Vor 20 Jahren gingen im Osten Tausende Menschen auf die Straße. 20 Jahre später heißt das Gesetz Bürgergeld – doch die Kritikpunkte bleiben aktuell.

Der verlorene Kampf gegen Hartz IV

Die Einführung von Hartz IV sei ein massiver Einschnitt gewesen, sagt die Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg (ALSO), seit mehr als 40 Jahren in der Erwerbslosenbewegung aktiv. „Welche Arbeit zumutbar ist für welchen Lohn, wie weit der Schutz der Privatsphäre gewährleistet wird, welche Wohnungen angemessen sind, wie Betroffene und ihre Kinder versorgt werden, mit wie viel Angst und der Erwartung von Demütigungen sie in Jobcenter und Sozialämter gehen müssen – das hat Maßstäbe gesetzt nicht nur für die Betroffenen selbst, sondern für das gesamte Zusammenleben in dieser Gesellschaft“, resümiert die Selbsthilfe-Gruppe

Der Vorwurf, auf Kosten der Allgemeinheit nicht arbeiten zu wollen, hat sich auch nach 20 Jahren kaum abgenutzt: 2023 wurde Hartz IV durch das Bürgergeld ersetzt, die populistischen Debatten aber sind geblieben. Die Bundesregierung …

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Niedriglohn per Tarifvertrag

»Equal Pay für LeiharbeiterInnen, diskriminierende Tarifverträge ersatzlos kündigen«, lauten die Forderungen in einem Offenen Brief, der von der Geschäftsführerin des Onlineportals Labournet, Mag Wompel, initiiert und von 37 Gewerkschaftern unterzeichnet wurde. Es ist der Versuch, in letzter Minute zu verhindern, dass ein Tarifvertrag für Leiharbeiter deren Schlechterstellung zementiert.

Am 30. November 2016 hatte sich in der 3. Verhandlungsrunde die DGB-Tarifgemeinschaft Leiharbeit mit den Interessenverbänden der Zeitarbeit auf einen neuen Tarifvertrag geeinigt. Damit wird jedoch ein wachsender Widerstand von Gewerkschaftern innerhalb des DGB ignoriert, ebenso wie von Basisgewerkschaften wie der Freien Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union (FAU) und den Industrial Workers of the World (IWW), die sich seit 2013 gegen den Tarifvertrag im Leiharbeitssektor positionieren.

Damals argumentierte der DGB noch, dass man mit den Tarifverhandlungen verhindern wolle, dass gelbe Gewerkschaften noch schlechtere Konditionen vereinbaren könnten. Doch dieses Argument zieht nicht mehr. Die Arbeitsgerichte haben diesen unternehmernahen Verbänden ihre Tariffähigkeit abgesprochen und die von ihnen geschlossenen Tarifverträge aufgehoben. Höchste Zeit für die DGB-Tarifgemeinschaft ihre selbst geschaffenen Tarifverträge zu kündigen. Dann würde automatisch das im Gesetz verankerte Prinzip des Equal Pay – also gleicher Lohn für gleiche Arbeit – gelten, argumentieren die Kritiker.

Sie fordern deshalb die Tarifkommission auf, das Tarifergebnis abzulehnen. Diese Möglichkeit bestünde bis zum 31. Januar. Zwar ist unwahrscheinlich, dass die Kommission dieser Forderung folgen wird. Trotzdem ist der Offene Brief in letzter Minute richtig. Er forciert auch innerhalb der DGB-Gewerkschaften noch einmal die Debatte, warum die Gewerkschaften durch einen Tarifvertrag zur Schlechterstellung von Beschäftigten beitragen.

Dass sich unter den Unterzeichnern des Offenen Briefes auch Mitglieder der Basisgewerkschaften FAU und IWW finden, macht deutlich, dass der DGB durchaus Konkurrenz bekommen hat. Sollte sich das bei den Leiharbeitern herumsprechen, könnte der Gewerkschaftsbund vielleicht noch einmal darüber nachdenken, ob der Tarifvertrag eine so gute Idee war.

Der DGB-Verhandlungsführer Stefan Körzell jedenfalls scheiterte an einer überzeugenden Erklärung, warum der Vertrag im Interesse der Leiharbeiter sein soll. Er machte nur deutlich, dass sich die Tarife durch eine überproportionale Erhöhung der unteren Entgeltgruppen am Ende der Laufzeit vom gesetzlichen Mindestlohn entfernt haben würden.

Die richtige gewerkschaftliche Antwort sollte jedoch sein: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit statt tarifierter Niedriglohn.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1039140.niedriglohn-per-tarifvertrag.htm

Peter Nowak