsky schreibt in einen Kapitel über das Schweigen über die Verfolgung und vor allem seine Verschleppung nach Auschwitz in seiner Familie. Er war als Kommunist und nicht als Jude inhaftiert worden, sah aber tagtäglich wie in der Todesfabrik Menschen vernichtet wurden. „In Auschwitz arbeitet Roman in einer Tischlerei, in welcher ständig darüber gestritten wird, ob die Fenster offen oder geschlossen gehalten werden sollen. Dies wird verständlich, angesichts des fürchterlichen Gestanks, brennender Leichen, die bei offenen Fenster umso ungehinderter in die Räume dringt“ (S. 332), schreibt Diana Rosdolsky.

Erstaunlicherweise wird in dem Buch Rosdolkys Schrift „Zur Analyse der Russischen Revolution“ nicht erwähnt, die er 1959 verfasst hat und die in den 1978 in Westberlin im Verlag Olle und Wolter herausgegebenen Buch „ Sozialismusdebatte. Historische Fragen und aktuelle Fragen des Sozialismus“ veröffentlicht wurde. Der Soziologe Christoph Jünke hat den Text in der vor einigen Monaten im neuen ISP-Verlag erschienenen Anthologie „Marxistische Stalinismuskritik im 20 Jahrhundert“ erneut veröffentlicht. In dem Text beschreibt Rosdolsky die ökonomische und politische Entwicklung in der frühen Sowjetunion. Er sieht in der tragischen Isolation der jungen Sowjetunion einen wesentlichen Grund für den Backlash des Stalinismus. In der Schrift verwahrte sich Rosdolksy gegen den von vielen TrotzkistInnen gebrauchten Begriff des degenerierten Arbeiterstaats für die Sowjetunion. Er hielt das für falsch, „weil in der Sowjetunion die Werktätigen selbst am wenigsten zu sagen haben und weil die herrschende Bürokratie alles dransetzt und setzen muss, um die Verwandlung des Staatseigentums in wahres Volkseigentums zu verhindern“. Am Ende der Schrift liefert Rosdolsky eine prägnante Einschätzung der sowjetischen Nomenklatura: „Sie haben in der langen Nacht der Stalin’schen Despotie die Sprache des revolutionären Marxismus restlos und hoffnungslos verlernt“ (S.296). Nicht die einzige Einschätzung von Rosdolky, die sich bestätigt hat. Es ist erfreulich, dass jetzt die Gelegenheit besteht sich mit den Leben und den Werken dieser zwei MarxistInnen gleich in mehreren Editionen vertraut zu machen. Neben der Arbeit von Christoph Jünke und dem Band des Mandelbaum-Verlags ist auch im Ca Ira-Verlag eine Neuedition von „Zur Entstehungsgeschichte des Marxschen „Kapital“ angekündigte, so dass hier Rosdolkskys besondere Verdiensten um den Zusammenhang zwischen Marxschen und Hegelschen Argumentationsfiguren am Originaltext nachgegangen werden kann- und auch den Grundlagen einer gegenüber orthodoxen Marx-Interpretationen in der Sozialdemokratie und dem Marxismus-Leninismus kritischen, nicht-ökonomistischen Lesart, die Teile der Neuentdeckung und -aneignung von Marx im Zuge der Studentenbewegung geprägt haben. Dass der Rosdolky-Kreis ihr Buch „Den Verdammten der Erde“ gewidmet hat, durfte ganz im Sinne der beiden Namensgeber sein. und erinnert an ein unabgegoltenes historisches „Projekt“.

Peter Nowak

Rosdolsky-Kreis
Mit permanenten Grüßen. Leben und Werk von Emmy und Roman Rosdolsky
Mandelbaum-Verlag, Wien 2017
22,00 €, 440 Seiten
ISBN: 978385476-662-9

Roskdolsky Roman
Zur Entstehungsgeschichte des Marschen Kapital. Der Rohentwurf des Kapital 1857 – 1858
Ca Ira Verlag, Freiburg (Im Erscheinen), ca. 600 Seiten
ISBN: 978-3-86-259-129-9

Jünke Christoph (Hrsg.)
Marxistische Stalinismus-Kritik im 20. Jahrhundert. Eine Anthologie
Neuer ISP-Verlag, 2017
29,80 €, 616 Seiten
ISBN: 978-3-89900-150-1