Kettenhaftung statt Konkurstricks


Die beim Bau des Einkaufszentrums »Mall of Berlin« um ihre Löhne geprellten rumänischen Arbeiter haben ihre Klage vor dem Arbeits­gericht verloren.

Um ausstehende Löhne kämpfende Bauarbeiter bleiben vor dem Berliner Arbeitsgericht ohne Erfolg

»Ich hatte große Hoffnungen in die deutsche Justiz. Doch mittlerweile bin ich sehr enttäuscht«, sagt Ovidiu Mindrila. Gerade hat er erfahren, dass seine Klage gegen die HGHI Leipziger Platz GmbH & Co. vom Berliner Arbeitsgericht abgelehnt wurde. Mindrila gehört zu einer Gruppe rumänischer Arbeiter, die auf der Baustelle des Einkaufszentrums »Mall of Berlin« gearbeitet hatten und denen große Teile ihres Lohns vorenthalten wurden.

Im Herbst 2014 sorgte ihr Fall bundesweit für Schlagzeilen, nachdem sich die Arbeiter an die Basisgewerkschaft Freie Arbeiterinnen- und Arbeiterunion (FAU) gewandt hatten. Auf Kundgebungen in der Nähe des Einkaufszentrums wurde gefordert, dass der Lohn gezahlt wird. Zugleich reichten die Arbeiter vor dem Arbeitsgericht Klage gegen die Subunternehmen ein, bei denen sie beschäftigt waren. Obwohl sie mehrere Prozesse gewannen, hat keiner der Betroffenen bisher einen Cent bekommen, weil die Firmen Insolvenz anmeldeten. Also verklagten sie mit der HGHI die Bauherrin, die das Zentrum betreibt. Die Firma gehört zum Firmengeflecht des Investors Harald Huth.

»Das Generalunternehmen wählt die Subunternehmen aus und ist deswegen auch dafür verantwortlich, wenn sie die Löhne nicht zahlen«, sagte Mindrilas Anwalt Sebastian Kunz der Jungle World. Die Anwälte des beklagten Unternehmens hatten hingegen argumentiert, dass die Subunternehmen und nicht der Generalunternehmer ­bestimmten, was auf der Baustelle geschehe. Dieser Rechtsauffassung schloss sich das Gericht an und lehnte Mindrilas Klage ab. Trotz der Nieder­lage bereut er nicht, den juristischen Weg gegangen zu sein. »Es geht um mein Recht«, betonte er.

Doch längst nicht alle seiner Kollegen verfügen nach mehr als zwei Jahren noch über so viel Kampfgeist. »Mittlerweile sind viele der Arbeiter wieder in Rumänien und haben den Eindruck, dass ihnen das große mediale Interesse nichts gebracht hat«, berichtet Hendrik Lackus von der FAU über die Stimmung unter den Betroffenen. Auf dem Höhepunkt des Kampfs, als ein Erfolg greifbar nahe schien, hatten die Arbeiter und ihre Freunde die Gründung einer Basisgewerkschaft nach dem Modell der FAU in Rumänien geplant. doch als sich die Auseinandersetzung hinzog und die Arbeiter trotz gerichtlicher Erfolge ihren Lohn nicht bekamen, seien die Arbeiter ernüchtert gewesen. Auch Lackus macht aus seiner Enttäuschung keinen Hehl. Anfangs habe er noch die Hoffnung gehabt, dass die Arbeiter ihre Löhne bekommen. Doch je länger sich die Auseinandersetzung hinzog, desto pessimistischer sei er geworden, sagte er der Jungle World.

Tatsächlich demonstriert die Aus­einandersetzung um die Löhne der Bauarbeiter der »Mall of Berlin« auch die Grenzen des Rechtswegs. Jochen Empen vom DGB-Projekt »Faire Mobilität« forderte bereits im vergangenen Sommer eine Kettenhaftung der Un­ternehmen. Vor allem in der Bauwirtschaft könne so verhindert werden, dass Beschäftigte ohne Lohn blieben, wenn Subunternehmen pleite gingen. Dann müsste das Generalunternehmen, das die Subunternehmen beauftragt hat, für die entgangenen Löhne haften.

https://jungle.world/artikel/2017/20/kettenhaftung-statt-konkurstricks

Peter Nowak

Weg für Dumpinlöhne versperren

EU-Projekt zu Arbeitssituation von Migranten und Lohnbetrug

Berlin ist zu einem  Treffpunkt für viele Arbeitsmigranten aus ganz Europa geworden. Sie erhoffen  in der Metropole sich ein besseres Leben als in ihren Herkunftsländern. Doch oft sind  mit  Überstunden, Arbeitshetze, Dumpinglöhnen und ein schlechten Arbeitsklima konfrontiert. Vor allem Beschäftigte aus Ost- und Südeuropa, die in Berlin arbeiten, beklagen  ihre Arbeitssituation und wenden sich auch zunehmend an Gewerkschaften.   Das ist das Fazit des Abschlussberichts „Sozialdumping durch Subunternehmertum“, der im Rahmen des EU-finanzierten Projekts  Testing EU Citizenship as Labour Citizenship“ erstellt wurde.
Kamila Schöll-Mazurek, die an der Studie mitgearbeitet hat, hebt sie die zentrale  Rolle  hervor, die das System der Scheinselbstständigkeit und es Subunternehmertuns bei der Etablierung schlecht bezahlter Arbeitsplätze spielt.  In der Praxis habe sich gezeigt, dass  es damit Beschäftigten schwer gemacht wird ihre Rechte durchzusetzen. So könnten Beschäftigte mehrmals Prozesse wegen entgangenen Lohn gegen Subunternehmen gewonnen, aber die Kollegen bekamen ihr  Geld nicht, weil die Subunternehmen vorher Insolvenz anmeldeten. Mehrmals wurde der Kampf der rumänischen Bauarbeiter, die bei der Errichtung der Mall of Berlin um große Teile ihres Lohns betrogen worden sind und trotz einer großen Öffentlichkeitskampage und gewonnenen Prozessen bisher leer    ausgingen.

Löhne sind auch bei Insolvenz zu sichern
Jochen Empen vom beim DGB angesiedelten  Projekt „Faire Mobilität“ fordert eine gesetzliche Grundlage für eine transnationale Strafverfolgung. So könnten Unternehmen bei Verstößen gegen die Arbeitsrechte  über die Grenzen hinweg  juristisch zur Verantwortung gezogen werden. Als  einen weiteren Schritt zur Eindämmung von Diskriminierung und Lohnbetrug wird  die Kettenhaftung der Unternehmen genannt. Vor allem in der Bauwirtschaft kann so  verhindert werden, dass Beschäftigte ihren Lohn nicht bekommen, weil die Subunternehmen Pleite gehen. Dann müsste das Generalunternehmen, das die Subunternehmen beauftragt hat, für die entgangenen Löhne haften. In Österreich werden die Unternehmen, die Subunternehmen beauftragen, zudem verpflichtet, Rücklagen zu bilden, damit die Löhne der Beschäftigten auch bei Insolvenz  gesichert sind. In Deutschland  sollten  Betroffenen, Gewerkschaften und Sozialverbände kooperieren, um solche Regelungen auch hierzulande durchzusetzen. Damit würde nicht nur die Verhandlungsmacht der migrantischen  Beschäftigten gestärkt. Alle Lohnabhängigen profitieren davon, wenn der Weg für Dumpinglöhne versperrt wird.
Peter Nowak

»24 Stunden ohne uns«

Prekär Beschäftigte und Migranten sollen für einen Tag in ganz Europa streiken – noch bleibt es beim Appell

Sie sind rechtlos und unsichtbar: Arbeitsmigranten, die überall in Europa unter miesen Bedingungen schaffen. Linke Aktivisten wollen sie unterstützen und werben für einen 2transnationalen sozialen Streik.

Gegen das europäische Grenzregime und prekäre Arbeitsverhältnisse sind am 1. März in zahlreichen europäischen Ländern Kundgebungen und Demonstrationen, aber auch Diskussions- und Filmveranstaltungen geplant. Zu Arbeitsniederlegungen dürfte es aber kaum kommen, obwohl der Aktionstag als »europäischer MigrantInnenstreik« beworben. »Wir wollen über das Konzept des sozialen Streiks reden, das vor allem für Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen interessant ist, die nicht einfach die Arbeit niederlegen können«, erläutert Luca von der Gruppe »Migrant Strikers«, in der sich in Berlin lebende Arbeitsmigranten aus Italien koordinieren, das Motto gegenüber »nd«. Sie wollen an Aktionen in ihrer Heimat anknüpfen, wo vor sechs Jahren der 1. März zum ersten Mal unter dem Motto »24 Stunden ohne uns« stand.

Bei einem sozialen Streik sollen Erwerbslose, Mieter, aber auch Verbraucher in Arbeitskämpfe einbezogen werden. Das soll den Druck erhöhen, den Beschäftigte im prekären Sektor allein in der Regel nicht haben. Die Aktionen wollten auf die große Bedeutung von Arbeitsmigranten aufmerksam machen, die besonders diskriminiert sind und von großen Gewerkschaften weitgehend ignoriert werden.

Beschlossen wurde der Aktionstag bei einem Treffen im polnischen Poznan im Oktober 2015, an dem Basisgewerkschaften und Gruppen der außerparlamentarischen Linken aus mehreren europäischen Ländern teilgenommen hatten. Aus Deutschland waren Aktivisten des Blockupy-Bündnisses vertreten.

Der Aktionstag am 1. März ist die erste gemeinsame Aktion in Europa. In Polen ruft die Basisgewerkschaft Inicjatywa Pracownicza (IP) dazu auf, vor Leiharbeitsfirmen gegen die prekären Arbeitsbedingungen zu protestieren. Weitere Aktionen sind in Italien, Holland, Italien, Spanien, Österreich und Frankreich geplant. Damit ist die Zahl der beteiligten Länder größer als vor sechs Jahren. Zudem sind die Aufrufe kämpferischer: Ging es 2010 vor allem um Lobbyarbeit für migrantische Beschäftigte, stehen in diesen Jahr der Widerstand gegen das Grenzregime und die Organisierung der Beschäftigten in prekären Arbeitsverhältnissen im Mittelpunkt. »Wir sehen es schon als Erfolg, dass es uns gelungen ist, in mehreren europäischen Ländern Aktionen zu initiieren«, erklärte Luca für den Vorbereitungskreis in Berlin. Schließlich seien die beteiligten Gruppen klein und hätten keine Parteien und Gewerkschaftsapparate im Rücken.

Am 1. März ist ein »Spaziergang« durch das Berlin der prekären migrantischen Arbeit geplant, der am Nachmittag an der »Mall of Berlin« beginnen soll. Das Einkaufszentrum ist zum Symbol für die Ausbeutung ausländischer Arbeitskräfte geworden – aber auch für Widerstand. Seit mehr als einem Jahr kämpfen rumänische Bauarbeiter vor Gericht und mit politischen Aktionen um den Lohn, der ihnen vorenthalten wird. Der »Spaziergang« soll weiter an Jobcentern, einer Leiharbeitsfirma und Gastronomieeinrichtungen vorbei führen. Ähnliches ist in Frankfurt am Main und Hamburg geplant.

Das Bündnis sucht auch Kontakt zum DGB. »Von uns werden sicherlich Kollegen am 1. März dabei sein«, sagt der Koordinator des Projekts »Faire Mobilität« beim DGB, Dominique John, gegenüber »nd«. Schließlich habe man bereits mit einigen beteiligten Gruppen bei Aktionen gegen Lohndumping in der Baubranche und im Schlachtergewerbe gut kooperiert. Die Selbstorganisation spanischer und italienischer Arbeitsmigranten in Deutschland sieht John als »ermutigende Entwicklung«.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/1003029.stunden-ohne-uns.html

Peter Nowak

Arbeiter aller EU-Länder organisiert Euch!

Arbeiter aus verschiedenen EU-Ländern, die in Deutschland schwarz, prekär und unterbezahlt arbeiten müssen, wehren sich gegen die Bedingungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Ein Überblick verschiedener Initiativen aus Berlin.

Am 17. April bekamen die Besucher eines Konzerts der italienischen Bands Banda Bassotti und 99 Posse im Berliner S0 36 einen Einblick in den Bereich des Niedriglohnsektors der Hauptstadt. Vor dem Auftritt der Bands verlasen ehemalige Beschäftigte der angesagten ­Berliner Pizzerien Due Forni, Il Casolare und Il Ritrovo einen offenen Brief, in dem sie die ­dortigen Arbeitsverhältnisse anprangern. Der Brief enthält mehrere Forderungen. Neben ­einer Lohnerhöhung und einem regulären Arbeitsvertrag werden darin das Ende des Mobbing gegen kritische Kollegen, das Recht auf Pausen und auf Bezahlung im Krankheitsfall sowie ein Entlassungsverbot nach einer Schwangerschaft gefordert.

Der Forderungskatalog macht deutlich, dass in den Pizzerien, an deren Wänden rote Sterne und Fotos von Che Guevara hängen, der alte Spontispruch »legal, illegal, scheißegal« eine neue Bedeutung bekommen hat. Zahlreiche erkämpfte Rechte werden von den Restaurantbesitzern ignoriert, die zudem mit den beiden Bands – die von einem Großteil der italienischen Linken sehr gefeiert werden – befreundet sind. Seit vielen Jahren sponsern sie ihre Konzerte. Die Beschäftigten hatten die Musiker in einen Brief aufgefordert, sich eindeutig zu positionieren oder das Konzert abzusagen. Nach einem Gespräch mit allen Beteiligten haben die Eigentümer der Restaurants ihren Mitarbeitern zugesichert, dass bei ihnen künftig das Arbeitsrecht zur Anwendung komme. Demnach müsste ein Mindestlohn von 8,50 Euro, eine 30minütige Pause nach sechs Stunden Arbeit und ein Kündigungsschutz für Schwangere eingeführt werden.

Ob zur Durchsetzung des gültigen Arbeitsrechts in den Pizzabuden nicht die Gründung einer Gewerkschaftsgruppe sinnvoller gewesen wäre als die Hilfe von Szenebands, könnte man sich fragen. Schließlich können solche Zusagen schnell gebrochen werden, und ob die Musiker noch einmal vermitteln, ist völlig offen.

Diesen Weg wählten die rumänischen Arbeiter, die monatelang auf der Baustelle der »Mall of Berlin« schufteten und um große Teile ihres Lohns geprellt wurden. Sie setzten auf die eigene Kraft und die Unterstützung der Basisgewerkschaft Freie Arbeiter Union (FAU). Am 26. April rief sie zu einer mehrstündigen Belagerung der Shoppingmall am Rande des Potsdamer Platzes auf. »Sechs Monate Kampf und noch immer kein Lohn«, lautete das Motto.

»Sie haben die Arroganz der Macht, doch sie haben nicht mit unserer Bereitschaft zum Widerstand gerechnet. Was das Aufgeben betrifft, da haben sie bei uns keine Chance.« Die knapp 200 Demonstrationsteilnehmer brechen in Applaus aus, als Janko E. spricht. Er gehört zu einer Gruppe von rumänischen Arbeitern, die um ihren Lohn kämpfen. Ein Stundenlohn von sechs Euro sowie Kost und Logis war ihnen versprochen worden. Der Betrag ist wesentlich niedriger als der im Baugewerbe gültige Mindestlohn. Aber selbst dieser Niedriglohn wurde den Bauarbeitern vorenthalten.

Im Oktober 2014 wandten sie sich zunächst an den DGB Berlin-Brandenburg. Das im dortigen Gewerkschaftshaus angesiedelte »Beratungsbüro für entsandte Beschäftigte« nahm Kontakt auf mit dem Generalunternehmer der Baustelle, der Firma Fettchenhauer Controlling & Logistic, und schrieb Geltendmachungen. Außer Abschlagszahlungen, die nur einen Bruchteil des vorenthaltenen Lohnes ausmachten, konnten die Bauarbeiter auf diesem Weg allerdings nichts erreichen. Sie hatten weder Arbeitsverträge noch Gewerbescheine – das macht die Durchsetzung ihrer Ansprüche schwierig. Einige nahmen die Abschlagszahlungen und unterzeichneten zudem eine vom Unternehmen vorbereitete Erklärung, nach der sie auf weitere rechtliche Schritte verzichten sollten. Andere beharrten darauf, ihren vollen Lohn zu erhalten und wollten weiter streiten. Erst nachdem sich die verbliebenen Bauarbeiter an die FAU gewandt hatten, begann die Öffentlichkeitsarbeit. »Mall of Berlin – auf Ausbeutung gebaut«, lautete die Parole. Der von der FAU kreierte Begriff »Mall of Shame« hat sich mittlerweile im Internet verbreitet. Der gesellschaft­liche Druck reichte bisher nicht so weit, dass der Generalunternehmer und seine Subunternehmen die ausstehenden Löhne bezahlten. Dabei handelte es sich um einige Tausend Euro. Für die Unternehmen sind es Beträge aus der Portokasse. Für die betroffenen Bauarbeiter und ihre Familien in ihrem Herkunftsland ist das Geld existentiell.

Anfang April sah es zunächst so aus, als hätten zwei der Bauarbeiter einen juristischen Etappensieg errungen. Das Berliner Arbeitsgericht bestätigte die Forderungen von Nicolae Molcoasa und Niculae Hurmuz. Das beklagte Subunternehmen war nicht zur Verhandlung erschienen und hatte auch keinen Anwalt geschickt. So musste das Gericht der Klage stattgeben. Doch wenige Tage später ging ein Anwalt des Unternehmens in Berufung; die Arbeiter müssen weiter auf ihren Lohn warten.

Nur ein Teil der Betroffenen kann die Auseinandersetzung jetzt noch in Berlin führen. Andere mussten wieder nach Rumänien zurück oder haben in einer anderen Stadt Arbeit gefunden. Die Kollegen, die bis heute durchgehalten haben, ­berichten über die vielen Schwierigkeiten. Als sie den Kampf begannen, hatten sie weder Geld noch Unterkunft. Die FAU kümmerte sich um Essen und Obdach.

Wenn sie auch nach sechs Monaten Kampf noch immer auf ihren Lohn warten müssen, so haben sie doch schon einen wichtigen Erfolg errungen. Sie haben deutlich gemacht, dass ausländische Arbeiter in Deutschland nicht rechtlos sind und sich wehren können.

Der Fall der rumänischen Bauarbeiter ist keine Ausnahme. »Es gibt viele solcher Fälle. Nur leider sind die Betroffenen nur selten in der Lage, sich zu wehren«, meint eine Mitarbeiterin einer Organisation von Roma in Berlin. Das Leben von vielen Arbeitsmigranten aus Osteuropa sei von ständiger Verunsicherung geprägt. Das erstrecke sich nicht nur auf die Löhne und die Arbeitsbedingungen. »Sie werden in den Jobcentern benachteiligt, sind oft von medizinischer Versorgung ausgeschlossen und müssen wegen rassistischer Diskriminierung am Wohnungsmarkt oft in teuren Schrott-Immobilien wohnen«, fährt sie fort. Zudem fehle es den Betroffenen oft an Kontakten zu Organisationen und Initiativen, die sie im Widerstand unterstützen könnten.

Juristischer Etappensieg. Das Berliner Arbeitsgericht bestätigte am 10. April zunächst die Forderungen wegen unbezahlter Löhne. Die beklagte Openmallmaster GmbH blieb dem Gerichtstermin fern.

Mittlerweile ist die Foreigners-Sektion der FAU ein Anlaufpunkt für Arbeiter aus den verschiedenen Ländern geworden, die in Deutschland um ihren Lohn oder um bessere Arbeitsbedingungen kämpfen.

Im Februar 2014 hatte die Berliner Erwerbslosenorganisation »Basta« einen kurzen Arbeitskampf im Weddinger Hostel Amadeus begonnen. Junge Menschen aus verschiedenen Ländern, die dort für Kost und Logis arbeiteten, waren in die Beratung gekommen, weil das Jobcenter ihnen Leistungen als Aufstocker verweigerte. Erst bei den Gesprächen wurde das ganze Ausmaß der Ausbeutung deutlich.

»Ich arbeitete täglich rund acht Stunden an sechs Tagen die Woche. Am Monatsende erhielt ich für die Arbeit 100 Euro«, erzählt etwa Thomas aus Belgien. Er wollte Berlin kennenlernen und landete im Amadeus-Hostel. Ähnlich erging es Nathan Letore aus Frankreich: »Wir suchten ein Zimmer und im Hostel sagten sie uns, wir können hier leben und arbeiten.« Nach einer von den Betroffenen gemeinsam mit Erwerbslosengruppen organisierten Protestkundgebung im Februar 2014 meldete der Hostel-Besitzer Konkurs an. Noch immer klagen einige der Betroffenen juristisch ihren Lohn ein. Einige haben sich durch die Auseinandersetzung politisiert. Mittlerweile arbeiten sie in der FAU mit und unterstützen Kollegen aus anderen Ländern, die in einer ähnlichen Situation sind.

Beschäftigte in allen Branchen sind betroffen. In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Menschen aus dem europäischen Ausland, die in Deutschland Arbeit suchen, gewachsen. Der Grund liegt in einer von den europäischen Institutionen vor allem auf Initiative Deutschlands ­vorangetriebenen Austeritätspolitik, die sich die »Agenda 2010« zum Vorbild nimmt. »Tatsächlich geht es eher darum, durch Angst und Schrecken vor Arbeitsplatzverlust und Verarmung einen wirtschaftlichen Entwicklungsweg durchzusetzen, der sich durch eine stetig sinkende Lohnquote und dürftige Wachstumsraten auszeichnet«, schreibt der Berliner Soziologe Heiner Ganßmann in Le Monde diplomatique.

Vor allem in den Ländern der europäischen Peripherie sorgte diese Politik für den Anstieg der Arbeitslosigkeit und die Senkung von Löhnen und Gehältern. Viele gut ausgebildete junge Menschen kommen nach Deutschland in der Hoffnung, bessere Arbeits- und Lebensbedingungen vorzufinden. Doch oft arbeiten sie in besonders schlecht bezahlten Ausbeutungsverhältnissen, beispielsweise im boomenden Restaurant- und Gastronomiebereich oder in der Pflegebranche.

Gegen die schlechten Arbeitsbedingungen in diesen Bereichen zu kämpfen, haben sich die Mitglieder der Grupo de Acción Sindical (GAS) zum Ziel gesetzt. Sie wurde vor einigen Monaten von Beschäftigten aus Portugal und Spanien gegründet, die in Deutschland in Pflegeberufen arbeiten. »Die Krankenpflegerinnen und -pfleger müssen zwölf bis 14 Tage lang ohne Pause arbeiten und bekommen bis zu 40 Prozent weniger Lohn als die deutschen Kollegen. Manchmal müssen sie Tätigkeiten verrichten, die nicht in den Bereich der Krankenpflege fallen. Und wenn sie den Job kündigen wollen, bekommen sie eine Konventionalstrafe, die in einigen Fällen bis zu 12 000 Euro beträgt«, beschreibt Mayte Marin die Situation an ihrem Arbeitsplatz.

Ein Schwerpunkt der Gruppe liegt in der Information von Kollegen über ihre Rechte und Widerstandsmöglichkeiten. »Weil sie manchmal die Sprache nicht genug beherrschen und aus einem Land mit einer hohen Arbeitslosigkeit kommen, fällt es ihnen oft schwer, sich über ihre Arbeitsbedingungen zu beschweren«, so Marin.

Dominique John, der beim DGB das Projekt »Faire Mobilität« betreut, unterstützt die Gruppe. Er hat die Broschüre »Wissen ist Schutz« in spa­nischer Sprache herausgegeben, die Arbeitsmigranten in Spanien und Deutschland über ihre Rechte informiert. Zusammen mit der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi haben sie im Juni vergangenen Jahres eine Veranstaltung für das Fachpflegepersonal aus Spanien organisiert. »Dort wurde auch das Problem mit den Knebelverträgen besprochen«, sagt John. Obwohl die Beschäftigen durch die Verträge unter Druck gesetzt werden, seien diese rechtlich schwer anzugreifen, bedauert er. Daher begrüßt es John, dass die Kol­legen die Verträge politisch bekämpfen wollen.

Auch der für den Fachbereich Gesundheit und soziale Dienstleistungen bei Verdi zuständige Gewerkschaftssekretär Kalle Kunkel spricht von einer vertrauensvollen Zusammenarbeit mit der migrantischen Gruppe. Im Kampf gegen die Knebelverträge habe man die gleiche Position. »Wir lehnen sie ab und gehen politisch und, wo es möglich ist, auf betrieblicher Ebene dagegen vor.« Außerdem kämpfe Verdi überall, wo man stark genug sei, für Tarifverträge. »Das ist der einzige wirklich wirksame Schutz gegen ungleiche Bezahlung«, betont Kunkel. Im September 2014 hat Verdi gemeinsam mit Pflegekräften aus verschiedenen europäischen Ländern eine Kundgebung für bessere Arbeitsbedingungen, höhere Löhne und eine Aufhebung der Knebelverträge organisiert.

Viele der bei GAS aktiven Pflegekräfte haben sich in den vergangenen Jahren in Spanien und Portugal in der Bewegung der Empörten engagiert und setzen ihre Aktivitäten nun in Deutschland fort. Auch die jungen Italiener, die die Gruppe »Berlin Migrant Strikers« gegründet haben, politisierten sich vor einigen Jahren in der Bewegung der Prekären oder in sozialen Zentren in Italien. Bereits die erste Generation der Arbeitsmigranten aus Italien, Spanien und der Türkei brachte Erfahrungen von politischer und gewerkschaft­licher Arbeit aus ihren Herkunftsländern mit. So gab es in den frühen sechziger Jahren in Wolfsburg, einer der Hochburgen der damaligen italienischen Arbeitsmigration, immer wieder Konflikte zwischen der autochthonen Bevölkerung der von den Nazis gegründeten Musterstadt und ita­lienischen Beschäftigten, die teilweise in linken Parteien sozialisiert worden waren. Türkische und spanische Kollegen hatten oft Erfahrungen mit der Arbeit der in ihren Ländern illegalisierten und verfolgten linken Parteien und Gewerkschaften, die sie in die deutschen Fabriken mitbrachten. Beim Fordwerk in Köln traten vor allem kämpferische Arbeiter aus der Türkei 1973 in einen mehrtätigen wilden Streik, der von der lokalen DGB-Bürokratie gemeinsam mit der Polizei zerschlagen wurde. Bild titelte »Türkenterror bei Ford«. Es gab gerade in den siebziger Jahren aber auch erfolgreiche Arbeitskämpfe, die wesentlich von Arbeitsmigranten getragen wurden.

Die neue Generation der »Berlin Strikes« aus Italien, Portugal und anderen europäischen Ländern wurde nicht in großen linken Parteien und Gewerkschaften, sondern eher in basisdemokratischen linken Bewegungen politisiert. Sie arbeiten auch nicht in Großbetrieben, sondern in schwer organisierbaren Branchen wie der Gastronomie oder der Pflege. Oft ist es kompliziert, die Verbindung zwischen den unterschiedlichen Branchen herzustellen.

Dabei gab es vor fast zehn Jahren mit dem Euromayday bereits einen branchenübergreifenden Organisationsversuch. Diese Mai-Aktivitäten der Prekären breiteten sich über Spanien und Italien nach Deutschland aus. Prekär Beschäftigte aus unterschiedlichen Ländern und Branchen gehen mit Erwerbslosen gemeinsam auf die Straße und kämpfen für ihre Rechte, lautete das Konzept. In den meisten Städten stagnierten die Mayday-Aktivitäten bald und wurden nach wenigen Jahren eingestellt. Die Suche nach gemeinen Organisationskonzepten geht weiter. Im vergangenen Herbst machten die Berlin Migrant Strikers das Konzept des »Sozialstreiks« in Deutschland bekannt, der ebenfalls von linken Kollektiven und Organisationen von Prekären in Italien ausging.

http://jungle-world.com/artikel/2015/18/51873.html

Peter Nowak

Ausgenutzt und ausgebeutet

Junge Spanier in Deutschland kämpfen gegen Knebelverträge und miese Arbeitsbedingungen in der Pflege

Tausende junge gut ausgebildete Spanier hat die Wirtschaftskrise ins Ausland getrieben. Aber auch in Deutschland erwarten sie miese Arbeitsbedingungen. Jetzt wehren sie sich.

Deutsche Pflegeheime und Krankenhäuser werben seit Jahren ihr Fachpersonal im Ausland an. Geschah dies zunächst in Polen oder Bulgarien, hat sich durch die Wirtschaftskrise im Süden Europas eine neue Quelle aufgetan. In Spanien sind 55 Prozent der jungen Leute arbeitslos. Sie warten nur darauf, endlich einen Job zu finden, von dem sie leben können. Tausende sind mit dieser Hoffnung in den vergangenen Jahren nach Deutschland gekommen.

Doch die Realität sieht oft anders aus, wie die im Pflegebereich arbeitende Mayte Marin gegenüber »nd« berichtet. »Wir müssen 12 bis 14 Tage ohne Pause arbeiten und bekommen bis zu 40 Prozent weniger Lohn als deutsche Kollegen«, erzählt die Krankenpflegerin. Sie müssten dabei auch Aufgaben übernehmen, die nicht in ihren Arbeitsverträgen stehen, wie die Wohnung saubermachen, den Einkauf erledigen, den Hund ausführen.

Marin hat mit einigen Kollegen die Grupo de Acción Sindical (GAS) gegründet, was »Gruppe gewerkschaftliche Aktion« heißt. Sie ging aus der Versammlung der 15-M-Bewegung in Berlin hervor. Viele der Aktivisten hatten sich zuvor schon in Spanien in der Bewegung der »Empörten« engagiert. Wie in Spanien versuchte die Bewegung auch hierzulande, öffentliche Plätze zu besetzen, widmete sich dann aber der Organisierung in der Arbeitswelt. Fast jeden Tag bekommen sie inzwischen Anrufe aus verschiedenen Orten in Deutschland.

Ein Schwerpunkt der Gruppe liegt darauf, Kollegen über ihre Rechte und Widerstandsmöglichkeiten zu informieren. »Weil sie manchmal die Sprache nicht genug beherrschen und aus einem Land mit einer hohen Arbeitslosigkeit kommen, fällt es ihnen oft schwer, sich über ihre Arbeitsbedingungen zu beschweren«, beschreibt Marin die Situation.

Die Gruppe kämpft auch gegen die Vertragsstrafe, die Pflegekräfte aus anderen Ländern bezahlen müssen, wenn sie ihren Arbeitsplatz vorzeitig wechseln wollen. Sie kann bis zu 12 000 Euro betragen. »Die Strafe bringt uns um«, lautet daher das drastische Motto der aktuellen Kampagne von GAS.

Dominique John, der beim DGB das Projekt Faire Mobilität betreut, unterstützt die Gruppe. Er hat die Broschüre »Wissen ist Schutz« in spanischer Sprache herausgegeben, die Arbeitsmigranten in Spanien und Deutschland über ihre Rechte informiert. Zusammen mit der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di haben sie im Juni 2014 eine Veranstaltung für das Fachpflegepersonal aus Spanien organisiert. »Dort wurde auch das Problem mit den Knebelverträgen besprochen«, erklärt John gegenüber »nd«. Obwohl die Beschäftigen durch die Verträge unter Druck gesetzt werden, seien diese rechtlich schwer zu knacken, bedauert er. Daher begrüßt es John, dass die Kollegen die Verträge politisch bekämpfen wollen.

Auch der für den Fachbereich Gesundheit und soziale Dienstleistungen bei ver.di zuständige Gewerkschaftssekretär Kalle Kunkel spricht von einer vertrauensvollen Zusammenarbeit mit der migrantischen Gruppe. Im Kampf gegen die Knebelverträge habe man die gleiche Position. »Wir lehnen sie ab und gehen politisch und, wo es möglich ist, auf betrieblicher Ebene dagegen vor.« Außerdem kämpfe ver.di überall, wo man stark genug sei, für Tarifverträge. »Der einzige wirklich wirksame Schutz gegen ungleiche Bezahlung«, wie Kunkel gegenüber »nd« betont. Vergangenen September hatte ver.di gemeinsam mit Pflegekräften aus verschiedenen europäischen Ländern eine Kundgebung für bessere Arbeitsbedingungen, höhere Löhne und eine Aufhebung der Knebelverträge vor dem Bundesgesundheitsministerium organisiert.

www.neues-deutschland.de/artikel/963953.ausgenutzt-und-ausgebeutet.html

Peter Nowak

Mangelndes Wissen wird systematisch ausgenutzt

ARBEIT Beratungsstelle Faire Mobilität will EU-Bürgern in Fragen des Arbeitsrechts helfen

Da ist zum Beispiel Agneta G. Sechs Monate hatte die Frau aus Polen in Berlin rund um die Uhr einen Pflegebedürftigen in dessen Familie betreut. Dafür bekam sie einen Abschlag von monatlich 500 Euro. Vereinbart waren mit der Arbeitsvermittlerin aber 2.000 Euro. Als sie am letzten Tag des Arbeitsverhältnisses den restlichen Lohn einforderte, wurde sie im Haus eingeschlossen. Da die Vermittlerin keine neue Pflegekraft geschickt hatte, sollte Agneta G. weiterarbeiten. Mithilfe der Polizei konnte sie das Haus der Pflegefamilie verlassen und ihre Heimreise antreten. Den ausstehenden Lohn hat sie allerdings bis heute nicht erhalten. Mit Unterstützung der Berliner Beratungsstelle Faire Mobilität (FM) hat sie eine Klage eingereicht.

Das Projekt wurde im Oktober 2011 mit Unterstützung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) ins Leben gerufen. In Berlin, Frankfurt am Main, Hamburg und München haben die Beratungsstellen bereits im vergangenen Jahr die Arbeit aufgenommen, Stuttgart startete im Februar dieses Jahres.

„Überall da, wo wir die Büros eröffnet haben, saßen schon in den ersten Tagen Menschen, um uns ihre Probleme zu schildern“, berichtet Dominique John, der Berliner Leiter des Gesamtprojekts, das sich vor allem an Beschäftigte aus mittel- und osteuropäischen Ländern richtet. „Unsere Berater und Beraterinnen sprechen mindestens eine osteuropäische Sprache, dazu Englisch und Deutsch.“

Faire Mobilität grenzenlos

In einer im Rahmen des Projekts erstellen Expertise zum Thema „Grenzenlose Faire Mobilität“ heißt es: „Die Arbeitnehmerfreizügigkeit und Dienstleistungsfreiheit funktioniert in vielen Bereichen gut. In einigen Branchen dagegen, wie dem Baugewerbe, der Gebäudereinigung, der Schlachtindustrie, in den Pflegeberufen oder im Hotel- und Gaststättengewerbe, gibt es ein große Anzahl von Beschäftigten aus den mittel- und osteuropäischen Ländern, die aufgrund mangelnder Kenntnisse ihrer Rechte und einer geringen Verhandlungsmacht systematisch ausgenutzt werden.“

Oft haben die Betroffenen keine schriftlichen Verträge, sondern nur mündliche Vereinbarungen. Das erschwert die Durchsetzung ihrer Rechte. „Wir versuchen mit Verhandlungen und öffentlichen Druck die Forderungen der Beschäftigten durchzusetzen, um einen langwierigen juristischen Weg zu vermeiden“, sagt John.

Heimreise bezahlt

Doch das klappt nicht immer. So hätte ein Elektroausstatter für Großbaustellen Insolvenz angemeldet, nachdem circa 100 ungarische Beschäftigte ausstehende Löhne eingefordert hatten. Einigen der ArbeiterInnen hatte die Firma zu Weihnachten eine Heimreise bezahlt, um sie anschließend zu kündigen. „Ein durchaus gängiges Geschäftsmodell“, so John: „Den Leuten fehlen dann die Mittel und das Know-how, um nach Deutschland zurückzukehren und das ausstehende Geld einzuklagen.“

Einige der Betroffenen haben sich an die Berliner Beratungsstelle gewandt. In diesem Fall wird nun mit zuständigen Stellen der IG Metall und dem DGB-Rechtsschutz geklagt.

Obwohl die Beratungsstellen eigentlich für Beschäftigte aus mittel- und osteuropäischen Ländern zuständig ist, suchen immer wieder auch Arbeiter aus Spanien und Portugal Rat, beobachtet John. Sie versuchen, der wirtschaftlichen Krise in ihren Ländern zu entfliehen, und müssen nun in Deutschland um ihre Rechte kämpfen. PETER NOWAK

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2013%2F04%2F03%2Fa0129&cHash=f5cdd0c46740c5d444add97dfabfe979
Peter Nowak

Lohngeprellt und fern der Heimat

Die Beratungsstellen des DGB-Projekts »Faire Mobilität« helfen ausländischen Beschäftigten

Vor einigen Wochen hat die Unterbringung von in Spanien angeworbenen Beschäftigten in deutschen Amazon-Filialen für Schlagzeilen gesorgt. Dabei handelt es sich keinesfalls um Ausnahmen. In Deutschland müssen viele Beschäftigte aus EU-Ländern um ihre Rechte kämpfen.
Sechs Monate hatte Agneta G. aus Polen rund um die Uhr einen Pflegebedürftigen in dessen Familie betreut. Ausgezahlt bekam sie einen Abschlag von monatlich 500 Euro. Vereinbart waren mit der Arbeitsvermittlerin 2000 Euro. Als sie am letzten Tag des Arbeitsverhältnisses den restlichen Lohn einforderte, wurde sie im Haus eingeschlossen. Da die Vermittlerin keine neue Pflegekraft geschickt hatte, sollte sie weiterarbeiten. Mit Hilfe der Polizei konnte G. ihre Heimreise antreten. Auf den ausstehenden Lohn wartet sie bis heute. Mit Unterstützung der Berliner Beratungsstelle »Faire Mobilität« wurde ihr Fall an die Zollbehörden übergeben – Ausgang bislang ungewiss.

Das DGB-Projekt »Faire Mobilität« wurde in im August 2011 ins Leben gerufen. Ziel ist, für Beschäftigte aus den mittel- und osteuropäischen EU-Staaten gerechte Löhne und faire Arbeitsbedingungen durchzusetzen. In Berlin, Frankfurt am Main, Hamburg, München und Stuttgart gibt es schon Beratungsstellen, im März 2013 wird in Dortmund ein Büro eröffnet. »Überall da, wo wir die Büros eröffnet haben, saßen schon in den ersten Tagen Menschen, um uns ihre Probleme zu schildern«, sagt der Leiter des Berliner Büros und Projektmanager Dominique John gegenüber »nd«.

In einer von ihm erstellen Expertise » heißt es: «Die Arbeitnehmerfreizügigkeit und Dienstleistungsfreiheit funktioniert in vielen Bereichen gut. In einigen Branchen dagegen gibt es ein große Anzahl von Beschäftigten aus den mittel- und osteuropäischen Ländern, die aufgrund mangelnder Kenntnisse ihrer Rechte und einer geringen Verhandlungsmacht systematisch ausgenutzt werden.»«

Oft haben die Betroffenen keine schriftlichen Verträge, sondern nur mündliche Vereinbarungen. Das erschwert die Durchsetzung ihrer Rechte. Doch die Beratungsstellen können Erfolge vorweisen: Im Jahr 2012 konnte die IG BAU 52 polnischen Arbeitern, die für Abbrucharbeiten eines Klinikums verantwortlich waren, 73 000 Euro vorenthaltenen Lohn auszahlen. Vorausgegangen waren intensive Verhandlungen der Gewerkschaft mit dem Bauunternehmen, dem Generalunternehmer und den öffentlichen Auftraggebern. Den Beschäftigten war gekündigt worden, nachdem sie ihren Lohn eingefordert hatten.

»Wir versuchen mit Verhandlungen und öffentlichen Druck die Forderungen der Beschäftigten durchzusetzen, um einen langwierigen juristischen Weg zu vermeiden«, betont John. Doch das klappt nicht immer. So hätte die Firma Condor Elektronik Insolvenz angemeldet, nachdem 150 ungarische Beschäftigte ausstehende Löhne eingefordert hatten. Der Arbeitgeber hatte ihnen zu Weihnachten einen Heimflug bezahlt und ihnen anschließend gekündigt. Nur einige der Betroffenen haben sich an die Beratungsstelle gewandt. Auch Arbeiter aus Spanien und Portugal suchten immer wieder Rat, beobachtet John. Sie versuchen der wirtschaftlichen Krise durch Beschäftigung in Deutschland zu entfliehen und müssen in hier um ihre Rechte kämpfen.

Dazu gehören auch Pedro Sanchez Nula und Sergio Barbero Escavy. Sie haben fast ein Jahr für die Firma Messeshop, die ihren Sitz in Eimersleben bei Magdeburg hat, gearbeitet und statt Lohn nur kleine Abschläge bekommen. Die beiden haben sich an die anarchosyndikalistische Basisgewerkschaft Freie Arbeiter Union (FAU) gewandt, die kürzlich eine Sektion »ausländische Beschäftigte« gründete. Anfang März übergaben die Gewerkschafter dem Unternehmen eine Petition, in der die Auszahlung der ausstehenden Löhne gefordert wird. Die Initiative hat die Firma Messeshop bisher ebenso ignoriert wie Presseanfragen.
www.neues-deutschland.de/artikel/816583.lohngeprellt-und-fern-der-heimat.html
Peter Nowak