WAS DIE STANDORTPOLITIK DES DGB MIT DER AFD ZU TUN HAT

In Stefan Dietls neuem Buch steht neben Neoliberalismus und völkischem Antikapitalismus aus der AfD selbst, auch der Standortnationalismus der DGB-Gewerkschaften zur Debatte.

„Sozialstaat? Braucht Grenzen!“ Mit diesem Motto wirbt die AfD im Bundestagswahlkampf. Im Wahlprogramm der Rechtspopulist_innen wird der Zusammenhang zwischen Sozialstaat und Flüchtlingspolitik so formuliert: „Die Stabilisierung der Sozialsysteme erfordert bei einer schrumpfenden und alternden Bevölkerung besondere Anstrengungen. Unsere begrenzten Mittel stehen deshalb nicht für eine unverantwortliche Zuwanderungspolitik, wie sie sich kein anderes europäisches Land zumutet, zur Verfügung.“ Eine solche Argumentation findet auch bei Gewerkschafter_innen Zustimmung.

Der Essener Bergmann Guido Reil, der von SPD zur AfD gewechselt ist, postet auf seiner Facebookseite ein Video, auf dem man 10 Minuten sieht, wie er sich flankiert von Kameras in die Essener DGB-Demonstration zum 1. Mai drängen will. Ihm schallen immer wieder „Nazis raus!“-Rufe entgegen. Der Münchner Journalist Stefan Dietl untersucht in seinem, im Unrast-Verlag erschienenen, Buch die Sozialpolitik der AfD und benennt dabei erfreulicherweise auch die Verantwortung des DGB. Der Untertitel seines Buches „Zwischen Marktradikalismus und völkischen Antikapitalismus“ benennt die beiden Pole der AfD-internen Debatte. Dietl erinnert noch einmal daran, dass die Wahlalternative 2013, aus der die AfD hervorgegangen ist, als Sammelbecken von der FDP enttäuschter Neoliberaler gegründet wurde. Von Anfang an waren Neokonservative mit im Boot. „Der AfD gelang es sowohl marktradikale Eliten als auch nationalkonservative Hardliner_innen, christlich-fundamentalistische Aktivist_innen und völkische Nationalisten zu vereinen“, beschreibt Dietl das Erfolgsrezept der Rechtspopulist_innen. Im Detail geht Dietl dann auf das sozialpolitische Programm der AfD und die innerparteilichen Debatten um einen Mindestlohn oder das Freihandelsabkommen TTIP ein.

ES REICHT NICHT, DIE AFD ALS NEOLIBERAL ZU ENTLARVEN
Er zeigt auf, dass die AfD flügelübergreifend sowohl die Agenda 2010 als auch die Leiharbeit unterstützt.
„Die Ausgrenzung und Selektion von sozial Benachteiligten nach vermeintlichen Leistungskriterien zum Wohle von Weltwirtschaft und Volk fügt sich in die sozialdarwinistische Ideologie der völkischen Antikapitalist_innen ebenso ein wie in das marktradikale Denken neoliberaler Hardliner_innen.“ Daher warnt Dietl auch vor der naiven Vorstellung, man müsse die AfD nur als neoliberale Partei entlarven, damit sie die Wähler_innen aus Teilen der Arbeiter_innenklasse verliert. Die wählen oft die AfD nicht trotz, sondern wegen ihrer Mischung aus Sozialchauvinismus, Rassismus und Marktradikalismus, weil auch sie für einen starken Wirtschaftsstandort Deutschland Opfer bringen wollen und sich gegen alle die wenden, die das ablehnen.

Ausführlich widmet sich Dietl der Frage, warum die AfD-Parolen auch Zustimmung bei Gewerkschaftsmitgliedern finden, obwohl Vorstandsmitglieder von DGB, Ver.di und IG-Metall vor dieser Partei warnen und sich lokal auch an Bündnissen gegen die AfD beteiligen. Das Propagieren eines starken Standortes Deutschland, der sich im internationalen Wettbewerb durchsetzen muss, könne zum ungewollten Scharnier für die Ideologie rechter Gruppen werden, warnt Dietl. Er nimmt dabei auch auf Studien Bezug, die schon erstellt wurden, als es die AfD noch nicht gab. Denn die Frage, warum Gewerkschaftsmitglieder rechte und rechtspopulistische Einstellungen haben und dann auch entsprechende Parteien wählen, wird schon seit mehr als 10 Jahren intensiv diskutiert.Zudem würden sich heute vor allem Angestellte und gut ausgebildete Facharbeiter in DGB-Gewerkschaften organisieren. Aus Angst vor einem sozialen Abstieg wählen diese Segmente der Arbeiterklasse aber häufig die AfD.

NOCH HOFFNUNG IN EINEN KLASSENKÄMPFERISCHEN DGB?
Im letzten Kapitel widmet sich Dietl gewerkschaftlichen Gegenstrategien. „Ohne die Überwindung des Denkens in den Kategorien der internationalen Standortkonkurrenz ist ein glaubwürdiges Eintreten gegen den von der AfD propagierten Rassismus und Nationalismus zum Scheitern verurteilt“, so seine sehr prägnante und zutreffende Kritik an der Orientierung des DGB. Die Gewerkschaften müssen sich besonders den prekären Segmenten der Lohnarbeiter_innen, unabhängig von ihrer Herkunft, öffnen, wo sie im europäischen Vergleich großen Nachholbedarf haben. Auch da hat Dietl Recht.

Nur zwei Fragen bleiben: Warum setzt er gegen alle historischen Erfahrungen in den DGB die Hoffnung, sie könne eine klassenkämpferische Organisation werden, wo er in dem Buch viele Beispiele bringt, dass der Standortnationalismus auch von großen Teilen der Basis besonders in DGB-Gewerkschaften wie der IG-Metall und IG BCE getragen wird? Und, warum hat er in seinem Buch nicht mit einem Wort Basisgewerkschaften wie die FAU erwähnt, die genau die klassenkämpferische, transnationale Orientierung umzusetzen versuchen? Diese Fragen wird Stefan Dietl sicher gestellt bekommen, wenn er am 25.8. sein Buch im Berliner FAU-Lokal vor und zur Diskussion stellt.

aus: DIREKTE AKTION
Anarcho­syndika­listische Zeitung

Was die Standortpolitik des DGB mit der AfD zu tun hat


Peter Nowak

Es reicht nicht, die AfD als neoliberal zu entlarven

vom 26. September 2023

Die Partei wird nicht trotz, sondern wegen ihrer marktradikalen Sozial- und Wirtschaftspolitik gewählt

„Sozialstaat? Braucht Grenzen!“ Mit diesem Motto wirbt die AfD für den Bundestagswahlkampf. Im Wahlprogramm der Rechtspopulisten wird der Zusammenhang zwischen Sozialstaat und Flüchtlingspolitik so formuliert[1]:

Die Stabilisierung der Sozialsysteme erfordert bei einer schrumpfenden und alternden Bevölkerung besondere Anstrengungen. Unsere begrenzten Mittel stehen deshalb nicht für eine unverantwortliche Zuwanderungspolitik, wie sie sich kein anderes europäisches Land zumutet, zur Verfügung.

Wahlprogramm AfD
Eine solche Argumentation findet auch bei Gewerkschaftern Zustimmung. Der Essener Bergmann Guido Reil, der von der SPD zur AfD gewechselt ist, postet auf seiner Facebook-Seite[2] ein Video, auf dem man 10 Minuten sieht, wie er sich, flankiert von Kameras, in die Essener DGB-Demonstration zum 1. Mai drängen will. Ihm schallen immer wieder „Nazis raus“-Rufe entgegen.

Der Münchner Journalist und aktive Gewerkschafter[3] Stefan Dietl[4] untersucht in seinem im Unrast-Verlag erschienenen Buch „Die AfD und die soziale Frage“[5] die Sozialpolitik der Rechtspopulisten und benennt dabei erfreulicherweise auch die Verantwortung des DGB.

Der Untertitel seines Buches „zwischen Marktradikalismus und völkischen Antikapitalismus“ benennt die beiden Pole der AfD-internen Debatte. Dietl erinnert noch einmal daran, dass die Wahlalternative 2013, aus der die AfD hervorgegangen ist, als Sammelbecken von der FDP enttäuschter Neoliberaler gegründet wurde.

Von Anfang an waren Neokonservative mit im Boot. „Der AfD gelang es, sowohl marktradikale Eliten als auch nationalkonservative Hardliner, christlich-fundamentalistische Aktivisten und völkische Nationalisten zu vereinen“, beschreibt Dietl das Erfolgsrezept der Rechtspopulisten. Im Detail geht Dietl dann auf das sozialpolitische Programm, der AfD und die innerparteilichen Debatten um einen Mindestlohn oder das Freihandelsabkommen TTIP ein.

Unterstützung der Agenda 2010 und der Leiharbeit

Er zeigt auf, dass die AfD flügelübergreifend sowohl die Agenda 2010 als auch die Leiharbeit unterstützt.

Die Ausgrenzung und Selektion von sozial Benachteiligten nach vermeintlichen Leistungskriterien zum Wohle von Weltwirtschaft und Volk fügt sich in die sozialdarwinistische Ideologie der völkischen Antikapitalisten ebenso ein wie in das marktradikale Denken neoliberaler Hardliner.

Stefan Dietl
Daher warnt Dietl auch vor der naiven Vorstellung, man müsse die AfD nur als neoliberale Partei entlarven, damit sie die Wähler aus der Arbeiterklasse verliert. Die wählen oft die AfD nicht trotz, sondern wegen ihrer Mischung aus Sozialchauvinismus, Rassismus und Marktradikalismus, weil auch sie für einen starken Wirtschaftsstandort Deutschland Opfer bringen wollen und sich gegen alle die wenden, die das ablehnen.

Damit ist die AfD auch ganz auf der Linie ihrer europäischen Bündnispartner vom Front National in Frankreich und der FPÖ in Österreich. Beide sind trotz ihrer gelegentlichen Sozialdemagogie im Kern marktradiale Parteien. Die FPÖ will sogar die Rechte der Gewerkschaften massiv einschränken.

Eine sehr detaillierte vergleichende Studie von FPÖ und AfD leistet das im Nomos-Verlag von Stephan Grigat herausgegebene Buch AfD & FPÖ[6]. Die 12 Autoren legen ihren Fokus auf das völkische Denken und die unterschiedlichen Ausprägungen des Antisemitismus in beiden Parteien.

Wenn dann immer besonders skandalisiert wird, dass doch Lohnabhängige gegen ihre Interessen wählen, wenn sie Parteien wie der AfD oder der FPÖ ihre Stimme geben, übersieht man, dass es kein ontologische Arbeiterbewusstsein gibt, dass nur entdeckt werden muss. Tatsächlich hängt die Positionierung der Menschen zu gesellschaftlichen Fragen davon ab, wie sie ihre Stellung im Kapitalismus oder ihre Abstiegsängste in der Krise interpretieren.

„Standort Deutschland“: DGB-Gewerkschaften und Rechtspopulismus

Da gibt es emanzipatorische sowie verschiedene Varianten von reaktionären Krisenlösungskonzepten. Der Rechtspopulismus bietet da durchaus eine Kriseninterpretation und findet Zustimmung bei Menschen, für die die Perspektive nicht eine transnationale Solidarität der Lohnabhängigen, sondern die Identifizierung mit einen erfolgreichen Konzern oder Industriestandort ist.

Nun muss man sich fragen, ob die DGB-Gewerkschaften einen Beitrag dazu leisten, dass ihre Mitglieder das Lager der transnationalen Solidarität stärken. Das wäre ein realer Beitrag gegen den Rechtspopulismus. Wenn man die Erklärungen verschiedener Vorstandsmitglieder des DGB und seiner Einzelgewerkschaften hört und registriert, dass viele Gewerkschafter sich an lokalen Bündnissen gegen die AfD beteiligen, sieht ihre Bilanz positiv aus. „Wer hetzt, fliegt raus“, erteilte[7] der IG-Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann, Rechten in seiner Organisation eine klare Absage.

Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Das Propagieren eines starken Standortes Deutschland, der sich im internationalen Wettbewerb durchsetzen muss, gehört ebenso zum Repertoire des DGB. Eine solche Ideologie könnte zum ungewollten Scharnier für die Ideologie rechter Gruppen werden, warnt Dietl und nimmt dabei Bezug auf den schon vor 17 Jahren erstellen Bericht einer Kommission Rechtsextremismus[8], die vom DGB-Bundesvorstand beauftragt wurde, die Ursachen von extrem rechten Einstellungen in der eigenen Mitgliedschaft zu untersuchen.

Die im Jahr 2005 veröffentlichte Studie Gewerkschaften und Rechtsextremismus[9] führten erstmals zu einer größeren Diskussion, welche Verantwortung die DGB-Politik selber für dafür hat, dass auch die eigene Mitgliedschaft nicht immun gegen rechte Parteien ist.

Deutsche Facharbeiter oder Prekäre mit und ohne deutschen Pass

Da stellt sich die Frage nach den Zielgruppen des DGB. Aktuell sind dort noch immer die gut ausgebildeten Facharbeiter in der Mehrheit, die mit ihrer Angst vor dem gesellschaftlichen Abstieg häufig nach rechts abdriften.

Die Gewerkschaften müssen sich besonders den prekären Segmenten der Lohnarbeiter unabhängig von ihrer Herkunft öffnen, wo sie im europäischen Vergleich großen Nachholbedarf haben. Darin sieht Dietl die beste gewerkschaftliche Abwehrstrategie gegen die AfD und andere Rechtspopulisten.

„Gewerkschaftliche Organisierung muss nicht nur unabhängig von Nation und Herkunft erfolgen, sondern auch unabhängig vom arbeitsrechtlichen Status der Betroffenen“, schreibt Dietl und nimmt damit Bezug auf eine längere Diskussion über den Status von Geflüchteten in den DGB-Gewerkschaften[10], die längst nicht immer solidarisch geführt wurde.

Leider hat Dietl in seinem Buch nur den DGB im Blick. Dabei haben sich kleinere Basisgewerkschaften wie die Freie Arbeiter Union[11] in einigen Städten schon längst als Alternative für prekäre und migrantische Lohnabhängige entwickelt.

https://www.heise.de/tp/features/Es-reicht-nicht-die-AfD-als-neoliberal-zu-entlarven-3810377.html

Peter Nowak
URL dieses Artikels:
http://www.heise.de/-3810377

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.afd.de/sozialpolitik
[2] https://de-de.facebook.com/Guido-Reil-1745982485667400/
[3] https://oberpfalz.verdi.de/ueber-uns/bezirksvorstand/++co++41a188fa-56b2-11e4-9faf-525400a933ef
[4] https://oberpfalz.verdi.de/themen/nachrichten/++co++86f40a76-c82b-11e6-99a5-525400423e78
[5] https://www.unrast-verlag.de/die-afd-und-die-soziale-frage-detail
[6] http://www.nomos-shop.de/Grigat-AfD-FP%C3%96/productview.aspx?product=28904
[7] http://www.deutschlandfunk.de/ig-metall-chef-joerg-hofmann-wer-hetzt-der-fliegt.868.de.html?dram:article_id=334950
[8] http://www.dgb.de/++co++4738dc6e-3c22-11df-7b76-00188b4dc422
[9] http://www.polsoz.fu-berlin.de/polwiss/forschung/oekonomie/gewerkschaftspolitik/materialien/GEWREXSCHLUSS/index.html
[10] http://www.labournet.de/category/interventionen/asyl/arbeitsmigration/gewerkschaften-und-migrantinnen/
[11] https://berlin.fau.org

Ich bin SPD-Vorsitzender, holt mich hier raus!

Sigmar Gabriel sucht gerade händeringend jemand, der ihm die Bürde abnimmt, als SPD-Kanzlerkandidat die Wahlen zu verlieren

Es war nur eine kurze Meldung, deren Brisanz vielen gar nicht klar ist. Der SPD-Vorsitzende Gabriel trifft[1] sich mit einem seiner Vorgänger. Das wäre nicht der Rede wert, wenn es sich dabei nicht um Oskar Lafontaine handelte, der seit seinem Austritt aus der SPD und der Gründung der Linkspartei für die meisten Sozialdemokraten zur persona non grata geworden ist.

Wenn sich Gabriel nun ausgerechnet bei Lafontaine Rat holt, dürfte seine Lage wirklich verzweifelt sein. Immerhin hätte die SPD noch eine Chance, wenn Lafontaine wieder in die SPD einträte und erneut Führungspositionen einnehmen würde. Sehr wahrscheinlich ist das nicht, aber auch nicht ganz ausgeschlossen. Denn längst beschränkt sich Lafontaines Einfluss in der Linkspartei auf das Saarland. Seine Forderungen nach der Beschränkung der Migration sind in großen Teilen der Linkspartei unpopulär. Zudem hat sich auch Lafontaine in dieser Frage nicht groß geändert in den letzten Jahrzehnten. Er war schließlich in den 90er Jahren auf Seiten der SPD an der faktischen Abschaffung des Asylrechts beteiligt.

In der SPD hätte er auch heute mit seiner Position keine Probleme. Eine Rückkehr Lafontaines würde Gabriel auch von seinem größten Problem erlösen. Er ist SPD-Vorsitzender und damit auch Anwärter auf die Kanzlerkandidatur, die er nach der Lage der Dinge nur verlieren kann. So könnte die SPD sogar hinter der AfD landen. Verständlich, dass sich niemand darum reißt, für die SPD in diese Niederlage zu gehen. Alle hoffen auf bessere Zeiten bei den nächsten Wahlen. So bleibt letztlich nur Sigmar Gabriel übrig, sich für die Partei zu opfern. Der aber versucht, diese Last loszuwerden. Allein, es gelingt ihm nicht.

Scholzomat statt Siggi-Pop?

So wurde in der letzten Woche das Gerücht verbreitet, Gabriel werde von seinen Posten zurücktreten und an seine Stelle würde Olaf Scholz treten. Der ist nun mindestens genau so unbeliebt in und außerhalb der Partei wie Gabriel und hätte bei Wahlen kaum mehr Chancen.

Seinen wenig schmeichelhaften Spitznamen Scholzomat[2] hat er aus seiner wohl längst vergessenen Zeit als SPD-Generalsekretär schon bekommen. Es sind ja auch bereits 13 Jahre vergangen als Scholz mit hämischen Nachrufen verabschiedet[3] wurde. Schon damals schrieb der Spiegel, dass Scholz in der Partei durchaus noch für wichtige Posten verwendungsfähig ist, weil die Personaldecke so dünn ist. Dieser Befund ist heute noch aktueller.

Doch die Meldung von der Rückkehr des Scholzomats wurde von der SPD-Zentrale offiziell dementiert. Dabei war ist es sehr wahrscheinlich ein Hilfeschrei aus der Umgebung Gabriels, der nicht gehört wurde. „Ich bin SPD-Vorsitzender. Wer holt mich raus?“

Hätte Scholz tatsächlich Interesse an den Posten gezeigt, wäre die Ablösung reibungslos gelaufen. Aber so muss Gabriel weiterhin gute Miene zum Weg der SPD in eine Partei um die 20 % machen. Nun wurde Gabriel deutlicher und sprach sich im Interview mit dem Spiegel für einen Wettbewerb der Kandidaten aus.

Auf die Frage zur Kanzlerkandidatur sagte er: „Das entscheidet die SPD, wenn es soweit ist.“ Er brachte wieder einen Mitgliederentscheid in die Diskussion, der immer dann hervorgeholt wird, wenn die Parteiführung nicht weiter weiß. „Es wäre hervorragend, wenn es im nächsten Jahr zwei oder drei Leute aus der Führungsspitze der SPD gäbe, die sagen: Ich traue mir das zu“, sagte Gabriel und erntete erneut viel Häme.

„SPD-Chef Gabriel will seine Partei über den Kanzlerkandidaten abstimmen lassen. Doch worüber abstimmen, wenn niemand antreten will? Der Vorstoß sagt viel aus über die Verzweiflung der Genossen – und über die Gabriels“, bringt[4] Christian Rothenberg das Dilemma der SPD auf den Punkt.

Da eigentlich nur noch Lafontaine die SPD retten kann, der dazu aber kaum bereit ist und die Mehrheit der SPD wahrscheinlich ebenso wenig, bliebe am Ende nur ein Ausweg, den ein SPD-Politiker aus der zweiten Reihe bereits im letzten Jahr in die Diskussion eingebracht hat. Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Torsten Albig sah für die nächsten Wahlen keine Chancen für eine Kanzlermehrheit der SPD. Daher schlug[5] er vor, die SPD solle ganz auf eine Kanzlerkandidatur 2017 verzichten. Im Grunde hat ihn Gabriel in seinem jüngsten Interview Recht gegeben. Auch er sieht keine rosigen Wahlaussichten für die SPD bei den nächsten Wahlen.

Nicht Merkel, sondern die eigene Politik ist das Problem der Sozialdemokratie

Das ist eine realistische Beschreibung des Zustands nicht nur der Sozialdemokratie in Deutschland. Nur erliegen Gabriel und andere Sozialdemokraten noch der Selbsttäuschung, die Ursache für ihre schlechten Wahlaussichten sei Merkel, die die SPD-Politik übernommen hat. Es ist jedoch gerade umgekehrt.

Die Sozialdemokratie hat mit der Einführung von Hartz IV einen Niedriglohnsektor in Deutschland etabliert, mit dem sie auch den Weg ihrer eigenen Marginalisierung eingeleitet hat. Ein Teil der Sozialdemokraten gründete die Linkspartei. Ein größerer Teil der sozialdemokratischen Stammwähler zog sich aus der Politik zurück, die sozialdemokratischen Milieus vor allem im Ruhrgebiet lösten sich auf. Nicht wenige wurden Wahlverweigerer, bis die AfD auftauche.

Dass die zutiefst wirtschaftsliberale Partei im ehemaligen sozialdemokratischen Milieu Stimmen gewinnt, ist auch eine Spätfolge der Politik der Agenda 2010. Hier wurde eine staatliche Politik der Verarmung und Entsolidarisierung eingeleitet, die in den Köpfen der Menschen durchaus Anklang findet. Das zeigte sich schon an den Erfolgen des SPD-Mitgliedes Thilo Sarrazzin. Seine Fans und Zuhörer haben mit der AfD auch eine zumindest temporäre politische Heimat gefunden.

Sarrazinismus in der Kommunalpolitik

Wie nahe sich die alte Ruhrgebiets-SPD und die AfD bei der Abwehr von Geflüchteten sind, zeigt der Austritt des langjährigen Essener SPD-Ratsherr Guido Reil und die Reaktionen[6]. Sein Interview[7] über die Zuwanderung von Menschen aus dem arabischen Raum nach Essen-Nord ist ein gutes Beispiel für Sarrazinismus in der Kommunalpolitik. So beklagt er die Wertverluste der Grundstücksbesitzer, und die Tatsache, dass jemand Hartz IV bezieht, sieht er als Indiz für mangelnde Integration. Natürlich darf auch bei Reil der Hinweis nicht fehlen, dass jemand, der die Wahrheit ausspricht in der rechten Ecke landet.

Es wird sich zeigen, wie weit rechts sich Reil künftig betätigen will. Angebote von den Rechtspopulisten von Pro NRW hat er bereits bekommen. Doch es ist kein Zufall, dass die aktiven Hartz IV-Verteidiger Reil und Sarrazin jetzt vor Zuwanderung warnen Es ist eine Politik der Entsolidarisierung nach innen und außen damit verbunden, daher sind die beiden nur konsequenter als manche andere Sozialdemokraten.

Doch nicht nur im Inland sorgte die SPD dafür, sich selber überflüssig zu machen. Die Politik hat eine europäische Dimension. Man braucht nur nach Österreich zu blicken oder nach Spanien, wo die Sozialdemokratie nach den nächsten Wahlen wahrscheinlich erst an dritter Stelle stehen wird. Auch in Frankreich sorgt die Politik des Präsidenten Hollande dafür, der nun mit Sondergesetzen eine Art Hartz IV-System in Frankreich etablieren will, dass Sozialdemokraten bei den nächsten Präsidentenwahlen nicht in die Stichwahl kommen.

Als im letzten Jahr mit dem Wahlsieg von Syriza in Griechenland tatsächlich wieder originär sozialdemokratische Themen wie soziale Gerechtigkeit auf die Agenda kamen, waren es auch führende SPD-Politiker wie Gabriel, die sogleich tönten, dass kein Geld deutscher Steuerzahler für kommunistische Experimente in Griechenland verwendet werden dürfen. So stützte die SPD Wolfgang Schäuble bei seinen erfolgreichen Bemühungen, Griechenland die Austeritätspolitik weiterhin aufzuzwingen.

Damit wurde aber erneut jegliche Vorstellung von einem anderen, einem sozialeren Europa im Keim zu ersticken. Das war ein Geschenk für Rechtsparteien jeglicher Couleur und ein weiterer Sargnagel für die europäische Sozialdemokratie. Daher ist es erstaunlich, wenn ewige Verfechter eines Bündnisses links von der CDU ihre Illusionen nicht aufgeben wollen So schreibt Sebastian Puschner in einem Kommentar[8] auf der Titelseite des Freitag: „Europas Linke müssen endlich an einem Strang ziehen. „Nuit Debout“ zeigt, wie es geht. Diesen Schwung gilt es zu nutzen.“

Wenn Puschner dann ausdrücklich die Sozialdemokratie zu dieser europäischen Linken zählt, vergisst er, dass Nuit Debout wie auch die Bewegung der Empörten genau gegen deren Politik entstanden sind. Diese Politik der Sozialdemokratie ist in Deutschland und in anderen Ländern jetzt marginalisiert.

Peter Nowak

http://www.heise.de/tp/artikel/48/48261/1.html

Anhang

Links

[0]

https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Sigmar_Gabriel_in_2015?uselang=de#/media/File:2015-12_Malu_Dreyer_SPD_Bundesparteitag_by_Olaf_Kosinsky-34.jpg

[1]

http://www.rp-online.de/politik/deutschland/spd-sigmar-gabriel-sucht-offenbar-rat-bei-oskar-lafontaine-aid-1.5973744

[2]

http://www.zeit.de/2013/26/olaf-scholz-scholzomat

[3]

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/general-a-d-scholzomat-abgeschaltet-a-285347.html

[4]

http://www.n-tv.de/politik/politik_kommentare/Armer-Sigmar-Gabriel-article17700151.html

[5]

http://www.n-tv.de/politik/Albig-schreibt-SPD-Sieg-schon-ab-article15584906.html

[6]

http://www.derwesten.de/staedte/essen/essener-ratsherr-guido-reil-tritt-aus-der-spd-aus-id11818539.html

[7]

http://www.derwesten.de/staedte/essen/der-essener-norden-schafft-das-nicht-id11442282.html

[8]

http://www.freitag.de/ausgaben/1916