Breiten sich die französischen Sozialproteste auch in Deutschland aus?

Aufstand der Unsichtbaren?

Zum Aktionstag am 1. März

„Invisible  Care Work“ und „Migrants without Labour Rights“ ist auf den bunten Schirmen zu lesen, die Lucia aufgespannt hat. Sie gehört zu den „Migrant Strikers“, einer Gruppe von italienischen ArbeitsmigrantInnen in Berlin, die am  1. März, einen Internationalen Aktionstag gegen Grenzregieme und Prekarisierung einen Spaziergang durch das Berlin der migrantischen Arbeit organisierte.

Beschlossen  wurde  die diesjährige Aktion   auf einer Konferenz, die unter dem Motto  „Dem transnationalen Streik  entgegen“, im Oktober 2015 im polnischen Poznan  stattgefunden hat. An ihr haben BasisgewerkschafterInnen  und außerparlamentarische Linke aus verschiedenen europäischen Ländern teilgenommen (siehe Express 11/2015). Stattgefunden haben Aktionen in Österreich, Frankreich, Italien, Schweden, Großbritannien, Poleln, Schottland und Slowenien. In Deutschland    beteiligten sich Gruppen in Dresden und Berlin an den Aktionstag.

In Berlin wurde er neben den Migrants Strikers auch von dem Oficina Prekaria unterstützt, in dem spanische MigrantInnen organisiert sind. Auch polnische Gruppen und die Blockupy-Plattform waren an der Vorbereitung beteiligt.  Ca. 100 Menschen haben sich am Potsdamer Platz eingefunden, darunter auch eine Sambagruppe, die musikalisch für Stimmung sorgt. Einige AktivistInnen mit Clownsmasken fragen PassantInnen nach ihren Arbeitsbedingungen. Die meisten schweigen. Vor dem Eingang der Mall of Berlin wird in einem Beitrag der Basisgewerkschaft Freie Arbeiter Union (FAU) an die acht rumänischen Bauarbeiter erinnert, die nun seit mehr als 15 Monaten um den ihnen vorenthaltenen Lohn kämpfen. Trotz zahlreicher Protestveranstaltungen, juristischer Klagen und gewonnener Prozesse haben sie bis heute kein Geld erhalten. Denn das juristische Verfahren ist noch nicht abgeschlossen. Zudem hat eines der beteiligten Subunternehmen Metatec  mittlerweile Insolvenz angemeldet.  „Was in der letzten Zeit fehlt, ist eine kritische Öffentlichkeit, die solange vor dem Eingang der Mall of Berlin protestiert, bis die Kollegen ihren Lohn bekommen haben“, erläutern die KollegInnen der FAU.

An der zweiten Station vor einem Gebäude der HistorikerInnenfakultät der Humboldt-Universität sprechen KommilitonInnen über prekäre Arbeitsbedingungen im Wissenschaftsbetrieb. Sie  sind Teil einer von verdi und GEW unterstützten Initiative, die eine Kampange für einen neuen einen Tarifvertrag für die ca.6.000 studentisch Beschäftigen an allen  Berliner Hochschulen fordern. Der aktuelle Tarifvertrag ist seit mehr als 10 Jahren nicht mehr verändert worden. Seit 2001 gab es keine Lohnerhöhung mehr.  Vor dem Jobcenter in der Charlottenstraße sprechen dann VertreterInnen der Erwerbsloseninitiative „Basta“ über Widerstand gegen Sanktionen und Schikanen. Auf dem Weg nach Kreuzberg wird in Kurzbeiträgen an die Beschäftigten in den zahlreichen Restaurants erinnert: „Die Gastronomiebranche ist ein zentraler Motor der prekären migrantischen Arbeit in Berlin“, meint Nicola von den Migrant Strikers. Pablo vom „Oficina Precaria Berlin“, in dem sich ArbeitsmigrantInnen aus Spanien koordinieren, zeigt sich mit dem Ablauf des Spaziergangs zufrieden. „Wir hatten nur einen knappen Monat Vorbereitungszeit und haben unterschiedliche Gruppen prekär beschäftigter KollegInnen erreicht“. Dazu gehören auch die Beschäftigten des Botanischen Gartens an der FU Berlin. Sie wehren sich gegen Outsourcing und haben mit einen Banner der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di an dem Spaziergang teilgenommen. Erwin von der Berliner Blockupy-Plattform, die in den letzten Jahren Krisenproteste organisiert hat, will aber erst von einem Erfolg sprechen, wenn „der Kampf gegen prekarisierte migrantische Arbeit auch über den 1. März hinaus fortgesetzt wird“.

Kampf um das Streikrecht und gegen Leiharbeitsfirmen

In Dresden organisierte die FAU am 1. März eine zentrale Diskussionsrunde zum Thema: Politischer Streik. Dabei ging es um Möglichkeiten der Verteidigung und Ausweitung  des Streikrechts, das derzeit  in verschiedenen europäischen Ländern eingeschränkt wird.

Größere Aktionen gingen am gleichen Tag von der anarchosyndikalistischen Arbeiterinitiative IP in Polen. In mehreren polnischen Städten prangerte sie vor Zeitarbeitsfirmen die dort üblichen prekären Arbeitsbedingungen an. „Wir fordern gleiche Löhne, gleiche Rechte und gleiche Verträge für alle. Ob wir das durchsetzen können, hängt nicht nur von den Managern ab. Wenn wir zusammen agieren, können wir ein Wort bei der Organisation unserer Arbeit mitreden“, heißt es in einem Aufruf der IP zum 1. März. Tatsächlich stellt die transnationale Initiative, die den Kampf gegen das europäische Grenzregime mit dem Kampf gegen Austerität und Prekarität verbindet und dabei das Korsett der Landesgrenzen überwindet, einen Ansatz dar, der ausgewertet und ausgebaut werden sollte.

express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit

2-3/2016

http://www.labournet.de/wp-content/uploads/2016/03/nowak_aktion1mrz.pdf

Peter Nowak

Zu Besuch bei Ausbeutern


PROTEST: Spaziergang der „Migrant Strikers“ gegen ausbeuterische Arbeit
„Inversible Care Work“ und „Migrants without Labourrights“ ist auf den bunten Schirmen zu lesen, die Lucia aufgespannt hat. Sie gehört den Migrant Strikers an, einer Gruppe italienischer ArbeitsmigrantInnen. Mit einem Spaziergang durch das Berlin der prekären migrantischen Arbeit, der am Potsdamer Platz startet, wollen sie am Dienstagnachmittag auf die unterschiedlichen Formen der Ausbeutung hinweisen. Etwa 100 Menschen haben  sich am Platz eingefunden, eine Sambagruppe macht Musik. Einige AktivistInnen mit Clownsmasken fragen PassantInnen nach ihren Arbeitsbedingungen. Die meisten schweigen. Vor dem Eingang der Mall of Berlin erinnert die Gewerkschaft Freie Arbeiter Union (FAU) an die acht rumänischen BauarbeiterInnen, die seit Monaten um den ihnen vorenthaltenen Lohn kämpfen und trotz juristischer Klagen bis heute kein Geld erhalten haben. Vor einem Gebäude der HistorikerInnenfakultät der Humboldt- Universität sprechen KommilitonInnen über prekäre Arbeitsbedingungen im Wissenschaftsbetrieb. Sie fordern einen
Tarifvertrag für die rund 6.000 studentischen Beschäftigten an Berlins Hochschulen. Vor dem Jobcenter in der Charlottenstraße
erinnern AktivistInnen der Erwerbsloseninitiative Basta an den Widerstand gegen Sanktionen und Schikanen. Auf dem Weg nach Kreuzberg wird die Aufmerksamkeit der Mitlaufenden auf die Restaurants gelenkt. „Die Gastronomiebranche ist ein zentraler Motor der prekären migrantischen Arbeit in Berlin“, sagt Nicola von den Migrant Strikes. Pablo von der Gruppe Oficina Precaria Berlin zeigt sich mit
dem Ablauf des Spaziergangs zufrieden. „Wir haben unterschiedliche prekär beschäftigte KollegInnen erreicht.“ Dazu gehören die Beschäftigten des Botanischen Gartens an der FU Berlin. Sie wehren sich gegen das geplante Outsourcing und haben ebenfalls am  Spaziergang teilgenommen. Dennoch will Erwin vom der Berliner Blockupy-Plattform, die in den letzten Jahren einige Krisenproteste
organisiert hat, erst von einen Erfolg reden, wenn der Kampf gegen die Ausbeutung von migrantischen ArbeiterInnen auch über den 1. März hinaus fortgesetzt wird.
aus Taz vom 3.3.2016
Peter Nowak