Solidarität mit gefangenen Arbeiterinnen


Frauendemo in Chemnitz vor die JVA

Die Frauen brachen in großen Jubel aus, als sie die Demonstration hörten. In der nächsten Stunde sollte das Rufen und Winken nicht abebben. Schließlich wurden sogar Bettlaken kurzerhand in Transparente umfunktioniert und abgewickeltes Toilettenpapier flog über den Gefängnishof. Einige Papiere waren sogar angezündet worden.

Diese Begrüßungsszenen bildeten den Endpunkt einer Demonstration, die vom Chemnitzer Hauptbahnhof zur JVA für Frauen am Stadtrand von Chemnitz führte. Auf der knapp 6 Kilometer langen Route wurden immer wieder Parolen für die Abschaffung aller Knäste skandiert.

Schließlich waren es vor allem libertäre und anarchistische Gruppen, die am 8.März, dem Internationalen Frauentag, zur Demonstration vor der JVA aufgerufen hat. Zu den Organisatoren gehörten die FAU Dresden und Chemnitz sowie die Gefangenensolidarität Jena, die in den Monaten vor allem kämpfende Arbeiterinnen und Arbeiter hinter Gittern unterstützt. So werden Gefangene genannt, die sich gewerkschaftlich organisieren und für einen Mindestlohn und die Einbeziehung aller Gefangenen in die Rentenversicherung fordern.

Seit der Gründung im Jahr 2014 ist es der Gefangenengewerkschaft gelungen, in vielen Knästen Unterstützer zu finden. Bisher war vor allem von männlichen Gefangenen zu hören, die sich gewerkschaftlich organisierten. Das liegt auch daran, dass wesentlich mehr Männer als Frauen im Knast sind. Da war es besonders erfreulich, dass sich nun in der Chemnitzer JVA für Frauen ebenfalls eine aktive Gewerkschaftsgruppe gegründet hat. Der freudigen Begrüßung der Demo nach zu schließen, kann man hoffen, dass die Frauen den Knastalltag noch gehörig durcheinanderbringen. Schließlich haben sie sich mit ihrer lautstarken Begrüßung selbstbewusst gegen das Knastreglement durchgesetzt.

Die Polizei, die sich während der Demonstration zurückgehalten hatte, ging nach deren Auflösung brutal gegen die Teilnehmenden vor. Mehrere Demonstrierende wurden in Gesicht und Magen geschlagen, als sie sich nach der Auflösung nicht schnell genug entfernten. Dabei nutzte die Polizei einen Fehler bei der Demoanmeldung aus. Der Abschluss war am Knast und man hatte nicht bedacht, dass der total am Stadtrand lag. Die Polizei blockierte eine Straße, die zu einer Bahn geführt hätte. Zugleich verweigerte sie die Anmeldung einer Demo, die wieder in der Chemnitzer Innenstadt geführt hätte und drohte mit Verweis auf das sächsische Demonstrationsrecht mit der Räumung. Im Minutentakt wurden die drei Durchsagen bis zur gewaltsamen Räumung durchgesagt. Die Polizei bereitete sich schon auf eine Einkesselung der Demonstrierenden vor, als der Bus der Jenaer Demonstranten diese Pläne durchkreuzte. Er nahm alle Demonstranten auf und setzte sie vor dem Chemnitzer Hauptbahnhof ab.

So lieferte die sächsische Polizei am 8.März gegenüber einer völlig gewaltfreien Demonstration eine Lektion in sächsischem Landrecht. In der Nachbereitung zogen die Anwesenden trotzdem ein positives Resümee. Die Teilnehmerzahl lag über den Erwartungen. Doch vor allem der kämpferische Empfang durch die gefangenen Arbeiterinnen zeigte, dass die Demo ihr Ziel erfüllt hat, ihnen am 8.März Grüße zu überbringen und Gesellschaft zu leisten.

«Her mit dem ganzen Leben: Brot und Rosen!»

Die Demonstration war noch aus einem weiteren Grund wichtig. Sie knüpfte wieder an die Wurzeln des Internationalen Frauentags an, der eng mit der proletarischen Frauenbewegung verbunden ist. In der Geschichtsschreibung wird dabei immer die wichtige Rolle von Frauen wie Clara Zetkin hervorgehoben. Doch es haben sich auch Anarchosyndikalistinnen und in den USA Frauen aus der IWW daran beteiligt.

Die ökoliberale Taz brachte es fertig, in ihrer Sonderausgabe zum 8.März 2017 diese proletarischen Wurzeln des Internationalen Frauentags gänzlich zu übergehen. Während sich mehrere Interviews und Artikel um schillernde Begriffe wie Diversität drehten, die sowohl auf eine emanzipatorische Politik, aber auch auf einen neoliberalen Kapitalismus hinweisen können, spielte der Begriff «Solidarität» auf den Seiten der Taz keine Rolle. Wenn heute manche Frauen ausgerechnet zum 8.März mehr Managerinnen in Dax-Unternehmen fordern und darin einen Beitrag zur Frauenemanzipation sehen, ist es erfrischend, dass Menschen an diesem Tag vor die Frauenknäste ziehen, um sich mit denen zu solidarisieren, die besonders ausgebeutet werden und kaum Rechte haben: den inhaftierten kämpfenden Arbeiterinnen.

Am Ende verteilte eine Frau den Text des Liedes «Brot und Rosen», das, in vielen Sprachen gesungen, noch immer eine unaufgehobene Utopie besingt. «Her mit dem ganzen Leben: Brot und Rosen! Brot und Rosen!»

aus:Soz Nr. 04/2017

Solidarität mit gefangenen Arbeiterinnen

Peter Nowak

Niedriglohn per Tarifvertrag

»Equal Pay für LeiharbeiterInnen, diskriminierende Tarifverträge ersatzlos kündigen«, lauten die Forderungen in einem Offenen Brief, der von der Geschäftsführerin des Onlineportals Labournet, Mag Wompel, initiiert und von 37 Gewerkschaftern unterzeichnet wurde. Es ist der Versuch, in letzter Minute zu verhindern, dass ein Tarifvertrag für Leiharbeiter deren Schlechterstellung zementiert.

Am 30. November 2016 hatte sich in der 3. Verhandlungsrunde die DGB-Tarifgemeinschaft Leiharbeit mit den Interessenverbänden der Zeitarbeit auf einen neuen Tarifvertrag geeinigt. Damit wird jedoch ein wachsender Widerstand von Gewerkschaftern innerhalb des DGB ignoriert, ebenso wie von Basisgewerkschaften wie der Freien Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union (FAU) und den Industrial Workers of the World (IWW), die sich seit 2013 gegen den Tarifvertrag im Leiharbeitssektor positionieren.

Damals argumentierte der DGB noch, dass man mit den Tarifverhandlungen verhindern wolle, dass gelbe Gewerkschaften noch schlechtere Konditionen vereinbaren könnten. Doch dieses Argument zieht nicht mehr. Die Arbeitsgerichte haben diesen unternehmernahen Verbänden ihre Tariffähigkeit abgesprochen und die von ihnen geschlossenen Tarifverträge aufgehoben. Höchste Zeit für die DGB-Tarifgemeinschaft ihre selbst geschaffenen Tarifverträge zu kündigen. Dann würde automatisch das im Gesetz verankerte Prinzip des Equal Pay – also gleicher Lohn für gleiche Arbeit – gelten, argumentieren die Kritiker.

Sie fordern deshalb die Tarifkommission auf, das Tarifergebnis abzulehnen. Diese Möglichkeit bestünde bis zum 31. Januar. Zwar ist unwahrscheinlich, dass die Kommission dieser Forderung folgen wird. Trotzdem ist der Offene Brief in letzter Minute richtig. Er forciert auch innerhalb der DGB-Gewerkschaften noch einmal die Debatte, warum die Gewerkschaften durch einen Tarifvertrag zur Schlechterstellung von Beschäftigten beitragen.

Dass sich unter den Unterzeichnern des Offenen Briefes auch Mitglieder der Basisgewerkschaften FAU und IWW finden, macht deutlich, dass der DGB durchaus Konkurrenz bekommen hat. Sollte sich das bei den Leiharbeitern herumsprechen, könnte der Gewerkschaftsbund vielleicht noch einmal darüber nachdenken, ob der Tarifvertrag eine so gute Idee war.

Der DGB-Verhandlungsführer Stefan Körzell jedenfalls scheiterte an einer überzeugenden Erklärung, warum der Vertrag im Interesse der Leiharbeiter sein soll. Er machte nur deutlich, dass sich die Tarife durch eine überproportionale Erhöhung der unteren Entgeltgruppen am Ende der Laufzeit vom gesetzlichen Mindestlohn entfernt haben würden.

Die richtige gewerkschaftliche Antwort sollte jedoch sein: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit statt tarifierter Niedriglohn.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1039140.niedriglohn-per-tarifvertrag.htm

Peter Nowak

Doktortitel gegen Selbstausbeutung

UNI Zwei NachwuchswissenschaftlerInnen fühlen sich in einem Forschungsprojekt der TU gemobbt. Die Uni prüft noch, die Frauen gehen vor Gericht

Zum ersten Mal untersucht ein Forschungsteam die ökologischen Folgen der Monokultur in Uruguay“, heißt es auf einem Video
der Nachwuchsgruppe Rural Futures am Institut für Ökologie an der Technischen Universität  Berlin (TU). An dem von Ina Säumel geleiteten dreimonatigen interdisziplinären Forschungsvorhaben beteiligten sich im Winter 2015/2016 auch Gimena
V. und Maria T. Die Nachwuchswissenschaftlerinnen aus Ecuador und Argentinien wollten so ihre wissenschaftliche Biographie
mit einem Doktortitel abschließen. Doch daraus ist bis heute nichts geworden. „Seit Monaten wissen wir nicht, wie es mit
uns weitergeht, obwohl wir uns an zahlreiche Instanzen der TU gewandt haben“, klagt T. gegenüber der taz. „Niemand redet
mit uns. Wir fühlen uns gemobbt“, ergänzte ihre Kommilitonin V. Die beiden hatten sich mit einer weiteren Nachwuchswissenschaftlerin aus Argentinien, die nicht an die Öffentlichkeit treten will, über die Arbeitsbedingungen während des Forschungsprojekts beschwert. Die Differenzen begannen schon bei der Vorbereitung. „Uns wurde mitgeteilt, dass wir
die Tagesgelder für das Projekt selber aufbringen und uns auch um die Kranken- und Unfallversicherung kümmern müssten“,

berichtet T. Als sich die Wissenschaftlerinnen über die rechtliche Lage informieren wollten, sei ihnen von der Projektleitung untersagt worden, ohne Genehmigung andere Stellen zu kontaktieren. Die Probleme wuchsen, nachdem das Projekt in Uruguay begonnen hatte. Die Frauen beschwerten sich über ständige Überarbeitung: „Wir hatten kaum freie Tage und mussten jede Pause gegen den Widerstand der Projektleiterin und ihres Ehemanns durchsetzen.“ Auf Kritik habe die Projektleitung geantwortet: „Wenn wir den deutschen Doktortitel haben wollen, sollten wir uns nicht so anstellen“. Noch in Uruguay schickten
die Frauen eine Mail an die Basisgewerkschaft FAU. Dort sei ihnen geraten worden, die Unigremien zu informieren. Doch statt

der Verbesserung ihrer Arbeitssituation mussten die Wissenschaftlerinnen daraufhin nach Berlin zurückkehren. Seitdem wissen sie nicht, wie es mit ihrer wissenschaftlichen Arbeit weitergeht. Wir beschäftigen uns sehr intensiv mit dem Fall“, sagt die Pressesprecherin der TU Stefanie Terp. Zur Klärung werde ein Teamcoaching durchgeführt, das die Konflikte aufarbeite
und Möglichkeiten suche, zu einer konstruktiven Zusammenarbeit zurückzukehren. „Solange dieser Prozess nicht abgeschlossen ist, können wir keine Aussage über den Ausgang treffen“, betont Terp. Die jungen Wissenschaftlerinnen
wollen in den kommenden Tagen mit Unterstützung der FAU eine Klage auf Schadenersatz für die entstandenen
Kosten und die Versetzung in ein anderes Projekt einreichen. Mittlerweile haben sich auch die Botschaften Ecuadors und
Argentiniens eingeschaltet.

aus Taz vom 10.10.2016

Peter Nowak

Im prekären Sektor gibt es eine Alternative zum DGB

Betr.: «Auf absehbare Zeit gibt es keine Alternative zu den DGB-Gewerkschaften», von Jakob Schäfer in SoZ Mai 2016

Es ist erfreulich, dass die SoZ eine Debatte über die linke Bewegung und Gewerkschaften initiiert hat. Schließlich wächst auch in Teilen der außerparlamentarischen Linken die Erkenntnis, dass Gewerkschaften für eine Transformation der Gesellschaft unverzichtbar sind.

Ein Teil vor allem der postautonomen Linken arbeitet in unterschiedlichen DGB-Gewerkschaften mit. Weil ein Großteil der außerparlamentarisch Aktiven im Bildungs-, Erziehungs-, Gesundheits- und Pflegebereich arbeitet, konzentriert sich ihr gewerkschaftliches Engagement auf die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di und die GEW. Mittlerweile setzt ein Teil davon die durch das politische Engagement erworbenen Kenntnisse beruflich als Organizer in Gewerkschaften ein. Vereinzelt gibt es auch schon hauptberufliche Gewerkschaftssekretäre aus der außerparlamentarischen Linken.

Ein anderer Teil der an gewerkschaftlichen Aktivitäten interessierten außerparlamentarischen Linken sieht hingegen diese Mitarbeit in DGB-Gewerkschaften kritisch. Sie verweist auf Erfahrungen aus der Gewerkschaftsgeschichte, wo immer wieder Impulse aus kritischen Bewegungen in die Gewerkschaftsapparate integriert wurden und wenige Konsequenzen für eine kämpferische Gewerkschaftspolitik hatten. Diese Widersprüche hat Jakob Schäfer in seinem Diskussionsbeitrag gut benannt.

«Auf der einen Seite sind sie Schutzmacht gegen die schrankenlose Herrschaft des Kapitals, indem sie der Unterbietungskonkurrenz von Belegschaften einen Riegel vorschieben, vor allem durch Tarifverträge, nach Möglichkeit landesweit. Zum anderen sind sie auch Ordnungsmacht, weil sie auch ein Element des Kapitalverhältnisses sind (mindestens dann, wenn Tarifverträge abgeschlossen sind), auch unabhängig von einer Politik der Klassenversöhnung (die allerdings für fast alle Gewerkschaften, auch außerhalb des DGB, die Regel ist).»

Diesen Ausführungen könnte ich zustimmen, wenn der Halbsatz in der Klammer nicht wäre. Es stimmt eben nicht, dass die Politik der Klassenversöhnung für fast alle Gewerkschaften außerhalb des DGB gilt. Für die meisten Spartengewerkschaften, wie den Marburger Bund oder die Gewerkschaft Cockpit trifft das sicher zu. Ihr manchmal verbalradikaler Ton bei der Durchsetzung von Forderungen für meist kampfstarke Segmente der Lohnabhängigen darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie keinerlei gesellschaftskritisches Konzept haben und selbst den Gedanken der Solidarität unterschiedlicher Segmente der Lohnabhängigen, der auch in den DGB-Gewerkschaften meistens Lippenbekenntnis bleibt, nicht einmal dem Anspruch nach verwirklichen wollen.

Anders sieht es bei den Basisgewerkschaften aus, die die in den letzten Jahren in vielen europäischen Ländern an Bedeutung gewonnen haben. In Deutschland ist hier neben den Industrial Workers of the World (IWW), die in einigen Städten Organisationsversuche unternehmen, die Freie Arbeiter-Union (FAU) zu nennen. Ihr ist es in den letzten Jahren gelungen, den Status einer anarchistischen Gruppe mit Gewerkschaftsanspruch abzulegen. Die SoZ gehörte zu den wenigen linken Zeitungen, die über den Arbeitskampf im Berliner Kino Babylon berichtet hat. Er hat dazu beigetragen, dass die FAU als Basisgewerkschaft wahrgenommen wird.

Ein aktueller Arbeitskampf, der von der FAU getragen wird, ist der Kampf der rumänischen Bauarbeiter bei der Mall of Berlin, die seit nun mehr fast zwei Jahren um ihren Lohn kämpfen. Die Auseinandersetzung macht die großen Probleme deutlich, die das Beschreiten des Rechtswegs für die Betroffenen bedeutet. Die Bosse gehen notfalls durch alle Instanzen und geben lieber viel Geld für Gerichtskosten aus, als dass sie die ausstehenden Löhne bezahlen. Wenn sie dann in allen Instanzen zu Zahlungen verurteilt wurden, melden die Subunternehmen Insolvenz an.

Am Beispiel der Mall of Berlin zeigt sich auch, dass eine DGB-Gewerkschaft für die Bauarbeiter keine Option gewesen wäre. Sie waren schließlich zuvor bei einer Beratungsstelle unter dem Dach des DGB. Dort wurde ihnen gesagt, dass sie einen Bruchteil ihrer Ansprüche erstattet bekämen, wenn sie auf alle weiteren Rechte verzichteten. Diejenigen Bauarbeiter, die das ablehnten, wandten sich danach an die FAU. Erst dadurch wurde die Kampagne der letzten beiden Jahre möglich; sie richtet auch über die Mall of Berlin hinaus den Fokus darauf, dass Lohnbetrug und Überausbeutung zum alltäglichen Geschäftsmodell im Kapitalismus gehören.

So wie die Bauarbeiter bei der Mall of Berlin haben sich auch viele andere Lohnabhängige vor allem im prekären Bereich zunächst vergeblich an eine DGB-Gewerkschaft gewandt, bevor sie dann in und mit der FAU für ihre Rechte kämpften – etwa Beschäftigte aus der Serviceabteilung der Heinrich-Böll-Stiftung, oder ein Mitarbeiter eines Spätkaufs in Berlin, der mehrere Jahre als eine Art Geschäftsführer auf Hartz-IV-Basis gearbeitet hat. In Jena haben Beschäftigte eines universitären Call-Centers mit der FAU einen Arbeitskampf begonnen.

Oft waren die Betriebe so klein, dass sie gar nicht ins Konzept des DGB gepasst hätten. Nun breiten sich solche prekären Arbeitsverhältnisse immer weiter aus. Lange Zeit galten diese Bereiche als für Gewerkschaften verloren. Die FAU hat in einigen Fällen gezeigt, dass auch hier Arbeitskämpfe möglich sind. Bärbel Schönafinger hat in dem Film Die Angst wegschmeißen am Beispiel des Arbeitskampfzyklus in der norditalienischen Logistikbranche gezeigt, was möglich ist, wenn eine Gruppe kampfentschlossener Beschäftigter auf eine Basisgewerkschaft stoßen, die den Kampf mit ihnen führen will. In diesem Fall waren es die Sin Cobas.

Von solchen Verhältnissen sind wir in Deutschland noch weit entfernt. Aber auch hier spielt die Musik eben nicht mehr nur in den fordistischen Großbetrieben, wo die DGB-Gewerkschaften noch die Hegemonie haben, auf die Schäfer in seinem Beitrag verweist. Vor allem im prekären Sektor haben sich auch in Deutschland basisgewerkschaftliche Ansätze als kampf- und streikfähig erwiesen und damit bewiesen, dass sie dort eine Alternative zum DGB sein können.

Im prekären Sektor gibt es eine Alternative zum DGB

von Peter Nowak*

* Der Autor hat im letzten Jahr im Verlag Edition Assemblage das Buch «Ein Streik steht, wenn mensch ihn selber macht. Arbeitskämpfe nach dem Ende der großen Fabriken» herausgegeben (112 S., 7,80 Euro).

Arbeitsrechte nur auf dem Papier

Sozialdumping in Deutschland vor allem durch das System des Subunternehmertums

»Wir fühlten uns wie in einem Arbeitslager. Die Unterkunft war schmutzig. An den Wänden war Schimmel.« Ein polnisches Ehepaar berichtet in dem Dokumentarfilm »Der Fleischalbtraum« über ihre Erfahrungen an einer Arbeitsstelle in der Nähe von Leipzig. Nach einer Zwölf-Stunden-Schicht in der Fleischverarbeitungsfabrik sollten sie noch Überstunden machen, Krankschreiben wurde mit Lohnabzug bestraft, und als ein Beschäftigter kündigte, wurde er verprügelt.

In dem Film von Magdalena Pięta-Stritzke und Michał Talarek, der am Samstag im Roten Rathaus Berlins Deutschlandpremiere hatte, berichten auch weitere Betroffene über Arbeitsbedingungen wie im Frühkapitalismus. Nach der Vorführung wurde der Bericht »Sozialdumping durch Subunternehmertum« vorgestellt. Die vom polnischen Sozialrat im Rahmen des EU-Projektes »Testing EU Citizenship as Labour Citizenship« erstellte Studie macht deutlich, dass den polnischen Beschäftigen Rechte verweigert werden, die sie als EU-Bürger eigentlich besitzen. Auch wenn die Rechtsverstöße nicht immer ein Ausmaß annehmen, wie es im Dokumentarfilm geschildert wird, so sind sie doch für die Betroffenen gravierend. Überstunden, Arbeitshetze, Dumpinglöhne und ein schlechtes Arbeitsklima gehören zu den Klagen.

Kamila Schöll-Mazurek, Politikwissenschaftlerin am Zentrum für Interdisziplinäre Polenstudien der Viadrina-Universität in Frankfurt (Oder), sieht die Gründe für die Diskriminierungen in einen fragmentierten Arbeitsmarkt in Deutschland. Das System der Scheinselbstständigkeit und der Subunternehmen habe bei der Etablierung schlecht bezahlter Arbeitsplätze eine besondere Bedeutung. In der Praxis werde es damit Beschäftigten schwer gemacht, ihre Rechte durchzusetzen, so die Wissenschaftlerin, die an der EU-Studie mitgewirkt hat. So bekamen Kollegen trotz gewonnener Lohnbetrugsprozesse ihr Geld nicht, weil die Subunternehmen Insolvenz anmeldeten. Mehrmals in der Debatte wurde an den Kampf der rumänischen Bauarbeiter erinnert, die bei der Errichtung des Einkaufszentrums »Mall of Berlin« um große Teile ihres Lohns betrogen wurden und trotz Öffentlichkeitskampagnen und gewonnener Prozesse bisher leer ausgingen.

Jochen Empen vom DGB-Projekt »Faire Mobilität« forderte als zentrale Maßnahme, um die Diskriminierung der Beschäftigten zumindest zu minimieren, eine transnationale Strafverfolgung. Diese solle es ermöglichen, Unternehmen bei Verstößen gegen die Arbeitsrechte über die Grenzen hinweg juristisch zur Verantwortung zu ziehen. Als weiteren Schritt zur Eindämmung von Diskriminierung und Lohnbetrug wird die Kettenhaftung der Unternehmen genannt. Vor allem in der Bauwirtschaft könne die verhindern, dass Beschäftigte ihren Lohn nie bekommen, weil die Subunternehmen Pleite gehen. Dann müsste das Generalunternehmen, das die Subunternehmen beauftragt hat, für die entgangenen Löhne haften.

In der anschließenden Diskussion wurde gefordert, dass die Unternehmen verpflichtet werden, Rücklagen zu bilden, damit die Löhne der Beschäftigten gesichert sind. In Österreich sind solche Gesetze bereits in Kraft, in Deutschland hat die Diskussion darüber mit Betroffenen, Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen erst begonnen. Doch viel wird auch davon abhängen, ob sich mehr Betroffene gewerkschaftlich organisieren und gegen schlechte Arbeitsbedingungen wehren.

www.neues-deutschland.de/artikel/1017345.arbeitsrechte-nur-auf-dem-papier.htm
Peter Nowak

Unmut im Unterbau

Lohndumping und Outsourcing gehören zum fragwürdigen Geschäftsmodell deutscher Universitäten. Um dies zu ändern, hat sich in Frankfurt am Main eine neue Basisgewerkschaft gegründet.

Lange haben Studierende und Beschäftigte an Universitäten nicht mehr mit Streiks auf sich aufmerksam gemacht. Das könnte sich ändern, zumindest in Frankfurt am Main. Dort hat sich in der vergangenen Woche eine Hochschulgewerkschaft gegründet, die sich Unterbau nennt. Dass es sich nicht um eines der vielen linken Hochschulprojekte handelt, die die Semesterfe­rien nicht überleben, zeigt schon der lange Vorlauf. Über ein Jahr lang hätten knapp 50 Beteiligte die Gründung vorbereitet, berichtet die Pressesprecherin von Unterbau, Anna Yeliz Schentke, im Gespräch mit der Jungle World. Ihr Kollege Manuel Müller betont, dass die neue Gewerkschaft basisdemokratisch organisiert sei, womit die Bürokratisierung verhindert werden solle. Damit unterscheide sie sich von den beiden DGB-Gewerkschaften Verdi und GEW, die im Bildungsbereich tätig sind. Zudem habe die neue Gewerkschaft ein Ziel, das über die reine Tarifpolitik hinausgeht. »Ziel ist eine Transformation der Universität, die nur durch ein Infragestellen der be­stehenden Machtstrukturen umsetzbar wird«, so Müller.

Schentke ergänzt, dass das Konzept von der basisdemokratischen Freien Arbeiterinnen- und Arbeiterunion (FAU) inspiriert sei. Die Gründung von Unterbau betrachten Schentke und Müller nicht als Versuch der Spaltung der bestehenden Gewerkschaften: »Wir machen lediglich Gebrauch vom Recht auf Gewerkschaftspluralismus und Koalitionsfreiheit, wie es allen Arbeitnehmern gesetzlich zusteht.« Sie wünschen sich eine Kooperation der Gewerkschaften. Tatsächlich haben sich bei Unterbau neben Mitgliedern von DGB-Gewerkschaften und der FAU auch Beschäftigte organisiert, die vorher noch keine Gewerkschaftsmitglieder waren.

Die Gründung der neuen Basisgewerkschaft ist ein Zeichen des Hegemonieverlusts der DGB-Gewerkschaften auch im Bildungsbereich. Der Arbeitsrechtler Rolf Geffken hat in einer 2015 erschienenen Broschüre mit dem Titel »Streikrecht, Tarifeinheit, Gewerkschaften« den Monopolanspruch des DGB kritisiert, der weder historisch noch politisch zu begründen sei. Geffken plädiert für eine Gewerkschaftseinheit in konkreten Arbeitskämpfen. Das kommt den Vorstellungen der Gründer von Unterbau sehr nahe.

Diese könnten über Frankfurt hinaus Nachahmer finden. Denn längst sind die Hochschulen zu Wissenschaftsunternehmen geworden, deren Verantwortliche beim Outsourcing und bei Dumpinglöhnen Pionierarbeit leisten. Davon sind Wissenschaftler, Dozenten und studentische Hilfskräfte ebenso betroffen wie das Reinigungspersonal und Beschäftigte in der Mensa. In Berlin sind es derzeit die Beschäftigten des zur Freien Universität gehörenden Botanischen Gartens, die soziale Forderungen auf dem Campus wieder zu Gehör gebracht haben und von studentischen Gruppen unterstützt werden (Jungle World 52/2015).

Dem Konzept von Unterbau zufolge sollten unterschiedliche Statusgruppen in einer Gewerkschaft kämpfen und, wenn nötig, gemeinsam die Hochschule bestreiken. Doch die Bereitschaft von Studierenden, sich zu organisieren, ist bisher nicht besonders hoch. Zudem gehen sie an der Universität keiner Lohnarbeit nach, es sei denn als Hilfskraft, was ihren Status fundamental von dem der Beschäftigten unterscheidet. Der von der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten zur basisdemokratischen IWW übergewechselte Gewerkschafter Harald Stubbe kritisiert linke Studierende in seinem politischen Umfeld, »die immer überlegt haben, wen sie organisieren« könnten. In dem Buch »Dabei geblieben. Aktivistinnen erzählen vom Älterwerden und Weiterkämpfen« schreibt er: »Nur nicht sich selbst wollten sie organisieren. Obwohl sie alle prekäre Jobs hatten und viel weniger Risiko eingingen als eine Küchenhilfe, die davon leben muss.« Auch Studierende, die sich an einer von GEW und Verdi unterstützten Initiative für die Durchsetzung eines neuen Tarifvertrags für studentische Hilfskräfte an Berliner Hochschulen beteiligen, kritisierten das geringe Engagement ihrer Kommilitonen. Unterbau kann nun den Beweis antreten, dass eine basisdemokratische Gewerkschaft die Organisierungsbereitschaft erhöht.

http://jungle-world.com/artikel/2016/17/53913.html

Peter Nowak

Transnationaler Streiktag

Über den Aktionstag am 1. März

Zum transnationalen Streiktag am 1.März gab es Aktionen in mehreren europäischen Ländern.

«Take a Walk on the Workerside» lautete das Motto eines Spaziergangs durch die prekäre Arbeitswelt in Berlin am 1.März. Organisiert wurde er von den «Migrant Strikers», einer Gruppe von italienischen Arbeitsmigranten in Berlin, den «Oficina Precaria», in der sich Kolleginnen und Kollegen aus Spanien koordinieren, und der Berliner Blockupy-Plattform, die in den letzten Jahren die Proteste gegen die Europäische Zentralbank (EZB) und die Eurokrise koordinierte.

Der Aktionstag am 1.März wurde von europäischen Basisgewerkschaften und linken Gruppen bei einem Treffen Mitte Oktober 2015 in Poznan beschlossen, bei dem über transnationale Kooperation im Arbeitskampf beraten wurde (siehe SoZ 12/2015).

Der Schwerpunkt der Aktionen lag in Spanien, Italien und Polen. Die polnische anarchosyndikalistische Arbeiterinitiative IP organisierte in mehreren Städten Kundgebungen gegen Zeitarbeitsfirmen, auf denen die dort praktizierten prekären Arbeitsbedingungen angeprangert wurden. «Wir fordern die gleichen Löhne, die gleichen Rechte und die gleichen Verträge für alle. Ob wir das durchsetzen können, hängt nicht nur von den Managern ab. Wenn wir zusammen agieren, können wir ein Wort bei der Organisation unserer Arbeit mitreden», hieß es im Aufruf der IP. Dort wurde auch auf den Kampf bei Amazon Bezug genommen und eine transnationale Perspektive gefordert. Die IP hat im Amazon-Werk in Poznan zahlreiche Beschäftigte organisiert.

In Deutschland gab es am 1.März nur in wenigen Städten Aktionen. In Dresden organisierte die FAU eine Diskussionsrunde zum Thema «Verteidigung des politischen Streiks» auf einem öffentlichen Platz. In Berlin war der Spaziergang durch die prekäre Arbeitswelt die zentrale Aktion. Startpunkt war die Mall of Berlin, die zum Symbol von Ausbeutung migrantischer Arbeit, aber auch des Widerstands dagegen wurde. Seit 15 Monaten kämpfen acht rumänische Bauarbeiter um den ihnen vorenthaltenen Lohn für ihre Arbeit auf der Baustelle (siehe SoZ 2/2015). Eine weitere Station war ein Gebäude der Berliner Humboldt-Universität. Dort sprach ein Mitglied einer studentischen Initiative, die sich für einen neuen Tarifvertrag für studentische Hilfskräfte einsetzt, über die prekären Arbeitsbedingungen im Wissenschaftsbetrieb.

An dem Spaziergang beteiligten sich auch Beschäftigte des Botanischen Gartens der FU Berlin mit einem eigenen Transparent mit Verdi-Logo. Sie sorgten in den letzten Wochen für Aufmerksamkeit, weil sie gegen die Outsourcingpläne der Unileitung kämpfen. Dazu hat sich ein Solikreis gebildet, an dem Studierende verschiedener Berliner Hochschulen beteiligt sind. In den letzten Wochen organisierte Ver.di zwei Warnstreiks im Botanischen Garten.

Es wurden am 1.März also Beschäftigte mit unterschiedlicher Gewerkschaftsorganisation angesprochen, die sich gerade in Auseinandersetzungen um Arbeitsbedingungen oder Löhne befinden. In Berlin will das kleine Vorbereitungsteam weiterarbeiten. Die nächste Aktion ist am 1.Mai geplant.

Transnationaler Streiktag

Peter Nowak

Aufstand der Unsichtbaren?

Zum Aktionstag am 1. März

„Invisible  Care Work“ und „Migrants without Labour Rights“ ist auf den bunten Schirmen zu lesen, die Lucia aufgespannt hat. Sie gehört zu den „Migrant Strikers“, einer Gruppe von italienischen ArbeitsmigrantInnen in Berlin, die am  1. März, einen Internationalen Aktionstag gegen Grenzregieme und Prekarisierung einen Spaziergang durch das Berlin der migrantischen Arbeit organisierte.

Beschlossen  wurde  die diesjährige Aktion   auf einer Konferenz, die unter dem Motto  „Dem transnationalen Streik  entgegen“, im Oktober 2015 im polnischen Poznan  stattgefunden hat. An ihr haben BasisgewerkschafterInnen  und außerparlamentarische Linke aus verschiedenen europäischen Ländern teilgenommen (siehe Express 11/2015). Stattgefunden haben Aktionen in Österreich, Frankreich, Italien, Schweden, Großbritannien, Poleln, Schottland und Slowenien. In Deutschland    beteiligten sich Gruppen in Dresden und Berlin an den Aktionstag.

In Berlin wurde er neben den Migrants Strikers auch von dem Oficina Prekaria unterstützt, in dem spanische MigrantInnen organisiert sind. Auch polnische Gruppen und die Blockupy-Plattform waren an der Vorbereitung beteiligt.  Ca. 100 Menschen haben sich am Potsdamer Platz eingefunden, darunter auch eine Sambagruppe, die musikalisch für Stimmung sorgt. Einige AktivistInnen mit Clownsmasken fragen PassantInnen nach ihren Arbeitsbedingungen. Die meisten schweigen. Vor dem Eingang der Mall of Berlin wird in einem Beitrag der Basisgewerkschaft Freie Arbeiter Union (FAU) an die acht rumänischen Bauarbeiter erinnert, die nun seit mehr als 15 Monaten um den ihnen vorenthaltenen Lohn kämpfen. Trotz zahlreicher Protestveranstaltungen, juristischer Klagen und gewonnener Prozesse haben sie bis heute kein Geld erhalten. Denn das juristische Verfahren ist noch nicht abgeschlossen. Zudem hat eines der beteiligten Subunternehmen Metatec  mittlerweile Insolvenz angemeldet.  „Was in der letzten Zeit fehlt, ist eine kritische Öffentlichkeit, die solange vor dem Eingang der Mall of Berlin protestiert, bis die Kollegen ihren Lohn bekommen haben“, erläutern die KollegInnen der FAU.

An der zweiten Station vor einem Gebäude der HistorikerInnenfakultät der Humboldt-Universität sprechen KommilitonInnen über prekäre Arbeitsbedingungen im Wissenschaftsbetrieb. Sie  sind Teil einer von verdi und GEW unterstützten Initiative, die eine Kampange für einen neuen einen Tarifvertrag für die ca.6.000 studentisch Beschäftigen an allen  Berliner Hochschulen fordern. Der aktuelle Tarifvertrag ist seit mehr als 10 Jahren nicht mehr verändert worden. Seit 2001 gab es keine Lohnerhöhung mehr.  Vor dem Jobcenter in der Charlottenstraße sprechen dann VertreterInnen der Erwerbsloseninitiative „Basta“ über Widerstand gegen Sanktionen und Schikanen. Auf dem Weg nach Kreuzberg wird in Kurzbeiträgen an die Beschäftigten in den zahlreichen Restaurants erinnert: „Die Gastronomiebranche ist ein zentraler Motor der prekären migrantischen Arbeit in Berlin“, meint Nicola von den Migrant Strikers. Pablo vom „Oficina Precaria Berlin“, in dem sich ArbeitsmigrantInnen aus Spanien koordinieren, zeigt sich mit dem Ablauf des Spaziergangs zufrieden. „Wir hatten nur einen knappen Monat Vorbereitungszeit und haben unterschiedliche Gruppen prekär beschäftigter KollegInnen erreicht“. Dazu gehören auch die Beschäftigten des Botanischen Gartens an der FU Berlin. Sie wehren sich gegen Outsourcing und haben mit einen Banner der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di an dem Spaziergang teilgenommen. Erwin von der Berliner Blockupy-Plattform, die in den letzten Jahren Krisenproteste organisiert hat, will aber erst von einem Erfolg sprechen, wenn „der Kampf gegen prekarisierte migrantische Arbeit auch über den 1. März hinaus fortgesetzt wird“.

Kampf um das Streikrecht und gegen Leiharbeitsfirmen

In Dresden organisierte die FAU am 1. März eine zentrale Diskussionsrunde zum Thema: Politischer Streik. Dabei ging es um Möglichkeiten der Verteidigung und Ausweitung  des Streikrechts, das derzeit  in verschiedenen europäischen Ländern eingeschränkt wird.

Größere Aktionen gingen am gleichen Tag von der anarchosyndikalistischen Arbeiterinitiative IP in Polen. In mehreren polnischen Städten prangerte sie vor Zeitarbeitsfirmen die dort üblichen prekären Arbeitsbedingungen an. „Wir fordern gleiche Löhne, gleiche Rechte und gleiche Verträge für alle. Ob wir das durchsetzen können, hängt nicht nur von den Managern ab. Wenn wir zusammen agieren, können wir ein Wort bei der Organisation unserer Arbeit mitreden“, heißt es in einem Aufruf der IP zum 1. März. Tatsächlich stellt die transnationale Initiative, die den Kampf gegen das europäische Grenzregime mit dem Kampf gegen Austerität und Prekarität verbindet und dabei das Korsett der Landesgrenzen überwindet, einen Ansatz dar, der ausgewertet und ausgebaut werden sollte.

express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit

2-3/2016

http://www.labournet.de/wp-content/uploads/2016/03/nowak_aktion1mrz.pdf

Peter Nowak

„XXXXXX“ sei dein Name

ARBEITSKAMPF Ein Restaurant erwirkt eine einstweilige Verfügung gegen die Freie Arbeiterunion (FAU)
„XXXXXX verweigert weiterhin die Bezahlung eines ehemaligen Mitarbeiters“, heißt es auf der Homepage der Basisgewerkschaft Freie Arbeiterunion (FAU) zum Arbeitskonflikt mit einem deutsch-französischen Restaurant am Hackeschen Markt. Seit Samstag ist der Name
des Restaurants durch das X ersetzt. Der Grund ist eine einstweilige Verfügung, die das Berliner Arbeitsgericht auf Antrag des Restaurants gegen die FAU erließ. Danach ist es ihr untersagt, den Namen der Gaststätte in ihren Publikationen, Flugblättern oder Internetauftritten
zu nennen. Auch Artikel oder Internetbeiträge, in denen das Restaurant mit dem Arbeitskonflikt in Verbindung gebracht wird, muss die Gewerkschaft unterlassen. Sollte sie sich nicht daran halten, muss sie ein Zwangsgeld von 25.000 Euro zahlen. Ersatzweise wird dem zuständigen FAU-Sekretär eine Ordnungshaft bis zu sechs Monaten angedroht. „Das ist ein klarer Angriff auf die Gewerkschaftsfreiheit, wie
wir ihn nicht das erste Mal erleben“, erklärte FAU-Sekretär Markus Wiese gegenüber der taz. Man werde allerdings weiterhin die Interessen des betroffenen Kollegen vertreten. Ein ehemaliger Beschäftigter des Restaurants hatte sich 2015 an die FAU gewandt. Ihm seien Urlaubsgeld und ausstehende Löhne in Höhe von etwa 1.000 Euro nicht bezahlt worden. Nachdem Gespräche mit den RestaurantbesitzerInnen zu keiner Einigung führten, begann die FAU mit Protesten. Zudem wurde eine Klage vor dem Arbeitsgericht
eingereicht, um die Auszahlung juristisch durchzusetzen, über die noch nicht entschieden wurde. Die FAU will auch weiterhin nicht nur auf den Rechtsweg setzen. Am vergangenen Samstag mobilisierte sie innerhalb eines Tages etwa 30 TeilnehmerInnen zu einer Kundgebung vor dem Restaurant.

Taz vom 16.2.2016

Peter Nowak

Refugees als billige Arbeitskräfte willkommen

Anarchos gegen Steuerzahler

»Paradies für Touristen – Hölle für die Arbeiter« und »Pay the Workers« riefen die knapp 20 Menschen mit den schwarz-roten Fahnen. Die Basisgewerkschaft »Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union« (FAU) hatte am Abend des 24. Oktober vor dem Restaurant »Cancún«, direkt neben dem Fernsehturm am Alexanderplatz, zur Unterstützung eines Barkeepers aufgerufen, der Urlaubs- und Lohnansprüche im vierstelligen Bereich geltend machte. Der Mann hatte im »Cancún« seit Oktober 2014 gearbeitet, bevor er im Juli 2015 wegen andauernder Unregelmäßigkeiten bei den Lohnzahlungen und Arbeitsstunden kündigte.

Doch der Geschäftsführer des Cancún hatte seine Freunde mobilisiert, die vor dem Restaurant standen und »Wir sind die Steuerzahler« riefen. Zudem mokierten sie sich darüber, dass bei der FAU-Kundgebung die Kollegen nicht alle hochdeutsch sprachen. Unterdessen hatte der ungewöhnliche Arbeitskampf viele Passanten neugierig gemacht. Nach einer knappen Stunde kam ein Vertreter des Geschäftsführers und zahlte den ausstehenden Lohn aus. In bar und unter freiem Himmel. Danach beendete die FAU ihre Kundgebung.

Für die FAU war der Ausgang des Arbeitskampfes ein Erfolg auf ganzer Linie. Schließlich konnte die Gewerkschaft einmal ein Instrument aus der syndikalistischen Tradition erfolgreich anwenden: die direkte Aktion. Der zeitaufwändige Weg durch die juristischen Instanzen wurde vermieden, weil der Beschäftigte den ausstehenden Lohn direkt ausgezahlt bekommen hat. Ob vielleicht einige der neugierigen Passanten durch das Beispiel motiviert wurden, an ihrer eigenen Arbeitsstelle nicht alles hinzunehmen, wird sich zeigen. Auf einer Veranstaltung im Berliner FAU-Lokal jedenfalls wurde betont, dass der Gastronomiesektor ein Experimentierfeld für geringen Lohn und schlechte Arbeitsbedingungen ist.

http://jungle-world.com/artikel/2015/45/52952.html

Peter  Nowak (in der Jungle World unter Pseudonym Carsten Fuchs)

Schnell geheuert, schnell gefeuert

PROTEST Migrantische Beschäftigte in der Gastronomie wehren sich gegen schlechte Arbeitsverhältnisse

Mit „zufriedenen Gästen“ wirbt das Restaurant Cancún im Internet. Doch die BesucherInnen, die sich für Samstagabend im Cancún angekündigt haben, sind keineswegs zufrieden: Die Basisgewerkschaft Freie Arbeiter Union (FAU) ruft unter dem Motto „Paradies für Touristen, die Hölle für Arbeiter“ zu einer Kundgebung auf. „Wir unterstützen einen ehemaligen Barmann“, sagte Andreas Förster von der FAU der taz. Es gehe um Lohnforderungen und Urlaubsansprüche im vier einiges im Argen liegt, wurde auch auf einer Veranstaltung deutlich, auf der am Mittwoch FAU-Mitglieder aus verschiedenen Restaurants und Bars über ihren Kampf um bessere Arbeitsbedingungen berichteten. Die Gastronomie sei ein Experimentierfeld für prekäre Arbeitsverhältnisse, weil dort besonders viele migrantische Beschäftigte arbeiten, die schnell geheuert und gefeuert werden. Gegenwehr werde erschwert, weil sich viele lieber einen
neuen Job suchen, als um eine Lohnerhöhung oder Arbeitszeitverkürzung zu kämpfen, so die Einschätzung eines gewerkschaftlich organisierten Barmanns. Berichtet wurde auch, wie eine ungewöhnliche Form  es Arbeitskampfes zum Erfolg führte: Beschäftigte von drei italienischen Pizzerien nutzten ein Konzert der linken italienischen Band Banda Bassotti im S036, um das Publikum in einer kurzen Rede über ihre schlechten Arbeitsbedingungen zu informieren. Kurze Zeit später hatten sie einen Tarifvertrag. „Der schnelle Erfolg kam zustande, weil diese Pizzerien einen Ruf zu verlieren haben“, so die Einschätzung eines FAU-Mitglieds. „Im Cancún aber können wir uns nur auf unsere gewerkschaftliche Kraft und nicht die Fürsprache einer Band verlassen“, fügt er hinzu.
Peter Nowak
■■Protestkundgebung „Paradies für Touristen, die Hölle für Arbeiter“, Samstag, 19 Uhr, vor dem Restaurant, Rathausstraße 5–13.
aus Taz-Berlin, 23.10.2015

Die Halle der Schande

Wirtschaft und Soziales: In Berlin kämpfen rumänische Bauarbeiter für ihr Recht

Fast ein Jahr kämpfen rumänische Bauarbeiter in  Berlin um ihren Lohn. Aber auf das Geld  warten sie noch immer. Dabei haben sie bereits mehrere Erfolge vor dem Berliner  Arbeitsgericht errungen. So entschied das Gericht am 5. August,  dass die   Firma Openmallmaster GmbH   Niculae M.  1.200 Euro  und Nicolae H 4.400 Euro  Lohn für ihre Arbeit beim Bau der Mall of Berlin nachzahlen muss. Bei den Unternehmen handelt es sich um ein für Bau in unmittelbarer Nähe des Potsdamer Platzes gelegenen Nobel-Shopping-Center   angeheuertes Subunternehmen. Eine Woche später sprach das Berliner Arbeitsgericht Elvis Iancu für seine Tätigkeit auf der Mall of Berlin die Nachzahlung von 7400 Euro zu.    Er  hat einen  wesentlichen Anteil daran, dass der Kampf der Bauarbeiter eine solche Bedeutung bekommen hat,  über Monate die Medien beschäftigt und nun auch juristische Erfolge zeigt.

Dabei ist noch einmal wichtig, sich  die Chronologie des Arbeitskampfes vor Augen zu führen:  Rund 50 rumänische Bauarbeiter  waren  in der Endphase des Baus der Mall of Berlin   beteiligt. Sie bekamen nur einen Bruchteil ihres Lohnes. Als das Nobeleinkaufszentrum   mit viel Pomp eröffnet wurde, standen die Bauarbeiter auf der Straße.  Mit ihrer Arbeit hatten sie auch ihre Unterkunft verloren. Dass sie nicht nach Rumänien zurückkehrten und den geprellten Lohn abschrieben, ist vor allem Iancu zu verdanken. Er  motivierte mit seinen gewerkschaftlichen Erfahrungen seine Kollegen zum Widerstand    Zunächst forderten sie vom  Openmallmaster-Chef die sofortige vollständige  Auszahlung des Lohnes ein.  Als sie damit auf taube Ohren stießen, organisierten sie eigenständig die erste kollektive Widerstandsaktion.  Sie stellten sie sich mit Transparenten, auf dem sie ihren Lohn forderten, Berlin   in das Atrium der Mall.

Im Oktober 2014 wandten sie sich  an den DGB Berlin-Brandenburg. Das im dortigen Gewerkschaftshaus angesiedelte „Beratungsbüro für entsandte Beschäftigte“ nahm Kontakt mit dem Generalunternehmer der Baustelle, der Firma Fettchenhauer Controlling & Logistic. Nach Verhandlungen sollte jeden der  Bauarbeiter  pro Person 700 Euro nachgezahlt werden, was allerdings nur einen Bruchteil des ihnen zustehenden Lohnes bedeutet hätte.  Die Auszahlung war an die Bedingung geknüpft, dass die Beschäftigten  sich vertraglich verpflichten sollen, keine weiteren Ansprüche mehr zu stellen.

Unterstützung durch die FAU

Acht Bauarbeiter weigerten sich, auf einen Teil ihres Lohnes zu verzichten. Mittlerweile hatte Elvis Iancu den Kontakt zur Basisgewerkschaft Freie  Arbeiterunion (FAU) hergestellt. Damit wurde die Mall of Berlin zur Mall of Shame. Der Kampf  entfachte  ein großes Medienecho und  zeitigte nun auch juristische Erfolge. Dabei  beschränkte sich   die Rolle der  FAU nicht nur auf die Organisierung von Kundgebungen, Soliveranstaltungen und die Bereitstellung von Jurist_innen für die Arbeitsgerichtsprozesse. Sie sorgte  auch für  Unterkunft und Verpflegung der arbeits- und obdachlosen Bauarbeiter.   Wenn sie auch nach  fast zwölf  Monaten Kampf noch immer auf ihren Lohn warten müssen, so haben sie doch schon einen wichtigen Erfolg errungen. Sie haben deutlich gemacht, dass ausländische Arbeiter_innen in Deutschland nicht rechtlos sind und sich wehren können. „Es gibt viele solcher Fälle. Aber leider sind die Betroffenen nur selten in der Lage, sich zu wehren“, meint eine Mitarbeiterin von Amaro Foro, einer Organisation von in Berlin lebenden Romajugendlichen. Das Leben von vielen Arbeitsmigrant_innen aus Osteuropa sei von ständiger Verunsicherung geprägt. Die  erstrecke sich nicht nur auf die Löhne und Arbeitsbedingungen. Sie würden in den Jobcentern benachteiligt, seien oft von medizinischer Versorgung ausgeschlossen und müssten wegen rassistischer Diskriminierungen am Wohnungsmarkt oft in teuren Schrott-Immobilien wohnen. So berichtete die Essener Rechtsanwältin Christina Worm in einem Interview mit der Jungen Welt, dass ein Jobcenter einen Migranten aus Osteuropa die Finanzierung eines Bettes mit der Begründung verweigerte, er könne wie zu Hause auf dem Boden schlafen.

Rumänische Mieter_innen in die Obdachlosigkeit zwangsgeräumt

Oft fehlt es den Betroffenen  an Kontakten zu Organisationen und Initiativen, die sie im Widerstand unterstützen könnten. Das zeigte sich erst vor einigen Wochen wieder, als eine Gruppe rumänischer und bulgarischer Wanderarbeiter_innen in den Fokus der Berliner Medien und einer Nachbarschaftsinitiative im grünbürgerlichen Stadtteil Schöneberg geriet. Nicht, dass sie in überteuerte Schrottwohnungen in der Schöneberger Grunewaldstraße 87 leben mussten, wird skandalisiert, sondern dass sie angeblich nicht in den Stadtteil passen. Mittlerweile sind die meisten  rumänischen Bewohner_innen aus der Grunewaldstraße 87 geräumt worden, oft gegen ihren Willen und ohne gesetzliche Grundlage. Viele der Betroffenen mussten wochenlang in Parks übernachten, weil sich der Bezirk Schöneberg weigerte, den obdachlosen Menschen Notunterkünfte zur Verfügung zu stellen. Stattdessen bot der Bezirk eine Rückfahrkarte in ihre Heimatländer an. Das Berliner Verwaltungsgericht bezeichnete  diese Praxis sei rechtswidrig und verpflichtete den Bezirk Schöneberg, eine rumänische Frau mit ihren Kind, die längere Zeit in einen Park nächtigen musste, eine Notunterkunft zur Verfügung zu stellen.    Sowohl der Kampf der rumänischen Bauarbeiter der Mall of  Shame wie  der juristische Erfolg der  Mieterin aus der Grunewaldtraße 87  zeigt, wie hierzulande Menschen entrechtet werden. Durch das  Engagement der FAU und  Amaro Foro konnten einige der Betroffenen ihre Rechte durchsetzen.

aus:

ak 608 vom 15.9.2015

https://www.akweb.de/

Peter Nowak

Mehr Interesse verdient

»Wenn irgendjemand den deutschen Fahnen einen durchschlagenden Erfolg über seine Feinde wünscht, so sind wir das. Grüßt unsere Mitglieder und wir fordern von ihnen treue Pflichterfüllung bis zum Äußersten (…) und dann immer feste druff.« Es war der Vorsitzende der Stuttgarter Ortsgruppe des Deutschen Metallarbeiterverbands Karl Vorhölzer, der Ende August 1914 seine Gewerkschaftskollegen mit nationalem Pathos darauf einstimmte, für Kaiser und Vaterland in den Krieg zu ziehen. Da konnte der Verfasser eines Artikels in der Gewerkschaftszeitung – Organ des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes – am 29. April 1933 mit historischer Berechtigung das NS-Regime an die nationale Aufgaben erinnern, die die Gewerkschaften geleistet hätten. »Darüber hinaus vollbrachten die Gewerkschaften ein nationales Erziehungswerk an der deutschen Arbeiterschaft, das so sehr aus deutscher Tradition herauswächst, dass es bisher weder in der Prägung noch im Ausmaß in keinem anderen Land der Welt dergleichen gefunden hat.« Es ist nur ein kleiner Ausschnitt aus der Fülle des Materials, das der Bremer Historiker Helge Döhring in dem Buch »Generalstreik! Streiktheorien und -diskussionen innerhalb der deutschen Sozialdemokratie vor 1914« zusammengetragen hat. Das Buch wäre ohne das »Institut für Syndikalismusforschung« (Syfo) nicht möglich gewesen, zu dessen Mitbegründern Döhring zählt.

Das Syfo wurde 2007 mit dem Ziel gegründet, eine Geschichte der Basisgewerkschaften zu schreiben. Die Forschungsarbeit des Syfo beweist, dass seit mehr als 100 Jahren Basisgewerkschaften existierten, die von den Großorganisationen immer bekämpft oder totgeschwiegen wurden. Bis heute wird selbst in der kritischen Gewerkschaftsforschung diese unabhängige syndikalistische Bewegung bestenfalls als Fußnote abgetan. Das Syfo ist mit der schwierigen Aufgabe konfrontiert, die historischen Spuren einer Basisgewerkschaftsarbeit auszugraben, die nicht auf gut gepflegte Archive der Großorganisationen zurückgreifen kann. Die bisherigen Veröffentlichungen zeigen, dass dennoch bereits eine Menge geleistet worden ist. Das Syfo liefert einen eigenständigen Beitrag zur Gewerkschaftsforschung.

Doch das Forscherteam will auch Antworten auf die Fragen heutiger gewerkschaftlicher Organisierung geben, schließlich wird seit einigen Jahren in einer größeren Öffentlichkeit Gewerkschaftsarbeit nicht mehr automatisch mit dem DGB gleichgesetzt. Gewerkschaftliche Organisationen wie die anarchosyndikalistische FAU oder die Lokführervertretung GDL haben bewiesen, dass sie oft sogar kampffähiger als der DGB sein können. Die Forschungsarbeit des Syfo, die die basisgewerkschaftliche Geschichte aufarbeitet, verdient daher Aufmerksamkeit von aktiven Gewerkschaftern, egal, wo sie organisiert sind.

http://www.syndikalismusforschung.info/

Peter Nowak

Sechs Monate Kampf und noch immer kein Lohn

Die Auseinandersetzung migrantischer Arbeiter der „Mall of Berlin“ für ihren Lohn und ihre Würde geht weiter

„Sie haben die Arroganz der Macht, doch sie haben nicht mit unserer Bereitschaft zum Widerstand gerechnet. Was das Aufgeben betrifft, da haben sie bei uns keine Chance.“ Die knapp 200 TeilnehmerInnen der Demonstration „Sechs Monate Kampf und noch immer kein Lohn“ brechen in Applaus aus, als einer der rumänischen Kollegen spricht, die um ihren Lohn kämpfen (DA berichtete). Ein Stundenlohn von sechs Euro sowie Kost und Logis war ihnen versprochen worden. Der Betrag ist wesentlich niedriger als der im Baugewerbe gültige Mindestlohn. Aber selbst dieser Niedriglohn wurde den Bauarbeitern vorenthalten.

Im Oktober 2014 hatten sie sich zunächst an den DGB Berlin-Brandenburg gewandt. Das im dortigen Gewerkschaftshaus angesiedelte „Beratungsbüro für entsandte Beschäftigte“ nahm Kontakt mit dem Generalunternehmer der Baustelle, der Firma Fettchenhauer Controlling & Logistic, auf und schrieb Geltendmachungen. Außer Abschlagszahlungen, die nur einen Bruchteil des vorenthaltenen Lohnes ausmachten, konnten die Bauarbeiter auf diesem Weg allerdings nichts erreichen. Sie hatten weder Arbeitsverträge noch Gewerbescheine – das macht die Durchsetzung ihrer Ansprüche schwierig. Einige nahmen die Abschlagszahlungen und unterzeichneten zudem eine vom Unternehmen vorbereitete Erklärung, nach der sie auf weitere rechtliche Schritte verzichten sollten. Andere beharrten darauf, ihren vollen Lohn zu erhalten, und wollten weiter gehen. Erst, als sich die verbliebenen Bauarbeiter an die FAU wandten, begann die Öffentlichkeitsarbeit. „Mall of Berlin – auf Ausbeutung gebaut“ lautete die Parole. Der von der FAU kreierte Begriff „Mall of Shame“ hat sich mittlerweile im Internet verbreitet. Der gesellschaftliche Druck hatte bisher nicht ausgereicht, um zu bewirken, dass der Generalunternehmer und seine Subunternehmen die ausstehenden Löhne bezahlten. Dabei handelte es sich um einige Tausend Euro. Für die Unternehmen sind es Beträge aus der Portokasse. Für die betroffenen Bauarbeiter und ihre Familien in der Heimat ist das Geld existenziell. Anfang April hatten zwei der Bauarbeiter einen juristischen Etappensieg errungen. Das Berliner Arbeitsgericht bestätigte die Forderungen von Nicolae Molcoasa und Niculae Hurmuz. Das beklagte Subunternehmen war nicht zur Verhandlung erschienen und hatte auch keinen Anwalt geschickt. So musste das Gericht der Klage stattgeben. Doch wenige Tage später ging ein Anwalt des Unternehmens in Berufung – jetzt müssen die Arbeiter weiter auf ihren Lohn warten. Im August sind die nächsten Prozesse vor dem Arbeitsgericht angesetzt. Trotz aller Schwierigkeiten betonen die betroffenen Arbeiter, wie wichtig es für sie war, gemeinsam mit der FAU um ihren Lohn zu kämpfen. Nur ein Teil der Betroffenen kann die Auseinandersetzung jetzt noch in Berlin führen. Andere mussten wieder nach Rumänien zurück oder haben in einer anderen Stadt Arbeit gefunden. Die Kollegen, die bis heute durchgehalten haben, berichten auch über die vielen Schwierigkeiten. Zu Beginn ihres Kampfes hatten sie weder Geld noch Unterkunft. Die FAU kümmerte sich um Essen und Obdach. Wenn sie auch nach sechs Monaten Kampf noch immer auf ihren Lohn warten müssen, so haben sie doch schon einen wichtigen Erfolg errungen. Sie haben deutlich gemacht, dass ausländische ArbeiterInnen in Deutschland nicht rechtlos sind und sich wehren können. Denn der Fall der rumänischen Bauarbeiter ist keine Ausnahme. „Es gibt viele solcher Fälle. Aber leider sind die Betroffenen nur selten in der Lage, sich zu wehren“, meint eine Mitarbeiterin von Amaro Foro, einer Organisation von in Berlin lebenden Romajugendlichen, auf der Demonstration. Das Leben von vielen Arbeitsmigranten aus Osteuropa sei von ständiger Verunsicherung geprägt. Das erstrecke sich nicht nur auf die Löhne und Arbeitsbedingungen. Sie würden in den Jobcentern benachteiligt, seien oft von medizinischer Versorgung ausgeschlossen und müssten wegen rassistischer Diskriminierungen am Wohnungsmarkt oft in teuren Schrott-Immobilien wohnen. Zudem fehlt es den Betroffenen oft an Kontakten zu Organisationen und Initiativen, die sie im Widerstand unterstützen könnten. Das zeigte sich erst vor einigen Wochen wieder, als eine Gruppe rumänischer und bulgarischer Wanderarbeiter in den Fokus der Berliner Medien und einer Nachbarschaftsinitiative im grünbürgerlichen Stadtteil Schöneberg geriet. Nicht, dass sie in überteuerte Schrottwohnungen leben müssen, wird skandalisiert, sondern dass sie angeblich nicht in den Stadtteil passen. Es gibt also genug zu tun für eine kämpferische Organisation wie die Foreigners Section der FAU. Sie ist mittlerweile zum Anlaufpunkt für KollegInnen aus den verschiedenen Ländern geworden, die in Deutschland um ihren Lohn oder um bessere Arbeitsbedingungen kämpfen.

aus:  Direkte Aktion 230 – Juli/August 2015

https://www.direkteaktion.org/230/sechs-monate-kampf-und-noch-immer-kein-lohn

Peter Nowak